Der Eber von der Ebernburg bei Kreuznach

Textdaten
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Autor: Heinrich Pröhle
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Titel: Der Eber von der Ebernburg bei Kreuznach
Untertitel:
aus: Rheinlands schönste Sagen und Geschichten, S. 64–68
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1886
Verlag: Tonger & Greven
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Erscheinungsort: Berlin
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Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans eines Exemplares der Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung Berlin, Signatur 19 H 104 auf Commons; E-Text nach Deutsche Märchen und Sagen
Kurzbeschreibung:
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[64]
Der Eber von der Ebernburg bei Kreuznach.

Auf der Ebernburg im Nahethale, sagte Ulrich von Hutten, seien Streitroß und Waffengewerbe, Müßiggang und Feigheit verachtet, Männer zeigten sich dort als Männer und Gutes und Schlechtes werde nach Gebühr gewogen und behandelt; für die Gottheit sei dort Verehrung, für die Menschen Sorgfalt und Liebe zu Hause. Alle Tugenden fänden dort ihren Lohn, Habsucht werde nicht geduldet; der Ehrgeiz sei dort geächtet, Gemeinheit und Laster seien weit entfernt; Ritter und Knappen, von reiner Freiheitsglut erfüllt, verschmähten das Gold und strebten nur nach großen Thaten; jeder Vertrag werde auf der Ebernburg gehalten, die Treue geehrt, der Glaube gehegt, die Unschuld geschirmt; dort blühe die Redlichkeit und dort sei die Herberge der Gerechtigkeit. Diese Worte sind zugleich eine Verherrlichung Franz von Sickingens, des größten Bewohners der Ebernburg.

Der Eber, welcher in dem Namen der Ebernburg vorkommt, war auch an der Burg abgebildet. Den Namen und das Bild erklären zwei Sagen, die beide nebeneinander erzählt zu werden verdienen. Möge denn der freundliche Leser selbst sich darüber entscheiden, durch welche dieser beiden Ueberlieferungen seiner Meinung nach der Name der Ebernburg am besten erklärt ist.

[65] In alter Zeit war der Gaugraf Rupert von Altenbaumburg auch im Besitze dieser Feste. In seiner Jugend hatte er der Absicht, sich zu vermählen entsagt, doch war er seinem Entschlusse nicht treu geblieben und hatte noch im Alter ein Auge auf ein Edelfräulein geworfen, welches bei der heiligen Hildegard auf dem Rupertsberge bei Bingen erzogen wurde.

Das Edelfräulein, Jutta mit Namen, war vielleicht von ihren Verwandten bestimmt, einst den Schleier zu nehmen und wäre darauf auch wohl eingegangen, wenn sie nicht einen jungen Ritter, Heinrich von Stein, kennen gelernt hätte, mit welchem sie sich verband, um alle Hindernisse aus dem Wege zu räumen, welche ihrer Ehe nur immer entgegen gesetzt werden konnten.

Als Jutta’s Verwandte sahen, daß diese Bedenken trug, den Schleier zu nehmen, ja selbst als Novize eine Probezeit einzugehen, verbanden sie sich mit dem alten Ritter Rupert, um diesem alten Freunde und keinem Andern zu einer Verbindung behilflich zu sein. Die beiden Verlobten aber blieben ihrer Absicht getreu, und mit immer steigender Wut überzeugte sich Rupert, daß er darauf werde verzichten müssen, Jutta heimzuführen.

Anstatt nun aber allmählig sich wieder zu beruhigen, schwur Rupert, daß Heinrich von Stein mit ihm kämpfen solle um Jutta, sobald er ihn in den Waldungen träfe, in denen das große und das kleine Jagdgebiet Ruperts und Heinrichs aneinander grenzten. Alle, die solche Reden hörten, mußten darüber lachen, denn Heinrich war zwar viel ärmer an Besitzungen als Rupert, aber durch seine Kräfte ihm weit überlegen. Dies hinderte indessen nicht, daß der ältere Herr, nachdem er den Jüngling lange vergeblich in den Forsten gesucht hatte, ihn einen Feigling schalt. Wirklich vermied Heinrich von Stein, welcher eine Art von Herausforderung von Rupert erhalten hatte, die Begegnung mit dem älteren Ritter, jedoch nicht aus Feigheit, sondern teils um seinen ehrenwerten Nachbar zu schonen, teils um die Verwandten seiner Braut, welche ihm ohnehin zürnten, nicht noch mehr zu reizen.

Statt seinem jugendlichen Nachbar zu begegnen, stieß Ritter Rupert eines Tages im Walde auf einen ungeheuren Eber. Mit seinem gewaltigen [66] Hauzahne fuhr derselbe in Herrn Ruperts Lanze, daß sie wie ein Strohhalm zersplitterte. Wie es in solchen und ähnlichen Fällen auf der Wildschweinsjagd zu geschehen pflegt, so war nun Herr Rupert in der größten Gefahr, durch den Eber eine tödliche Wunde zu empfangen.

Da wurden die Zweige im Gebüsche dicht neben Herrn Rupert plötzlich auseinandergebogen, und Heinrich von Stein trat hervor. Mit seinem Schwerte trennte er auf einen Hieb den Kopf des Ebers vom Rumpfe. Erstaunt blickte ihn Rupert an, und kaum hatte er seine Gedanken etwas gesammelt, da begrüßte er ihn als seinen Lebensretter und lud ihn ein, mit nach seiner nächsten Burg zu kommen.

