Ein unheimlicher Gast auf Deutschlands Fluren

Textdaten
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Autor: Hermann Moritz Pabst
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Titel: Ein unheimlicher Gast auf Deutschlands Fluren
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 26, S. 437–438
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1889
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Ein unheimlicher Gast auf Deutschlands Fluren.

Von Professor Dr. Pabst. Mit Abbildung von E. Schmidt.

Alljährlich erscheint, bald zahlreicher bald spärlicher, auf den deutschen Fluren ein seltsames Wesen, ein Schmetterling, der Todtenkopf oder Acherontia Atropos, wie sein lateinischer Gelehrtenname lautet. Er ist merkwürdig nicht bloß durch seinen schaurigen Namen auch seine ganze Entwicklungsgeschichte, seine Wanderungen und sein nur vorübergehendes Verweilen in unseren Gegenden reizen die Neugierde und die Forschungslust so sehr, daß es gewiß angezeigt ist, mit dem Leben und Weben des düsteren Gesellen auch weitere Kreise bekannt zu machen.

Der Name „Todtenkopf“ ist für das Thier sehr bezeichnend, da das pelzig dicht braunbehaarte Bruststück des Schmetterlings eine ockergelbe Zeichnung trägt, welche sichtlich einem Todtenkopfe ähnelt, unter welchem zwei Knochen sich kreuzen. Atropos gehört zu der Abtheilung der Sphingiden oder Schwärmer, die sich durch kräftige Muskulatur und dadurch bedingte große Flugkraft vor anderen Schuppenflüglern auszeichnen. Sein Kopf trägt zwei große, im Halbdunkel leuchtende, geheimnißvoll funkelnde Facette-Augen; daneben stehen zwei dicke Fühler, welche viel kürzer sind als der halbe Oberflügel und in einen weißen, rückwärts gebogenen, spitzen Haarpinsel auslaufen. Außerdem sitzt am Kopfe noch ein kurzer, ziemlich breiter, spiralförmig einrollbarer Saugrüssel. Der Leib ist plump und dick, ein blaugrauer, etwa 5 mm breiter Streifen durchzieht ihn der Länge nach, und die ersten 6 Leibesringe sind je durch einen schmalen schwarzen Querstreifen scharf abgetrennt. Die Längsachse des Thieres beträgt etwa 6,5 cm, die Spannweite der Oberflügel 12 cm. Die letzteren sind schwarzbraun, mit rothbraunen, gelben und weißen verwaschenen Streifen durchzogen und mit einem weißlichen, scharf hervortretenden, dem oberen Flügelrande genäherten Mittelpunkte gezeichnet. Die wesentlich kürzeren Unterflügel sind ockergelb gefärbt und werden von zwei schwarzen Binden von oben nach unten durchzogen.

Der Todtenkopf fliegt nur in später, dunkler Nacht wird aber durch helles Licht angelockt, und so ereignet es sich bisweilen, daß er durch das offene Fenster einer erleuchteten Wohnung eindringt und durch seinen lauten, rauschenden Flug, sowie durch seine ganz ungewohnte Erscheinung furchtsame Gemüther in großen Schrecken versetzt. Früher wurde er da, wo er erschien, für einen Boten des Todes oder eines sonstigen Familienunglücks gehalten.

Man hat den Schmetterling bisweilen in Bienenstöcken vorgefunden vom Geruch des Honigs angelockt, hatte er sich durch das Flugloch in den Bau begeben und sich ungestört eine Zeit lang von der süßen Speise genährt. Die schwachen Bienen vermögen ihm nicht viel zu schaden. Seine gewöhnliche Nahrung besteht wahrscheinlich wegen der Kürze seines Rüssels in den aus kranken Bäumen fließenden Säften, doch es fehlen hierüber genauere Beobachtungen.

Dieser größte europäische Schmetterling, vermutlich erst im vorigen Jahrhundert aus Afrika oder Ostindien nach Europa eingewandert, tritt in Norddeutschland alljährlich auf, jedoch gewöhnlich nur in wenigen Exemplaren; manchmal aber, in besonders schönen Sommern wie 1886 wird er auffallend häufig gefunden. Sein eigentliches Verbreitungsgebiet ist außer dem südlichen Europa das südliche Asien von Kleinasien bis Java, ganz Afrika und Mexiko.

