Textdaten
Autor: Ferdinand Tönnies
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Titel: Das Recht auf Arbeit
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aus: Zeitschrift für Sozialforschung, Jg. 4, S. 66–80
Herausgeber: Max Horkheimer
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Erscheinungsdatum: 1935
Verlag: Librairie Felix Alcan
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Erscheinungsort: Paris
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Quelle: Commons
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[66]
Das Recht auf Arbeit.
Von.
Ferdinand Tönnies.



Vorbemerkung. Dem Wunsch von Geheimrat Tönnies, ihm unsere Zeitschrift für eine ausführliche kritische Beurteilung der Arbeit des norwegischen Professors Bosse über das Recht auf Arbeit zur Verfügung zu stellen, sind wir gerne gefolgt, obwohl Problemstellung und Problembehandlung in diesem Werk uns nicht im Zentrum der gegenwärtigen Aufgaben der Sozialforschung zu stehen scheinen. Es wird von allgemeinem Interesse sein zu hören, wie Professor Tönnies, der die Soziologie auf deutschen und ausserdeutschen Universitäten nachhaltig beeinflusst hat, in der heutigen Situation wissenschaftlich argumentiert. Eine Stellungnahme behalten wir uns vor. Die Schriftleitung.

Recht auf Arbeit ist eine Formel, die dadurch sich empfiehlt, dass sie Ansprüchen, die sonst willkürlich und dreist erscheinen mögen, ein Selbstvertrauen auf ihre moralische Begründung verleiht, das im Kampfe der Parteien und auch der wissenschaftlichen Meinungen umso wertvoller sich geltend macht, je mehr das Recht als solches beachtet und der Staat wesentlich als zur Verwirklichung des Rechtes bestimmt gedacht wird. Dies aber ist der Kern des politischen Liberalismus, der bis in die jüngste Zeit als die formale Denkungsart des Bürgertums, des Bürgertums als Träger der höheren Gesittung und des Fortschrittes der Kultur im allgemeinen, besonders im literarisch kundgegebenen Bewusstsein der ihrer selbst bewussten Nationen Europas wie seiner Pflanzstätten begründet und gesichert schien. In jüngster Zeit ist dieser politische mit dem ökonomischen Liberalismus in eine schwere Krise geraten; nicht die erste, aber seine bisherigen Krisen rührten nur von dem Wiederaufleben der scheinbar überwundenen konservativen, ja reaktionären Denkungsart her, während neuerdings die durch ihre Volkstümlichkeit bedeutende Gegnerschaft des Sozialismus immer merkbarer hinzutritt, wenngleich man urteilen mag, dass in Wirklichkeit immer noch der alte Gegner des Liberalismus auch sein mächtigster Gegner geblieben ist und dass dieser als erfahrener Kämpfer und geübter Taktiker die Bundesgenossenschaft und Mitwirkung von Prinzipien sich gefallen lässt, die er sonst mindestens mit dem gleichen Hasse und sogar mit grösserer Verachtung [67] betrachtet als die des Liberalismus, denen man wenigstens nicht die Legitimität des Tatsächlichen streitig machen kann, eine Legitimität, die in mehr realistischer Form als die Macht des Geldes oder des Kapitals oder der hohen Finanz gedeutet wird.

Merkwürdig ist nun aber, dass gerade jenes liberate Schlagwort — das Recht auf Arbeit — eine nicht geringe Bedeutung in der Entwicklung des Sozialismus und der sozialen Bewegung erlangt hat, wenn auch diese Bedeutung nur sporadisch und vorübergehend in mehreren Ländern zur Geltung gekommen ist: zuerst in Frankreich, dann im Deutschen Reiche, in Grossbritannien und neuerdings überall, besonders in mehr entlegenen Ländern, wo die kommunistische Theorie dankbaren Boden findet, die sich aller ihr brauchbar erscheirienden Mittel bemächtigt. — Überall, wo die Formel auftrat und ihr Haupt erhob, ist sie auch lebhaft und heftig erörtert word en. Man hat mit gutem Grunde ihr Unklarheit und mangelhafte logische Beschaffenheit vorgeworfen. Denn wenn es offenbar den Begriffen des Naturrechts und der durch die grosse Revolution weltberühmt gewordenen Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte zwar nicht entlehnt, aber nachgebildet wurde, so unterscheidet sich doch das Recht auf Arbeit von allen jenen subjektiven Rechten, die eine Freiheit, also eine Möglichkeit der Erlaubtheit bezeichnen — denn es kann nicht wohl die Freiheit zu arbeiten gemeint sein, weil dieser zwar manche andere Hindernisse, aber nicht solche des objektiven Rechtes gegenüberstehen. Freilich der Zwang zur Arbeit, der diese Freiheit am deutlichsten verneint, wird eben deshalb als Unrecht angeklagt, aber ihn meint wieder unsere Formel nicht, vielmehr setzt sie seine Abwesenheit voraus und will behaupten, dass es ein natürliches Recht auf freie Betätigung der Arbeitskraft, die ein Mensch sein eigen nennt, gegenüber den tatsächlichen Hemmungen gebe, die aus den Umständen der sozialen Lage des einzelnen Menschen, also aus der gesamten sozialen Verfassung, in die er hineingeboren oder -geraten ist, mithin auch aus dem positiv geltenden Recht, regelmässig hervorgehen.

I.

