Der „Dichter-Journalist“ der Union

Textdaten
<<< >>>
Autor: Rudolf Doehn
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Der „Dichter-Journalist“ der Union
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 33, S. 541–544
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1878
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Nachruf f. William Cullen Bryant
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[541]
Der „Dichter-Journalist“ der Union.

Tief betrauert von seinem ganzen Volke, starb am 12. Juni dieses Jahres zu New-York William Cullen Bryant, einer der edelsten und besten Söhne der nordamerikanischen Union, im vierundachtzigsten Jahre seines Lebens. Wer diesen herrlichen Mann recht würdigen will, der muß ihn in seiner ganzen reichen Thätigkeit auffassen, muß ihn als Menschen, als Vaterlandsfreund, als Dichter, als Journalisten und als Politiker verstehen lernen.

William Cullen Bryant.
Nach einer Photographie auf Holz gezeichnet von Adolf Neumann.

Geboren und erzogen in einem freien Lande, dessen Berge und Thäler, Flüsse und Seen, Wälder und Prairien noch vielfach die Spuren frischer Natürlichkeit und erhabener Majestät tragen, aufgewachsen und zum Manne geworden unter dem Schutze freier Institutionen, gestählt im Kampfe politischer Parteien, hielt Bryant sich stets und überall frei von unedlem Ehrgeiz und kleinlicher Selbstsucht und betet mit den alten Spartiaten, die Götter möchten ihm und seinem Volke das Schöne zu dem Guten verleihen. Sein ganzes langes Leben bekundet eine seltene, wohlthuende Harmonie. Allenthalben, in seiner geistigen, wie in seiner praktischen Thätigkeit, bemerken wir dieselbe Frische, denselben [542] gesunden Sinn für das Schöne, Gute und Wahre, für die Wohlfahrt und den Fortschritt aller Classen der bürgerliche Gesellschaft wie in seinem besondern Vaterlande, so auch bei den übrigen Nationen. Und darum hatte Karl Friedrich Neumann Recht, wenn er in seiner „Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika“ sagte: „William Cullen Bryant giebt uns das Bild eines Menschen und Amerikaners im besten Sinne des Wortes.“

William Cullen Bryant wurde am 3. November 1794, in demselben Jahre, in welchem der bekannte Dampfer- und Eisenbahnkönig Cornelius Vanderbilt auf der Insel Staten-Island bei New-York das Licht der Welt erblickte, zu Cummington, einem Städtchen in dem vom Connecticutflusse durchströmten Hampshire-County, im Staate Massachusetts, geboren. Er stammte väterlicher- und mütterlicherseits von jenen puritanischen Ansiedlern oder „Pilgern“ ab, die, um religiöse und politischen Verfolgungen zu entgehen, im Jahre 1620 auf der „Maiblume“ über den Ocean segelten, mitten im härtesten Winter an der sturmgepeitschten Küste Neu-Englands landeten und dort ein freies Gemeinwesen gründeten, welches den Grundstock bildete für die zukünftige Republik der Vereinigten Staaten. Sein Vater, Peter Bryant, ein kenntnißreicher und von seinen Mitbürgern hochgeachteter Arzt, erkannte schon früh die reichen Geistesanlagen und den poetischen Sinn seines Sohnes und lehrte ihn, wie Letzterer in seinem großartigen „Hymnus an den Tod“ pietätvoll bestätigt, „in der ersten Jugend des Gesanges Kunst“. Damals saß er, nach dem Gedichte „Der Bach“, als kleiner Knabe, der erst kurze Zeit die Schule besuchte, am Rande des Waldbaches, horchte auf der Drossel Schlag, pflückte Veilchen und suchte, nach den Anweisungen des geliebten Vaters, „zum ersten Verse Reim und Wort“. Und damals bereits regte sich in ihm jene edle Ruhmesliebe, von der eine farbenprächtige Schilderung seiner poetischen Jugend spricht:

„Ach, nimmer vergeß’ ich das heiße Verlangen,
Wie einst ich für Ruhm und Verse geglüht.
Und sah ich in Glorie die Schöpfung prangen,
War’s wie Wind in der Flamme für mein Gemüth.

Der Frühling des Lebens gehörte den Musen,
Die Wälder durchschwärmt’ ich träum’rischen Gangs;
Wie flogen die Pulse, wie kopfte der Busen,
Wenn über mich kam der Gott des Gesangs!

