« 04. Vortrag Wilhelm Löhe
David und Salomo
06. Vortrag »
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V.
1. Chron. 13, 2–7; 8–14; 15–18.


1.
 Wer die Familien kennt, der weiß, daß nichts gewöhnlicher ist als ein doppelter Fehler, der ihnen fast allen anhaftet:| nach innen Uneinigkeit, nach außen ein falscher Gemeingeist, der die sonst Getrennten zur Vertretung der gemeinsamen Familieninteressen eint. Während innerlich oft kein Friede ist, erscheinen die in sich Zerspaltenen fremden Interessen gegenüber wie Ein Mann. Aber es ist das nicht die Einigkeit, die der 133. Psalm rühmt und über die er seinen Segen spricht. Vielmehr weil die Familieninteressen gewöhnlich niedriger, selbstsüchtiger Art sind, so muß man es oft noch als ein Glück betrachten, wenn Vater und Mutter den Lebenslauf der Kinder nicht bestimmen, sondern die Kinder ihren Gang frei wählen und sich selbständig entscheiden. Das Beste und Wünschenswertheste ist damit freilich nicht erreicht, aber unter Umständen etwas Gutes, oder doch etwas, woraus unter des heiligen Geistes Leitung etwas Gutes werden kann.
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 Warum diese Bemerkung? Nun, weil alle die Helden, deren Namen die erste Lection (V. 2–7) aufzählt und deren Anschluß an David sie berichtet, der Verwandtschaft Sauls angehören. Ob sie gleich Brüder d. h. nächste Verwandte Sauls gewesen sind, sind sie doch von den Verhältnissen und der Verwandtschaft nicht geblendet, sondern haben sich auf Davids Seite geschlagen. Und zwar waren es nicht etwa geringe Leute, sondern angesehen in ihrer Verwandtschaft und hervorragende Helden (V. 1). So herrscht also in der Familie Sauls nicht blos ein böser Geist, sondern es ist auch ein guter Geist zu finden, nicht blos bei einem Jonathan, sondern bei alle denen, die wie unsre Lection berichtet, den König Saul verlassen und zu David sich halten und zwar zu einer Zeit, wo Saul noch der Mächtige, David der Ohnmächtige und Verfolgte ist. Es ist also möglich, daß der heilige Geist in den natürlichen Familienzusammenhang eine heilsame Spaltung (Luc. 12, 51) bringen kann. Und es ist| gut so. Oder ist es nicht selbst für die, die verloren gehen, besser, daß ein Theil der Ihrigen den rechten Weg erwählt?

 Was hat aber alle diese Verwandten Sauls ihm entfremdet und ihr Herz David zugeneigt? Waren sie von Saul beleidigt? Das ist im Text mit keiner Silbe angedeutet, vielmehr weist V. 18 auf höhere göttliche Gründe ihres Anschlusses an David hin. Davids unverdientes Leiden und seine Sanftmuth und Geduld im Leiden war es wol, was gerade diese Leute, Sauls Verwandte, zu David hinzog. Das ist ein Trost für die, die in der Welt um Unschuld leiden, daß sie sich sagen können: was dort geschah, kann öfter geschehen, daß der guten Sache endlich doch die redlichen Herzen zufallen. Das lerne ich aus diesem Namensverzeichniß, das ich nicht missen möchte so wenig als alle andern. Es ist ein hohes Glück, wenn in einer Familie alle Glieder durch doppelte Bande der Natur und des Glaubens verbunden sind; aber wenn nicht, dann ist Lossagung von ungöttlicher Familientradition Gehorsam gegen die höhere Pflicht und Treue gegen Den, der gesagt hat: „Wer Vater oder Mutter, Sohn oder Tochter, Brüder oder Schwestern mehr liebt denn Mich, der ist Mein nicht werth.“