Die jüngste und, wie mir scheint, gründlichste Studie über das Recht auf Arbeit rührt von einem norwegischen Gelehrten her[1], der aber eine Zeit lang in Kiel gewirkt hat und daher auch in deutschen Landen bekannt geworden ist. Prof. Bosse hat sein erstes grosses Werk, das aus einer Kieler Dissertation erwachsen [68] beschränkt und erst später auf Kategorien minderer Gefahr ausgedehnt hat, ist zwar in vielen Einzelheiten die Einrichtung von vornherein sorgfältig ausgearbeitet, aber es sind weder die Gefahrenklassen hinlänglich unterschieden, noch hat in der so bald hereingebrochenen schweren Krisis die Versicherung als hinlänglich stark sich erwiesen, und dies ist offenbar das schlimmste mögliche Gebrechen. Das gilt auch fur Deutschland. Wertvoll und richtig war hier der Gedanke, einen Notstock zu bilden, der mindestens in der Höhe der Beitrage gehalten werden muss, die zur Unterstützung von 600.000 Arbeitslosen fur drei Monate erforderlich sei (§ 159, 1). Und es ist vorgesehen (§ 160), dass wenn der Notstock erschöpft oder auch nur die Gefahr vorhanden sei, dass er sich erschöpfe, der Beitrag für das Reichsgebiet von neuem festzusetzen sei. Der Notstock ist von Anfang an und immer wieder schnell erschöpft gewesen. Er bedarf also offenbar einer besseren Ernährung. Diese kann ihm nur zugeführt werden durch das Kapital. Und es kann leicht abgeleitet werden, dass das Kapital allein dazu berufen, wie es allein dazu fähig ist, und zwar im Verhältnisse zu seiner Stärke. Der erwähnte und schon darf man sagen allgemein anerkannte Anspruch der Lohnarbeiter als Klasse auf einen gerechten Anteil am Sozialprodukt ist in erster Linie ein Anspruch an das Kapital, das die Arbeit beschäftigt und aus ihr Gewinne erzielt. Erhöhung der Löhne und Gehälter bedeutet — nicht im einzelnen Falle, wohl aber wenn man auf die gesamte Verteilung sieht — eine Verminderung aller anderen Einkommensarten. Das Kapital ist in erster Linie verantwortlich für die Arbeitslosigkeit. Denn nachweislich gehen ihrem Wachstum regelmässig Überspannungen der kapitalistischen Produktion voraus, die in Überspannungen des Kredits und neuerdings besonders in ungeheuren Erhöhungen der Produktivkraft der Arbeit vermöge immer mehr rationalisierter Technik ihre Ursache haben. Wenn die Verpftichtung dem Kapital auferlegt würde, einen Notfonds für die immer zu erwartenden Phasen der Krise zu begründen und zu unterhalten, so dürfte diese Bedingung von vielen unternehmenden Geistern als eine schwere Hemmung empfunden werden, aber diese Hemmungen würden der Volkswirtschaft und mittelbar ihnen selber heilsam sein, denn alles, was in der Unternehmung gesund wäre, würde umso weniger davon betroffen werden. Am meisten betroffen würde die unbesonnene Spekulation, die schrankenlose Ausdehnung des Kredits, der Hasardcharakter, der dem (kapitalistischen) Handel und ebensosehr der Produktion zum allgemeinen Schaden anhaftet. Die Ansammlung eines Reservefonds für Arbeitslose hätte noch den besonderen Nutzen, den inneren Markt vor allen schweren Erschütterungen zu schützen, weil die Kaufkraft [69] als welche er die sozial vorschauenden Massnahmen versteht, 3. die sozial-ethischen Richtlinien, die auch enthalten, was für den Schutz der moralischen und religiösen Persönlichkeit bestimmend ist. In keine dieser Kategorien scheint ihm das Recht auf Arbeit hineinzupassen. Nirgendwo — so führt er weiter aus — habe es im neunzehnten Jahrhundert schon eine rechtliche Anerkennung gefunden. Dieser Fortschritt sei erst mit den Nachkriegsjahren gemacht worden, und zwar in zwei charakteristischen Formen: überwiegend theoretisch in Deutschland, ausschliesslich praktisch in England, sowohl theoretisch als praktisch in Russland. Der Verfasser hält selber hier eine theoretische Konstruktion für notwendig, denn das Recht auf Arbeit habe seinen Grund teils in dem Verhältnis, das der Arbeiter zum Produkt seiner Arbeit habe, teils im Verhältnis zwischen Käufer und Verkäufer der Arbeitskraft. Nach beiden Richtungen gibt der Verfasser nähere Ausführungen. Zunächst beruft er sich auf § 950 des deutschen BGB, das die alte Kontroverse des römischen Rechtes zugunsten der Spezifikation oder der Formgebung entscheidet, was freilich kaum jemals zugunsten der Arbeit, sondern fast immer zugunsten des Kapitals ausgelegt worden ist[2]. Richtig betont Bosse, dass das Recht auf das gesamte Arbeitsprodukt, von dem so oft die Rede gewesen ist, seiner Struktur nach durchaus von dem Recht auf Arbeit verschieden sei. Er meint, es werde überhaupt kaum gelingen, in der Frage des eigentlichen Rechtes auf das Arbeitsprouukt zu einem Ergebnis zu kommen, wenn man die Begründung auf dem ökonomischen Gebiete suche. Die Lösung liege vielmehr [70] auf dem soziologischen Gebiete. Das Charakteristische der Arbeit in der modernen Ökonomie liege nämlich in ihrer Abhängigkeit und deren Grund in dem Verhältnis zwischen Kapital und Arbeit. Hier werde, wenn auch kein rechtlicher, so doch ein faktischer Zwang ausgeübt, als Folge davon, dass ein jedes Individuum seine materiellen Bedürfnisse befriedigen müsse und wolle. Die "potestativen" und die "attraktiven" Funktionen des Eigentums wirken in diesem Sinne zusammen, und darauf beruhe das soziologische Missverhältnis zwischen den Vertretern der bei den grossen Produktionsfaktoren und habe die Veranlassung gegeben zum Gegensatz und Streit zwischen den Gesellschaftsklassen: aus diesem Streit aber sei offenbar der Gedanke des Rechts auf Arbeit entsprungen. Merkwürdig für die moderne wirtschaftliche Entwicklung sei es, dass das Kapital in seiner Eigenschaft als Besitz mehr und mehr in den Hintergrund getreten sei gegenüber dem Kapital in seiner Eigenschaft als Funktion, wie sie auch in der neuen deutschen Reichsverfassung zur Geltung komme. Aber nicht nur in Deutschland, sondern allgemein gewinne die Auffassung mehr und mehr Boden, dass allein wichtig die vom Eigentum ausgehenden Energien sind, während es verhältnismässig gleichgültig sei, wem das Kapital gehöre, das Gegenstand des Eigentumsrechtes sei (ausgenommen sind natürlich Konsumtionsmittel). Notwendig folge aber aus den dynamischen Funktionen des Kapitals, dass ein überindividuelles Betriebsrecht im Unterschiede zum bürgerlichen Recht sich entwickle, weil dieses wesentlich auf die statischen Eigenschaften des Kapitals sich beziehe und an das Verhalten des Individuums geknüpft sei. Offenbar wolle das Recht auf Arbeit als Korrelat zur einseitigen Machtstellung des Eigentumsrechts sich behaupten. Angedeutet wird hier auch, dass in letzter Linie es sich nicht um das spezifische Gewicht der Produktion von Gütern, hingegen der Entwicklung von Menschen sich handle.

