Der 2. Glaubensartikel/Ich glaube, daß Jesus Christus sei mein Herr

« Von dannen er kommen wird, zu richten die Lebendigen und die Toten Hermann von Bezzel
Der 2. Glaubensartikel
Auf daß ich sein eigen sei und in seinem Reiche unter ihm lebe »
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Für eine seitenweise Ansicht und den Vergleich mit den zugrundegelegten Scans, klicke bitte auf die entsprechende Seitenzahl (in eckigen Klammern).
|
 Hebr. 2, 14–18.
 Ich glaube, daß Jesus Christus sei mein Herr, der mich verlorenen und verdammten Menschen erlöset hat, erworben und gewonnen von allen Sünden, vom Tod und von der Gewalt des Teufels, nicht mit Gold oder Silber, sondern mit seinem heiligen, teueren Blute und mit seinem unschuldigen Leiden und Sterben.










 „Sei mir ein starker Hort, dahin ich immer fliehen möge, der du zugesagt hast, mir zu helfen. (Ps. 31, 3.) So lautet der Name des vergangenen Sonntages und betet so aus der Tiefe der Not und der Angst und schaut über all das Schwere, Leid, Tod, Not zu dem Zeichen empor, an dem das Leid gelitten und der Tod den Tod überwunden und Gottes eingeborener Sohn Frieden gemacht hat. „Wenn ich“, spricht er zur Gemeinde, und die Gemeinde dankt ihm dafür im Staube, „wenn ich mit Menschen- und mit Engelszungen redete und hätte der Liebe nicht, so wäre ich nichts.“ (1. Kor. 13, 1 und 2.) „Mensch gewordene Liebe,“ die nicht im Wort besteht, sondern in Kraft sich erweist; „in Schmerz versenkte Liebe,“ die nicht in Mitleid sich ergeht, sondern im Mitleiden sich bewährt; „ewiges Erbarmen,“ das vom Kreuze her den Frieden verkündet, den es am Kreuze durch Friedlosigkeit erwarb. „Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe und ließe meinen Leib brennen und hätte der Liebe nicht, so wäre es nichts.“ (1. Kor. 13, 3.) Weil er aber in der Liebe hinan zum Kreuze gegangen und des Kreuzes Ernst in sich aufgenommen hat, „preist Gott seine Liebe gegen uns, daß Christus für uns gestorben ist, da wir noch Sünder waren“. (Röm. 5, 8.)


