Das Schwimmende Land in Wakhusen

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Autor: J. G. Kohl
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Titel: Das Schwimmende Land in Wakhusen
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aus: Die Gartenlaube, Heft 42, 43, S. 666–669, 678–681
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1861
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Das Schwimmende Land in Wakhusen.

Von J. G. Kohl.

Der Römer Plinius erzählt von neuen Wundern aus den Wäldern Germaniens[1], indem er beschreibt, wie kleine mit Bäumen bewachsene Inseln der römischen Flotte, als sie an den Küsten Nordwestdeutschlands segelte, aus den Mündungen der Elbe und Weser mehrfach entgegen geschwommen seien. Wahrscheinlich sind dies solche Moorlandstücke gewesen, wie sie noch heutzutage zuweilen von den Wasserfluthen an den Nebenflüssen der Weser und Elbe losgerissen und zum Schwimmen und Forttreiben gebracht werden.

Im kleinen kommt dieses Phänomen überall in unseren torfreichen und morastigen Gegenden vor. Nirgends aber erscheint es großartiger, complicirter und mehr mit dem Ackerbau und der ganzen Existenz der Bewohner verwachsen, als in der Feldmark des hannoverschen Dorfes Wakhusen im sogenannten „St. Jürgener Lande“ an den Ufern des Flusses Hamme, der aus den Mooren des Herzogthums Bremen herab der untern Weser zufließt. Ich hatte schon Manches über das schwimmende Wunder von Wakhusen gehört und gelesen, ohne daß ich mir über die Ursache, den Umfang und die näheren Umstände desselben ganz klar werden konnte. Ich beschloß daher, an Ort und Stelle selber nachzusehen, und so zog ich denn eines schönen Tages mit Hülfe eines Landeskindes mein kleines, roh gestaltetes „Schedel-Schip“, eine Art von Canoe – es ist das einzige Vehikel, dessen man sich zur Bereisung dieser wässrigen Landschaften bedienen kann – über eine Stelle des Dammes oder Deiches hinüber, der das ganze besagte „St. Jürgener Land“ umzingelt.

Als wir diese nicht sehr mühsame Operation bewerkstelligt und unser Schiffchen im jenseitigen Wasser wieder flott gemacht [667] hatten, lag eine weit hingestreckte, fast ununterbrochene Wiese von circa 40,000 Morgen Grasland vor uns. Es war das besagte St. Jürgener-Land, das ein großes, ganz flaches Dreieck zwischen den Flüssen Hamme und Wumme bildet und von einem Labyrinthe von Wasserarmen, künstlichen Gräben und Canälen oder „Fleeten“ und kleinen natürlichen Tümpeln und Seeen durchfurcht ist.

Schon die Entstehungsweise dieser „Tümpel und Seen“ steht mit dem schwimmenden Erdreich von Wakhusen in einiger Verbindung und erklärt dieselbe wenigstens zum Theil. Im Winter nämlich, wenn das ganze Land überschwemmt ist und bei starker Kälte mit einer dicken Eiskruste bedeckt wird, verbindet sich stellenweise diese Kruste mit dem untenliegenden Boden und Geschilfe, und gefriert mit ihm in eine Masse zusammen. Wenn nun im Frühlinge der Eismantel sich löst und zerspringt, bleiben zuweilen mehr oder minder große Stücke gefrornen Landes an den Schollen hängen, und werden mit ihnen fortgeführt. Die Landeskinder nennen sie „Dobben“ oder „Eisdobben“. Zuweilen werden auf diese Weise ganze Tagewerke (ein „Tagewerk“ zu zwei Morgen) auf einmal losgerissen und versetzt, und die Dicke der gelösten Erdschicht beträgt wohl drei bis fünf Fuß.

Die Eisschollen bleiben mit ihrer schweren Last an irgend einer kleinen Bodenschwelle hängen und setzen sie daselbst ab, indem sie schmelzen. Da, wo sie die Erde losrissen, entsteht ein Loch, das sich mit Wasser füllt, und das die Leute daher wohl eine „blanke Stelle“ zu nennen pflegen. Wenn in einer Gegend das Eis sich häufig solche „Dobben“ herausholte, so vergrößert sich wohl der kleine Wassertümpel zu einem See von etwas bedeutenderem Umfange.

Der größte See des St. Jürgener Landes, der auf diese Weise entstanden ist, heißt „die Blänken“. Er steht unter diesem Namen auf unsern Landkarten und hat auf ihnen wohl anderthalb Stunden im Umfange. Unser Weg führte uns mitten durch diesen „See“ hindurch. Er bot jetzt im Hochsommer, wo überall hohes Schilf aus dem Wasser emporragte, den Anblick einer grünen Wiese dar. Nur im Winter, wo das Schilf abstirbt, ist er in seinem ganzen Umfange „blank.“ – Diese durch das Eis in der Oberfläche des Landes ausgearbeiteten „Blänken“ wären dem guten Plinius, wenn er sie gekannt hätte, wohl wieder als ein „Miraculum Germaniae“ erschienen. Aber wohl mit noch größerem Interesse hätte dieser aufmerksame Naturbeobachter die Berichte der Landeskinder über ein anderes Winter-Phänomen dieser Gegenden, die sogenannten „Spanjen“ angehört, wenn er so, wie ich es jetzt that, mit den Nachkommen seiner Chauci Majores oder Minores im Lande hätte herumschiffen und sie in ihrer niedersächsischen Sprache hätte examiniren können.

„Spanjen“ – wahrscheinlich von „spannen“ abzuleiten – nennen sie in diesen Gegenden die Risse, welche zuweilen bei heftigem Froste und starker Anspannung des Eises in der Eiskruste entstehen und sehr sonderbare Effecte zu Wege bringen. Diese Risse oder „Spanjen“ gehen mit einem heftigen Knalle und Krachen los und durchsetzen die Eisdecke zuweilen mit Blitzesschnelle zwei bis drei Wegestunden weit und weiter. Aehnliches geschieht freilich auch anderswo, wo sich breite zusammenhängende Eisdecken bilden. Das Eigenthümliche aber, das dies Phänomen hier darbietet, kommt durch die sumpfige Beschaffenheit des Landes zu Wege. Da, wie gesagt, in sehr kalten Wintern nicht nur das Wasser bis auf den Boden gefriert, sondern auch dieser erstarrt und sich mit dem Eise zu einer Masse verbindet, so theilt sich der in dem Eise beginnende Riß auch dem festen Boden mit. Auch dieser wird geklüftet und thut sich wie das Eis auf, und beide, Eisschollen und Erdreich, werden dabei zuweilen 5 bis 6 Fuß hoch und mehr zu beiden Seiten des Risses in die Höhe getrieben und aufgehäuft. Die Rille, die sich in der Tiefe alsbald mit Wasser füllt, wird mitunter so breit, daß man darin wie in einem natürlichen Canale zwischen Eis- und Schlammmauern durchhin schiffen kann.