Am zerklüfteten Fels, der seit Ewigkeit lauschte
Dem Brausen des Stroms am Kiesgestein,
Wo der Eisvogel schreiend die Fluthen durchrauschte,
Wie blickt’ in die Tiefen ich schauernd hinein!

Wie fühlt’ ich gewaltig mein Herz bezwingen
Die dunkle Macht aus der Wildniß Thron,
Und im Sturm des Gefühls ließ Gesang ich erklingen,
Bald düster, bald hell in kunstlosem Ton.“

Schon in seinem zehnten Lebensjahre soll der junge Bryant nach lateinischen Mustern einige Gedichte verfaßt haben, welche die „Hampshire Gazette“ der Veröffentlichung werth hielt. Drei Jahre später erschien von ihm, außer anderen poetischen Arbeiten, das politisch-satirische Gedicht „The Embargo“, in welchem er die Handelspolitik des Präsidenten Thomas Jefferson bitter angriff. Dieser merkwürdige Erguß eines frühreifen Genius hatte, da durch ihn die Klagen und Beschwerden eines großen Theiles des amerikanischen Volkes scharf und deutlich zum Ausdruck kamen, einen solchen Erfolg, daß wenige Monate nach seiner ersten Veröffentlichung eine neue Auflage nöthig wurde. Im Jahre 1810 trat Bryant in das zu Williamstown befindliche Williams-Collegium, wo er sich vorzugsweise durch seinen Eifer im Studium der alten Sprachen und der Geschichte hervorthat. Er vollendete jedoch den gebräuchlichen Schulcursus nicht, sondern widmete sich schon nach Verlauf von zwei Jahren (1812) der Jurisprudenz.

Wie es in den Vereinigten Staaten Sitte ist, arbeitete er mehrere Jahre in dem Bureau angesehener Advocaten und ließ sich dann, nachdem er im Jahre 1815 sein juristisches Examen mit Ehren bestanden hatte, zuerst in der Nähe seines Geburtsortes, bald darauf aber in Great Barrington, einem größeren Städtchen in dem benachbarten Berkshire-County, als Rechtsanwalt nieder. Hier verheirathete er sich im Jahre 1821 mit Miß Frames Fairchild und führte ein äußerst glückliches Familienleben, bis ihm der Tod seine Gattin in der Blüthe der Jahre entriß. In dem tiefempfundenen Gedichte „Das zukünftige Leben“, dessen schmerzliche Innigkeit an Robert Burns’ „Maria im Himmel“ erinnert, setzte er der Geschiedenen ein bleibendes Denkmal ehelicher Liebe und Treue. Obschon Bryant als Advocat eine geachtete und einträgliche Stellung einnahm, fand er doch auf die Dauer in der Juristerei keine volle Befriedigung und beschloß, sich ganz dem literarischen Leben zu widmen.

Nachdem er im Jahre 1825 seine Praxis an einen seiner Collegen abgetreten hatte, siedelte er nach New-York über und gab in Verbindung mit dem talentvollen Henry James Anderson die „New-York Review“ und das „Athenaeum Magazine“ heraus. Aber auch in dieser Stellung blieb Bryant nur kurze Zeit. Schon 1826, da sein Freund Anderson als Professor der Mathematik einem Rufe an das Columbia-Collegium folgte, übernahm er die Redaction der „New-York Evening Post“. Mit dieser angesehenen Zeitung, welche damals die Sache der demokratischen Partei vertrat, gegenwärtig aber die der unabhängigen Reformpartei vertheidigt, blieb er bis zu seinem Tode in engster Verbindung. Seine Stellung als Redacteur der „Evening Post“ hinderte ihn auch nicht, noch für andere Blätter zu arbeiten, z. B. für den „Talisman“, eine Jahresschrift, die er im Vereine mit Robert E. Sands und dem als Gelegenheitsredner bekannten G. C. Verplanck herausgab. Als Sands im Jahre 1832 starb, besorgten Bryant und Verplanck mit Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit die Sammlung der Werke des verstorbenen Freundes, die vorzugsweise in Essays und Erzählungen bestanden. In demselben Jahre erschien die erste Sammlung von Bryant’s Gedichten.

