Der Ferdinandsbrunnen bei Marienbad

CCXV. Die Cathedrale Wassily-Blaggennoi in Moskau Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Fünfter Band (1838) von Joseph Meyer
CCXVI. Der Ferdinandsbrunnen bei Marienbad
CCXVII. Die Universität Göttingen
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DER FERDINANDSBRUNNEN BEI MARIENBAD
in Böhmen

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CCXVI. Der Ferdinandsbrunnen bei Marienbad.




Die Lage dieses kleinen romantischen Orts in der Mitte jener berühmten Gegend, in welcher, auf dem kleinen Raume von 5 Quadratmeilen, mehr als siebenzig Heilquellen, die weltbekannten von Karlsbad und Eger eingeschlossen, entspringen, ist einem Kurorte ganz angemessen. Noch vor wenigen Jahrzehnten war hier nichts zu sehen, als eine wilde, romantische Bergschlucht, umgeben von dicht bewaldeten Bergen und sumpfigen Gründen. Einige Quellen waren nothdürftig gefaßt, einige elende Gebäude dienten zur Aufnahme der Kranken. Der Ruf, den die Marienbader Wasser zu Ende des vorigen Jahrhunderts erlangten, die daraus hervorgehende größere Frequenz der Bäder und die Klagen der Gäste über mangelhafte Anstalten, zogen die Aufmerksamkeit der Regierung auf sich, und seitdem hat jedes Jahr neue Anlagen und Verschönerungen entstehen sehen in solchem Maaße, daß die Gegend, im Vergleich zu sonst, unkenntlich geworden ist. Die wüste finstere Bergschlucht, in der dem einsamen Kurgast nicht selten Eber oder Füchse begegneten, ist in einen herrlichen Park verwandelt; Sümpfe wurden ausgetrocknet, große Gebäude in edlem Styl erhoben sich über und neben den Quellen, umgeben von anmuthigen Spaziergängen, und das Ganze bildet mit seinem Charakter der heitern Ländlichkeit einen Kurort, dessen Eindruck ganz geeignet ist, der Genesung der Hülfesuchenden die Hand zu bieten. Ohne gerade dem Freunde der Natur jene Mannichfaltigkeit interessanter Gestaltungen darzubieten, für welche Karlsbads Umgebungen mit Recht einen so großen Ruf genießen, waltet über Marienbads stillen Gründen jener eigenthümliche, behagliche Geist, der dem gemüthlichen Menschen so wohl thut, und jene sanften, milden Eindrücke hervorbringt, wie sie Kranke und Genesende immer bedürfen. Dazu kommt noch das frische, jugendliche Ansehen dieses neuesten aller böhmischen Kurorte, und der Reiz, den der Glanz des Netten, Reinlichen und Modernen verleiht.

Die Häuser sind theils im Thale, theils auf der Höhe, und ihre Zahl ist gegenwärtig zwischen 60 und 70. Alle sind stattlich, drei Stock hoch, und jedes enthält 20 bis 25 Zimmer. Aeußere Regelmäßigkeit, Schönheit und Festigkeit sind durchgängig mit Bequemlichkeit im Innern vereinigt. Fast alle haben niedlich angelegte Gärten. Treffliche Chausseen führen in drei verschiedenen Richtungen nach Eger, Karlsbad und Prag.

Obschon Marienbad bei immer steigender Frequenz gegenwärtig unter die Kurorte vom ersten Rang zu rechnen ist, und selbst zu den lebhaftern und geselligern gehört, so hat es sich bisher doch frei von jenen Formen gehalten, welche in andern stark besuchten Bädern dem Vergnügen oft lästige Fesseln auflegen und den geselligen Ton seiner Ungezwungenheit berauben.

