Das Neueste über die Marskanäle

Textdaten
Autor: W. K. Abel
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Titel: Das Neueste über die Marskanäle
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aus: Bibliothek für Alle, 4. Jahrgang, 1. Bd., S. 105–110
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Erscheinungsdatum: 1912
Verlag: Union Deutsche Verlagsgesellschaft
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Erscheinungsort: Stuttgart
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Das Neueste über die Marskanäle.
Von W. K. Abel.

In die Geheimnisse der fernen Sternenwelt einzudringen, ist von jeher das Bestreben des menschlichen Geistes gewesen. Ganz besonders hat aber stets von neuem die wohl nie mit Gewißheiten zu beantwortende Frage interessiert, ob jene für uns nur als blinkende Gestirne sichtbaren Himmelskörper von Wesen bevölkert sind, die uns Menschen ähnlich sehen. Phantasiereiche Schriftsteller wie der Franzose Jules Verne führen uns allerdings wohl in ihren Werken die Bewohner anderer Sterne als wunderbare Gebilde vor, aber leider bleiben ihre Schilderungen eben nichts als Märchen, die uns mit geheimnisvollem Schauer erfüllen und unser Sehnen nach Erforschung jener im Weltall kreisenden Gestirne nur noch mehr steigern. Gewiß – es gibt eine ganze Anzahl namhafter Gelehrter, die nicht nur die Möglichkeit zugeben, daß auch die anderen Weltkörper bevölkert sein können, sondern dies sogar wissenschaftlich zu beweisen suchen. Hierbei spielt nun der Planet Mars eine Hauptrolle. Mars ist bekanntlich derjenige Planet, der sich uns bei seiner Fahrt durch den Weltenraum bis auf eine – für das Sternensystem recht geringe – Entfernung von 55 Millionen Kilometer nähert. Daher sind wir auch über seine Größen- und klimatischen Verhältnisse sowie über seine Oberflächenbeschaffenheit nächst unserer Erde am besten unterrichtet. Wir wissen, daß sein Durchmesser 6743 Kilometer gleich 0,528 des Erddurchmessers beträgt und daß der Tag dort 24 Stunden 37 Minuten 22,66 Sekunden hat, ferner, daß er, wie unsere Erde, zwei aus großen Schnee- und Eisfeldern bestehende Pole, Polarkappen benannt, besitzt; weiter, [106] daß es auf ihm Land, Gebirge und weite Wasserflächen gibt. Bereits im Jahre 1636 wurde z. B. von dem Astronomen Fontana die erste Zeichnung der Marsoberfläche ausgeführt. Aber die Geheimnisse unseres Nachbarplaneten noch weiter zu entschleiern, blieb einer Zeit vorbehalten, in der die Technik endlich Fernrohre von geradezu ungeheuren Abmessungen und größter Schärfe herzustellen verstand. Der italienische Astronom Schiaparelli war es, der dann mit Hilfe dieser Riesenfernrohre die Marsforschung in ein neues Stadium übergelenkt hat. – Nach seiner Ansicht bestehen die dunkleren Flächen auf der Marsoberfläche aus Wasseransammlungen, die das Sonnenlicht weniger stark zurückwerfen, als die helleren Landmassen. Hiervon ausgehend, stellte Schiaparelli seine stets wieder nach den neuesten Beobachtungen korrigierte Marskarte her, die man heute in allen besseren Schulatlanten findet. Nach dieser Karte liegt der Nordpol des so überaus interessanten Planeten inmitten eines ungeheuren Festlandgebietes, das fast dreiviertel der uns sichtbaren Oberfläche einnimmt, allerdings auch von weiten Meeresbuchten durchschnitten wird, während die Südpolarkappe von Wasser völlig umgeben ist. Schiaparelli war es auch, der die feinen, dunkelfarbigen Streifen, von denen dieses Festland wie von einem weitverzweigten Netz bedeckt ist, zuerst für Kanäle ansprach. Diese Marskanäle haben eine Breite von 30 bis 300 Kilometer und münden stets in eine Meeresbucht. Die Annahme, daß es sich hier wirklich um Kanäle handelt, wurde scheinbar auch durch die Beobachtungen beim Schmelzen der Eismassen am Mars-Nordpol während der Sommermonate bestätigt. Die Kanäle werden alsdann angeblich viel dunkler und nehmen beträchtlich an Breite zu, so daß das ganze Festland in eine Anzahl von Inseln zerlegt zu sein scheint, und dieser Zustand hört erst auf, wenn die Schneeschmelze und der Sommer zu Ende sind. Dann erst nimmt das Festland sein altes Aussehen wieder an. Im Jahre 1882 bemerkte nun Schiaparelli zuerst eine Verdoppelung der Kanäle, die vorzugsweise in den Monaten kurz vor oder kurz nach der vom Nordpol ausgehenden Überschwemmung [107] einzutreten pflegt. Diese Verdoppelung der Kanäle, die im Fernrohr als zwei parallel zueinander verlaufende gleichmäßige Striche erkennbar sein soll, hat die Astronomen zu den mannigfaltigsten Schlußfolgerungen verleitet, zu Schlußfolgerungen, die sogar soweit gehen, daß der Mars von intelligenten, uns Menschen ähnlichen Wesen bewohnt sein müsse. Aus der großen Anzahl von Gelehrten, die zu diesem Thema das Wort ergriffen und ihre Ansichten in dicken Werken festgelegt haben, seien hier nur einige herausgegriffen.