Bei der Ankunft befahl Rupert, seinen Gast aufs beste zu bewirten. Er verließ ihn dann auf einige Stunden, schrieb Briefe, sandte Boten aus mit vielen Einladungen für den nächsten Morgen und nahm noch mit Heinrich von Stein die Abendmahlzeit ein. Nach dem Schlaftrunke sagte er seinem neuen Freunde, daß er selbst sehr ermüdet sei und ihn am andern Tage erst spät zum Morgenimbiß werde rufen lassen.

Indessen war Rupert am andern Morgen schon früh bei der Hand, um neue Gäste zu empfangen, die er am Tage vorher eingeladen hatte. Heinrich von Stein dagegen, von den Anstrengungen des vorigen Tages so ermüdet, schlief fest, bis er gegen zehn Uhr, als alle neuen Gäste versammelt waren, zum Frühtrunke gerufen wurde.

Als Heinrich von Stein in den Rittersaal eintrat, erblickte er Jutta und ihre Verwandten nebst anderen Rittern und Edelfrauen. Herr Rupert bat zu Aller Erstaunen bei Jutta’s Verwandten um Jutta’s Hand, aber nicht für sich, sondern für Heinrich von Stein. Damit Heinrich aber nicht mehr zu arm schiene, um in ihre Familie eintreten zu können, so setzte er ihn zu seinem Erben ein für die Burg, auf welcher man sich befand. Der Burgkaplan konnte bereits eine von ihm aufgesetzte Urkunde über die Schenkung vorlesen. Gern willigten Jutta’s Verwandte nun in die Heirat mit Heinrich von Stein, Rupert’s Verwandte aber unterschrieben die Schenkung, da sie auch ohne die Ebernburg nach dem Tode des reichen Rupert immer noch eine große Erbschaft zu erwarten hatten. Den Namen aber soll die Burg an diesem Tage gleichfalls empfangen haben wegen

[66a]

Graf Rupert auf der Eberjagd.

[67] der lebhaften Schilderung des Kampfes mit dem Eber, die Rupert, froh, mit dem Leben noch einmal davongekommen zu sein, beim Frühtrunke machte.

Noch lustiger ist die andere Erzählung, nach welcher die Ebernburg gleichfalls früher einen anderen Namen gehabt haben muß.

Als die ältere Ebernburg einst belagert wurde, wehrten sich ihre Bewohner so tapfer, daß der Feind nur zum Ziele zu kommen glaubte, wenn er sie vollständig aushungerte. Es dauerte auch gar nicht lange, so waren auf der Ebernburg die wenigen Hühner und Gänse, Tauben und Enten, Kühe und Schafe verzehrt, die sich dort oben auf dem steilen Berge befanden. Mit großer Besorgnis sahen die Burgbewohner auch, wie sich die Früchte, welche sie im vorigen Jahre gesammelt hatten, verminderten; nur der Burgherr, welcher lieber vor Hunger sterben, als die kleine Bergfeste übergeben wollte, verzagte nicht. Er hatte noch ein einziges Schwein im Stalle, einen mächtig grunzenden Eber. Diesen ließ er an jedem Morgen, wenn kaum der Tag graute, von den Knappen auf den Burghof zerren. Dort ergriff ihn einer der Knappen bei den Vorderfüßen, ein anderer bei den Hinterfüßen, ein dritter gar bei dem kurzem Schwanze und so wurde er plötzlich auf die Erde gerissen und auf den Rücken geworfen, als ob er geschlachtet werden sollte. Damit er nun so laut als möglich schriee, hielt es der Burgherr selbst nicht unter seiner Würde, ihm mit seinem Schwerte an der Stelle, wo sonst der Schlächter das Messer hineinsteckt, etwas den Hals zu kitzeln. Wenn das Tier dann ein recht mörderliches Geschrei gemacht hatte, so ließ man es aufstehen und brachte ihm einen Tränkeimer mit Futter, worauf es dann augenblicklich verstummte, als ob es gestorben wäre. Alsdann verging der Vor- und Nachmittag und die Belagerer glaubten, daß die Burgbewohner bis zur Abenddämmerung beschäftigt gewesen wären, um auf ein halbes Jahr Schinken und Würste in den Rauch zu hängen. Doch kaum graute der Tag, so wurde dasselbe Schwein wieder auf den Burghof gezogen, niedergerissen und am Schwanze gezupft, so daß nach dem mörderlichen Geschrei, das sich wieder erhob, der Feind nur glauben konnte, es werde schon wieder ein Schwein geschlachtet.

Nachdem die Bewohner der Ebernburg das Spiel vierzehn Tage lang [68] getrieben hatten, verzweifelte der Feind daran, sie auszuhungern und gab die Belagerung auf. Der Burgherr beschloß nun, ein Fest für seine Leute anzustellen, ließ den Eber wirklich schlachten, verzehrte ihn auch mit denselben an Einem Tage – denn Alle waren sehr hungrig – und gab zum Andenken an die Begebenheit seiner Burg jetzt den Namen der Ebernburg.