Textdaten
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Autor: Dr. Hugo Magnus
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Titel: Das Auge und das Mienenspiel
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 37, S. 595–597
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1874
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Das Auge und das Mienenspiel.


Von Dr. Hugo Magnus in Breslau.


Das Auge spielt in dem Leben des Menschen eine zu hohe und wichtige Rolle, es ist die ungestörte, ungetrübte Functionsfähigkeit des Sehorgans für das Wohlbefinden und das Glück eines jeden Individuums ein zu nothwendiges, unerläßliches Erforderniß, als daß nicht der Werth und die Wichtigkeit dieser herrlichen, edlen Gabe der Schöpfung zu allen Zeiten und bei allen Völkern unbedingt anerkannt worden wäre. Die Dichter aller Nationen und aller Zeitalter haben diesem Bewußtsein von der Hoheit und Wichtigkeit des Auges für das irdische Glück in den beredtesten und farbenreichsten Worten Ausdruck gegeben; ihre Phantasie hat das Auge mit Eigenschaften und Fähigkeiten geschmückt, die dem nüchternen, kritisirenden Verstande des Gelehrten wie dem Laien doch oft etwas gewagt und kühn, der beflügelten Phantasie eines begeisterten Sängers aber wohl erlaubt und berechtigt erscheinen mögen, wenn es galt, das herrlichste, bedeutsamste Geschenk der gütigen Mutter Natur zu preisen.

Aber nicht blos des Lobes und der Verherrlichung der Dichter kann sich das Auge rühmen, sondern auch die Philosophen aller Schulen haben sich viel mit ihm zu schaffen gemacht; lag es ja doch so nahe und war so verführerisch, dem Auge allerlei Eigenschaften der Seele und des Charakters zuzuschreiben, in ihm die verschiedensten seelischen Zustände wiederzufinden und aus ihm herauszulesen. Es wundert uns daher gar nicht, wenn auch noch heutzutage das Publicum in derartigen Anschauungen befangen ist. Nicht blos der Araber, Italiener und Spanier fürchtet heute noch den „bösen Blick“, sondern auch der kalte, doch wahrlich nicht phantasiereiche Nordländer redet von einem unheimlichen, stechenden Blicke, ohne sich Rechenschaft darüber zu geben, wo und wie derselbe entstehen soll. Wir suchen ihn einfach im Auge, ohne daran zu denken, daß dasselbe in Wahrheit völlig unschuldig daran ist. Man behandelt das Auge eben in dieser Beziehung vielfach ebenso ungerecht wie das Herz; dasselbe soll bald böse, kleinlich, rachsüchtig, bald wieder edel, groß, erhaben sein, und doch ist es in Wahrheit eben nichts Anderes als eine rastlos arbeitende Pumpe, die durch ihre unermüdliche, rhythmische Thätigkeit den belebenden und ernährenden Blutstrom durch die Adern des Körpers treibt. Ebenso unschuldig aber wie das Herz an den niedrigen Eigenschaften des Sterblichen ist auch das Auge. Weder Gutes noch Böses, weder Erhabenes noch Gemeines liegt im Auge selbst, sondern wird ganz mit Unrecht in dasselbe hineingelegt.

Aristoteles und Seneca gehörten zu den Ersten, die in dem Auge einen Ausdruck, einen Abglanz der seelischen Affecte finden wollten.