Wenn eine solche „Spanje“ unterwegs auf einen anderen Gegenstand, z. B. auf ein im Eise eingefrorenes Schiff trifft, so vermag sie auch dieses entzwei zu reißen. Sie geht vom Eise und Schlamm auch auf das daraus hervorragende Festland über, zerreißt Erdhaufen oder Inseln, die ihr im Wege liegen, und setzt mitten durch die hohen Deiche des Landes, wenn sie mit dem Ganzen zusammengefroren sind. Ja, sie fährt sogar wie ein Blitz in die auf diesen Deichen und Inseln stehenden Häuser, wühlt unter ihnen den Boden auf, zerspaltet die Mauern und zerreißt die Balken, „gleichsam, als wenn eine Kanonenkugel durch das Haus gefahren wäre.“

„Ich habe es selbst in meinem eigenen Hause einmal erlebt,“ erzählte uns unser Schiffer. „Ich saß ganz ruhig bei meinem Feuer, als es plötzlich mit großem Spectakel dicht bei meinen Knieen vorüberfuhr und quer durch’s Haus schoß. Der Boden neben mir wurde wie von einem Erdbeben aufgewühlt, die Balken, auf denen mein Haus stand, zerrissen und die Mauern gespalten. Je fester die Erde ist, sagen die Leute, desto bester kann die Spanje laufen. Kommt sie in weichen Boden, da hat sie keine Macht mehr und da läuft sie im Sumpfe aus. Und bei Thauwetter laufen gar keine Spanjen im Lande. Auch kommen die großen und zerstörenden Spanjen nicht alle Winter, sondern nur, wenn die Kälte sehr stark war und lange dauerte.“

Jetzt in dieser schönen Sommerzeit halte ich nicht Gelegenheit, weder über diese „Spanjen“, noch über jene „Eis-Dobben“ selbst einige Beobachtungen zu machen. Ich konnte nur den Erzählungen meiner Leute darüber lauschen. Unsere nassen Wege standen jetzt im schönsten Schmucke des Frühlings. Ueberall schifften wir durch zahlreiche Plantagen der weißen Seerose (Nymphaca aquatica), welche eben jetzt in der herrlichsten Blüthe stand, und mit ihren schneeweißen großen Kelchbechern alle Tümpel und kleinen Wasserverstecke schmückte. Die Hiesigen nennen ihre breiten schwimmenden Blauer „Lotken Bläder“. Es ist ein Name, der vielleicht etwas mit dem griechischen Lotos zu thun hat. Für die schönen Blüthen der Pflanze selbst haben sie einen andern Namen: sie nennen dieselben „Poppeln“; und ihre armsdicken, am Grunde des Wassers liegenden Wurzeln haben hier wiedereine besondere Benennung: sie nennen sie „Ausballen“. So besitzt sonderbarer Weise jeder der Haupttheile derselben Pflanze einen eigenthümlichen und verschiedenen Namen. Auch für alle anderen hübschen Gewächse, die in üppiger Fülle zu den Seiten unserer Schifffahrt standen, hatten meine Leute ihren eigenen Namen. So nannten sie das mit rothem Samen bedeckte Kraut den „rothen Heinrich“. Eine Päonie, bei der häufig eine einzelne Blüthe breit aufgeht, während die anderen noch in der kleinen Knospe zusammengerollt, heißt bei ihnen „Gluckhenne und Küken“, eine andere lange, rothblühende Blume „der Katzenschwanz“, eine dritte „der Fuchsstümmel“. Die blaue Iris betiteln sie mit „Ebers-Brod“ (Storchen-Brod). Alle diese und andere Blumen und Gräser, aus denen der Grasteppich dieses Landes componirt war, standen jetzt wie das ganze Land in fußtiefem Wasser. Aber die St. Jürgener verstehen sich darauf, sie „über dem Wasser“ abzumähen. Ueberall fanden wir Leute knietief im Sumpfe watend und mit dieser nicht leichten Operation beschäftigt. Das Gras blieb dabei eine Zeitlang auf dem Wasser schwimmen. Hatten sie einen Strich herunter gemäht, so harkten sie das Gras in einen freien Canal, schoben es in einen großen auf dem Wasser schwimmenden Haufen zusammen und flößten dann diesen Haufen mit einem Brete, das an einem langen Stiele befestigt war, über den Canal hin bis zu der Stelle, wo ihr Heuschiff lag, das mit der auf diese Weise dem Wasser entzogenen und noch triefenden Grasernte beladen wurde. Diese muß dann stundenweit zu einem Deiche oder sonst einer etwas höhern Landstelle weggefahren werden, um da an der Sonne Heu daraus zu machen.

Die Canäle, Gräben und „Fleeten“, welche die Communicationswege des Landes sind, müssen alle Jahre, damit sie sich nicht verstopfen und „zulanden“, fleißig geputzt werden. Dagegen giebt es andere unregelmäßige Gewässer im Lande, z. B. ehemalige Flußbetten oder Flußarme, die man in dieser Beziehung vernachlässigt, und bei solchen Gewässern zeigt sich dann wieder Etwas, was mit dem Phänomen des „schwimmenden Landes“ zusammenhängt. Die Oberfläche solcher stehenden und stockenden Gewässer überzieht sich nämlich bald mit einer Decke von Wasserpflanzen, und wenn diese verwesen, kommt Erdreich hinzu, auf dem sich dann wieder andere Pflanzen einnisten. Im Laufe der Jahre bildet sich so eine dichte und dicke Decke von verfilztem schlammigen Wurzelwerke, das zuletzt im Stande ist, allerlei sehr schöne und nützliche Gräser und Kräuter zu erzeugen und zu tragen. Auch diese schwimmenden Kräuterdecken nennen die Leute hier „Dobben“.

