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Max Horkheimer (Hrsg.): Zeitschrift für Sozialforschung, 4. Jg 1935, Heft 1

auf dem soziologischen Gebiete. Das Charakteristische der Arbeit in der modernen Ökonomie liege nämlich in ihrer Abhängigkeit und deren Grund in dem Verhältnis zwischen Kapital und Arbeit. Hier werde, wenn auch kein rechtlicher, so doch ein faktischer Zwang ausgeübt, als Folge davon, dass ein jedes Individuum seine materiellen Bedürfnisse befriedigen müsse und wolle. Die "potestativen" und die "attraktiven" Funktionen des Eigentums wirken in diesem Sinne zusammen, und darauf beruhe das soziologische Missverhältnis zwischen den Vertretern der bei den grossen Produktionsfaktoren und habe die Veranlassung gegeben zum Gegensatz und Streit zwischen den Gesellschaftsklassen: aus diesem Streit aber sei offenbar der Gedanke des Rechts auf Arbeit entsprungen. Merkwürdig für die moderne wirtschaftliche Entwicklung sei es, dass das Kapital in seiner Eigenschaft als Besitz mehr und mehr in den Hintergrund getreten sei gegenüber dem Kapital in seiner Eigenschaft als Funktion, wie sie auch in der neuen deutschen Reichsverfassung zur Geltung komme. Aber nicht nur in Deutschland, sondern allgemein gewinne die Auffassung mehr und mehr Boden, dass allein wichtig die vom Eigentum ausgehenden Energien sind, während es verhältnismässig gleichgültig sei, wem das Kapital gehöre, das Gegenstand des Eigentumsrechtes sei (ausgenommen sind natürlich Konsumtionsmittel). Notwendig folge aber aus den dynamischen Funktionen des Kapitals, dass ein überindividuelles Betriebsrecht im Unterschiede zum bürgerlichen Recht sich entwickle, weil dieses wesentlich auf die statischen Eigenschaften des Kapitals sich beziehe und an das Verhalten des Individuums geknüpft sei. Offenbar wolle das Recht auf Arbeit als Korrelat zur einseitigen Machtstellung des Eigentumsrechts sich behaupten. Angedeutet wird hier auch, dass in letzter Linie es sich nicht um das spezifische Gewicht der Produktion von Gütern, hingegen der Entwicklung von Menschen sich handle.

II.

Dies alles dient als Einleitung zu dem Kapitel über Wesen und Werden der Arbeitslosigkeit, weil diese die notwendige Voraussetzung für die Forderung des Rechts auf Arbeit bilde. Entscheidend wirke das Verhältnis zwischen Arbeit und Eigentum. Die Arbeitslosigkeit breite umso stärker sich aus, je mehr das Besitzmoment vorherrschend und die Aufgabe des Kapitals als Funktion davon überwogen werde. Nach einem Rückblick auf vergangene Zeiten und Hervorhebung der Bedeutung, die der Geldwirtschaft auch für diese Frage zukomme, wird die Meinung abgewiesen, die noch bei den Klassikern sich finde, dass die eigentliche Schuld bei den

Empfohlene Zitierweise:
Max Horkheimer (Hrsg.): Zeitschrift für Sozialforschung, 4. Jg 1935, Heft 1. Librairie Felix Alcan, Paris 1935, Seite 70. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zeitschrift_f%C3%BCr_Sozialforschung_-_Jahrgang_4_-_Heft_1.pdf/72&oldid=- (Version vom 3.9.2022)