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W. K. Abel: Das Neueste über die Marskanäle. In: Bibliothek für Alle, 4. Jahrgang, 1. Bd., S. 105–110

scharf festzuhalten vermag. Und jeder hat dieselbe Erfahrung wohl schon häufiger gemacht, wie ihm bei langem Hinstarren auf einen bestimmten Punkt durch ein Fernrohr das zuerst geschaute Bild verschwamm und immer undeutlicher wurde. Nun aber erst der Astronom, der nachts bei ungewissem Licht in der Kuppel der Sternwarte sitzt und ununterbrochen beobachtet. Wie leicht können gerade ihn seine Augen betrügen! – So wird es Schiaparelli auch mit der Verdoppelung der Kanäle ergangen sein. Und man wende hier nicht ein, daß auch andere Astronomen diese verdoppelten feinen Linien gesehen hätten! Der Wunsch ist bekanntlich der Vater der Gedanken; andere Astronomen gaben sich eben alle Mühe, ebenfalls diese verdoppelten Kanäle zu sehen und sahen sie mit ihren angegriffenen Augen schließlich auch wirklich – aber als optische Täuschung.

Zu diesem interessanten Kapitel über Sehirrtümer bei Betrachtung von Gestirnen hat endlich auch noch der Astronom Cerulli aus Teramo manche neue Erfahrung hinzugefügt, die die Existenz der Marskanäle immer mehr in das Märchenland verweist. Cerulli hat häufig dort einen Kanal entstehen sehen, wo er beim ersten Blick nur Schatten bemerkte, die über eine lange Strecke zerstreut waren. Anderseits hat er an Tagen, wo sein Gesichtsvermögen ungewöhnlich scharf war, einen Kanal, den er zuerst ganz deutlich erblickte, in eine Reihe einzelner Flecken sich auflösen sehen. Diese oft nachgeprüften Beobachtungen zeigen nur zu sehr, wie wenig ein Astronom sich auf seine Augen verlassen kann. Diese Augen belügen ihn, und er gibt die Lügen ohne böse Absicht weiter; andere lassen sich ebenfalls von ihren Sehorganen täuschen, und so kommt dann eine neue wissenschaftliche Entdeckung wie die Marskanäle zustande, eine Entdeckung, an die schleunigst die weitgehendsten Schlußfolgerungen von Marsmenschen, die ein ungeheures Kanalsystem angelegt hätten, geknüpft und von der allen Geheimnissen der Sternenwelt wie einem lieben Märchenbuche zugetanen Menge aufgenommen werden. Vorläufig gehören die Marsmenschen wirklich noch in die Märchenbücher.

Empfohlene Zitierweise:
W. K. Abel: Das Neueste über die Marskanäle. In: Bibliothek für Alle, 4. Jahrgang, 1. Bd., S. 105–110. Verlag der Bibliothek für Alle, Dresden 1912, Seite 109. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Neueste_%C3%BCber_die_Marskan%C3%A4le.pdf/7&oldid=- (Version vom 31.7.2018)