Da diese schwimmenden Dobben beständig mit dem Wasser gehoben werden, und also Alles, was auf ihnen keimt, nie wie das auf festem Boden wurzelnde Gras im Wasser ertränkt wird. so geben sie besonders schönes Viehfutter, und die Gräser stehen auf [668] ihnen vorzugsweise dicht und üppig. Ueberall, sowohl im St. Jürgener Lande, als auch in dem ganzen Thale der Hamme hin, erkannte ich die gewundenen Streifen ehemaliger Flußarme an den höheren Stauden und Blumen und dem frischeren Grün, womit sie gegen die übrigen festen, ertränkten und grauer aussehenden Wiesen abstachen.

Wenn wir in diese überwachsenen Arme hineinfuhren, so sank der Rand des schwimmenden Blumenteppichs unter dem Kiele unseres Schiffs in’s Wasser. Wenn wir mit unseren Rudern hinstießen, konnten wir das Ganze in schaukelnde Bewegung setzen und am Ende mit einiger Mühe durchstoßen, und so auf das Wasser darunter gelangen, das oft noch 6 oder 7 Fuß tief war. In der Mitte der heißen Jahreszeit trocknen zuweilen, wie die ganze Landesbewässerung, so auch diese Flußarme aus, und dann liegt der Blumenteppich auf dem Grunde und kann abgemäht werden. Oder das Wasser nimmt unter ihnen doch so weit ab, daß die Mäher darüber wegschreiten können, ohne beim Durchbrechen Gefährliches befürchten zu dürfen. – Manche Dobben sind auch schon von Haus aus so dick und dicht, daß sie einen Arbeiter wohl tragen.

Die zierlichen Kibitze und die munteren Meerschwalben hatten jetzt noch ihre Jungen im Neste, und überall, wo wir in den Winkeln des Landes stöberten, umflogen uns diese hübschen, um ihre Brut so mütterlich besorgten Thiere in Schaaren. Sie verfolgten unser Schiffchen weit hinaus mit ängstlichem Geschrei, schwebten uns zu Köpfen und indem sie sich herabschwenkten, schweiften sie mit großer Kühnheit dicht über unsern Mühen weg. Sie schrieen dabei aus vollem Halse, und daß es ihnen einige Ueberwindung kostete, Muth zu fassen, konnte man wohl bemerken. Denn ehe sie den Schuß gegen den ihnen so gefährlich erscheinenden Gegenstand wagten, sammelten sie sich ein wenig, hielten in der Luft einen Augenblick an, nahmen einen Anlauf und kamen dann wie Pfeile gegen uns herab, als wollten sie uns fortscheuchen.

Unter solchen Beschäftigungen und Beobachtungen, und indem wir bei mehreren hübschen Bauernhöfen, die auf ihren Warfen mitten im Wasser lagen, vorüberfuhren, kam endlich der Hauptort des St. Jürgener Landes, die kleine Insel, auf welcher die Kirche und die Gräber dieser Wasserleute lagen, in Sicht. Es war ein ganz eigenthümliches Stückchen Land, das über der allgemeinen Ueberschwemmung und über dem Grasmeere etwa 15 Fuß hoch hervorragte und auf dem neben der Kirche noch für die Wohnung des Pastors und die seines Küsters Platz war. Ich habe selten eine absonderlichere kleinere Ansiedlung besucht. Für einen Maler wäre sie ein sehr dankbares Thema gewesen.

Auch jetzt noch in der Höhe der Sommerhitze war dieser sonderbare kleine Ort nur zu Schiff zu erreichen. Die Kirchleute und die Schulkinder kamen selbst jetzt herangerudert. Im Winter steckt das kleine kirchliche Etablissement rings umher im Eise. Dann kommen die Frommen und Lernbegierigen auf Schlittschuhen und Schlitten heran.

Aber zuweilen, wenn die Stürme brausen und der Eisgang wüthet, ist das Kirchlein völlig unzugänglich, und der Pastor von seiner Heerde gänzlich abgeschnitten. Dann trifft es sich wohl, daß drei Wochen hinter einander kein Gottesdienst gehalten werden kann, aus Mangel an Besuchern. Dann ruft das Glöcklein vergebens in die Wasseröde hinaus. Die Frommen hören’s, aber sie vermögen nicht durchzudringen. Der Küster steht auf der Wacht, späht in die Wüste hinaus und berichtet dem Pastor, ob er Schiffe entdecke oder nicht. Zuweilen haben sie schon das heilige Osterfest selbst mit Stillschweigen überhüpfen müssen. Man erzählte mir solche Dinge sonst wohl von Island und Grönland.

Der Rand dieser sonderbaren St. Georgs-Insel, an dem wir aus dem Schiffe hinaufstiegen, ist steil abgearbeitet und mit einem rohen Palissadenwerk aus unbehauenen Eichenästen verbarricadirt. Diese Aeste sind unten am Fuße der Insel in den Boden gerammt, mit ihren oberen Enden, die in allen Richtungen und Krümmungen auseinander gehen, ragen sie über die Oberfläche der Insel hervor, so daß man sich mitten drin stehend von einem sehr wunderlichen Zaunwerk umgeben sieht. Mit ähnlichen Befestigungen, Pfahlwerken und Weidengeflechten, wie sie eben Jeder zu Stande bringen kann, umgiebt sich hier zu Lande jedes Haus und Warf, um sich gegen die Angriffe des Eises zu schützen. Dazu werden denn auch wohl noch einige große Steinblöcke von den benachbarten Haiden herübergeschafft, um das Pfahlwerk damit noch ferner zu beschweren und zu befestigen. Sie nennen eine solche Umschanzung hier „die Fessel-Roden“ (Fessel-Ruthen).

Außerdem wurzelten auch auf dem Rande unserer Insel rings umher mächtige und sehr malerische Eichen, unter deren Schatten das Kirchlein, das Küster- und Pastorenhaus ruhten. Daneben auch die zahlreichen bemoosten Monumente des Friedhofs der Gemeinde. Nichtsdestoweniger ist schon oft das Eis durch „Fesselroden“ und Bäume und Gräben dahin gestürmt und hat die Häuser selbst und die Insel beschädigt. Einige der alten Eichen trugen in ihren dürren Aesten und hohlen Stämmen die Spuren von solchen Erschütterungen zur Schau.