Zunächst Schiaparelli selbst als der Entdecker der Marskanäle. Er hält sie für Produkte der natürlichen Entwicklung des Planeten, ähnlich wie der Englische Kanal, die Straße von Gibraltar und der Kanal von Mosambik auf der Erde. Dagegen glaubt der französische Astronom Flammarion diese Kanäle als ein zum Zwecke gleichmäßiger Wasserversorgung von intelligenten Wesen hergestelltes Kanalsystem deuten zu müssen. Flammarion ist es auch, der am lebhaftesten die Ansicht vertritt, daß es auf dem Mars uns Menschen ähnliche Geschöpfe geben müsse. Seine Ansicht verteidigt er unter Hinweis auf die auffällige Verdoppelung der Marskanäle, die nur den einen Schluß zulasse, daß diese so genau parallel laufenden Wasserwege von denkenden Wesen zu besonderen Zwecken hergestellt seien. Ähnlich urteilt der Astronom Brenner. Nur nimmt dieser an, um die Schwierigkeiten, die in der Annahme der Herstellung von tiefen Kanälen von 20 bis 300 Kilometer Breite liegen, zu vermeiden, daß die Marsbewohner in kleinerem oder größerem Abstande parallele Dämme aufgeführt hätten, um so trockene Landstrecken zu bewässern. Die Hauptsache aber: sowohl Flammarion wie Brenner schließen aus den Marskanälen auf die Existenz von intelligenten Wesen auf diesem Planeten. Einen weiteren Beweis für das Bewohntsein des Mars können aber auch sie nicht erbringen.