II.

Dies alles dient als Einleitung zu dem Kapitel über Wesen und Werden der Arbeitslosigkeit, weil diese die notwendige Voraussetzung für die Forderung des Rechts auf Arbeit bilde. Entscheidend wirke das Verhältnis zwischen Arbeit und Eigentum. Die Arbeitslosigkeit breite umso stärker sich aus, je mehr das Besitzmoment vorherrschend und die Aufgabe des Kapitals als Funktion davon überwogen werde. Nach einem Rückblick auf vergangene Zeiten und Hervorhebung der Bedeutung, die der Geldwirtschaft auch für diese Frage zukomme, wird die Meinung abgewiesen, die noch bei den Klassikern sich finde, dass die eigentliche Schuld bei den [71] Arbeitern liege; heute gebe es kaum noch eine Meinungsverschiedehheit darüber, dass sie in der Hauptsache der kapitalistischen Betriebsweise zugeschrieben werden müsse. Dies sei eben die objektive Arbeitslosigkeit, der gegenüber die subjektive, die auch Mangel in Fähigkeit und Willen in sich enthält, von geringer Bedeutung sei. Die wirkliche Arbeitslosigkeit als Massenerscheinung bezeichnet der Verfasser auch als strukturelle, und diese bildet für ihn die Grundlage, auf der das Recht auf Arbeit sich aufbaue: es sei eben die Konjunktur, worin jene beruhe, und diese stelle als konstruktiv verbunden mit dem kapitalistischen System sich dar. Der Verfasser setzt sich noch mit anderen Meinungen auseinander, die in ihren engen Grenzen richtig genug seien, z. B. dass die vorübergehende Erscheinung eines Überangebots auf dem Arbeitsmarkt als Folge rascher Vermehrung der Arbeiterklasse vorkomme. Eine ausführliche ökonomische Analyse schliesst sich an, die das bisherige Argument zusammenfasst und die Macht des Kapitals wie die Abhängigkeit in noch helleres Licht setzt, Mehr noch ist dem Verfasser gelegen an der dann folgenden soziologischen Analyse. Er geht hier ein auf das Zusammenarbeiten und dessen verschiedene Rationalisierung. Er gebraucht auch hier die Begriffe Gemeinschaft — wofür er das norwegische Wort "samfund" einsetzt — und Gesellschaft (selskap). Daraus — betont der Verfasser — dass das Zusammenarbeiten zwischen Klassen, wie es auf Ethik und Gemeinschaftsgeist gegründet war, gewichen und an seine Stelle Kampf zwischen den an der Produktion teilnehmenden soziologischen Gruppen getreten sei, müsse man erkennen, dass dadurch die arbeitende Klasse in eine noch schwierigere Lage als früher geraten ist. Die Zahl der Eigentumslosen sei gestiegen und damit auch die Chance für die Zunahme der Arbeitslosigkeit gewachsen — die berufene industrielle "Reservearmee" sei die Folge davon ; diese rühre aber auch von dem Umstande, dass sonst noch so viele Arbeiter in der einen oder anderen Weise mit dem Boden verknüpft waren, was allmählich selten, also eine Ausnahme, wurde. Zum Schlusse dieses Kapitels rühmt der Verfasser die englischen Versuche, städtische Arbeiter aufs Land zurückzubringen. Ich glaube, dass er von der Bedeutung und den Erfolgen dieser Versuche eine etwas zu hohe Vorstellung gewonnen hat.

III.