Nur das alte, kleine, dickmaurige Kirchlein hatte aller dieser Unbill getrotzt und lag noch so da, wie man es in katholischen Zeiten, als hier ein großer und berühmter Wallfahrtsort war, gebaut hatte. Die alte Glocke des Kirchthurms hatte auf ihrem Kranze noch „Mönchsschrift“. So nennen die jetzigen Protestanten hier die Schriftzüge aus den katholischen Jahrhunderten.

Sanft, still, geräuschlos und dabei doch stetig und ohne Schaukelungen glitt unsere kleine Barke von der Wallfahrtsinsel des heiligen Georg noch durch manches curiose Wasserdorf in dem Labyrinthe der Wasserwege dieses wunderlichen Landes fort, bis wir endlich unser Ziel, die hohen Bäume von Wakhusen, in Sicht bekamen.

Es ist selbst für einen Kundigen nicht ganz leicht, sich in diesem Labyrinthe zurecht zu finden. Wegweiser und Meilenzeiger giebt es natürlich nicht. Da man immer niedrig zwischen Wasserrosen, schönen Nymphäen, „rothen Heinrichs“, „Katzenschwänzen“ und „Hennen und Küken“ steckt, so kann man auch nicht weit spähen. Ein Wasserweg sieht aus wie der andere, und da die Schiffe keine Spuren hinterlassen, so kann man auch nicht, wie bei den Irrwegen in den Haiden, erkennen, ob der Weg. auf dem man sich eben befindet, eine viel befahrene Hauptstraße ist, oder nicht.

Manche Canäle sind gar keine Fahrstraßen oder „Fleeten“, sondern blos sogenannte „Scheden“ (Scheiden), d. h. Grenzgräben zwischen zwei Dorfschaften oder Grundbesitzern; und doch sind diese „Scheden“ oft eben so breit, tief und gemächlich wie die Fleeten. Zuweilen war ein Canal ehemals eine freie Fahrstraße, wurde aber später aus irgend einem Grunde als solche aufgegeben und führt nun in die Irre, in Sumpf, Geschilf und verwachsenes Land hinaus. Mitunter ist das Ende einer solchen Straße durch „Dobben“ und Verschiebungen in den, schwimmenden Erdreiche verstopft und zugelandet.

Wir nahmen irrthümlich einen Canal der letzten Art auf, der anfänglich ganz breit und schifffahrtsmäßig aussah und auch direct auf die Bäume von Wakhusen hinführte. Nach einer Stunde Fahrt aber wurde er schmäler, verwachsener, zweigte sich aus und führte uns in dichtes Geschilf und Dobben, und zuletzt strandete unser Schiffchen auf dem „hohen Lande“ der überschwemmten Wiesen. Wir schoben, zogen und stießen es hinüber, kamen noch einmal wieder in ein Stückchen Schifffahrt, das aber auch nicht weiter führte, und auf dem wir nun gefangen saßen, wie Enten im Eise. Rings um uns her war ein Chaos von Wasser und Land, in den, man weder schiffen noch wandeln konnte. Der Boden, wenn wir ihn berührten, bebte, und mit unsern Ruderstangen konnten wir unter die vorstehenden Ränder des Canalufers seitwärts weit im Wasser, auf dem die Dobben schwammen, hinunterfühlen. Wir steckten schon mitten in dem verführerischen, zerrissenen und durchlöcherten schwimmenden Lande von Wakhusen. Guter Rath war theuer.

Glücklicherweise fanden wir ein Stück von einen, Balkengerüste, das, ich weiß nicht wozu, gedient haben mochte, in der Nähe unseres Canals stehen. Dies bestieg unser Schiffer, um das Terrain zu sondiren, und er entdeckte in nicht großer Ferne „hohes Land“, eine Art Landzunge, die auch ganz bis nach Wakhusen hinzuführen schien. Diese Wasserleute haben einen merkwürdigen Blick für die Abschätzung des Niveaus des Terrains. Von „Hochland“ sprechen sie eben so viel wie die Gebirgsbewohner. Aber auch da schon wenden sie diesen Ausdruck an, wo ein Stück ein paar Zoll über dem Nachbarlande hervorragt. „Dies ist Hochland!“ sagen sie mit Nachdruck und großen Augen, als wenn es ganz was Kostbares wäre, von einem Strich, auf dem Du noch einen Fuß Wasser findest. Aber freilich haben sie ganz Recht. Denn für das Tiefland daneben, das zwei Fuß niedriger liegt, ist die Hoffnung, daß es noch im Laufe des Sommers aus dem Wasser gerettet werden könne, um 100 Procent schwächer.

[669] Mit Mühe und Noth, indem wir unser Schiff theils über halb überschwemmte Erdhaufen schoben, theils durch tiefere Wasserlöcher ruderten, erreichten wir unsere Landzunge und wanderten dann zu Fuß über dies „Hochland“ hin, das vielleicht davon seinen Namen haben mochte, weil es nur mit hohen Wasserstiefeln passirbar war. – Mit Hülfe dieser letzteren kamen wir denn so nun richtig in dem merkwürdigen Orte Wakhusen an.

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Autor: J. G. Kohl
Titel: Das Schwimmende Land in Wakhusen
aus: Die Gartenlaube 1861, Heft 43, S. 678–681

[678] Wakhusen ist wieder so ein Chaukendorf, wie Plinius es beschreibt, in dem, wie er sagt, die Häuser auf ihren künstlichen Sandhügeln den Anblick von Schiffen unter Segel gewähren, während sie bei niedrigem Wasser gestrandeten Fahrzeugen gleichen. Jedes Haus bildet für sich eine solche kleine Insel wie die St. Jürgener Kirchen-Insel, die ich beschrieb.