|
I.
 Von einem dreifachen Gut redet das Wort unseres Katechismus, nachdem die Passionszeit von einem furchtbaren Übel gesprochen hat. Den gestrigen Tag nennt die Kirche den Mittwoch der Asche. Sie gedenkt an diesem Tage des großen und schneidenden Ernstes; wisse, Mensch, daß du Asche bist und zu Asche sollst du werden. Und die Bußglocken läuten, und die Sterbeglocken tönen hinein: Erde zur Erde, Asche zur Asche, Staub zum Staub. Das ist der Mensch. „Er blüht in seinem Leben wie Gras, und wenn der Wind darübergeht, so ist er nimmer da,“ (Ps. 103, 15 u. 16) vorüber, vergessen, verlassen. An seiner Stätte arbeiten andere besser, sein Name ist auf Erden verschollen. Das macht es, daß wir aus der Tiefe unseres Lebens rufen: verlorener Mensch! Verloren an die Welt, in der Welt und mit der Welt! Verloren an die Welt; denn wir lieben das Geschaffene mehr als den Herrn und den Augenblick mehr als die Ewigkeit und das Vergängliche heißer als das Unvergängliche. Weil die Welt nichts von uns fordert, als daß sie uns gefällt, darum ergeben wir uns so leicht an sie, und sie betrügt und täuscht und hält uns hin, einen Tag um den andern; am nächsten Tage werde sie die Verschreibung auf Glück und das Gelübde auf Frieden einlösen. Und der andere Tag kommt, und das Glück bleibt fern und der Frieden will nicht einkehren. „An die Welt verloren,“ d. h. gebunden sein mit tausendfachen Ketten, bald mit schweren, eisernen, die da hinabziehen, bald mit zarten, seidenen, die doch das Auge verwirren. „An die Welt verloren sein,“ das heißt, dem Augenblick dienen und der Ewigkeit sich entziehen, der Blüte sich freuen und die Frucht verleugnen. Wer aber an die Welt verloren ist, der verliert sich in der Welt; er ist gar bald allein. Solange die Welt ihm noch Freude macht und er ihr, umgeben ihn manche, die sich Freunde nennen, manche Eindrücke umgaukeln seine Sinne. Wenn aber das Leben und sein Ernst die Hohlheit und Eitelkeit| der Welt verweisen, dann ist er so bitterlich allein. Niemand hat Zeit für ihn, niemand findet das rechte Wort für ihn, keine Stunde ist ihm geeignet, und kein Wort der Welt ist ihm hold. Er verliert sich in der Welt. Alleinsein ohne Gott, ohne Friede, ohne Gebet, – nur ein Abgrund, der uns vom Ewigen scheidet, und keine Brücke führt über den Abgrund hinüber; die Rückkehr in die Welt – so düster und trüb; der Fortschritt hinaus aus der Welt – so unsicher und schwindelnd. In der Welt allein sein, das ist das Los der Verlorenen. Niemand versteht sie mehr; die Menschen, die dich in deinen frohen Tagen verstehen wollten, ziehen fort, wenn die trüben Tage kommen. Die Bücher, die deine freudigen Tage erquickten, verstummen und werden dir fremd, wenn nun die Tage kommen, die dir nicht gefallen; und die Zerstreuungen, welche die Welt in wohlfeilem Betrug dir bietet, sind wie entblätterte und entlaubte Bäume, die ganz von allerlei wüsten Raupen bedeckt sind. Wie kann man ihrer sich in Leidenstagen getrösten? Man ist allein. So verliert man sich in der Welt und endlich mit der Welt. Die Welt vergeht mit ihrer Lust und mit ihrem Gefolge, und wer sich an der Welt irgendwie müde gelabt und den Tod geholt hat, der stirbt mit ihr. Plötzlich wandeln sich all die Lustgaben in Gift und all die Blüten in Verderben, und alle Sonnen verbleichen und alle Sterne versinken; denn die Welt geht jetzt zu Ende. Mit der Welt verloren sein, was heißt das? Ich bin ein verlorener Mensch, das heißt, niemand kümmert sich um mich, ich muß mich allein um mich kümmern; das heißt, daß niemand für mich betet, niemand an mich denkt, niemand um mich sich sorgt, daß ich keinem Menschen eine unruhige Minute verursache, daß kein Mensch mir nachsieht, wie