In seinem achtzehnten Lebensjahre, also um die Zeit, wo er sich zum Advocatenexamen vorbereitete, verfaßte Bryant sein vielgepriesenes Gedicht „Thanatopsis“, bei dessen Durchlesen sein Vater bis zu Thränen gerührt gewesen sein soll. Diese theosophische Dichtung, welche uns ein ergreifendes Naturbild voll elegischer Tiefe entrollt, zeichnet sich auch durch große Formvollendung aus und gehört noch jetzt zu den populärsten poetischen Schöpfungen in den Vereinigten Staaten. Wir lassen hier die Anfangsverse nach der Uebersetzung von Adolf Laun folgen:

„Wer liebend Umgang pflegt mit der Natur
Und ihren Bildungen, dem redet sie
Gar manche Sprache; seinen frohern Stunden
Leiht sie der Stimme heitern Ton und lächelt
Ihm in beredter Schönheit zu; sie schleicht
Sich in sein trüb’res Sinnen ein: sie nimmt,
Eh’ er’s gewahrt, mit sanfter Sympathie
Ihm seine Bitterkeit und heilt sein Herz.
Befällt wie gift’ger Mehlthau Dich Erinn’rung
An Deine letzte Stunde, tauchen Bilder
Von Todeskampf, von Leichenkleid und Bahrtuch,
Und von des Sargs lustloser Finsternis.
Erschreckend vor Dir auf, daß Du erbebst,
Dann tritt in’s Freie - unterm blauen Himmel
Horch’ auf die Lehren der Natur, wenn leise
Rings von der Erd’, aus Wassern und aus Lüften,
Dir ihre Stimme tönt.“

Während seiner Advocatenlaufbahn bemühte sich Bryant, wie er in dem Gedichte „Ich brach den Bann“ andeutet, sich von „der Dichtung Zauberei“ zu befreien, allein es wollte ihm nicht gelingen. Noch vor seiner Verheirathung verfaßte er in Great Barrington einige seiner bekanntesten und besten Gedichte, z. B. „Ueberschrift zum Eingang in einen Wald“ und „Der Wasservogel“. In dem ersten dieser beiden Gedichte, die einen außerordentlichen Anklang im amerikanischen Volke fanden und den ersten festen Grund zu seinem Dichteruhm legten, ladet Bryant den durch Verfolgungen und schwere Schicksalsschläge niedergebeugten Menschen ein, in den geheimnißvollen Waldtiefen „Balsam für das kranke Herz“ zu suchen; und der Wasservogel, der auf seiner schwindelnd hohen Bahn durch das weite Luftmeer sicher seinen Weg zum „Neste unter’m Binsenbach“ zu finden weiß, lehrt uns, daß die liebevoll schützende Gotteshand auch den redlich strebenden Menschen auf seinem oft wildverschlungenen Lebenspfade aufrecht erhält und ihn das ersehnte Ziel erreichen läßt.

Im Jahre 1821 schrieb Bryant sein längstes Gedicht, „Die Zeitalter“ betitelt; dasselbe ist in dem von Edmund Spenser erfundenen Versmaße gedichtet und darf als ein beschreibendes Lehrgedicht bezeichnet werden, in welchem die stufenweise Entwickelung des Menschengeschlechtes so dargestellt wird, daß die höchsten Ziele der Menschheit nur aus dem Grunde der Freiheit zu erreichen sind. Amerika geht hier, nach des Dichters Ansicht, [543] leuchtend voran, aber die alte Welt folgt, wenn auch unter harten, verzweifelten Kämpfen. Wir erkennen in diesem Gedichte bereits den späteren Politiker.