Die Heimath der bei uns ihre Eier absetzenden Todtenköpfe ist das südliche Europa. Infolge seiner gewaltigen Flugkraft, von Wind und Wetter begünstigt, dringt dieser Schwärmer im heißen Sommer weit nach Norden vor. In seiner Heimath erscheint er in zwei Generationen. Die im Mai oder Anfang Juni aus der Puppe schlüpfenden Exemplare kommen nicht zu uns, bis jetzt wenigstens ist während dieser Monate in Norddeutschland noch kein Todtenkopf gesehen worden. Schon Ende Juli aber fliegt die zweite Generation, und von dieser stammen unsere Atroposraupen. Diese im erwachsenen Zustande durch ihre gewaltige Größe und Korpulenz auffallenden Geschöpfe (12 cm lang, 2,5 cm breit) sind 16füßig, nackt, meist grünlich gelb gefärbt und mit schwarzblauen Pünktchen dicht bestreut; auf den 3 ersten und den beiden letzten. Gliedern fehlen jedoch diese Punkte. Vom vierten Gliede ab ziehen sich schöne blaue, nach vorn offene, unterwärts schwarz beschattete Winkelhaken über den Rücken, je einer auf jedem Gliede. Auf dem elften Leibesring sitzt ein Sförmig gebogenes, gekörntes, an der Wurzel verdünntes und wie ein Schwänzchen herabhängendes grüngelbes Horn und an der Grenze zwischen Rücken- und Bauchseite befindet sich auf dem ersten und vierten bis elften Segment rechts und links je ein dunkelbeschattetes, mit einem hecken Ring umfaßtes Stigma (Athemloch). In der Färbung sind die Raupen bisweilen verschieden, es giebt auch graubraune Exemplare, doch die aus ihnen sich entwickelnden Schmetterlinge weichen darum nicht ab von der Normalfärbung.

Die Lieblingsnährpflanze der Atroposraupe ist die Kartoffel, von welcher sie indessen nur die Blätter frißt; an den Knollen vergreift sie sich niemals. Zur Zeit der Kartoffelernte werden die Puppen öfters zu Tage gelegt, und ihr Schicksal, d. h. ihre Weiterentwickelung oder ihr Tod, hängt lediglich von den Händen ab, in welche sie gelangen. Außer auf Kartoffelfeldern findet man die Raupen vom August bis September vereinzelt noch auf einigen anderen Pflanzen. Da sie aber nie in großer Zahl gemeinschaftlich auftreten, so richten sie nirgends Schaden an, sie sind trotz ihrer Größe harmlos für den Gärtner sowohl wie für den Landwirth.

Meist gegen Ende September verwandelt sich. die Raupe in eine glänzend schwarzbraune Puppen von etwa 7 cm Länge; hinter [438] dem Kopfe ist sie flach sattelartig eingedrückt. Behufs Verpuppung macht sich die Raupe ziemlich tief in der Erde eine große eiförmige Höhle, welche innen wohl geglättet erscheint. Die Eiform dieser Höhle, sowie deren innere Glättung wird durch eine kreisförmige Bewegung der Raupe erzielt, welch letztere bei ihrer Drehung einen klebrigen, bald sich härtenden Saft ausscheidet. Einen ähnlichen Saft benutzt später der ausschlüpfende Schmetterling, um die Wandung der Höhle an einer Stelle aufzuweichen und sich den Weg nach der Erdoberfläche zu bahnen. Einem Theil der Puppen entschlüpfen im Freien schon Mitte oder Ende Oktober die Schmetterlinge, und aus dieser Entwickelungsgruppe rekrutieren sich vielfach die Atroposexemplare unserer Sammlungen. Alle diejenigen Puppen, welche vor Einbruch des Winters nicht zu Schwärmern werden, gehen bei uns im Freien zu Grunde, sie vermögen unsere Winterkälte nicht zu überstehen.

Im Zimmer kann man, wenn man die Puppen nur richtig behandelt, unschwer Schmetterlinge gewinnen. Die Atropospuppen, aus ihrem Erdcocon genommen, vertragen mehr als die vieler anderer Schmetterlingsarten; ihre feste Chitinhaut schützt sie, und vorsichtig eingepackt, lassen sie sich beliebig weiterbefördern. Bei richtiger Behandlung in der Gefangenschaft kann man jede Puppe zum Schmetterling sich entwickeln sehen, da keine der Atroposraupen von Schlupfwespen oder andern dergleichen Feinden angestochen wird. Auch diese merkwürdige Ausnahme ist ein Beweis, daß Atropos bei uns als eingewanderter Fremdling anzusehen ist; seine Feinde vermögen ihm auf seinem Hunderte von Meilen weiten Fluge nicht zu folgen, und die einheimischen Raupentödter verstehen sich nicht auf die fremden Atroposraupen. Daß er auch in seiner Heimath von solchen Feinden verschont bleibt, ist kaum anzunehmen, es hat aber darüber noch niemand berichtet.

Um die Puppen sicher zum Auskriechen zu bringen, nehme man sie vorsichtig aus der eiförmigen Erdhöhle und lege sie auf reinen Sand, der beständig feucht und warm gehalten werden muß; die Wärme auf dem obersten Fache eines hohen Bücherbrettes im geheizten Zimmer, oder besser noch ein erhöhter Platz in der Küche genügt vollkommen. Bei gleicher Behandlung verschiedener Exemplare derselben Zucht erfolgt die Entwicklung doch verschieden rasch. So krochen die Puppen von vier fast gleichzeitig unter die Erde gegangenen Raupen in folgenden Zeiträumen aus: Nr. 1 am 1., Nr. 2 am 7., Nr. 3 am 20. Dezember, N. 4 erst am 11. April des folgenden Jahres. In anderen Jahren erschien aus zeitig in der Gefangenschaft verpuppten Raupen der Schmetterling schon Ende September oder im Oktober und November.