In ähnlichem Sinne sagt Apulejus, er habe zu Korinth eine Tänzerin die Rolle der Venus spielen sehen; es habe dieselbe nur mit den Augen getanzt. Das ganze Mienenspiel, die Stellung, die Bewegungen der Augen selbst, sowie diejenigen der Lider können dem Gesichte wohl den von Apulejus geschilderten Ausdruck verleihen, aber die Augen allein sicherlich nicht. Der Augapfel an und für sich ist nie und nimmer im Stande, eine Stimmung der Seele zur Anschauung zu bringen. Es kann sich, wie uns die Physiologie und die praktische Augenheilkunde lehren, eine Veränderung in der Form des Augapfels, außer eben in krankhaften Zuständen, nie einstellen. Es bleibt unter physiologischen Verhältnissen der uns sichtbare, zugängliche vordere Abschnitt des Augapfels durchaus unverändert; genaue optometrische Untersuchungen haben nämlich gelehrt, daß die äußere Form des Auges, speciell die Krümmung der Hornhaut, unter normalen Verhältnissen sich nicht ändern könne, weder beim Betrachten kleiner, nahe gerückter Gegenstände, noch beim gedankenlosen Starren in’s Blaue hinein. Die einzige Veränderung, die man am Auge bemerken kann, wäre die Verkleinerung der Pupille, doch ist dies ein unserem Willen völlig entrückter Act, der nur im Interesse der optischen Vorgänge im Auge selbst bei verschieden Blickrichtungen oder beim Einfallen hellen Lichtes in das Auge stattfindet und für den Ausdruck sinnlicher Zustände ohne jede Bedeutung bleibt.

Eine so nebensächliche und untergeordnete Rolle also dem Augapfel selbst in der Darstellung von Gemüthszuständen zugetheilt ist, eine um so wichtigere und bedeutsamere ist den das Auge umgebenden Weichtheilen zugefallen. Ihre Stellung zu dem Sehorgan sowohl, wie zu den anderen Theilen und Organen des Gesichts bildet einen Hauptfactor in der Mimik und Physiognomik. Die Augenbrauen, die Lider, die Größe der Lidspalte und die dadurch bedingte scheinbare Vergrößerung oder Verkleinerung des Auges geben dem Augapfel die verschiedensten Gestaltungen und Formen, und sie eben sind es deshalb, die im Vereine mit den anderen Theilen des Gesichts die seelischen Zustände der Außenwelt andeuten. Man betrachte nur den Ausdruck eines Zornigen, und man wird sich bald klar werden, wie es hier hauptsächlich die weit aufgerissenen Lider und die in die Höhe gezogenen Brauen sind, die den eigenthümlichen, charakteristischen Ausdruck des Zornes in dem Gesicht hervorbringen, während der Augapfel selbst sich auch nicht im Geringsten in seiner Form verändert, sondern nur durch seine schnellen, rollenden Bewegungen den Seelenzustand des Zornigen verräth. Durch die weit geöffnete Lidspalte wird mehr von dem Weiß des Auges, der Lederhaut, sichtbar. Auch die Hornhaut wird freier und ist nur noch wenig von den sie sonst zum Theil deckenden Lidern verhüllt, sodaß der sogenannte Hornhautreflex oder Hornhautspiegel, welcher durch die von der glänzenden, spiegelnden Hornhaut zurückgeworfenen Strahlen erzeugt wird, mehr zur Geltung kommen kann – übrigens zugleich die einzige Rücksicht, in welcher der vulgäre Ausdruck von dem blitzenden, funkelnden Auge des Zornigen seine Berechtigung hat, obgleich das Blitzen des Auges in diesem Falle kein vermehrtes, sondern vielmehr genau dasselbe ist, das uns für gewöhnlich aus dem Auge eines völlig nüchternen, leidenschaftslosen Menschen entgegenstrahlt, aber allerdings durch die weit geöffneten Lider in größerer Ausdehnung sichtbar wird.

Verwandt mit dem Ausdrucke des Zornes ist der Ausdruck der Furcht. Auch hier werden die Lider weit aufgerissen, die Brauen in die Höhe und aneinander gezogen, nur rollt nicht der Augapfel selbst unstät umher, sondern heftet sich fest auf den furchterregenden Gegenstand; daher also der starre, unheimliche Blick des Furchtsamen, Erschreckten. Die Volkssprache hat somit gewiß Recht, wenn sie dem Erschreckten ein gläsernes Auge als charakteristisch für seinen Seelenzustand zuschreibt. Das aufgerissene, auf einen Fleck unverwandt hinstierende Auge hat eben etwas Todtes, Lebloses. Ebenso ist der vermeintliche drohende Blick, oder das strahlende, funkelnde Auge des Muthigen, abgesehen von der Stellung der anderen Gesichtstheile, hauptsächlich durch den erweiterten, in voller Ausdehnung sichtbar gewordenen Hornhautreflex zu erklären. Auch der Ausdruck der Zärtlichkeit, der List, der Geringschätzung, der Verschmitztheit, der Lüsternheit prägt sich im Auge nur durch eine Verengerung der Lidspalte aus, ohne den Augapfel selbst in seiner Gestaltung irgendwie zu beeinträchtigen.