Wie viele seiner für Wissenschaft und Kunst begeisterten Landsleute, so bereiste auch Bryant zu verschiedenen Malen Europa, und zwar in den Jahren 1834, 1845, 1849 und, wenn wir nicht irren, 1868. Er besuchte unter Anderm England, Deutschland, Frankreich, die Schweiz, Italien und Spanien. Im Sommer 1843 machte er eine Erholungsreise durch die Südstaaten der Union, auch hielt er sich einige Zeit auf Cuba auf. Die unmittelbaren Früchte dieser Wanderungen finden wir in seinen „Briefen eines Reisenden in Europa und Amerika“ niedergelegt, doch blieben die Besuche fremder Länder auch nicht ohne bedeutende Rückwirkung auf seine Dichtungsweise, denn seine späteren Gedichte tragen, im Verhältnisse zu den früher verfaßten, der Mehrzahl nach den Stempel einer ruhigeren, geklärteren und festeren Weltanschauung. Unter diesen späteren, die Naturmächte verherrlichenden Gedichten Bryant’s, welche sich bald durch den Schwung der Ode, bald durch die sinnige Tiefe der Elegie auszeichnen, sind vornehmlich folgende drei bemerkenswerth: „Eine Waldhymne“, „Die Quelle“ und „Die Prairien“. Das erstgenannte psalmenartige, im Milton’schen Blankverse verfaßte Gedicht empfiehlt, wie der Altmeister Goethe, den Bryant sehr genau kannte, dies oft und eindringlich in seiner Weise gethan hat, nach dem „schönen Gleichmaß“ der Werke des Allmächtigen „zu ordnen unsers Lebens kurzen Lauf“. In dem längeren Poëm „Die Quelle“ entrollt uns der Dichter nicht nur ein großartiges Landschaftsgemälde, sondern er belebt dasselbe auch mit richtigem Künstlertacte durch Vorführung interessanter Lebens- und Culturbilder. Wir sehen in stiller Waldeinsamkeit die Quelle, in deren Ueberdachung von Steineiche und Platane der Colibri spielt; vor mehr als tausend Jahren entsprang sie am blumiggrünen Abhang, nur besucht von dem gierigen Wolfe, dem schlanken Hirsche und dem plumpen Bären. Eines Tages wird ihr Gemurmel von wildem Kriegsgeschrei übertönt und ein schwerverwundeter Indianerhäuptling schleppt sich mit Mühe hin zu ihrem Rande, den brennenden Todesdurst in der klaren Fluth zu löschen. Und wieder nach geraumer Zeit erbaut der weiße Ansiedler da, wo bisher die Thiere des Waldes und die wilde Rothhaut hausten, sich mit Pfählen und Zweigen eine dauernde Hütte, und nun schließt das Gedicht mit einer reizvollen Schilderung des Hinterwäldlerlebens und der werdenden Cultur. Das Anschauen der immerfort sprudelnden Quelle erinnert aber den Dichter an den in allem Wechsel ruhig beharrenden Geist:

     „Auch der Weise,
In deinen ew’gen Strudel blickend, sann
Im Geist der unverrückten Ordnung nach,
Die in dem Umschwung und dem Wechsel herrscht,
Und leitete von deiner Rieselfluth
Sein Denken auf des Weltalls Größe hin.“

Aehnlich wie in der „Quelle“ beschwört Bryant in dem ebenfalls längeren Gedichte „Die Prairien“ vergangene Zeiten herauf und weist dann mit dichterischem Seherblicke auf eine lichtere Zukunft hin. Als eine Probe Bryant’scher Landschaftsmalerei mögen hier die ersten Verse der „Prairien“ eine Stelle finden:

„Dies sind der Wüste Gärten, dies die Felder,
Noch ungemäht und grenzenlos und schön,
Für die kein Wort die Mutterzunge hat, –
Prairien! Heut’ zuerst erblick’ ich euch,
Mir schwillt das Herz, indeß das Auge schlürft
Den Anblick der Unendlichkeit. Ha, seht
Ihr lustiges Gewoge weit, weithin!
Und jetzt, ist’s nicht, als hätt’ der Ocean
Gefesselt seiner Wellen kräuselnd Spiel,
Als stünd’ er regungslos? – Wie, regungslos?
O nein, – entfesselt sind sie ja; es fegt
Der Wolken Schatten drüber hin, und her
Zu meinem Auge rollt die wilde Fluth,
Als sagten dunkle Streifen sonn’ge Spitzen.“

Die Wald- und Landschaftspoesie Bryant’s, in der sich das beschreibende mit dem didaktischen Elemente so schön verbindet, hat durch die erhabene Größe der Scenerien, in die sie uns führt, für uns einen gewaltigen Vorzug vor dem, was die meisten unserer Feld-, Busch- und Walddichter uns in zierlichen kleinen Bildern und Allegorien zu bieten pflegen. Der Wald erzählt sich und uns, wie Adolf Laun mit Recht hervorhebt,[1] bei Bryant ganz andere Dinge, als bei Putlitz, und selbst Freiligrath’s tropische und atlantische Schilderungen erscheinen der Wahrheit, Frische und Einfachheit jener aus unmittelbarer Anschauung hervorgegangenen Bryant’schen Gemälde gegenüber nicht selten wie stark aufgetragene, auf Effect berechnete Decorationsmalereien.