Im vierten Kapitel wagt nun der Theoretiker sich an eine Begründung des Rechts auf Arbeit. Und zwar stellt er die plilosophisch-ethische Begründung an die Spitze. Er scheint mir dadurch in einen Widerspruch zu seiner früheren Ablehnung des [72] Zusammenhanges zwischen Recht auf Arbeit und Sozialpolitik zu fallen, denn er hat ja die sozialethischen Motive fur diese nicht verleugnet. Hier bezieht er sich zunächst auf das rationale Naturrecht, nach dem es ehemals, als es die Meinung noch für sich hatte, sich von selbst verstand, dass der Mensch nicht hungern dürfe. Das ethische Moment kommt aber in hoherem Grade zum Vorschein in dem Gedanken, dass es mit den ethischen Gefühlen der Menschen nicht verträglich sei, andere Menschen ohne ihre Schuld schweren Leiden unterworfen zu sehen. Betont wird noch, dass auch bei dem ökonomischen Liberalismus eine gewisse Reaktion gegen den Egoismus, der aus jenem zu folgen schien, sich ausgebildet und dass diese Reaktion in dem Schlagwort von der "Menschenwürde" sich kristallisiert habe. Auf die Rolle, die dieser Begriff in der deutschen Philosophie gespielt hat, geht der Verfasser nur so weit ein, dass er meint, er sei auch für die Auffassung massgebend gewesen, die der Bismarckschen Sozialreform zugrunde lag. Man darf wohl sagen, dass dies ein Irrtum ist. Denn der Gesichtspunkt, den dieser hervorhob, war immer der des "praktischen Christentums", also theologisch-ethisch und caritativ. Übrigens ist die ökonomisch-juridische Begründung bei Bosse durchaus rechtsphilosophisch und hangt an dem Begriffe des Eigentums, der neuerdings seine Absolutheit eingebüsst habe, besonders im Verhältnis zur Arbeit, und in ausgesprochener Weise mit Pflichten verbunden werde, die im "Institut" des Rechts auf Arbeit ihren Niederschlag finden würden, wie sie auch der germanischen, von O. Gierke so nachdrücklich geltend gemachten Auffassung entsprechen: es werde aber in den meisten neueren Gesetzgebungen diese "soziale Funktion" wie im kommunistischen Rechtssystem schon praktisch geltend gemacht; dabei handelt es sich aber immer nur um die Verfügung der Produktionsmittel, also um das organisierte Eigentum, und dies liege wieder auf der gleichen Linie mit dem Begriff Gesellschaft im Gegensatz zum Begriffe Gemeinschaft. Damit geschieht schon der Übergang zur soziologischen Begründung, die hier erneut und unter den Gesichtspunkt gestellt wird, dass das Kapital als soziale Funktion soziologische Gruppierung bewirkt. Wenn diese Wirkung schon sehr alt sei, so sei doch in der neueren sozialen Entwicklung wichtig, dass die auf Koalition begründeten Interessenverbände entstanden und vorhanden seien. In der sozialen Funktion sowohl des Kapitals als des Menschen liege die soziologische Begründung für das Recht auf Arbeit. Der einzelne Mensch ist in ein Zwangs-Milieu gesetzt, von dem er abhängig ist; diesem gemäss stattet die Rechtsordnung Interessengruppen mit Rechten als Machtmittel aus, von denen die Eigentumsrechte weitaus die bedeutendsten sind. Es bedarf [73] eines Korrelats zu diesen für diejenigen, die keinen oder zu geringen Anteil daran haben. Denn auch der Vorzug, den das Eigentum geniesst, hat seinen Sinn nur darin, dass der Mensch als Mensch das Verlangen hat, zu leben und in der Lage zu sein, sich zu versorgen. Dadurch wird, wenn er seine soziale Pflicht erfüllt, auch seine Existenz gesichert. Und nichts anderes als eine Sicherung will das Recht auf Arbeit: es will Gerechtigkeit.

IV.

Das folgende Kapitel soil auf wenigen Seiten den Inhalt des Rechts auf Arbeit beschreiben. Vielfach sei es ausgedehnt worden auf die Facharbeit, andererseits habe man es mit dem "Recht auf Lohn" gleichgesetzt, was Bosse nicht gelten lässt, während er mit jener Ausdehnung einverstanden ist. Er verweilt dann bei der Deutung als Recht auf "Beschäftigung", das jedenfalls ein integrierender Teil des Rechts auf Arbeit, aber nicht mit ihm identisch sei. Jenes setze einen bestehenden Arbeitsvertrag, dieses setze Arbeitslosigkeit voraus. Auch sei jenes schon in den Gesetzgebungen mehrerer europaischer Staaten durchgeführt, dieses höchstens prinzipiell anerkannt, und es müsse ein Recht auf die Facharbeit in sich schliessen, sofern der Arbeiter, solche versteht. Das folgende grosse Kapitel (6) behandelt die "Verwirklichung des Instituts: Recht auf Arbeit" in mehreren Ländern, zuerst im Deutschen Reich. Denn Deutschland sei durch seine traurigen Zustände nach dem Kriege vorangeschoben worden und habe in einigem Masse auch in dieser Hinsicht anderen Ländern als Vorbild gedient. Der Verfasser stellt dann eine interessante Vergleichung an zwischen dem Deutschen Sozialisierungsgesetz vom 23. März 1919 und dem Artikel 163 der Reichsverfassung: dort der Ausdruck "„gewährleisten" — jedem Deutschen gewährleistet das Reich die Möglichkeit — , hier der Ausdruck "soll" (die Möglichkeit gegeben werden), womit der "Garantie" ihr Boden unter den Füssen weggezogen werde. Eine sozialpolitische Vorschrift, durch finanz- und wirtschaftspolitische Einschränkungen bedingt, sei übrig geblieben. Die Reichsverfassung anerkennt keine Pflicht für den Staat und gibt dem Arbeiter keine Klage. Auch gibt es kein Recht auf qualifizierte Arbeit, und der Arbeiter kann keine Ansprüche geltend machen, wenn etwa die Gesamtheit Arbeitsherr ist. Es folgen noch mit besonderer Beziehung auf Deutschland Abschnitte über Arbeitsvermittlung und die tatsächliche Unterstützung der Arbeitslosen. Der Arbeitsnachweis, dessen hoher Wert betont wird, sei nicht als Schritt zur Konstituierung des Rechts auf Arbeit zu schätzen, ebensowenig die "produktive" Arbeitslosenunterstützung. [74] Hierzu komme aber seit 1927 die Versicherung gegen Arbeitslosigkeit, mit der das Deutsche Reich etwas ins Hintertreffen geraten sei. Die besonderen Schwierigkeiten, unter denen Deutschland in diesen Jahren gelitten hat, werden wenigstens angedeutet. Ausführung dürfte man erwarten bei Vergleichung mit England.