[76] Man bindet sich hier nicht an gewisse Gebräuche und Gewohnheiten, welche so oft in beengende Regeln ausarten, die niemand gern überschreitet, obschon er ihr Zweckwidriges fühlt. Jeder wählt nach seinem Geschmack Gesellschaft oder Einsamkeit, was dem wahrhaft Gebildeten nur angenehm seyn kann, und trotz der großen Menge von Personen aus den höchsten Ständen, welche Marienbad jährlich unter seinen Besuchern aufzählt, blieb es noch immer frei von Prunk und Etikette. Bälle und Reunions sind selten; noch seltener Konzerte. Das Theater wird in der Regel wenig besucht. So ist denn die Gesellschaft auf den Genuß der Natur hingewiesen, auf die Versammlungsplätze im Freien, und besonders auf die Colonnaden, welche, vorzüglich in den Abendstunden, alles, was Marienbad an Kurgästen umfaßt, zusammenführen. In wenigen Tagen hat da jeder seine Wahlverwandtschaft ausgemittelt; aber bekannt werden bald Alle miteinander, und es schmilzt gewissermaßen die ganze Gesellschaft in eine große Familie zusammen, die sich zu Ende der Saison, je kleiner sie wird, um so enger an einander schließt. Hier herrscht Anstand ohne Zwang. Versuchung zum Spiel und zu höfischen Exklusivitäten ist gar nicht da; denn die Gelegenheit fehlt, die Beschränkung des Lokals läst sie nicht zu, und wo Allen die Kur als Hauptsache gilt, findet die Lust Einzelner an Cotterien und ihrem Gefolge nie großen Anklang.

Die zahlreichen Heilquellen entspringen sämmtlich dem weiten Bergbusen, um den her der Ort gebaut ist. Die berühmtesten sind der Kreuzbrunnen und der Franzensbrunnen, welche beide wegen ihrer Heilkräfte schon in uralter Zeit, ehe die gebildete Welt von ihrem Daseyn Notiz nahm, in Ruf und Ansehen standen. Aus dem Kreuzbrunnen wurde sonst auch Glaubersalz gesotten, dessen Bereitungskunst in einer armen Familie seit ein paar Jahrhunderten fortgeerbt haben mochte. Eine elende Hütte war die Saline, ein paar kleine, eiserne Kessel der Apparat. Um die Quellen herum waren Sümpfe; Felsgeschiebe und eingelegte Bäume dienten als Stege den Kranken, welche sich in einem großen, hölzernen Troge, im Freien, badeten. Ueber und über war der Trog mit kleinen, hölzernen Tafeln benagelt, und eben so die Stämme der umstehenden Bäume, auf welchen, unter einem biblischen Denkspruch, die Namen Derjenigen zu lesen waren, welche dem Wasser ihre Heilung verdankten.

Nicht prunkvoller war die Einrichtung an der Ferdinandsquelle, der fernsten, und schon außerhalb Marienbad befindlich. Auch dort war ein viereckiger, hölzerner Kasten, von einer Buche beschattet, das gemeinschaftliche Badehaus. Man hieß ehedem die Quelle den Salzbrunnen, bis sie, nach der 1819 geschehenen schönen Fassung und Ueberbauung, zu Ehren des damaligen Kronprinzen, jetzt Kaisers von Oesterreich, ihren jetzigen Namen bekam. Anmuthig liegt sie am Saume eines gegen Morgen hinan steigenden Waldrückens, über den sich Spaziergänge mit Ruhesitzen schlängeln, von denen man einige schöne Blicke, besonders bei günstiger Abendbeleuchtung, genießt. Der Quell selbst springt unter einem von Säulen getragenen, offenen Tempel, von welchem 2 herrliche Colonnaden, deren Rückwände geschlossen sind, auslaufen, die in Pavillons endigen. In dem einen ist Restauration, im andern ist das Magazin für die Versendungen des Wassers in Krügen, das Comptoir und die Wohnung des Geschäftsführers. Vor den Gebäuden breiten sich freundliche Gartenanlagen im englischen Geschmacke aus.

[77] Das Wasser des Ferdinandsbrunnen ist krystallhell und entwickelt, wenn es in ein Glas gegossen wird, eine ungewöhnliche Menge Gas. Es hat einen sehr angenehmen, anfangs säuerlichen und stechenden, dann schwach-salzigen Geschmack. Es ist durchaus geruchlos. Seine Wirksamkeit, (sehr groß und mächtig bei chronischen Krankheiten des Magens, der Gedärme, der Leber und der Milz und ihren Produkten, der Gicht, Skropheln und Drüsengeschwülsten,) beruht hauptsächlich auf dem Reichthum an schwefelsaurem Natrum, Kohlensäure, Kalk und Bittererde, und auf der Eigenthümlichkeit in dem Mischungsverhältnisse dieser Substanzen.