Ueber die Hauptsache, die mich hierher geführt hatte, nämlich über das „schwimmende Land“, erfuhr ich nun im Verlaufe meiner Spaziergänge und Unterredungen mit den Wakhusenern etwa Folgendes: Der ganze Untergrund, auf dem das Dorf, seine Häuser, seine Wiesen, seine Aecker ruhen, ist eine 25 bis 30 Fuß dicke Schicht von Torfmoor, die ihrerseits wieder in der Tiefe auf festem Sande liegt. Diese Torfmoor-Schicht, auf der Alles ruht, gewährt begreiflicher Weise eine sehr unsolide und zitterhafte Basis. Ueberall, wo man geht und steht, bebt der Boden ein wenig unter den Füßen. Wenn man in den Häusern ein mit Wasser gefülltes Glas auf den Tisch stellt, und draußen die Pferde trampeln oder auch nur ein Mensch fest auftritt, so schlägt das Wasser im Glase Wellen. Einige Scharfsichtige wollen denselben Effect auch schon dann wahrgenommen haben, wenn draußen die Hunde bellten. Um nun die Häuser ganz fest zu begründen, wäre natürlich das Beste, sie entweder, wie es bei Venedig geschehen ist, auf Pilotis zu bauen, die tief bis in den festen Sandgrund hinabreichten, oder auch den 20 bis 30 Fuß dicken Moorgrund ganz wegzugraben, das Loch mit Sand wieder hoch aufzufüllen und auf dem Gipfel dieses Hügels dann zu bauen. Aber man begreift leicht, daß das für die Wakhusener eine zu kostspielige Operation sein würde, besonders da ihre einstöckigen Häuser, wie die aller Niedersachsen, sehr breit, sehr lang und geräumig sind. An Pilotis können natürlich nur Leute wie die reichen Venetianer denken.

Aber auch der Sand ist hier, wie ich schon andeutete, eine große Rarität. Jede Ladung muß in Schiffen von entlegenen Dünen hergefahren werden. Und wenn sie einmal eine Schiffsladung Sand haben, so wissen sie in ihrer Ackerwirthschaft so viel Verwendung dafür, um einen nöthigen Communicationsweg festzumachen, um die Oberfläche eines Getreidefeldes zu verbessern, daß es als eine wahre Verschwendung und Riesenarbeit erschiene, ein 30 Fuß tiefes Loch von der Größe eines niedersächsischen Hauses damit auszufüllen. Zuweilen verfahren sie indeß wohl so, daß sie da, wo die Mauern des Hauses stehen sollen, einen tiefen Graben durch die ganze Moorschicht hin aushöhlen, diesen Graben voll Sand schlemmen und darauf dann die Mauern bauen. Gewöhnlich aber wird nur ein einige Fuß dicker Sandhügel, eine „Warf“, über dem Moor hin ausgebreitet, und die Häuser darauf errichtet.

Dies giebt anfänglich für eine neue Anlage einen ziemlich unsicheren Untergrund. Das Torfmoor ist der Zusammenpressung fähig. Der Sandhügel (die Warf) sinkt im Laufe der Jahre mit sammt dem Hause ein. Zuweilen sinkt er auf der einen Seite mehr ein, als auf der andern, und das Haus kommt dann mit der Zeit so schief und tief zu stehen, daß die Leute sich zum „Aufschrauben“ entschließen [679] müssen. Zum Aufschrauben der Häuser sind die Dorf- Zimmerleute in diesen Wasserländern durchweg eingerichtet. Sie haben hölzerne, etwa vier Fuß lange Schrauben. Von denen setzen sie ein oder zwei Dutzend unter das Haus und schrauben es mit Allem, was es enthält, in die Höhe. Indem sie immer wieder Sand oder Stein-Grus, oder was sie sonst zum Ausfüllen des Zwischenraums zur Hand haben, nachschieben, können sie das Haus 5 bis 6 Fuß oder auch so hoch, wie sie wollen, bringen. Aber natürlich strapazirt dies die alten Gebäude sehr. Es giebt dabei Vieles im Innern und in dem Mauerwerk zu flicken und zu bessern, und sie sitzen daher in ihren schiefen mit versinkenden Häusern so lange, wie sie es aushalten können.

„Ich habe schon drei Mal in meinem Leben schrauben lassen,“ sagte mir einer dieser Wasserleute. „Ich habe mich aber jetzt entschlossen, wenn ich wieder zu tief sinke, lieber ganz neu zu bauen. Es macht mir zu viel Kosten und Umstände.“ Mancher Arme hat auch nicht das Vermögen zum „Schrauben“ und muß dann wider Willen in seiner schiefen Wohnung aushalten. So lange das Haus oder die Warf noch neu sind, muß wohl alle zehn Jahr einmal „geschroben“ werden.

Mit der Zeit wird der Boden fester und fester, die Torfmoore unten compacter zusammengepreßt, die „Warf“ dicker und solider, und Alles setzt sich dann in’s Gleichgewicht. Die Leute freuen sich daher, wenn sie auf recht alten Warfen wohnen. „Meine Warf,“ rühmte sich gegen mich Einer, „ist über 100 Jahr alt. Mein Vater und Großvater und Urgroßvater haben schon so viel Grus, Balken, Ziegelsteine und Sand hineingesteckt, daß mein Haus feststeht, wie auf Felsen gebaut.“

Dies Alles sind zwar keine ausschließlichen Eigenthümlichkeiten in Wakhusen. Man findet es so vielmehr mit Abwechselungen in allen den wässrigen Moor-und Marschdistricten Nordwestdeutschlands. Aber man wird bald sehen, daß es nöthig war, hier einleitungsweise an diese Dinge zu erinnern, um die Erscheinungen beim „schwimmenden Lande“ zu verstehen.

Die Torfmoor-Schicht – auch dies muß ich noch vorher bemerken – besteht aus verschiedenen Lagen von sehr abweichender Schwere und Qualität. Oben kommt zuerst eine Schicht, in der die Pflanzentheile, welche die Moore bilden, noch unvollkommen zersetzt oder vermodert sind. Sie hat eine hellbraune oder graue Farbe, und die Leute nennen sie „de witte Moor“ (das weiße Moor). Sie ist federleicht und schwimmt wie Korkholz auf dem Wasser. Weiter unten wird das Moor brauner und gewichtiger und zuletzt ganz schwarz und ganz schwer.