Die Entwicklung in England und im britischen Reichvor und nach dem Kriege wird nunmehr ins Auge gefasst; auch die stetig fortschreitende Unabhängigkeit der Dominien und die dadurch bedingte Gefahr fur die Arbeit. Dazu die zunehmende Rivalität der Vereinigten Staaten, die zu gleicher Zeit Gläubiger der ganzen Welt wurden, nebst der steigenden Bedeutung Japans als Industriestaat. Andere Momente hemmten ferner die britische Ausfuhr von Industrieprodukten: die verminderte Kaufkraft der Abnehmer, der Ehrgeiz, die Lohnhöhe aufrechtzuerhalten (d. h. die Macht der Gewerkschaften), auch als die Preise auf dem Weltmarkt fielen, alle diese Momente mussten eine grosse Arbeitslosigkeit hervorrufen, wie sie tatsächlich bald nach dem Kriege sich entwickelt hat. Daraus ging nun eine energische Aktion des Staates hervor, anknüpfend an die alten Lloyd Georgeschen Gesetze, die sich an das deutsche Vorbild angeschlossen hatten. Nachdem das erste staatliche Versicherungsgesetz fur Grossbritannien nur auf zweieinviertel Millionen sich erstreckt hatte, ist der Kreis der Versicherten immer mehr erweitert worden, bis die Zahl durch die Gesetze und Verordnungen der Jahre 1920 bis 1925 auf rund 12 Millionen angewachsen ist. Bosse hebt besonders die Bedeutung des Komplexes von Massnahmen gegen die Arbeitslosigkeit hervor und den Kontrast gegen unsere Gesetzgebung, die zwar das Prinzip festgelegt, aber praktisch wenig geschaffen habe. Es ist das alte Lied, dass man den ungeheuren Schwierigkeiten wenig gerecht wird, unter denen das Deutsche Reich nicht nur infolge des Krieges, sondern erst recht infolge seiner Erschöpfung und seines erzwungenen Friedens gelitten hat. Wir meinen ja, dass wir diese Schwierigkeiten und Nöte laut genug in die Welt hinaus verkündet haben, aber der Ruf scheint kaum über die Grenzen des Reiches gedrungen zu sein. Auch das muss ertragen und sofern noch möglich verbessert werden. — An dritter Stelle erörtert unser Verfasser die grosse Umwälzung in Russland, wo allerdings mit dem Recht auf Arbeit bitterlich Ernst gemacht wurde, und zwar so, dass von vornherein die Pflicht zu arbeiten als Mittel für eine sozialistische Umstellung des ganzen wirtschaftlichen Lebens in die Umwälzung eingeschlossen war. Der Verfasser kommt aber zu dem Schluss, dass die bisherige Entwicklung in Russland gleichwohl das Recht auf Arbeit im dort gemeinten vollen Sinn als unrealisierbar erwiesen [75] habe. — In einem folgenden kurzen Abschnitt geht Bosse auf die Arbeitspflicht und auf die Gedanken des Popper-Lynkeus ein, dass eine Arbeiterarmee geschaffen werden müsse, um die Herstellung aller notwendigen Produkte sicherzustellen, während man die Herstellung aller Luxuserzeugnisse der freien Industrie lassen solle. Dies führt den Verfasser auf die Arbeitsdienstpflicht und die Versuche ihrer Verwirklichung in Peru, Bulgarien und Rumänien. Auch wird der merkwürdigen Ergänzung Erwähnung getan, die der Staat Norwegen im Jahr 1921 der allgemeinen Wehrpflicht beigefügt hat, indem eine zivile Arbeitspflicht denen auferlegt wurde, die aus religiösen Beweggründen den Kriegsdienst ablehnen.

V.

Die beiden letzten Kapitel wollen die dem Verfasser wichtigsten Ergebnisse zusammenfassen. Das achte kommt auf die soziologische Seite des Problems zurück. Es handle sich bei der Korrelation von Recht und Pflicht um das wesentliche und allgemeine Verhältnis von Individuum und Gemeinschaft in dem von mir dargestellten Begriffe der Gemeinschaft. Der Gemeinschaftsgeist sei neu geboren und mächtig gepflegt worden unter dem Einfluss des grossen Krieges, und es sei Grund für die Erwartung gegeben, dass eine grosse Wandlung der Denkungsart bevorstehe, die bisher als ausgeprägt egoistische und auf Formen der "Gesellschaft" begründet vorgewaltet habe — man dürfe diesen Gedanken nicht sozialistisch nennen, er habe mit Politik nichts zu tun. Der Gedanke einer ethischen Erneuerung und der Glaube daran innerhalb der gegenwärtigen Zivilisation gelangt also auch hier zu einem wohlverstehbaren, obschon fragwürdigen Ausdruck.