Kein weiblicher Todtenkopfschmetterling, der bei uns der Puppe entschlüpft, ist imstande, die Art fortzupflanzen, da bei ihnen allen die Eierstöcke bis auf ein Minimum verkümmert sind oder gänzlich fehlen. Man könnte nun meinen, es sei dies ein Beweis, daß ihre Entwicklung in unseren Breitegraden klimatisch nachtheilig beeinflußt werde und von der in ihrer Heimath normal fortschreitenden Entwicklung abweiche. Doch dies ist nicht der Fall; auch die im südlichen Europa noch im Herbste auskriechenden weiblichen Schmetterlinge sind unfruchtbar, wie viele aus Spanien bezogene Exemplare zeigten, und es gleicht in dieser Beziehung Acherontia Atropos anderen Species der größeren Sphingiden, von denen die Puppen bisweilen in größerer Zahl noch im Herbste auskriechen, ohne je ein Ei abzusetzen, während erst die im Frühjahr, bez. Juni des folgenden Jahres, die Puppen verlassenden Individuen geschlechtsreif erscheinen. Der Lebenszweck dieser Herbstindividuen ist verfehlt, sie dienen nur zur Belebung duftender Blumenbeete in der Dämmerung, oder als fette Leckerbissen für die Fledermäuse.

Wie nun diese Thatsache bei unseren einheimischen Sphingiden feststeht, so verhält es sich auch mit Atropos in dessen Heimath; nur ein gewisser Prozentsatz der Puppen entwickelt sich nach der Ueberwinterung zum durchaus vollkommenen Insekt; die von ihnen stammenden Nachkommen entwickeln sich sehr rasch, so daß schon im Juli eine zweite, aber unverkümmerte Schmetterlingsgeneration auftritt, von denen einzelne Individuen aus dem Süden bis zu uns und noch weiter nördlich vordringen und ihre Eier absetzen, ohne aber hierdurch für die Erhaltung der Art oder für die ständige Ansiedlung im Norden Europas beizutragen. Denn die im Herbste ausschlüpfenden Todtenköpfe sind geschlechtlich verkümmert, und die Puppen welche bei uns unter der Erde überwintern, sterben ausnahmslos, einheimische Nachkommen giebt es eben nicht.

Schließlich ist noch eine ganz besondere Eigenthümlichkeit des Atroposschmetterlings hervorzuheben, wodurch er sich von allen andern Schuppenflüglern wunderbar unterscheidet. Er giebt nämlich, wenn man ihn angreift, ansticht oder irgendwie in Aufregung versetzt, einen eigenartigen Ton von sich, der an das Quieken einer Maus erinnert oder noch besser als ein wesentlich verstärktes Piepen des rothen Lilienkäfers, Lema asparagi, oder des Moschusbocks, Aromia moschata, bezeichnet werden kann. Gerade dieser sonderbare Klageton des auf dem Bruststück mit einem Todtenschädel gezeichneten, während der Nacht geisterhaft erscheinenden Ungethüms hat wesentlich mit dazu beigetragen, Unkundigen abergläubische Furcht vor ihm einzuflößen.

Landois giebt in seinen „Thierstimmen“ (Freiburg i. B. 1874) über diesen Ton des Todtenkopfes die von früheren abweichende, wohl einzig richtige Erklärung. Er sagt: „Der Schwärmer besitzt eine prall mit Luft angefüllte Saugblase, welche dicht vor dem eigentlichen Magen liegt, den vorderen Theil des Hinterleibes einnimmt und in das Ende der Speiseröhre mündet. Diese Einrichtung dürfte bei dem Saugen des Honigs und anderer Nahrungssäfte eine Rolle spielen. Die beiden Hälften der Rollzunge schließen an der vorderen Fläche nicht vollkommen aneinander, sondern lassen eine feine Spalte zwischen sich. Dadurch nun, daß die Luft aus der Saugblase durch diese Spalte getrieben wird, entsteht der Ton. Der Beweis hierfür liegt darin, daß man dem getödteten, aber noch weichen Schmetterling durch den Rüssel Luft einblasen kann, wobei der Hinterleib aufschwillt; drückt man auf diesen, so hält der Ton so lange an, als man drückt.“

Außerdem fand Swinton in der Mundhöhle des Schmetterlings, als er den Rüssel weit abwärts drückte, ein herabhängendes Segel, das beim Erklingen des Tones stark vibrirte, ähnlich den Kehlkopfbändern höherer Thiere.

Ohne Zweifel ist Acherontia Atropos einer der merkwürdigsten Schmetterlinge, und ich möchte ihn deshalb einer weiteren genaueren Beobachtung empfehlen.