Das Moor ist durchweg eine ziemlich locker zusammenhängende Masse, in der sich eine Schicht leicht von der andern löst. Wenn nun im Frühling bei der Schneeschmelze auf den weiter im Innern des Landes liegenden Hochmooren die Hamme, der Fluß, in dessen Niederungen Wakhusen liegt, anschwillt und alle Canäle und Gräben sich mit Wasser füllen, auch das Moor selbst sich durchweg wie ein Schwamm vollsaugt, so bläht sich vermuthlich wohl die ganze Gegend mit Allem, was auf dem anschwellenden Moore liegt, ein wenig auf. Am meisten aber fühlen sich die leichten Schichten, „das weiße Moor“, gehoben, und sie kommen, indem das Wasser zwischen ihnen und den braunen und schwarzen Schichten eindringt und sie aus einander reißt, am ehesten zum Schwimmen. Sehr viel hilft dabei auch der Frost, der, wie ich sagte, nicht nur das obenstehende Wasser, sondern auch die oberen Moorschichten zu einer dadurch noch leichter werdenden Masse gefrieren läßt. – Gewöhnlich ist die Schicht, welche sich abhebt und zum Schwimmen kommt, nur 5, 6 bis 8 Fuß dick, und zuweilen noch viel dünner. Mitunter sollen aber auch 20 Fuß dicke Erdschollen zum Schwimmen gebracht werden. – Man kann sich übrigens denken, daß je nach der Höhe und Gewalt des Wasserstandes, nach der Stärke des Frosten und nach den verschiedenen Graden der Festigkeit und des Zusammenhangs der weißen, braunen und schwarzen Torfschichtung dies Alles sehr verschieden ausfällt.

Häufig ist der Teppich der schwimmenden Wiesen so dünn, daß, wenn man mit einem Wagen darüber hinfährt, der Boden sich unter den Pferden tief senkt, hinter dem Wagen aber wieder emporhebt. Ja zuweilen vermögen die jungen Füllen, indem sie darüber hinlaufen, das Ganze in Schwankung zu versetzen, so daß der Boden hinter ihren flüchtigen Hufen Wellen schlägt, wie ein ausgespanntes Tuch. – Die im Orte selbst aufgewachsenen Thiere wissen aber sehr gut zu beurtheilen, wie weit sie sich hinauswagen dürfen, und sie vermeiden bei ihren Spielen die Stellen, wo das schwimmende Erdreich so schwach wird, daß es sie nicht mehr tragen könnte.

In uralten Zeiten ist wahrscheinlich ein stundenlanger Strich Landes in vollem Zusammenhange längs der ganzen Hammeniederung zum Schwimmen oder, wie sie hier gewöhnlich sagen, „zum Treiben“ gekommen. Seitdem sich aber der Mensch auf dieser Scholle niedergelassen, seitdem er tiefe Canäle und Gräben gezogen, Häuser gebaut und das Land auf mannigfaltige Weise zerstückt hat, ist dies nicht mehr der Fall. Der Boden kommt nun nur noch stückweise „zum Treiben“. Ueberall, wo das Torffloß mit schweren Dingen belastet ist, kann das Wasser das Gewicht nicht mehr heben, reißt die leichteren Partien von den schwereren los, läßt diese liegen und bringt jene in die Höhe. Dies ist begreiflicher Weise namentlich bei den mit Sand und Häusern beschwerten Warfen der Fall. Diese schwimmen gar nicht mehr, sondern wackeln und beben höchstens noch zu Zeiten oder sinken, wie gesagt, wohl einmal ein wenig ein. Ebenso bleiben auch alle anderen stark beschwerten Landparcellen im Wasser stecken. So die Fahrwege, die, um sie gangbarer zu machen, im Laufe der Jahre mit viel Sand bedeckt wurden, und die das Wasser nun nicht mehr tragen kann. So weit die Chausseegräben gehen, lösen sich diese Wege von den Aeckern zu den Seiten los. Die Sandchaussee bleibt liegen, und die Felder zu beiden Seilen steigen in die Höhe.

Man kann sich denken, was dies allein schon für eine Verschiebung im Lande giebt. Liegen Stege oder Brücken über die Gräben, so bleibt beim Hochwasser zuweilen das eine Ende derselben in der Tiefe stecken, während das andere sich hoch emporhebt und auf den schwimmenden Acker wie auf einen Berg hinaufführt. Hat man die Pfähle der Brücke sehr tief in die untere stets ruhige Erdschichte eingerammt, so bleibt die Brücke fest, und das steigende Land schiebt sich an den Pfeilern in die Höhe. – Behandeln sie ein Stück Land immerfort als Wiese oder Weide, so verändert es sein Gewicht nicht und kommt jedes Jahr „zum Treiben“. Bebauen und beackern sie es aber, so wird es allmählich durch den jährlich aufgeführten Dünger und den Sand, den sie auch gern unter ihre torfige Ackerkrume mischen, immer schwerer und verliert am Ende die Fähigkeit zum Treiben. Es sinkt, bleibt im Wasser stecken und wird dadurch unfähig, ferner als Ackerland benutzt zu werden. Man sieht hieraus, daß das „schwimmende Land“ für die Walkhusener eine große Wohlthat ist. Ein Acker, der nicht mehr „treibt“, ist für sie verloren. Sie können ihn ferner nur noch als Sommerwiese benutzen. Nur auf dem „schwimmenden Lande“ können sie Korn säen, auf ihm haben sie ihre Gärten. Das schwimmende Land erzeugt, wie jene „Dobben“ in den alten Flußarmen, von denen ich oben sprach, die besten Kräuter und Wiesen. Am liebsten erhielten sie ihre ganze Feldmark mit Allem, was daraus steht, wie ein mächtiges Floß beständig im Schwimmen.

Das Dorf und seine Bewohner eilt daher auch, so zu sagen, immer dem schwimmenden Lande nach. In früheren Zeiten lagen sie dem Flusse Hamme weit näher als jetzt. Weil dort aber durch Bewohnung und Bebauung in der angegebenen Weise das Land Stück für Stück schwerer wurde und sich nicht mehr über das Wasserniveau erhob, immer tiefer versumpfte, so haben sie sich immer weiter vom Flusse weggezogen. Dort ist die Wüstenei immer größer geworden, und sie zeigten uns noch einige ein wenig erhöhte Bodenstellen, auf denen früher Häuser lagen, jetzt aber nur einige Disteln wuchsen. Wenn sie erst einmal alles schwimmende Land niedergearbeitet, befestigt und ertränkt haben, dann ist es aus mit den armen Wakhusenern, denn ihre ganze Wirthschaft ist, wie die der Floßbewohner und Gärtner der chinesischen Flüsse, auf’s Schwimmen berechnet.