ich langsam im Abgrund verschwinde, daß ich keinem Menschen das Herz rühre, wenn ich zerschlagen und aus tausend Wunden blutend am Wege liege – keinem Menschen und auch keinem Gott: das heißt verloren sein. Verloren sein, und doch zum Leben| bestimmt; verloren sein, und doch zum Frieden verordnet; verloren sein, und doch zum Glück erkoren, das ist die bitterste Not. Und der Grund dieser Not ist: ich habe die lebendige Quelle verlassen und meine Brunnen sind versiegt. Darum fährt Luther weiter und spricht: verloren und verdammt. Es ist ein Wort, über das ihr hinweggleitet, als ob es sich von selbst aus dem Leben entfernte; es ist ein Wort, über das ihr leicht hinweggeht, eine Größe, über die ihr hinwegscherzt, als ob sie gar nicht wirklich und wesenhaft wäre; ein Schrecken ohnegleichen, über den man lächeln kann, bis man ihn erlebt, eine Bitternis ohne Ende, an die man zwar nicht denken kann, aber dadurch sie nicht beseitigt. Verdammt, und keine Stimme redet mehr für mich, und unter all den Stimmen, die mich umrauschten, eisiges, frostiges, kaltes Schweigen. Die ihr mich vom Glauben verführtet, warum redet ihr jetzt nicht für mich? Die ihr mir den Glauben der Kindheit zerstörtet, warum tretet ihr jetzt nicht für mich ein? Die ihr mit losem Wort und lachenden Gebärden mich bewogen habt, mich doch endlich von dem finsteren, mittelalterlichen Wahn der Hölle freizumachen, warum macht ihr mich denn jetzt nicht frei, da dieser Wahn Wirklichkeit ist?
.
 Seht, das ist die große Not, der wir entgegengehen, entgegenträumen, entgegenspielen, entgegentändeln, entgegenscherzen, die große Not, daß am Ende eines reich angelegten und schlecht gebrauchten Lebens es heißt: verdammt! – Keine Blume wächst hinfort an deinem Wege, keine Sonne leuchtet hinfort auf deinem Pfade und kein Stern erhellt fortan mehr deine Nacht; denn ich habe mein Angesicht vor dir verborgen! Denkt euch, Geliebte – Gott behüte euch und mich in Gnaden davor, daß wir es einmal erfahren, was es heißt: verloren für immer! Keiner, der seine Hand nach dir ausstreckt: komme wieder, der du dich verlaufen hast! Keiner, der dir zuruft: es ist noch eine Ruhe vorhanden! In der Ferne hörst du den Lobgesang der Heimgekehrten| und du verstummst auf den Pfaden der Sünde. An dein Ohr dringt das Halleluja der Erretteten, und du bist so ferne, und nie mehr darfst du dieses Halleluja singen! Sind das Schreckgespenste einer schwarzseherischen Theologie? Sind das Phantasien überreizter Narren? Ach, wie gerne wollte man so sagen, wenn man nur dürfte! Aber die Heilige Schrift sagt es, und die Verdammten bezeugen es: „ich leide Pein in dieser Flamme.“ (Luc. 16, 24) Das ist Aschermittwoch, das ist Bußgebet und Reue: ich verlorener und verdammter Mensch. Und wenn sich das einmal als tiefer Seufzer aus der Seele löst, und diese Angst aus dem Herzen sich beichtet, dann ist es, als ob die dunkle Nacht plötzlich einen einzigen Lichtschimmer hätte, dann kommt es der Seele, als ob mitten in der Finsternis irgendwo ein heller, lichter Stern einkehrte. Denn, wo die Angst mächtig geworden, da kehrt der ein, der die Angst überwand, und wo die große Sünde mit ihren Schrecken die Seele quält, und der Tod ihrer spottet und der Teufel sie als sein Eigentum anspricht, und die Seele flieht vor den Schreckgestalten und Fluchgewalten, flieht vor sich selber, da sieht sie auf dem Wege einen einsamen Wanderer; es geht niemand mit ihm, aber er geht mit der Sünde; es geleitet ihn niemand, aber er wird von der Missetat des Volkes gequält. Das ist der, der im Evangelium des vorigen Sonntags so wunderbar tröstlich und treulich sagt: „siehe, wir gehen hinauf nach Jerusalem.“ (Luk. 18, 31 ff.)