In sehr interessanter Weise hat Duchenne auf experimentalem Wege die Bedeutungslosigkeit des Sehorganes für mimische Zwecke nachgewiesen. Nach ihm gelingt es nämlich mit Leichtigkeit, nur durch Elektrisiren bestimmter Muskelgruppen des Gesichtes, ohne jede Betheiligung des Augapfels selbst, dem Gesichte eines in dem Augenblicke des Experimentes geistig durchaus ruhigen, leidenschaftlosen Individuums den Ausdruck irgend eines seelischen Affectes willkürlich zu verleihen. Es sind in diesem Falle nun doch gewiß nicht die Augen, sondern die elektrisch gereizten Gesichtsmuskeln, die durch ihre Stellung und Lage, sowohl zu einander wie zu dem Augapfel, den beabsichtigten Gesichtsausdruck hervorbringen.

In allerneuester Zeit hat Darwin den Ausdruck der seelischen Zustände durch die verschiedenen Organe des Körpers einer genauen Untersuchung unterworfen, dabei aber auch eine directe Betheiligung des Sehorganes nicht erwähnt. Er spricht wohl von den Lidern, den Brauen, der Größe der Lidspalte, aber an keiner Stelle von einer directen Thätigkeit des Augapfels selbst durch Veränderung seiner Form. Zu ähnlichen Ergebnissen sind übrigens früher schon Bell, Piderit und Gratiolet gelangt.

Der Augapfel ist mithin physiognomisch ein nur äußerst wenig veränderliches Ding und die ihm beigelegte ausdrucksvolle [596] und vielgestaltige Sprache lediglich das mimische Erzeugniß der ihn umgebenden Weichtheile. Unter allen Umständen sind seine Leistungen, wenn man ihm auch nicht alle und jede Betheiligung an der Wirkung absprechen kann, zu unbeträchtlich, um ihm das Beiwort „Spiegel der Seele“ als wirklich verdientes zuertheilen zu dürfen. Es sind doch eigentlich nur die schnelleren oder langsameren Bewegungen, sowie die Stellung, die man dem Augapfel als eignes Verdienst bei dem so lebhaften und sprechenden Mienenspiel des Gesichtes in Rechnung bringen darf. Das so viel gerühmte Feuer des Auges aber bleibt, wie wir gesehen haben, unter allen Umständen völlig dasselbe. Denn der Zornige, der Kühne, der Liebende oder der Sanfte, sie Alle haben, dieselbe Größe der Augen vorausgesetzt, genau den gleich großen Hornhautreflex, welcher nur bei dem Einen durch die weit aufgerissenen Lider deutlicher zu Tage tritt, bei dem Anderen durch die gesenkten Lider halb verhüllt, gedämpft und gemäßigt wird.

Verhüllen wir Beiden das Gesicht und lassen nur die Augen frei, so wird nimmermehr Jemand den Zornigen oder den Sanften nur an den Augen erkennen. Man versuche es nur einmal selbst; man trete unter irgend einem seelischen Affecte, aber mit bis auf die Augen dicht verhülltem Gesicht, vor den Spiegel und studire den Ausdruck der Augen, so genau wie man nur immer wolle: man wird eben nur immer denselben Glanz aus ihnen leuchten sehen, von der Verkörperung jenes Seelenzustandes aber, auch bei sehr lebhafter Phantasie, nicht das Geringste entdecken können. Die Türken sind in dieser Erkenntniß unserer Philosophie schon seit lange überlegen. Ihre Weiber dürfen mit verhülltem Gesicht unbehindert jedem Fremdling begegnen, da sie sehr wohl wissen, daß die Augen allein doch Nichts sagen und also auch keine Verständigung vermitteln können, sondern aus allen Augen dem Neugierigen immer nur derselbe an sich nichtssagende Glanz entgegenblickt, mag unter dem verhüllenden Schleier immerhin das übrige Gesicht gar oft eine recht deutliche, vernehmliche Sprache reden.