Zuweilen, wenn ein Acker schon anfängt unsicher, d. h. hier zu Lande fest zu werden, wagen sie es wohl noch, ihm eine Einsaat anzuvertrauen. Mitunter gelingt dies, das Land hebt sich noch einmal zu ihrer Freude empor. Mitunter aber auch ist es vorbei. Es kommt nicht wieder, und die Einsaat, die den Winter und Frühling und zuweilen auch den ganzen Sommer über im Wasser bleibt, ist dann verloren. Natürlich heben sich die Aecker nicht alle zu gleicher Zeit. Vielmehr steigt je nach der Dicke der weißen Torfschicht und je nach tausend andern Zufälligkeiten ein Stück Land früher und leichter im ersten Frühjahr empor, als das andere. Einige Stücke bleiben wohl beinahe das ganze Jahr hindurch schwimmen. Das sind die besten.

[680] Es hat begreiflicher Weise einige Schwierigkeiten, einen so zerlappten, mit tiefen Wasserrillen zerschnittenen schwimmenden Acker zu bepflügen. Aber, wie gesagt, die Pferde des Landes sind klug und sie wissen während der Arbeit gleich auch einen solchen verrätherischen Riß, unter dem tiefes Wasser lauert, zu erkennen und zu vermeiden, auch wenn ihr Herr ihn übersehen haben sollte.

Die Differenz zwischen dem niedrigsten Wasserstande im Sommer, bei welchem das meiste Land in Wakhusen fest auf dem Boden ruht, und dem höchsten Wasserstande, bei welchem fast Alles schwimmt und treibt, wie Rahm auf der Milch, beträgt wohl zehn Fuß, und so hoch also können denn auch die Aecker und die auf ihnen wachsenden Bäume über ihren gewöhnlichen Standpunkt hinausgehoben werden. Steigen die Aecker und Wälder oder Gehölze umher, wie es ausnahmsweise geschieht, sogar 12 Fuß und mehr, so verändert dies die ganze Physiognomie des Landes. Die Häuser auf ihren festen Sandhügeln liegen dann tief, und die Gärten und Aecker schwimmen hoch aufgetrieben um sie her, und man erhebt sich zu ihnen vom Hause aus auf Stegen und Leitern.

So lange das Wasser in den Wohnungen noch leidlich niedrig steht, behelfen sie sich erst auf allerlei Weise. Sie machen für das Vieh im Stalle ein Bretergerüst, auf das sie die Kühe wie auf eine Tribüne hinauftreiben. Zuweilen fahren sie auch wohl mit einem großen Boote in die weite Haustenne hinein, binden dasselbe an die Balken und machen daraus, indem sie das Vieh einschiffen, einen temporären Stall. Auch für ihr Heerdfeuer mitten im Hause errichten sie ein Bretergerüst, bedecken dasselbe mit Sand und zünden darauf dicht über dem Wasserspiegel die häusliche Flamme an. Zuweilen wird auch wohl ein großer, eiserner Braukessel an einer Kette über dem das Haus füllenden Wasser aufgehängt und in ihm das Feuer angemacht. Sie selber hausiren und schlafen auf dem Boden, steigen auf Leitern zu dem Feuerheerde und zum Vieh in der Haushalle, die zu einem Wasserkeller geworden ist, hinab.

Können sie das Haus auf keine Weise mehr halten, so bleibt zuletzt nichts übrig, als auf den schwimmenden Acker oder Wald daneben hinauszuziehen. Da errichten sie temporäre Hütten und Schuppen, treiben auf rasch construirten Brücken ihr Vieh hinaus und campiren daselbst – oft wochenlang – bis die Fluth wieder sinkt und die Häuser und Stallungen frei werden. Ein alter Mann in Wakhusen erzählte mir, daß er sich während seines Lebens schon vier Mal auf diese Weise mit seiner Familie, seinem ganzen Haus- und Viehstande unter die Bäume seines schwimmenden Waldes habe retten müssen.

Wie gesagt, hätten die Wakhusener nicht die Wohlthat des schwimmenden Landes, so wären sie längst hundert Mal mit ihren Thieren verhungert oder ertränkt. Diese guten Leute begreifen daher gar nicht, wie andere Menschen ohne „schwimmendes Land“ existiren können, und beklagen die, welche keines besitzen.

Ihr schwimmendes Land ist immer, selbst in regenloser Zeit, von unten her herrlich gewässert. Es ist auch vor zu viel Regen gesichert, da dieser leicht davon abläuft. Auch bei Überschwemmungen können die schwimmenden Stücke nie durch Verschlämmung verdorben werden, da sie immer über sie höchste Fluth sie Oberhand behalten. Ein Stück Wiesenland, das vorher, so lange es fest war, vielleicht blos wildes Gras, Schilfe, Binsen und Riethe erzeugte, verbessert alsbald, wenn es zum Treiben kommt, ganz von selbst seine Pflanzendecke, besamt sich in der Luft und dem Sonnenschein, dem es sich öffnet, mit feineren und gesunderen Gräsern. Kein Wunder also, daß unsere gefälligen Wakhusener, die uns in der Dorfflur herumführten, von jedem Garten-, Acker- und Gehölzstücke genau zu sagen wußten, ob es zum Treiben komme oder ob es stecken bleibe.

Für gewöhnlich und im Ganzen hat es mit der bloßen Erhebung des Landes sein Bewenden. Die gelösten Aecker steigen im Winter ruhig und allmählich in die Höhe und sinken am Ende des Frühlings wieder in ihre Plätze zurück, kleine Veränderungen und Dislocirungen des Erdreichs kommen zwar jeden Winter vor, wie man dies bei einer so großen Zerreißung des Rasenteppichs natürlich finden wird. Beständig werden kleine Stücke Landes vom Wasser nicht mit gehoben, sondern auch von der thalwärts ziehenden Strömung mit fortgeführt und weit von ihren, Heimathsorte wieder deponirt.

Meistens sind es solche Dobbenstücke, wie ich sie oben beschrieb, die mit dem Eise zusammengefroren sind und von den Schollen weggeführt werken.