 Wenn dein Lebensweg ganz umzäunt ist: hüben der Tod, drüben der Teufel, hinter und vor dir die Sünde, und es dir um Trost sehr bange ist, so blicke hin: „siehe, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünden trägt.“ (Joh. 1, 29.)


II.
 Der mich verlorenen und verdammten Menschen erlöset hat. Ich war gebunden: ach vom ersten Tage meines Seins an,| bis sie mich zum letzten Male gebunden und in ein Leichentuch gelegt und in die Totenlade befriedet haben. Ich war gebunden an mich selber, an meine Eigenart, mit der ich mich rühmte und an meine Torheit, in der ich mich sonnte. Aber in dieser Kerkerhaft und in diesen Fesseln habe ich mehr als einmal gerufen: „ich elender Mensch, wer wird mich erlösen von dem Leibe dieses Todes?“ (Röm. 7, 25.) Wenn die Sünden immer enger die Fesseln anzogen, und der Tod immer höhnender den Kerker zuschloß, und der Feind draußen auf die Stunde wartete, da die Kerkertüre sich öffne und eine Seele in seine Hände sinke, dann ist aus der Angst vor dem Gericht das Gebet gekommen: „O Durchbrecher aller Bande!“ Ich habe dich erlöset, ein treuer Gott.

 Und als ich ihn fragte, wie er das begonnen habe, hat er mir geantwortet mit den Worten des Propheten: „siehe da, so hat man mich geschlagen in dem Hause derer, die mich lieben.“ (Sach. 13, 6.) Denn in seinen heiligen Händen trug er die Spuren der Bande und der Fesseln und der Ketten, und sein heiliges Leben ward geschmiedet an die Sünde, und seine Heiligkeit ward in den Fluch gegeben, und in einer einzigen Stunde war er von Gott verlassen. Er hat mich erlöst, mich, den Gebundenen, indem er meine Fesseln zu den seinen machte; er streifte von meinen Händen alles, was sie beschwerte, und löste von meinen Füßen die schwere Haft, in die sie getan waren, und wie einem Träumenden war es mir: ich war frei! Das ist wiederum keine Lehre der Kirche, sondern das ist Leben, Leben, nach dem die Seele dürstet, Leben, an dem die Seele genest: der mich verlorenen und verdammten Menschen erlöset hat.

 Ich war verkauft um eine Kleinigkeit; um etliche Silberlinge, um ein wenig Ehre, um ein wenig Ruhm bei den Menschen, um ein wenig Glück und Gunst bei den Leuten hat der Tod mich erkauft und die Hölle mich ihr zu eigen gesprochen. „Was hülfe es| dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewänne und nähme Schaden an seiner Seele?“ (Mark. 8, 36.) Ich aber habe zwar nicht eine ganze Welt gewonnen, aber ein wenig Ehre, ein wenig Glück und ein wenig Gunst und ein wenig Freude, und für dieses Wenige habe ich meine Seele geopfert. Ich gab sie hin, denn sie war mir nichts; ich gab den Glauben meiner Kirche hin, denn er bedeutete mir nichts; ich opferte, was meine Väter froh und friedlich gemacht hat; denn es ist mir nichts von Gewicht gewesen. Um ein Linsengericht verscherzte ich meiner Väter Erbe. Das heißt man verkauft sein. Und nun geht der Handel zu Ende, der Markt wird leer, und auf dem Markt des Lebens bleiben zwei zurück: eine verkaufte und verdammte Seele und ihr Herr, ihr Eigentümer, das ist ihr Feind, der mit etlichen Rechenpfennigen eine unsterbliche Seele erkaufte, das ist ihr Verkläger, der ihr tausendmal vorgesagt hat: „Sünde ist nur Schwachheit.“ Und jetzt sagt er ihr: „Schwachheit ist Sünde.“

 Wen suche ich, der Hilfe tut, auf daß wir Gnad’ erlangen? Wer soll den Verkauften losmachen und den also um einen geringen Preis Gegebenen befreien? Da tritt aus dem Mittel einer, der nicht Goldgülden und nicht Silbermünzen aufwiegt und der zahlt, nicht Erdenschätze und Kleinodien, ob sie ihm gleich alle zu Gebote stehen, anbietet, sondern der einfach auf sein heiliges Leiden hinweist und spricht: ich habe mein Blut für diesen Verkauften vergossen.