Das letzte Kapitel (9) kommt auf die Frage zurück, wieweit das Recht auf Arbeit sich vereinigen lasse mit der auf dem privaten Eigentumsrecht beruhenden Gesellschaftsordnung, ob es etwa eine ganz neue Gesellschaft zur Voraussetzung habe. — Die Entwicklung selber gebe darauf die Antwort. Der Verfasser unterstreicht hier nochmals, das Recht auf Arbeit sei niemals Sozialpolitik gewesen und werde es niemals sein, sondern es sei im objektiven Sinne soziales Recht, von Natur, dürfen wir hinzusetzen. Sonst — wenn es Sozialpolitik wäre — sei es allerdings vereinbar mit der bestehenden Gesellschaftsordnung. Die Gründe dagegen seien ökonomisch, juridisch, soziologisch: sie werden der Reihe nach durchgenommen. 1. Es wäre eine bedeutende Ausdehnung des Staatseigentums und ein gewisses Mass von Konsumzwang unumgänglich. Das russische Experiment lehre, dass die Oberführung aller agrikolen Betriebe in Staatshand unpraktisch und undurchführbar sei. [76] Staatswerkstätten für die Arbeitslosen würden die Folge sein, also "Staatssozialismus". So werde in relativ kurzer Zeit die Einrichtung des Rechts auf Arbeit das private Eigentumsrecht aushöhlen und es schliesslich vernichten. — 2. Die juridische Grundlage für das Recht auf Arbeit ist ein subjektiver Anspruch an den Staat, der mit einem Klagerecht ausgestattet sein muss. Schon dadurch werde eine unermessliche Ausdehnung der Staatstätigkeit bedingt. Andere juristische Schwierigkeiten kamen hinzu, besonders wegen der Arbeitsdienstpflicht, die noch nicht ohne Zwang durchführbar wäre, und der sei mit den heute lebendigen Freiheitsbegriffen kaum vereinbar; auch wären die damit verbundenen Kosten ungeheuer. — 3. Noch kommen soziologische Bedenken hinzu. Viele Streitfragen würden sich erheben, z. B. ob die Arbeitspflicht auf geistige Arbeiter angewendet werden solle u. a. Russland habe allen diesen Schwierigkeiten begegnen wollen, habe aber allerdings auch die alten Ordnungen völlig zerstört.

Epilog.

Mir scheint, gerade weil ich die Erwägungen Bosses für begründet halte, durchaus geraten, das Problem des Rechts auf Arbeit von dem Problem einer Veränderung der bestehenden Gesellschaft und ihres Staates scharf zu unterscheiden und streng getrennt zu halten; darum auch jenes ebenso zu scheiden von dem Wunsch und guten Willen, die Arbeiterklasse in ihren Bestrebungen zu unterstützen und die periodische Wiederkehr der Arbeitslosigkeit so sehr als möglich zu verhüten. Man kann das letzte Problem nicht nüchtern und praktisch genug anfassen; wenn man diesen Grundsatz anerkennt, so wird man auf die Sozialpolitik zurückgeführt, mit der das Recht auf Arbeit nach Bosses Urteil nichts gemein hat. Wenn wir dies, seiner Darstellung gemäss, zugeben, so ist damit nicht eingeräumt, dass das Recht auf Arbeit als "Institut" notwendig oder sogar das einzige Mittel sei, die periodische Arbeitslosigkeit mit Erfolg zu bekämpfen. Denn die Sozialpolitik, wie sie in allen heutigen Staaten eine regelmässige Praxis geworden ist, will die Gesellschaft, die als .Objekt ihrer Theorie und Praxis gegeben ist, weder unbedingt erhalten noch unbedingt zerstören, wohl aber unbedingt, und zwar im Sinne der grossen Menge des arbeitenden Volkes so verbessern, wie es auf die schmerzloseste und sicherste Weise geschehen kann.

Man kann sich wohl vorstellen und als begründet erkennen, dass die industrielle oder besser die gesamte Arbeiterschaft als Klasse den Anspruch erhebe, einen bestimmten, nach ihrem eigenen Urteil [77] angemessenen Anteil am Jahresprodukt von Boden und Arbeit ihres Vaterlandes, d. h. vom "Sozialprodukt" jedes Jahres zu erhalten und dauernd gesichert zu finden; dieser Anspruch wäre seinem Wesen nach nur bedingt durch die dauernde Arbeitsbereitschaft, also den Willen und die Fähigkeit, mittätig zu sein, nicht ausschliesslich durch wirklich geleistete Arbeit, sofern diese zeitweilig nicht erreichbar ist. Dieser Anspruch wäre durchaus von anderer Art als das Recht auf Arbei ; während dieser durchaus individualistisch gedacht ist, so wäre jener durchaus kollektivistisch; er könnte bestehen und als wohl begründet seine Geltung haben, auch wenn dem Recht auf Arbeit dauernd die Anerkennung verweigert würde. In Deutschland hat das Recht auf Arbeit in der gesamten sozialen und Arbeiterbewegung, ebenso wie in den Verhandlungen und Schriften des Vereins für Sozialpolitik und der Gesellschaft für soziale Reform wie nicht minder in der gelehrten Literatur im Ganzen doch nur eine geringe Rolle gespielt, so dass der Verzicht kein nennenswertes Opfer bedeuten wüprde. In der folgerichtig dargestellten Form, wie unser Norweger das Recht auf Arbeit deutet, als förmlicher Anspruch gegen den Staat mit Klagerecht — ist es bisher noch kaum in die Erscheinung getreten.