Wenn somit die ernste, nüchterne Wissenschaft der Poesie wieder ein Ideal zertrümmern muß, wenn das poetische Wort, daß das Auge ein Spiegel der Seele sei, sich als ganz unhaltbar erweist und nichts weiter ist als eine Frucht der immer regen Phantasie des Dichters: so stimmen wir dennoch dem Dichter gern bei, wenn er die Schönheit des Auges rühmt, und sehen es ihm ebenso gern nach, wenn er seine Gestalten die Augensprache reden läßt, wie wir uns an den übrigen Idealen seiner Einbildungskraft ergötzen.

Allein, wenn sonach die Affecte der Seele, welche sich durch die anderen Theile des Gesichtes so scharf und sprechend markiren können, auf das Auge als solches auch keinen Einfluß auszuüben vermögen, wenn das Feuer und der Glanz des Auges, die, wie wir gesehen haben, nichts weiter sind als Spiegelreflexe der Hornhaut, von jenen Affecten völlig unberührt bleiben, so kann deshalb doch das Auge des Einen glänzender sein als dasjenige des Andern. Sind ja doch die schönen, sprühenden Augen der Andalusierinnen, sowie aller Südländer eben so sprüchwörtlich geworden wie die kalten Augen der Engländerinnen.

Auch wird Jeder wohl schon an sich selbst oft genug erfahren haben, wie dieses oder jenes Auge uns in einem wahrhaft bezaubernden, wunderbaren Glanze, ein anderes uns kalt und theilnahmlos anschaut. Diese Thatsache, weit entfernt, unsere obigen Ansichten über das Auge und sein Verhältniß zur Mimik zu beeinträchtigen oder uns in das ideale Lager der Dichter und Poeten zurückzutreiben, bietet uns im Gegentheil eine neue, schneidige Waffe im Kampfe gegen Idealismus und Phantasie. Denn der Unterschied in dem Glanz und Feuer verschiedener Augenpaare wurzelt einzig und allein in einer rein anatomischen Thatsache. Ein dunkles Auge, ein Auge mit brauner oder braunschwarzer Regenbogenhaut – ganz schwarze giebt es, nebenbei gesagt, nicht – eignet sich für die Bildung eines Reflexes der Lichtstrahlen auf der Hornhaut viel besser als ein Auge mit heller, blauer oder grauer Regenbogenhaut. Es herrscht unter den Hornhautreflexen zweier solcher Augenpaare ungefähr dasselbe Verhältniß wie zwischen den Spiegelbildern eines mit guter oder eines mit schlechter Spiegelfolie belegten Spiegels. Der gut belegte Spiegel wird ein viel lichtreicheres, strahlenderes Bild entwerfen als der mit weniger guter Folie bekleidete. Im Auge vertritt die Farbe der Regenbogenhaut gleichsam das Quecksilber am Spiegel; ein dunkler Hintergrund, also beim Auge eine dunkle Regenbogenhaut, spiegelt stets besser als ein heller. Somit ist der Hornhautspiegel am dunklen Auge lichtreicher und glänzender als am hellen, und wir nennen daher, ohne uns dieser anatomisch-physikalischen Thatsache bewußt zu werden, das dunkler gefärbte Auge der Südländerin glühend, das helle der Nordländerin kalt und wässerig.

Aehnlich erklärt sich auch die Thatsache, daß ein Leichenauge uns ausdruckslos und kalt entgegenstarrt. Durch den Tod wird die Hornhaut in ihrem Gefüge verändert; ihre oberflächlichen Schichten werden gelockert und erweicht, sodaß das von ihr entworfene Spiegelbild seinen früheren Glanz verliert, verwischt und lichtarm erscheint. Das Feuer, das uns aus dem geliebten Auge so oft entgegenstrahlte, ist unter der kalten Hand des Todes verloschen, aber nicht, weil die Seele ihre Hülle verlassen hat, sondern weil die Spiegelbilder der Hornhaut eine Trübung erfahren haben, und weil ihnen das belebende Spiel der Augenlider und Brauen fehlt.