 Und so erwirbt er mich. Zuerst wirbt er um mich aus der Ferne, indem er am Kreuzesstamme um mich leidet; dann tritt er näher heran und feilscht um meine Seele mit ihrem Gebieter. Und da der Gebieter höhnend spricht: „Wenn dir diese Seele so viel wert ist, so gib dich selber zum Lösegeld an,“ besinnt er sich nicht, sondern opfert sein heiliges, teures Leben und gibt seine Ehre, seinen Ruhm und seine göttliche Majestät und seine Heimat dar.|

Daß ich möchte trostreich prangen
Ist er sonder Trost gehangen.

Das heißt man: er hat mich erworben.

 Ich war umstritten: der Tod auf der einen, die Hölle auf der andern Seite stritten in mir und stritten um mich; ich war umkämpft. Während ich gedankenlos und traumlos hinschlief bei Tag und bei Nacht, umstritten mich und fingen mich die Gewalten der Hölle. Und sie nahmen mich in Besitz und sie gewannen mich. Sie gewannen mich mit ihren Lockungen und Reizungen, mit ihren Schmeicheleien und mit ihren Freuden. Und als sie mich gewonnen hatten, riefen sie: du bist mein! – Nun erst sah ich, wem ich angehörte und wer mich gewonnen hatte: meines Lebens Mörder und meines Daseins Feinde, meines Tages Zerstörer und meines Glückes Räuber. Der hatte mich gewonnen, daß ich seine Triumphe in der Hölle mehrte und daß ich, zu den Scharen der Verdammten gesellt, ihm diente mein Leben lang.

 Und da ich erschrak über solches Los und hinausrief: „ist niemand da, der dem Tod ein Stachel und der Hölle ein Besieger sein soll? Ist niemand da, der dem Starken den Raub, und dem Gewappneten seine Beute nimmt?“ Da trat ein armes, müdes, schwaches, mit Schmach und Hohn, mit Undank und Untreue bedecktes Lamm in die Mitte und bot sich für mich an und gab sich selber preis. Und der Tod schlug seine grausen Fänge in dieses arme Wesen und die Hölle warf sich auf ihn, daß sie ihn zerstörte. Und da er niedergefahren war in die tiefsten Abgründe des Lebens, da ward es ganz stille.

 Aber über ein Kleines hieß es, und aus der Erde Tiefen und den Verließen der Sünde und aus den Ängsten des Todes und aus den schrecklichen Nächten der Hölle drang es hervor und herauf:|

Wir danken dir, Herr Jesu Christ,
Daß du für uns gestorben bist.
Und hast uns durch dein teures Blut
Gemacht vor Gott gerecht und gut.

Seht, da heißt es: der mich verlorenen und verdammten Menschen erlöset hat, erworben und gewonnen von allen Sünden, vom Tod und von der Gewalt des Teufels, nicht mit Gold oder Silber, sondern mit seinem heiligen, teueren Blute und mit seinem unschuldigen Leiden und Sterben.

 Und ihr steht dabei und bleibt so ungerührt! Und ihr wollt die Passionszeit durchleben so stumm und stumpf und still! Um euch hat sich der Himmel geöffnet, und hat sich die Ewigkeit geopfert und hat sich der Sohn des allmächtigen Gottes in den Tod und in die Hölle gegeben! Und ihr dankt ihm nicht!

 Was soll noch für uns und an uns geschehen, bis wir danken lernen? Was noch Größeres soll uns widerfahren, bis wir große Gedanken haben? Was soll er uns noch erzeigen, bis wir, frei vom Tand und Sand der Erde, sprechen:

Dich, Jesum, laß ich ewig nicht,
Dir bleibt mein Herz ergeben!?