„Bei mir,“ sagte mir ein Dorfbewohner, der mir seine Aecker zeigte, „schwimmt alle Frühlinge irgend etwas heran und setzt sich auf meinem Lande fest. Ich weiß gar nicht, woher es kommt, und erfahre auch fast nie, wem es gehört hat, und ich habe immer meine liebe Noth damit!“ – „Freuen Sie sich denn nicht über den Zuwachs?“ – „I bewahre!“ erwiderte er, „ja, wenn es Sand wäre, dann wollte ich mich wohl freuen. Aber es sind immer nur garstige Moorflecken und Torf-Inseln, die mir in meinen Garten dringen, oder sich wie Schlammhaufen auf meine Aecker und Wiesen legen. Wir haben nachher viel Arbeit und Mühe. sie wieder wegzugraben ober auszuebenen. Und ist einmal etwas Werthvolles darauf, gedüngtes Land oder Baumwuchs, so kommt gewöhnlich der Eigenthümer in einem Schiffe hinterdrein gefahren, reclamirt und führt das Brauchbare wieder zurück. Meistens vereinigen wir uns gütlich über die Sache und theilen den Schaden, den Vortheil und die Arbeit bei der Wegschaffung und Zerlegung dieser gestrandeten Insel gemeinschaftlich.“

So, sage ich, geht es gewöhnlich her. Wenn sich aber im Frühling, wie es zuweilen geschieht, ein heftiger Westwind aufmacht, dann wird der Aufruhr und die Unordnung unter den zerstückten Landpartien der Wakhusener größer. Dann setzt sich der Luftstrom hinter die Bäume, die auf den zum Theil noch gefrornen und durch tiefe Gräben von einander geschiedenen Erdschollen stehen, bringt Locomotion in sie hinein und läßt sie auf einander stoßen, wie im Hafen liegende Schiffe, wenn ein Sturm zwischen die Flotte fuhr. Zuweilen nimmt dann der Wind wohl ein größeres Stück Land mit fort und treibt es, die Bäume wie Segel blähend, weit in’s Wasser hinaus, wie Plinius dies beschreibt, wenn er sagt, „die großen Eichen mit ihren Zweigen auf den schwimmenden Inseln der Weser hätten wie rudernde Riesen ausgesehen.“

Gewöhnlich aber bleibt es auch dann nur bei den kleinen Verschiebungen und Verwirrungen, die indeß immerhin störend genug sind. So zeigten uns unsere Leute ein Stück bewaldeten Landes, das wohl einen halben Morgen groß, mit einem dichten Gehölze von Tannen, Birken, Erlen, Eichen besetzt war, und das der Wind vor einigen Jahren aus seiner Stelle getrieben hatte. Es war ganz in den breiten Canal hineingefahren, der es von der Besitzung des Nachbarn trennte, und hatte diesen geschlossen.

Da diese Canäle, wie gesagt, die Landstraßen der Gegend sind, so sollte in dem besagten Falle die Verstopfung wieder beseitigt werden, und dem Eigenthümer des dislocirten Waldes drohte der Verlust eines schönen, breiten Streifen Landes, den man weggraben wollte. Um diesem Verluste zu entgehen, entschloß sich der Besitzer lieber zu einem anderen Verfahren.

Er griff zu den Schrauben, mit denen sie hier ihre Häuser aus dem Sumpfe zu bringen gewohnt sind. Es wurden auf beiden Seiten der beiden auf einander gedrängten Felder Balkengerüste befestigt, eine Anzahl von Schrauben längs der ganzen Linie gesetzt und diese dann von den Zimmerleuten und helfenden Nachbarn gleichzeitig angespannt. Zugleich hatte man auch auf der anderen Seite der Insel Stricke an sie Bäume gebunden, die man von den benachbarten festen Haus-Warfen aus ebenfalls anzog. Und so wurde die ganze Insel wieder in ihre frühere Lage zurückgebracht. Aehnliche Operationen sind in Wakhusen im Laufe der Jahrhunderte schon oft vorgekommen, und die Leute sind darauf eingeübt.

Den großen Bäumen, die zuweilen auf dem schwimmenden Erdreiche stehen, geht es, wie man sich leicht vorstellen kann, häufig nicht anders als den Häusern. Sie gerathen, wie diese, in allerlei schiefe Stellungen. Bei den Erdrissen, die da entstehen, wo sich das feste vom treibenden Erdreich löst, fallen sie oft ganz um oder werden auch in’s Wasser hinausgeworfen. Da sie meist in einer sehr lockeren Krume wurzeln, so treibt sie der Wind zuweilen wie die Halme eines Aehrenfeldes haufenweise über einander. Allein auch die Bäume des Landes sind auf solche Vorfälle gefaßt. Im Sommer, wenn der Boden sich setzt, und ihre Wurzeln unten wieder in’s Gleichgewicht bringt, stehen sie gesund und frisch wieder auf und richten sich in Reih und Glied wie zuvor.

Ein Wakhusener erzählte mir, wie einmal auf seinem Lande eine große schöne Eiche umgestürzt sei und flach am Boden dagelegen habe. Er glaubte, daß sie sich nie wieder aufrichten würde, [681] und machte sich in dieser Meinung darüber her, den Baum zu vernutzen. Er entlaubte einige Zweige der großen Krone, hieb auch mehrere Aeste aus und beschäftigte sich damit einen ganzen Tag. Wie groß aber war seine Verwunderung, als er am andern Morgen mit der Absicht, das Zerstörungswerk fortzusetzen, zu seiner Eiche zurückkehrend, diese munter und gerade wie ein Soldat da stehen sah! Wahrscheinlich hatte sich der Boden über Nacht gesenkt, und es waren dabei einige der untern Wurzelzweige angedrückt. Vielleicht war auch einige Spannung in denjenigen Wurzeln gewesen, die beim Umsturz des Baumes noch mit dem Boden in Verbindung geblieben waren. Durch die theilweise Entblätterung seiner Krone hatte der Baum an diesem Ende Erleichterung bekommen, und kurzum, er war umgeschnappt, und noch am heutigen Tage zwitscherten wiederum die Vögel und säuselten die Winde in seinen wieder belaubten Wipfeln.

Dies sind denn so einige von den bunten Ereignissen und sonderbaren Zuständen, zu denen das Phänomen des schwimmenden Landes bei Walkhusen Veranlassung giebt. Der Leser mag sich denken, daß es noch viele ähnliche giebt, von denen ich bei der Kürze meines Aufenthalts nichts in Erfahrung brachte, oder von denen es zu weitläufig sein würde hier zu sprechen.



  1. Aliud e silvis miraculum.