2.
 David ist in seiner Burg in der Wüste in Ziklag, und weit über dem Jordan drüben ist der Stamm Gad, und in dem Stamm gibt es 11 gewaltige Heerführer, von denen die geringsten 100, und die größten 1000 geschlagen haben, die also, obwol Einzelne, doch ganze Heere ersetzen, an Stärke den Löwen gleich und an Schnelligkeit den Gazellen: diese kommen nun zu David herüber auf seine stille Burg. Er zieht nicht niedriges Volk, sondern die hervorragendsten an. Das Volk ist eine träge, schwere Masse, die sich leiten läßt und| auf Führer und Leiter wartet und dann auch wol in Bewegung und Begeisterung kommt, wie man aus der Huldigung der 350000 an dem Königstag zu Hebron sieht. Das Volk erhebt sich nicht aus eignem Entschluß, es wartet auf den Wind, der das Schiff treibt. Die Hervorragenden aber zeichnen sich ihre Richtung selber vor, fragen nicht nach der Menge, sondern gehen ihren Weg selbständig und überlassen es Gott, wer ihnen folgen will. Solche Leute waren die 11 Helden aus Gad, die über den Jordan herüberkamen, und aus dem Ansehen, in dem sie daheim standen, sich zu David ins Elend begaben. David zieht die Edelsten im ganzen Land an. Wenn man den Werth eines Mannes erkennen will, so darf man nur fragen, wen er anzieht. Man erkennt David aus seinen Genossen. Er, David, ist selbst ein Held, stark wie ein Löwe und schnell wie eine Gazelle, seine Heldennatur zieht die Helden an. Aber David ist ein Gottesheld, getragen vom Geiste Gottes, ein Heiliger Gottes: das gibt ihm die sittliche Überlegenheit über die, die er anzieht. Von allen Orten und Enden ziehen ihm die Trefflichsten zu. Was bleibt für Saul noch übrig? Ein ungetreues Volk. Es wird immer einsamer um Saul. Jonathan wird es wol sein, auf den er sich stützt? Nein: er hält zwar bei seinem Vater aus in Noth und Tod, aber sein Herz ist auch bei dem Sohne Isais. Ein armer Saul, ein reicher David, der obwol ein heimathloser Flüchtling doch erfahren darf, was geschrieben steht: Wo man leidet in des HErrn Furcht, da ist Reichthum, Ehre und Leben (Spr. 22, 4).


3.
 Der Jordan, welcher Gilead und Basan von Juda und dem gesammten diesseitigen Land trennt, ist ein wunderlicher Fluß. Er geht in tiefem Bett; wenn aber der Schnee des| Libanon schmilzt, so werden seine Ufer voll, er steigt von Terrasse zu Terrasse und wird zum Strom ohne Gleichen, daß er die ganze Breite Jericho und Moab mit seinen Fluthen zudeckt. Da ist es dann keine Kleinigkeit überzusetzen. Die Helden aus Gad aber finden den Weg über den gewaltig angeschwollenen Strom. Doch sie haben nicht blos die Absicht gehabt über den Fluß zu setzen, sie wollen zu David kommen. Da müßen sie sich durch seine Feinde durchschlagen, durch den ihm feindlichen Stamm Benjamin, was ihnen auch gelingt: sie jagten – heißt es – in die Flucht alle Thalbewohner gegen Morgen und Abend. Ihr Ziel ist David; dem Helden wollen sie sich überliefern, um mit ihm zu kämpfen und zu leiden.
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 Aber auch aus Benjamin und Juda kamen Tapfere zu Davids stiller Burg. David versteht nicht, warum solche Menge ihm zuströmt, er wird mistrauisch. Aber er spricht sein Mistrauen mit so männlicher Aufrichtigkeit aus, daß er eben damit die Herzen gewinnt. Er fragt sie, ob sie’s ehrlich mit ihm meinen, er gibt’s ihnen auf die Seele und weissagt ihnen Gottes Zorn für den Fall, daß sie in unredlicher Absicht kommen. Wie dort auf den Bergen Judas der Gruß der Jungfrau Elisabeths Geist entzündete, so macht die edle, fromme Sprache des Helden David hier den Amasai zum Propheten, daß er in die herrlichen Worte ausbricht, die ihm der Geist eingegeben hat, und die wir uns in diesem Hause[1] zum Wahlspruch erwählt haben: Dein sind wir, o David, und mit dir halten wir es, du Sohn Isai. Friede, Friede sei mit dir, Friede sei mit deinen Helfern, denn dein Gott hilft dir! Ein herrliches Wort und bei aller Kürze und Begeisterung doch von schönstem Zusammenhang. Mit dem| Inneren, dem Bekenntniß ihrer Gesinnung gegen David beginnt Amasai: Dein sind wir, dir gehören unsere Herzen an aus freier Liebe. Und weil du uns so wohl gefällst, so haben wir Saul verlassen und halten es mit dir, und weihen dir unser Schwert. Aus der Gesinnung folgt die That. Friede, Friede sei mit dir: fährt Amasai fort: d. h. es müße dir wohl gehen nach Außen und Innen: Und Friede sei auch mit deinen Helfern, denn dein Gott hilft dir. Welch ein herrliches Wort! Wo ist je einem König ein solcher Liebes- und Treuschwur geleistet worden! Was mag das für Davids Seele für ein Trost und für eine Stärkung gewesen sein als er diese Sprache völligster Ergebenheit und rückhaltlosesten Vertrauens aus Amasais Mund vernahm, und wie mag am Abend seine Harfe geklungen und sein Mund gesungen haben von der Güte und Gnade des HErrn.

 Unser David ist ein anderer und größerer: der, den David selbst im Geist seinen HErrn nennt. Zu dem sprechen wir dieselben Worte der Ergebenheit, des Wohlgefallens und des Vertrauens. Wer Ihm sich ergibt, der singt Ihm mit Herzenslust dies heilige Lied der Liebe und freut sich, damit sich am Morgen zu wecken und am Abend mit ihm zu Bette zu gehen. Amen.

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  1. Im Diakonissenhause zu Neuendettelsau.


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