Eine Passionszeit mit besonderem Ernste ist wieder heraufgestiegen. Während wir in der Heimat um das Leiden unseres Herrn, wie ich wünsche und hoffe, anbetend uns sammeln, ist draußen auf der Walstatt große und ernste Passionszeit unseres Volkes. So hat unser deutsches Volk noch nicht in allen seinen Teilen und an allen seinen Grenzen gelitten wie jetzt. Es geht eine große, ernste Traurigkeit vom Leiden und Scheiden, vom Gehen und nimmer Wiederkehren durch unser Land und Volk.| Über dem allen aber und in dem allen überwinden wir weit um deswillen, der uns geliebet hat, der sein Kreuz auf die Grabhügel unserer Brüder und Söhne und lieben Freunde hat pflanzen müssen, damit sie unter seinem Schatten sicher ruhen, und der sein Kreuz den Leidenden und Scheidenden vorhält, daß sie in diesem Zeichen überwinden.

 Er will, wenn wir es recht glauben und ernstlich verstehen, aus der großen, tiefen Passionszeit unseres Volkes neue, große und selige Zeiten hervorgehen lassen.

 Sorge nur du dafür, daß in deinem Herzen sein Name über alles leuchte, und sein Kreuz alles überwinde. Sorge nur du dafür, daß die Menge deiner Sorgen, gleichwie die Wellen sich am Gestade brechen, unter seinem Kreuze alle stille werden, daß alle deine Sünden, so viele ihrer sind – ein großes und unabsehbares Heer – von seinem Kreuze Vergebung empfangen.

 Sorge nicht dafür, daß du sein Kreuz anbetest, sondern, daß du es ihm nachträgst. – Und nun gehe wieder an deinen Beruf! Und die Menschen, die ihn dir am schwersten machen, die habe am liebsten! Und die Persönlichkeiten, die sich dir in den Weg stellen, die begleite am freudigsten! und die Verhältnisse, die dir das Leben erschweren, überwinde am treuesten! So dankst du für die Passion deines Herrn.

 Ich gedenke der Manchen, die im vorigen Jahre die Passion noch begangen haben und jetzt, wie wir zu Gottes Barmherzigkeit hoffen, im großen Frieden sie fröhlich feiern. Aus diesem kleinen Kreise hier sind auch manche heimwärtsgezogen, vom Kreuze getröstet und vom Kreuze gestärkt. Und wie wir zur großen, ewigen Erbarmung hoffen, daß sie jetzt die ganze, große, heilige Passion, von österlichem Lichte umwoben und von österlicher Gnade überstrahlt, erleben, so bitten wir für uns, daß alle unsere Gedanken ihm gehören, ihm, dem wir gehören wollen und sollen, wenn niemand mehr unser gedenkt.

|  Und wir gehen in dieser Zeit der Gnaden zu ihm hin und sprechen: „Herr, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst!“ (Luk. 23, 42.) Er aber spricht: „kann auch ein Weib ihres Kindleins vergessen, daß sie nicht gedenke des Sohnes ihres Leibes? Und ob sie desselben vergäße, so will ich doch deiner nicht vergessen.“ (Jes. 49, 15.) „Siehe, in meine Hände habe ich dich gezeichnet. Deine zerfallenen Mauern sind immerdar vor mir!“ (Jes. 49, 16.)

 Deine zerfallenen Mauern! „O Herr, tue wohl an Zion nach deiner Gnade, baue die Mauern von Jerusalem“ (Ps. 51, 20), o treuer Gott aus der Passion der Kirche ein fröhlich Ostern, aus der Passion der Seelen ein friedsamer Sieg, aus seiner heiligen Passion ein neuer und ewiger Trost!

Amen.



« Von dannen er kommen wird, zu richten die Lebendigen und die Toten Hermann von Bezzel
Der 2. Glaubensartikel
Auf daß ich sein eigen sei und in seinem Reiche unter ihm lebe »
Für eine seitenweise Ansicht und den Vergleich mit den zugrundegelegten Scans, klicke bitte auf die entsprechende Seitenzahl (in eckigen Klammern).