In den letzten Jahren ist nun die Entdeckung Schiaparellis verschiedentlich sehr eingehend nachgeprüft worden, und das Resultat ist ein recht niederschmetterndes. Erwähnt muß hier [108] noch werden, daß die anfängliche Begeisterung für die Schiaparellischen Kanäle sehr bald abflaute, da viele vorzügliche Beobachter an großen Instrumenten durchaus nichts von den vielsagenden feinen Strichen zu erkennen vermochten. Dann stellten sich andere Zweifler die Aufgabe, nachzuweisen, daß jene über das Marsfestland verteilten Linien nichts als optische Täuschungen seien. Besonders die Amerikaner Evans und Maunder hatten mit ihren Versuchen in dieser Richtung sehr viel Erfolg. Sie legten Schulknaben eine unregelmäßig mit Punkten und Flecken bedeckte Scheibe, die die Marsoberfläche darstellen sollte, zum Abzeichnen vor und zwar auf eine ziemlich weite Entfernung. Alle Knaben trugen nun in ihre Zeichnungen die hellen Stellen auf der Scheibe als gerade Linien ein. Ferner zeigte sich die auffallende Tatsache, daß diejenigen Knaben, deren Augen vorher absichtlich überanstrengt waren, diese geraden Linien auf ihren Zeichnungen verdoppelten. Aus diesen Versuchen geht zweierlei hervor, wenn man bedenkt, daß viele Astronomen nie etwas von den Marskanälen sehen konnten: Schiaparelli und alle die anderen Gelehrten, die das Vorhandensein der Marskanäle behaupteten, sind höchstwahrscheinlich wirklich Opfer einer optischen Täuschung geworden, gerade so wie jene Schulknaben, die auch da Linien zu erblicken glaubten, wo in Wirklichkeit nur hellere, unregelmäßig große Stellen auf ihren Vorlagen waren. Und eine solche optische Täuschung kann bei einem Astronomen, der oft stundenlang durch das Fernrohr auf eine unendlich weit im Weltenraum entfernt liegende Stelle eines Planeten blickt, mit seinen überanstrengten Augen noch bedeutend leichter passieren. Was nun gar die angeblich beobachtete Verdoppelung der Marskanäle anbetrifft, so ist hierbei ein Sehirrtum noch klarer zu beweisen, – selbst ohne jene Versuche mit den Schulknaben, deren ermüdete Augen die als Linien geschauten Stellen der Vorlagen in gutem Glauben verdoppelten. Denn selbst der Volksmund kennt ja die Redensart: „Ich sehe alles doppelt“, was doch heißen soll: mein Auge ist derart überanstrengt, daß es die Umrisse der Gegenstände nicht mehr [109] scharf festzuhalten vermag. Und jeder hat dieselbe Erfahrung wohl schon häufiger gemacht, wie ihm bei langem Hinstarren auf einen bestimmten Punkt durch ein Fernrohr das zuerst geschaute Bild verschwamm und immer undeutlicher wurde. Nun aber erst der Astronom, der nachts bei ungewissem Licht in der Kuppel der Sternwarte sitzt und ununterbrochen beobachtet. Wie leicht können gerade ihn seine Augen betrügen! – So wird es Schiaparelli auch mit der Verdoppelung der Kanäle ergangen sein. Und man wende hier nicht ein, daß auch andere Astronomen diese verdoppelten feinen Linien gesehen hätten! Der Wunsch ist bekanntlich der Vater der Gedanken; andere Astronomen gaben sich eben alle Mühe, ebenfalls diese verdoppelten Kanäle zu sehen und sahen sie mit ihren angegriffenen Augen schließlich auch wirklich – aber als optische Täuschung.

Zu diesem interessanten Kapitel über Sehirrtümer bei Betrachtung von Gestirnen hat endlich auch noch der Astronom Cerulli aus Teramo manche neue Erfahrung hinzugefügt, die die Existenz der Marskanäle immer mehr in das Märchenland verweist. Cerulli hat häufig dort einen Kanal entstehen sehen, wo er beim ersten Blick nur Schatten bemerkte, die über eine lange Strecke zerstreut waren. Anderseits hat er an Tagen, wo sein Gesichtsvermögen ungewöhnlich scharf war, einen Kanal, den er zuerst ganz deutlich erblickte, in eine Reihe einzelner Flecken sich auflösen sehen. Diese oft nachgeprüften Beobachtungen zeigen nur zu sehr, wie wenig ein Astronom sich auf seine Augen verlassen kann. Diese Augen belügen ihn, und er gibt die Lügen ohne böse Absicht weiter; andere lassen sich ebenfalls von ihren Sehorganen täuschen, und so kommt dann eine neue wissenschaftliche Entdeckung wie die Marskanäle zustande, eine Entdeckung, an die schleunigst die weitgehendsten Schlußfolgerungen von Marsmenschen, die ein ungeheures Kanalsystem angelegt hätten, geknüpft und von der allen Geheimnissen der Sternenwelt wie einem lieben Märchenbuche zugetanen Menge aufgenommen werden. Vorläufig gehören die Marsmenschen wirklich noch in die Märchenbücher. [110] Und ob wir jemals soweit gelangen werden, unseren Nachbarplaneten Mars auf seine Bewohner hin untersuchen zu können, das ist eine leicht zu beantwortende Frage gegenüber der Tatsache, daß selbst der genialste Erfinder mit einer Flugmaschine nie die Strecke des Weltenraumes wird durcheilen können, die uns von dem Mars trennt. Und uns vielleicht durch Lichtsignale mit etwaigen Marsbewohnern in Verbindung setzen, wie dies ein amerikanischer Professor vorgeschlagen hat, gehört ebenso in das Reich der Unmöglichkeit, wie eine Reise nach dem Mars. Unserem Streben nach Erkenntnis ist also auch auf diesem Gebiet eine unüberwindbare Schranke gesetzt.