Die glühende Freiheitsliebe des „Dichter-Journalisten“, wie seine Landsleute Bryant oft zu nennen pflegten, offenbart sich ganz besonders in dem Gedichte „Das Alter der Freiheit“. Der Dichter erklärt hier die Freiheit für älter, als die Tyrannei; sie ist ihm nicht, wie sonst wohl den Künstlern und Poeten, „eine Jungfrau mit wallenden Locken und zarten Gliedern“, sondern ein kräftiger Mann, „wohl bewaffnet und die Stirn voll Narben“. Die Freiheit ist ihm mehr göttlicher, als menschlicher Natur, doch eine „Zwillingsschwester des Menschen“ (twin-born with man). Der Usurpator sucht ihr Schlingen zu legen und mit falschen Schmeicheltönen sie in Schlummer zu wiegen; darum ruft der Dichter ihr zu:

„Noch nicht, o Freiheit, schließe Deine Augen!
Dein Feind schläft nicht, und darum mußt Du wachen
Und kämpfen, bis der neue Tag erscheint
Im Himmel und auf Erden.“

In dem Gedichte: „Der Lauf der Zeit“ preist Bryant die hohe Mission der nordamerikanischen Republik, die er in begeisterter Vaterlandsliebe allen Völkern als ein nachahmenswertes Muster hinstellt, vor deren zornigem Stirnrunzeln die gekrönten Tyrannen ihren Blick scheu zu Boden senken müssen. Allerdings war zu der Zeit, wo dieses Gedicht entstand, die nordamerikanische Union noch nicht in den Sumpf der Corruption versunken, in welchen sie vornehmlich unter der Grant-Administration gerieth. Dichtungen, wie „Der Lauf der Zeit“, haben den Amerikanern vorzugsweise Bryant als einen nationalen Dichter lieb und werth gemacht. In dieser Beziehung sind noch zwei seiner tief in’s Volk eingedrungenen Vaterlandslieder zu nennen: „Der zweiundzwanzigste December“, jener Tag, an dem die Pilgerväter im Jahre 1620 in der Plymouth-Bai landeten, und „Das Jahr 1776“, in dem die Unabhängigkeitserklärung veröffentlicht ward.

In die beiden Hauptrichtungen der Poesie Bryant’s, wie sie uns gleich beim Beginne seiner dichterischen Laufbahn entgegen treten: Vertiefung in die Natur und Verherrlichung der Freiheit, macht sich ergreifend der lebhafte Ausdruck inniger Gatten- und Kindesliebe. Oben haben wir bereits eines Gedichtes erwähnt, welches Bryant’s verstorbene Gattin feiert: „Das zukünftige Leben.“ Auch in dem rührend schönen Liede „Der Blumen Tod“ gedenkt der trauernde Gatte der früh Geschiedenen: „die eine Blume war, so schön und zart - sie welkte auch, wie ihrer Schwestern Schaar“. Und neben ihr Bild tritt am lebhaftesten dasjenige seines Vaters, so z. B. in dem Gedichte „Die Vergangenheit“. Umsonst rüttelt er an des Todes Gitter, in dessen „dunkler Haft so manches großen Namens Glanz erblaßte“; das Gitter weicht nicht, denn es läßt nur diejenigen ein, die aus diesem Leben geschieden sind. Doch endlich richtet ihn der Gedanke an die Unsterblichkeit auf, und er ruft getröstet aus:

„Nein, sie vergingen nicht. –
Sie werden aufersteh’n; ich werd’ sie wiederschau’n:
Ihn, dessen Vaterhand mich treu gelenkt,
Und sie, die kalt und still
Im Nachbarhügel ruht – in Jugendschönheit schau’n.“

Der Tod als solcher hat für Bryant keine Schrecken, vielmehr preist er ihn als den „Befreier“, den Gott sendet, „zu erlösen die Unterdrückten und den Unterdrücker zu zermalmen“; er nennt ihn auch den „Rächer und Helfer“, der den Dulder dort zur Ruhe bringt, wo sein Verfolger ihn nicht mehr quälen kann, der die geistlichen und weltlichen Tyrannen zu Boden wirft, dem Lügner und Verleumder Schweigen auferlegt und dem schwelgerischen Wolllüstling ein grausig „Halt!“ zuruft.

