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CCXVI. Der Ferdinandsbrunnen bei Marienbad.




Die Lage dieses kleinen romantischen Orts in der Mitte jener berühmten Gegend, in welcher, auf dem kleinen Raume von 5 Quadratmeilen, mehr als siebenzig Heilquellen, die weltbekannten von Karlsbad und Eger eingeschlossen, entspringen, ist einem Kurorte ganz angemessen. Noch vor wenigen Jahrzehnten war hier nichts zu sehen, als eine wilde, romantische Bergschlucht, umgeben von dicht bewaldeten Bergen und sumpfigen Gründen. Einige Quellen waren nothdürftig gefaßt, einige elende Gebäude dienten zur Aufnahme der Kranken. Der Ruf, den die Marienbader Wasser zu Ende des vorigen Jahrhunderts erlangten, die daraus hervorgehende größere Frequenz der Bäder und die Klagen der Gäste über mangelhafte Anstalten, zogen die Aufmerksamkeit der Regierung auf sich, und seitdem hat jedes Jahr neue Anlagen und Verschönerungen entstehen sehen in solchem Maaße, daß die Gegend, im Vergleich zu sonst, unkenntlich geworden ist. Die wüste finstere Bergschlucht, in der dem einsamen Kurgast nicht selten Eber oder Füchse begegneten, ist in einen herrlichen Park verwandelt; Sümpfe wurden ausgetrocknet, große Gebäude in edlem Styl erhoben sich über und neben den Quellen, umgeben von anmuthigen Spaziergängen, und das Ganze bildet mit seinem Charakter der heitern Ländlichkeit einen Kurort, dessen Eindruck ganz geeignet ist, der Genesung der Hülfesuchenden die Hand zu bieten. Ohne gerade dem Freunde der Natur jene Mannichfaltigkeit interessanter Gestaltungen darzubieten, für welche Karlsbads Umgebungen mit Recht einen so großen Ruf genießen, waltet über Marienbads stillen Gründen jener eigenthümliche, behagliche Geist, der dem gemüthlichen Menschen so wohl thut, und jene sanften, milden Eindrücke hervorbringt, wie sie Kranke und Genesende immer bedürfen. Dazu kommt noch das frische, jugendliche Ansehen dieses neuesten aller böhmischen Kurorte, und der Reiz, den der Glanz des Netten, Reinlichen und Modernen verleiht.

Die Häuser sind theils im Thale, theils auf der Höhe, und ihre Zahl ist gegenwärtig zwischen 60 und 70. Alle sind stattlich, drei Stock hoch, und jedes enthält 20 bis 25 Zimmer. Aeußere Regelmäßigkeit, Schönheit und Festigkeit sind durchgängig mit Bequemlichkeit im Innern vereinigt. Fast alle haben niedlich angelegte Gärten. Treffliche Chausseen führen in drei verschiedenen Richtungen nach Eger, Karlsbad und Prag.

Obschon Marienbad bei immer steigender Frequenz gegenwärtig unter die Kurorte vom ersten Rang zu rechnen ist, und selbst zu den lebhaftern und geselligern gehört, so hat es sich bisher doch frei von jenen Formen gehalten, welche in andern stark besuchten Bädern dem Vergnügen oft lästige Fesseln auflegen und den geselligen Ton seiner Ungezwungenheit berauben.

Empfohlene Zitierweise:
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Fünfter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam, Paris, Philadelphia 1838, Seite 129. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_5._Band_1838.djvu/137&oldid=- (Version vom 3.9.2024)