Das Museum für deutsche Volkstrachten und Erzeugnisse des Hausgewerbes in Berlin

Textdaten
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Autor: Rudolf Virchow
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Titel: Das Museum für deutsche Volkstrachten und Erzeugnisse des Hausgewerbes in Berlin
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 26, S. 435–436
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1889
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Gustav Klitscher: Das Volkstrachten-Museum in Berlin, 1899, Heft 12
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Das Museum für deutsche Volkstrachten und Erzeugnisse des Hausgewerbes in Berlin.

Von Rudolf Virchow.

Die Ankündigung, daß eine Anzahl von Männern zusammengetreten ist, um ein Museum für deutsche Volkstrachten und Erzeugnisse des Hausgewerbes in der Reichshauptstadt in Angriff zu nehmen, hat in weiten Kreisen so viel Theilnahme erregt, daß schon jetzt die Verwirklichung dieses Gedankens als gesichert bezeichnet werden darf. Freilich wird dieselbe zunächst nur in sehr beschränktem Umfange geschehen können, da weder Mittel, noch Raum in genügender Fülle vorhanden sind, um sofort eine umfassende Anstalt herstellen zu können. Aber die Unternehmer glauben ihre nächste Aufgabe auch gelöst zu haben, wenn sie an einer Reihe von Beispielen ihren Plan auschaulich dargelegt haben werden; sie geben sich der zuversichtlichen Hoffnung hin, daß diese Beispiele die Nützlichkeit, ja die Nothwendigkeit eines derartigen Museums ihren Mitbürgern darthun werden, und daß die Regierung, wie sie es gegenüber dem Kunstgewerbe-Museum gethan hat, auch das Trachten-Museum fördern und später in staatliche Verwaltung übernehmen werde.

Schon jetzt hat der Preußische Kultusminister, Herr v. Goßler, mit dem großen Wohlwollen, welches er allen ernsten wissenschaftlichen Bestrebungen entgegen trägt, dem Trachten-Museum freistehende Räume in der alten Gewerbeakademie, dem gegenwärtigen hygieinischen Institut, in der Klosterstraße zur vorläufigen Benutzung überwiesen. Gleich die ersten Erwerbungen, welche auf der Halbinsel Mönkgut in Rügen gemacht waren, hatten ihm die Ueberzeugung verschafft, daß auf dem betretenen Wege lohnende Ergebnisse erzielt werden könnten. Aber es liegt auf der Hand, daß die Erwerbungen selbst leichter durch Privatpersonen gemacht werden können, welche in unmittelbaren Verkehr mit den Bewohnern der einzelnen Gegenden treten, als durch Staatsbeamte, welche durch zahllose Rücksichten und Ansprüche behindert sein würden. So ist denn für die nächste Zeit der Weg ziemlich klar vorgezeichnet, der verfolgt werden muß, und es wird sich vorzugsweise darum handeln, daß in der Bevölkerung selbst ein gleiches Wohlwollen für das Unternehmen geweckt und die Theilnahme von Gönnern für die praktische Unterstützung des Komitees gewonnen werde. Dieses anzubahnen, ist auch der Zweck dieser Zeilen.

Die Entwickelung der älteren Museen ist begreiflicherweise vorzüglich den bildenden Künsten zugewendet gewesen. Selbst die Architektur wurde gegenüber der Bildhauerei und der Malerei stark in den Hintergrund gedrängt.

Sehr langsam und spät erst ist das Kunstgewerbe aus seiner Vergessenheit erweckt worden. Diese höchsten Leistungen menschlicher Kunstthätigkeit wirken, indem sie die Bewunderung des Beschauers erregen, nicht bloß erhebend und erweckend auf den Geist, sondern sie reizen zur Nachfolge und geben ganzen Geschlechtern die Richtung für die eigene Thätigkeit. So werden sie zu Maßstäben für die Kultur überhaupt.