Aus demselben Grunde erscheint uns auch in erblindeten Augen das Feuer und der Glanz derselben so oft erloschen, der Blick kalt und ausdruckslos. Durch die zur Erblindung führenden Krankheiten werden nämlich häufig die Hornhautbilder, deren spiegelnder, glänzender Reflex zerstört und abgeschwächt, indem entweder die Hornhaut selbst oder die Regenbogenhaut durch die Erkrankung derartig verändert werden, daß ihre Fähigkeit, den Glanz und den Lichtreichthum der Reflexe zu erzeugen, respective zu erhöhen, auf immer verloren ist. Außerdem darf man auch nicht vergessen, daß bei totaler Erblindung der Ausdruck des Gesichts, das ganze Mienenspiel zum Theil verloren geht. Denn das Auge ist ja gleichsam das Thor, durch welches die die Seele erregenden und belebenden Eindrücke und Affecte ihren Einzug halten. Ist dieses Thor geschlossen, die Seele von ewigem Dunkel umfangen und von allen sie belebenden Eindrücken fast ganz ausgeschlossen, so wird sich dieser Zustand nur zu bald in der Unthätigkeit des Mienenspiels aussprechen, das Gesicht kalt und theilnahmlos erscheinen, sodaß man also auch in diesem Falle des schon oben erwähnten Irrthums sich schuldig macht, wenn man, anstatt vielmehr die Gesichtsmuskeln, das Auge todt, kalt und ausdruckslos nennt. Der praktische Augenarzt hat leider nur zu oft Gelegenheit, derartige Beobachtungen zu machen. Die Haltung der Augen, die Leerheit der Gesichtszüge geben ihm nicht selten einen Anhaltepunkt zur Erkenntniß der Krankheit. Gar häufig blitzt uns noch aus den Augen des Kranken das alte Feuer entgegen, und doch umnachtet schon ewige Finsterniß den Geist desselben. Die äußeren Theile des Auges, wie Hornhaut etc., sind zwar gesund geblieben, aber vielleicht sind der Sehnerv oder die Netzhaut in der Tiefe des Auges abgestorben. Alsdann leuchtet eben von der gesunden Hornhaut noch der alte Glanz in ungetrübter Helligkeit, aber das Auge ist erblindet, und der Arzt erkennt diese Sachlage nicht selten schon an der Leblosigkeit, der Leerheit der Gesichtszüge.

Nicht aus der Tiefe des Auges dringt also der zündende, strahlende Blick, nicht als Ausfluß des Geistes ist er des Auges eigenes Product, sondern er wird lediglich durch die erborgten Lichtstrahlen der Außenwelt bedingt, ist eine streng physikalische, optische Erscheinung, die nicht dem Auge als solchem eigenthümlich ist, sondern die es mit jedem Spiegel zu theilen hat. Wie jeder Spiegel die auf ihn fallenden Lichtstrahlen als mehr oder minder lichtstarkes Bild zurückwirft, so thut es auch das Auge durch seine Hornhaut und seine Linse. Nur der Wechsel in der Größe, dem Lichtreichthume dieses Reflexes, wie ihn die Bilder durch ihre verschiedenen Stellungen und Haltungen zum Auge bedingen, verleiht dem Feuer des Auges etwas Belebtes und Sprechendes, während dieser Reflex an und für sich ebenso todt und kalt ist wie der von dem Spiegel an der Wand reflectirte Lichtstrahl.

Ich habe in unserer Betrachtung hauptsächlich des Hornhautspiegelbildes gedacht, die beiden von der Krystalllinse entworfenen dagegen fast gänzlich ignorirt, weil ich deren Bedeutung für Mimik und Physiognomik gleich Null erachte. Sie sind nämlich um Vieles lichtschwächer als jenes und werden durch dessen Glanz daher völlig überstrahlt. Mag ihre Bedeutsamkeit für [597] einzelne wissenschaftliche Fragen auch eine sehr hohe sein, für unsere Zwecke hier können wir sie getrost übergehen.