Wenn von einigen Kritikern Bryant’s gesagt worden ist, er sei „ein strenger Katholik“ gewesen, so ist dies ein grober Irrthum, er schloß sich vielmehr der Secte der Unitarier an, die bekanntlich von einer göttlichen Dreieinigkeit nichts wissen will und überhaupt einer freiern religiösen Richtung huldigt. Bryant's [544] Religiosität ist, wie aus seinen Dichtungen zur Genüge hervorgeht, ein gut Theil Pantheismus beigegeben; Religion war ihm jene Geistes- und Lebensmacht, welche das menschliche Dasein mit dem ewigen Urquell aller Dinge in Verbindung setzt, die dem menschlichen Geiste im wechselnden Strome der Endlichkeit das Bewußtsein, daß er selbst unendlich ist, verleiht, die ihn erhebt über die sichtbare Welt und ihn auf eine unsichtbare ideale Höhe stellt, von welcher er die Zeitlichkeit zu beherrschen, die wilden Wallungen der Gefühle zu mäßigen und die Stürme der Leidenschaften zu beschwichtigen vermag. Die Quintessenz seines poesievollen Gottesglaubens hat er in den Worten ausgesprochen: „Ewige Liebe umschließt in ihren schützenden Armen die Erde, den Himmel und das Meer.“

Unter seinen neueren und neuesten Arbeiten verdienen noch die Ode, welche er dem erschütternden Ende Abraham Lincoln’s weihte, seine Uebersetzung von Homer‘s „Iliade“ und das längere Gedicht erwähnt zu werden, welches er unter dem Titel „Die Fluth der Jahre“ bei Gelegenheit der Säcularfeier der hundertjährigen nationalen Existenz der Vereinigten Staaten im Jahre 1876 verfaßte.

Was nun noch Bryant’s Wirken als Journalist und Politiker betrifft, so mag erwähnt werden, daß er als Herausgeber und Leiter der „New-York Evening Post“ ein Vertheidiger des Präsidenten Andrew Jackson war, daß er seit 1840 die sogenannte Freiboden-Partei unterstützte und die allmähliche Aufhebung der Negersclaverei empfahl; 1856 half er die republikanische Partei mit gründen; 1860 wirkte er eifrig für die Erwählung Abraham Lincoln’s, bekämpfte stets das übermäßig hohe Zollsystem und die unter der Grant-Administration zu Tage getretenen starken Centralisationsbestrebungen und verfolgte mit unserm talentvollen Landsmann Karl Schurz bei der Präsidentenwahl im Jahre 1872 und ebenso im Jahre 1876 eine weise und durchgreifende Reformpolitik. Er befürwortete eine ehrliche Abzahlung der Nationalschuld und die locale Selbstregierung, die nach dem Rebellionskriege im Süden der Union arg bedroht war, und war zu allen Zeiten der entschiedenste Gegner aller schwindelhaften Gewinne und der Corruption im Aemterwesen der Vereinigten Staaten. Während der letzten fünfzehn Jahre trat er häufig bei feierlichen Gelegenheiten als öffentlicher Redner auf, so z. B. bei dem großen Friedensfeste, welches am Ostermontage des Jahres 1871 in New-York von den dort lebenden Deutschen zur Feier des Sieges von Deutschland über Frankreich veranstaltet wurde, und im Jahre 1875, als der deutsche „Goethe-Club“ in New-York beschlossen hatte, eine wohlgelungene Büste unseres großen Dichterfürsten im dortigen Centralpark aufzustellen. Bryant’s letzte öffentliche Handlung war sein Auftreten als Redner bei Enthüllung der Büste von Giuseppe Mazzini im New-Yorker Centralparke am 29. Mai dieses Jahres. Er hatte sich bei dieser Gelegenheit zu sehr den Sonnenstrahlen ausgesetzt und wurde, als er auf dem Heimwege in das Haus des ihm befreundeten Generals James G. Wilson eintreten wollte, von einer Art Schlaganfall getroffen. Die bei diesem Unfalle erhaltene Gehirnerschütterung führte, wie schon erwähnt, am 12. Juni seinen Tod herbei.