Aber die Kultur ist nie und nirgend auf einmal entstanden. Viele Geschlechter mußten ihre beste Kraft aufwenden, um in langsamer Arbeit die Kunstübung zu finden und heimisch zu machen. Eine Art von erblicher Uebertragung sicherte auch hier die Dauerhaftigkeit des Fortschritts und selbst in Fällen langer Unterbrechung die Wiederaufnahme der einmal gewonnenen Ziele und Methoden. Nicht allein der eigentliche Forscher, der Kunstgelehrte wendet daher seine Aufmerksamkeit der Kunstgeschichte zu, sondern auch der einfache Mann aus dem Volke kommt auf die Frage, wer so Großes erfunden haben möge und wie sich im Laufe der Zeiten immer höhere Stufen der Kunstfertigkeit und des Kunstverständnisses erklimmen ließen.

Zwei Umstände sind es vorzugsweise gewesen, welche diese Fragen vertieft und weit über das Gebiet der eigentlichen Kunst hinaus erweitert haben. Einerseits die zunehmende Kenntniß von den Leistungen der Naturvölker. Sie beginnt mit den großen Entdeckungen des 15. und 16. Jahrhunderts, aber sie hat doch eigentlich erst mit den wissenschaftlichen Reisen des vorigen Jahrhunderts, insbesondere seit den Fahrten Cooks und den Forschungen Alexander v. Humboldts, jene befruchtende Einwirkung auf die allgemeine Anschauung gewonnen, welche heutzutage vor aller Augen liegt. Wer wüßte es nicht, daß der Gang der menschlichen Kultur von ihren rohesten Anfängen an bis zu oft staunenswerther Höhe noch bei den heutigen Naturvölkern wie in einem aufgeschlagenen Buche übersichtlich zu Tage tritt, und daß ebensowohl [436] die Entwickelung der Gesellschaft, des Rechts und der Religion als die Ausstattung des Hauses und der gesammte Besitz an Geräthen und Schmuckgegenständen, an Hausthieren und Nutzpflanzen bald hier und bald da in ihrem allmählichen Aufbau erkennbar werden. Leider schwinden die Naturvölker in der Berührung mit den Kulturvölkern in erschreckender Schnelligkeit dahin, und es darf als ein besonderer Glücksfall betrachtet werden, daß die erhöhte Sorgfalt in der Beobachtung und Sammlung aller Eigenthümlichkeiten dieser versinkenden Ueberlebsel der Vorzeit wenigstens noch die letzte Zeit ihres Bestehens benutzt hat, um für die Zukunft nicht allein die Erinnerung, sondern auch wirkliche Objekte der Anschauung zu retten. So erklärt sich das Aufkommen und das gewaltige Anwachsen der ethnologischen Museen, unter denen das neue Berliner Museum für Völkerkunde einen so hervorragenden Platz einnimmt.

Der zweite Umstand, der in fast noch weniger geahnter Stärke die Richtung der neueren Forschung bestimmt hat, ist in der Umgestaltung der sogenannten Alterthumskunde zu einer wirklichen Vorgeschichte zu suchen. Nachdem schon seit den ersten Decennien dieses Jahrhunderts in vielen Staaten Europas die Sammlung der vaterländischen Alterthümer mit zunehmendem Interesse gefördert worden war, ist es namentlich der Thätigkeit unserer skandinavischen Nachbarn, der Dänen und Schweden, sowie dem Eingreifen verdienter deutscher Forscher zu verdanken gewesen, daß allmählich Ordnung und chronologisches Verständniß in dieses bis dahin ganz chaotische Gebiet gebracht worden ist. Die Entdeckung der schweizer Pfahlbauten hat dann den Eifer in ganz Europa entzündet, und die prähistorischen Museen gehören gegenwärtig zu denjenigen Anstalten, in deren Vervollständigung der Stolz jedes einzelnen Volkes gesetzt ist.