Aus diesen und anderen Gründen bin ich der Meinung, dass gerade im Deutschen Reiche mit dem Recht auf Arbeit wenig zu machen ist. Die Bekämpfung des Übels ist nur als energische Fortsetzung der bewährten Sozialpolitik möglich. Und zwar ist es die Form der Versicherung, die dafür gegeben, und sie ist des Ausbaus, ist noch der Vervollkommnung fähig. — Bosse selber rühmt ihre Anwendung und Verallgemeinerung in Grossbritannien. Er hebt allgemein hervor, im Unterschiede von anderen Veranstaltungen, wie dem Arbeitsnachweis, komme die Versicherung der Verwirklichung des Rechts auf Arbeit bedeutend näher als andere und frühere Versuche, das Problem anzufassen; aber den Forderungen jenes Rechtes entspräche auch die Versicherung, "jedenfalls in ihrer gegenwärtigen Form" nicht.

Wenn die gegenwärtige Form nicht genügt — und dies muss offenbar auch für die deutsche Versicherung gegen die Arbeitslosigkeit gelten (Gesetz vom 16. 7. 1927 und die Abänderung vom 12. 10. 1929) —, so wird vielleicht eine zukünftige Form das leisten, was zur Verhütung eines so ungeheuren Übels sich leisten lässt, ohne dass das Wesen der kapitalistischen Unternehmung und der Lohnarbeit da von berührt wird.

Ein anerkannter Mangel dieser Versicherungen ist die ungenügende Ordnung der Gefahrenklassen. In England, wo man dem grossen Unterschiede bei der Begründung des Gesetzes dadurch entgegengekommen ist, dass man es zunächst auf Bauarbeiter [78] beschränkt und erst später auf Kategorien minderer Gefahr ausgedehnt hat, ist zwar in vielen Einzelheiten die Einrichtung von vornherein sorgfältig ausgearbeitet, aber es sind weder die Gefahrenklassen hinlänglich unterschieden, noch hat in der so bald hereingebrochenen schweren Krisis die Versicherung als hinlänglich stark sich erwiesen, und dies ist offenbar das schlimmste mögliche Gebrechen. Das gilt auch fur Deutschland. Wertvoll und richtig war hier der Gedanke, einen Notstock zu bilden, der mindestens in der Höhe der Beitrage gehalten werden muss, die zur Unterstützung von 600.000 Arbeitslosen fur drei Monate erforderlich sei (§ 159, 1). Und es ist vorgesehen (§ 160), dass wenn der Notstock erschöpft oder auch nur die Gefahr vorhanden sei, dass er sich erschöpfe, der Beitrag für das Reichsgebiet von neuem festzusetzen sei. Der Notstock ist von Anfang an und immer wieder schnell erschöpft gewesen. Er bedarf also offenbar einer besseren Ernährung. Diese kann ihm nur zugeführt werden durch das Kapital. Und es kann leicht abgeleitet werden, dass das Kapital allein dazu berufen, wie es allein dazu fähig ist, und zwar im Verhältnisse zu seiner Stärke. Der erwähnte und schon darf man sagen allgemein anerkannte Anspruch der Lohnarbeiter als Klasse auf einen gerechten Anteil am Sozialprodukt ist in erster Linie ein Anspruch an das Kapital, das die Arbeit beschäftigt und aus ihr Gewinne erzielt. Erhöhung der Löhne und Gehälter bedeutet — nicht im einzelnen Falle, wohl aber wenn man auf die gesamte Verteilung sieht — eine Verminderung aller anderen Einkommensarten. Das Kapital ist in erster Linie verantwortlich für die Arbeitslosigkeit. Denn nachweislich gehen ihrem Wachstum regelmässig Überspannungen der kapitalistischen Produktion voraus, die in Überspannungen des Kredits und neuerdings besonders in ungeheuren Erhöhungen der Produktivkraft der Arbeit vermöge immer mehr rationalisierter Technik ihre Ursache haben. Wenn die Verpftichtung dem Kapital auferlegt würde, einen Notfonds für die immer zu erwartenden Phasen der Krise zu begründen und zu unterhalten, so dürfte diese Bedingung von vielen unternehmenden Geistern als eine schwere Hemmung empfunden werden, aber diese Hemmungen würden der Volkswirtschaft und mittelbar ihnen selber heilsam sein, denn alles, was in der Unternehmung gesund wäre, würde umso weniger davon betroffen werden. Am meisten betroffen würde die unbesonnene Spekulation, die schrankenlose Ausdehnung des Kredits, der Hasardcharakter, der dem (kapitalistischen) Handel und ebensosehr der Produktion zum allgemeinen Schaden anhaftet. Die Ansammlung eines Reservefonds für Arbeitslose hätte noch den besonderen Nutzen, den inneren Markt vor allen schweren Erschütterungen zu schützen, weil die Kaufkraft [79] der Massen in einigem Masse erhalten bliebe, womit dann auch dasjenige Kapital zufrieden sein dürfte, das wesentlich die Herstellung von Konsumtionsmitteln sich angelegen sein lässt.