Seit dem Jahre 1847 hielt sich Bryant gern, oft den größeren Theil des Jahres, auf seinem Landsitze bei Roslyn auf der in der unmittelbaren Nähe von New-York gelegenen Insel Long-Island auf. Seine dortige Villa, die einfach, aber bequem eingerichtet ist, liegt auf einer waldigen Anhöhe, dem sogenannten Hempstead-Hafen gegenüber, der zur Zeit der Fluth den Anblick eines großen und schönen Sees gewährt. Roslyn hieß früher North-Hempstead; um es von gleichnamigen Ortschaften zu unterscheiden, vertauschte man auf Bryant’s Vorschlag den letzteren Namen mit dem ersteren. Bryant wählte aber den Namen Roslyn, weil im Jahre 1781 die noch aus Long-Island befindlichen englischen Truppen diese Insel unter den Klängen der Melodie von Roslyn Castle räumten. In Roslyn wurden auch die irdischen Ueberreste des Dichters unter zahlreicher Betheiligung der angesehensten Bewohner New-Yorks am Freitage 14. Juni zur Erde bestattet.

In seiner äußeren Erscheinung war Bryant von schlanker und hoher Gestalt, mit einem ausdrucksvollen, mächtigen Kopfe, den lockiges Silberhaar umwallte. In seiner Jugend soll seine Gesundheit nicht die stärkste gewesen sein, doch besserte sich dies im Laufe der Jahre, sodaß er noch bis kurz vor seinem Tode geistig und körperlich thätig und rüstig war. Er stand durchschnittlich um fünf Uhr Morgens auf und nahm dann körperliche Uebungen vor, worauf ein Bad zu folgen pflegte. Darauf arbeitete er, bis er zum Frühstück gerufen wurde; dasselbe war sehr einfach und bestand meistens aus Maisbrod, gebackenen Aepfeln, buchweizenem Kuchen und Milch. Thee und Kaffee liebte er nicht, wohl aber zuweilen eine Tasse Chocolade; Früchte waren ihm sehr willkommen. Nach dem Frühstücke studirte er wiederum oder ging, wenn er in New-York war, auf das Geschäftslocal der „Evening Post“; nach etwa drei Stunden kehrte er heim. Wenn er sich auf seinem Landsitze befand, beschäftigte er sich mit literarischen Arbeiten, bis er ermüdet entweder ausfuhr oder ausging, um in der frischen Luft selbst wieder frisch zu werden. Auf dem Lande nahm er sein Mittagsmahl, welches ebenfalls sehr frugal ausfiel, früher, als in der Stadt. Er trank gewöhnlich Wasser, doch verschmähte er zu Zeiten ein Glas Wein nicht. Tabak liebte er in keiner Weise. Da er früh aufstand, ging er auch früh zu Bette: in New-York um zehn Uhr Abends, auf dem Lande noch früher. Des Abends war er seit längerer Zeit literarisch nicht beschäftigt; er schrieb dann kaum einmal Briefe, um jede nervöse Aufregung zu vermeiden.

Was Bryant einen so hohen Rang in der amerikanischen Literatur einräumt, das ist neben der plastischen Anschaulichkeit und schillernden Farbenpracht, mit welcher er die Landschaften seiner Heimath dichterisch nachzugestalten versteht, das durchaus nationale Gepräge seiner poetischen Schöpfungen, namentlich jener ausgesprochen amerikanisch-patriotische Zug, der ihn zu einem dichterischen Interpreten der freiheitlichen Ideen Nordamerikas macht. Uns Deutschen aber ist er besonders sympathisch, weil er zu jener Gruppe transatlantischer Dichter gehört, welche, wie auch Bayard Taylor, einen guten Theil ihrer Bildung auf den Wegen deutscher Literatur und Wissenschaft gefunden, und deutschen Geistesgrößen und deren Schöpfungen jenseits des Oceans mit Wärme und Verständniß allzeit das Wort geredet haben.

Rudolf Doehn.

  1. Wir machen bei dieser Gelegenheit unsere Leser gern auf die in Bremen im Verlag von J. G. Heyse im Jahre 1865 erschienene treffliche Uebersetzung der meisten Gedichte Bryant’s von Adolf Laun aufmerksam.
    D. Red.