Hier, aus den Gräbern und Wohnplätzen der Vorfahren, thut sich vor unsern Augen ein neues Bild menschlicher Kulturentwicklung auf, und mit Staunen und Bewunderung sehen wir, wie dasselbe eine Art von Ergänzung zu dem Bilde der Entwicklung der Naturvölker darstellt, so daß das eine das andere erläutert. Wir erblicken unsere Vorfahren selbst auf dem Standpunkte der Naturvölker, in der gleichen Arbeit fortschreitender Erforschung der Mittel und Wege, wie die Natur dem Menschen dienstbar gemacht werden kann und wie uns der Arbeit des Tages allmählich die höheren Aufgaben eines idealen Strebens hervorwachsen.

So hat sich vor die eigentliche Kunstgeschichte die Geschichte der Arbeit gesetzt, eine lange Geschichte, die in der fernsten Vorzeit begonnen hat und die sich noch immer fortsetzt und fortsetzen wird. Eine Grenze zwischen beiden giebt es nicht, denn niemand kann sagen, wo die Kunst beginnt und wo die Arbeit des täglichen Lebens endet. Die Kunst geht aus der Arbeit des Tages hervor wie die Blüthe aus einer Knospe. Geschichte und Vorgeschichte sind nur äußerlich getrennt, innerlich hängen sie untrennbar zusammen. Gleichwie es eine Vorgeschichte auch der heutigen Naturvölker giebt, so ziehen sich vorgeschichtliche Ueberlieferungen in das Leben der Kulturvölker herüber. Diese Ueberlieferungen aufzufinden und festzuhalten, ist eine nicht minder wichtige Aufgabe für das Kulturverständniß wie die Vorgeschichte selber; denn gerade sie liefern uns die Fäden, an welche wir die Zusammenhänge von jetzt und vordem in unmittelbarer Verbindung anreihen können.

Derartige Zusammenhänge ältester Tradition bieten in erster Linie Sprache und Sage. Sie zu verfolgen, bedarf es keiner Museen. Aber in zweiter Linie sind es wirkliche, materielle Gegenstände, und zwar Gegenstände des Gebrauches, an welche sich freilich nicht selten alterthümliche Bezeichnungen und sagenhafte, meist abergläubische Deutungen knüpfen, welche aber auch ohne solche durch ihre Form, ihre Verzierung, ihre Verwendung bestimmte Andeutungen des Alters darbieten. Diese Gegenstände zu sammeln, ist die Aufgabe des Museums der Trachten und Geräthe, welches wir vorhaben, nicht die einzige, denn es giebt auch in der historischen Entwicklung der Völker viele Stadien, welche in Tracht und Geräth ihre Erinnerung hinterlassen, aber eine vorzügliche. Ein Museum der Trachten und Geräthe schließt daher die Lücke zwischen den ethnologischen und prähistorischen Museen einer-, den historischen Museen andererseits. Es wird für unser Volk dasjenige thun, was die ethnologischen Museen für die fremden, insbesondere die Naturvölker gethan haben; es wird in der Gegenwart Gegenstände auffinden lassen, wie sie die prähistorischen Museen aus den Gräbern und Wohnplätzen der Vorzeit aufdecken; es wird für das gewöhnliche Thun und Treiben der Völker leisten, was die historischen Museen vorzugsweise für das kirchliche und höfische Leben zu Stande bringen.

Die Erwartungen, welche sich an ein Museum der Trachten und Geräthe knüpfen, dürfen daher hoch gespannt werden. Die Erfahrung widerlegt die so häufig geäußerte Besorgniß, als sei es jetzt schon zu spät, an eine solche Aufgabe zu gehen. In der That hat schon unser Anfang gelehrt, daß man auch in Deutschland nur ernsthaft nachzufragen und zuzugreifen hat, um zahlreiche Gegenstände der altertümlichen Tradition zu erlangen. In anderen Ländern ist der Erfolg ein geradezu glänzender gewesen. So namentlich in Schweden, welches durch die unermüdliche Thätigkeit des Herrn Hazelius seit Jahren ein wahres Mustermuseum dieser Art in Stockholm besitzt. Auch in Moskau und Amsterdam sind sehr bemerkenswerthe Ansätze zu ähnlichen Einrichtungen vorhanden.