Ich nehme den Gedanken der Einleitung wieder auf. Schon das deutsche Arbeitslosenversicherungsgesetz kannte "Notstandsarbeiten" mit der Pflicht der Arbeitslosen zur Leistung bestimmter öffentlicher Arbeiten in bestimmten Grenzen. Die mit der Wirtschaftskrise wachsenden Schwierigkeiten, den Versicherungsschutz gegen Arbeitslosigkeit zu gewähren, haben seit 1930 von Notverordnung zu Notverordnung und zu einem weiteren Ausbau des Systems der Notstandsarbeiten geführt. Sehr früh wurden in dies System die aus dem Armenrecht stammenden Fürsorgearbeiten aufgenommen. Wichtiger ist, dass in eben diesem Zusammenhange, der schon äusserlich in der erwähnten Gesetzgebung (Notverordnung vom 5. 6. 1931) sich bekundet, der sogen. "freiwillige " Arbeitsdienst auftaucht, der schon vor der Erweiterung zur Arbeitsdienstpflicht in dieser Form von jenen Kreisen gefordert wurde, die wir als die alten Gegner des Liberalismus in dem eingangs verstandenen Sinne zusammenbegreifen. Im Laufe seiner Ausgestaltung ist der Arbeitsdienst auch in Deutschland, als Forderung wie als Tatsache, zur Arbeitsdienstpflicht geworden, die wirklich nichts mehr von einem Ursprung aus dem Recht auf Arbeit, aus einem ihm entsprechenden gemeinschaftlichen Pflichtbegriff und aus seiner Reflexwirkung, der Versicherung gegen Arbeitslosigkeit, erkennen lässt oder an sich trägt.

Wir können mithin auch an diesem besonderen Falle beobachten, dass der Inhalt des Rechts auf Arbeit von der allgemein, wenn auch vorübergehend rücklaufigen Bewegung des sozialen und politischen Lebens, als welche wir die absolute Verneinung und Bekämpfung des Liberalismus, seiner Forderungen und seines Gedankengutes, verstehen, erfasst, verändert, ja ins Gegenteil verkehrt wird. Das Recht auf Arbeit ist gewissermassen ein vorgeschobener Posten gewesen, den die einsetzende Gegenströmung zuerst hinwegspült.

The right to work

Discussing the new book of Bosse, the author studies the significance and foundation of the so-called "right to work". In contradiction to Bosse's ideas, the significance of the "right to work" seems to the author to be essentially a matter of social legislation, and he thinks that the first step in its realization would have to be a further development of the system of social insurance. According to T., the "right to work" is one of the most advanced ideas in social legislation, an idea that was brushed aside immediately after the counter-currents of today asserted themselves.

[80]
Le droit au travail.

Dans une discussion du nouveau livre de Bosse, l'auteur recherche la signification et le fondement de ce que l'on appelle "le droit au travail". En opposition avec Bosse, il lui semble que le contenu du droit au travail est essentiellement un problème de politique sociale et un plus grand développement du système d'assurances est à ses yeux le meilleur moyen d'aborder ce problème. Tönnies tient le droit au travail pour un des postes les plus avancés d'une politique sociale progressive, poste qui a été emporté tout d'abord par le courant contraire qui domine actuellement.


  1. Ewald Bosse, Ar Arbeidslaeren : Retten til Arbeide. Oslo 1933.
  2. Die Auslegung zugunsten des Kapitals ist eine notwendige logische Folge aus der allgemein herrschenden Vorstellung, dass gleich dem Handwerksmeister und dem Bauern auch, wer an seine Stelle tritt, der eigentliche Urheber des geschaffenen Werkes oder Ertrages ist, dass also die Spezifikation als eine intellektuelle, Urheberschaft von ihm herrührt oder ihm zugehört; dass er dafür Arbeiter als Mitwirkende annimmt und für ihre Leistungen bezahlt, ist lediglich seine Sache, im günstigsten Falle werden sie als seine Gehilfen gewürdigt. Die rein kapitalistische Auffassung anerkennt sie kaum als solche, jedenfalls sind sie durch den Lohn völlig abgefunden, das Werk oder der Ertrag gehört dem Kapital kraft des Prinzips der Spezifikation, nicht etwa als Lohn der Arbeit des Unternehmers, sondern der Meinung nach dem natürlichen Rechte, d. i. dem Eigentumsrechte gemäss, insofern als auch die Arbeit, nachdem er sie bezahlt hat, dem Eigentümer des Stoffes und der Arbeitsmittel, also dem Unternehmer gehört. Der Pandektist Windscheid lässt das Sachenrecht zu seinem unmittelbaren Inhalte nur die Herrschaft über die Sachen haben, die Beziehung zu anderen Menschen sei nur eine Konsequenz davon. Die Einschränkung der Spezifikation im BGB, dass der Wert der Verarbeitung oder der Umbildung nicht erheblich geringer sein darf als der Wert des Stoffes, kann dem Lohnarbeiter niemals zugute kommen, denn der Kapitalist darf sich in seiner Eigenschaft als Eigentümer des Stoffes ebenso sicher fühlen wie in seiner Eigenschaft als Befehlshaber der Arbeit. Bei Hedemann (Sachenrecht § 17) lesen wir, die Spezifikation schliesse geistige Probleme "von ungeheurer Tragweite" in sich. A. Elster, im neuen "Rechtslexikon" bemerkt dazu treffend, es handle sich auch um das Problem "Kapital und Arbeit".