Die Bedeutungslosigkeit des Auges für den Ausdruck seelischer Affecte wird auf das Schlagendste durch die Bildhauerkunst nachgewiesen. Gerade hier kann der Künstler den seelischen Affect nur durch die Stellung der Gesichtsmuskeln, der Lider und Brauen, sowie durch die Haltung der übrigen Körpertheile darstellen; das Auge selbst aber kann von ihm nur gemäß seiner äußeren Form angedeutet werden; der Glanz und das Feuer desselben, in denen man auch heute noch immer irrthümlicher Weise die Zustände der Seele zu erkennen meint, können in keiner Weise durch die plastische Kunst zur Darstellung gebracht werden. Wenn aber der Künstler trotzdem uns in seinen Gebilden alle Zustände des Gemüthes auf das Meisterhafteste verkörpert vorführen kann, so ist damit auf das Zweifelloseste die Stellung angedeutet, welche dem Auge in der Darstellung seelischer Affecte eingeräumt werden kann. Der Kopf der klagenden Niobe bringt den Ausdruck des tiefsten Schmerzes, des bittersten Seelenleidens in wahrhaft classischer Weise zur Anschauung, und doch hat der Künstler das Auge nur als glatte, leicht gewölbte Fläche angedeutet. Fast alle Meister des Alterthums haben in völliger Würdigung und richtiger Beurtheilung aller der mimischen Hülfsmittel, welche die Natur dem Menschen verliehen hat, den Augapfel selbst nur als völlig glatte Fläche gebildet, höchstens nur durch einen ganz seichten Kreis die Pupille angedeutet, aber nie den Versuch gemacht, den Augapfel selbst durch irgend welche eingreifendere Ausarbeitung zum Hauptträger des darzustellenden seelischen Affectes zu stempeln.

Wenn einzelne Künstler der neueren Schule gerade in diesem Punkte von dem Vorbilde der Alten abweichen und den Augapfel, statt ihn als leicht gewölbte, glatte Fläche darzustellen, an Stelle der Hornhaut und Iris mit mehr oder minder ausgesprochenen Vertiefungen und Höckern versehen, so machen sie sich damit einer Effecthascherei schuldig, welche eine so hohe und edle Kunst, wie es die Bildhauerei ist, in keiner Weise bedarf. Nicht allein weicht der Künstler durch eine derartige Nachbildung des Auges von den allgemeinen, soeben durchgesprochenen Gesetzen der Physiognomik ab, welche die größte Bedeutung für die Verkörperung des seelischen Zustandes nicht in das Auge, sondern in die dasselbe umgebenden Weichtheile verlegen, sondern er macht sich auch einer Unwahrheit in der Darstellung selbst schuldig. Kein normales, gesundes Auge zeigt derartige Löcher und Höcker, wie wir sie heutzutage gar nicht selten an den Augen moderner Statuen zu Gesicht bekommen. Der Bildhauer sündigt also durch eine solche Nachbildung des Auges auf’s Schwerste gegen seine Kunst. Es soll uns der bildende Künstler den menschlichen Körper durchgeistigt, als vollendete, ideale Gestalt vorführen, und dies kann ihm nur dann gelingen, wenn er im engen Anschluß an die Natur sein Werk schafft, nicht aber durch willkürliche, der Natur widersprechende Zuthaten dasselbe zu einem reinen Product seiner Laune macht.

Nur ein inniges Studium der Natur befähigt den bildenden Künstler, eine hervorragende Leistung zu schaffen, und ein solches wird ihn zweifellos zu der Ueberzeugung führen, daß das menschliche Auge genau so, wie es die Natur gebildet hat, also als leicht gewölbte glatte Fläche dargestellt werden muß, und in keiner Weise einer andern Darstellung bedarf, um als wirksames Glied dem Kunstwerke eingereiht zu werden.