Freilich darf man die Erwartungen auch nicht zu sehr in die Höhe treiben. Was namentlich die Tracht als solche betrifft, so versteht es sich von selbst, daß dasjenige, was man in etwas zu volltöniger Weise wohl als Nationaltracht bezeichnet, als Ganzes niemals in die prähistorische Zeit zurückreicht. Damals gab es nichts, was diesen sogenannten Nationaltrachten glich. Nur bei solchen Völkern, von denen einzelne Stämme in einer Art von Naturzustand verharrten, andere in die allgemeine Kulturbewegung eintraten, kann so etwas vorkommen. Aber das ist in Europa nur bei den finnischen Stämmen der Fall. Bei allen arischen Völkern Europas ist die Nationaltracht ein verhältnißmäßig junges, ja man darf wohl im allgemeinen sagen, ein modernes Produkt, und speziell in Deutschland, wo sich immer nur an einzelnen beschränkten Stellen, zuweilen nur in einzelnen Dörfern, noch solche Trachten finden, dürfte wohl keine derselben über das 15. Jahrhundert hinausreichen. Nicht wenige sind sicherlich erst durch die Reformation fixirt worden. Vielleicht wird die thatsächliche Sammlung des Materials zu vergleichenden Studien Veranlassung bieten, welche noch ältere Daten ergeben, aber gewiß wird sich das mehr auf einzelne Theile der Tracht beziehen.

Schon weit dauerhafter als in der Tracht sind die Menschen in ihrem Hausbau, ihren landwirthschaftlichen und thierzüchterischen Gewohnheiten, ihrem Hausgeräth, ihren Werkzeugen. Insbesondere das Geräth aus Stein, aus Knochen und Geweihen, aus Thon hat eine große Beständigkeit. Die Grundeinrichtung des Hauses erhält sich trotz aller Zusätze, welche die Ausdehnung der Wirthschaft und die Bequemlichkeit des größeren Besitzes mit sich bringen. Sie ist in Bezug auf die Familie ebenso dauerhaft wie die Anlage der Orte und die Eintheilung der Flur in Bezug auf die ganze Gemeinde.

Nun lassen sich ganze Häuser ebenso wenig wie ganze Orte oder Gemarkungen in einem Museum vorführen, es sei denn in Modellen oder Zeichnungen. Auf diese wird Bedacht genommen werden. Aber wohl lassen sich Zimmer und Stuben in ihrer ganzen Einrichtung vorführen, und wir hoffen, schon bei der Eröffnung des Museums, vielleicht noch in diesem Jahre, Zimmer von Mönkgut, aus dem Spreewalde, aus dem Elsaß, aus Hessen und Litauen zeigen zu können; damit wird wenigstens in Bezug auf den wichtigsten Abschnitt des Hauses, den von Menschen bewohnten Theil, ein Gesammteindruck hervorgebracht werden, dessen Bedeutung gegenüber dem losen Nebeneinander vieler Einzelstücke, die natürlich auch aufgestellt werden müssen, wir hoch anschlagen. Die Praxis der Einrichtung wird vielleicht neue und erhebliche Gesichtspunkte ergeben, um auch noch größere Theile des Hauses vorzuführen; vorläufig denken wir uns auf das Mitgetheilte zu beschränken.

Und so möge denn das neue Unternehmen der thätigen Mitwirkung recht vieler unserer Landsleute empfohlen sein. Wir wissen es wohl, daß das Volk selbst am besten unterrichtet ist, wo die Schätze verborgen sind, die wir aufzudecken wünschen; darum wenden wir uns auch vertrauensvoll an dasselbe, damit es uns helfe, das Stück nationaler Erinnerungen, das in Tracht und Hausgeräth noch erhalten ist, in recht vollständiger Weise zu gewinnen und der Anschauung der Nachkommen zu bewahren.