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Engel,

die von Gott zuerst geschaffenen rein geistigen Wesen, die theils Gott treu blieben und dienten, theils von ihm abfielen und Teufel wurden. Vgl. den Artikel Lucifer. Die Geistigkeit [237] (das Dämonische) ist ihr vorherrschender Charakter. Zu Gott verhalten sie sich als dessen Boten und Diener, zu den Menschen als deren Schutzgeister, Warner, aber auch als Vollzieher des Gerichts. Unter den drei Personen der heiligen Dreieinigkeit ist es hauptsächlich die dritte, der heilige Geist, zu dem sie als reine Geister in Beziehung stehen. Augustinus, de civit. Dei 12, 9. Bei den Sekten, denen der Geist höher als Vater und Sohn stand, und die überhaupt das Concrete in Schöpfung und Weltgeschichte aufzulösen trachteten in blose Phänomene des Geistes, wurden die Engel im pantheistischen Sinne zu Emanationen des göttlichen Urgeistes. Vgl. den Art. Aeonen. Der Geist wurde auch weiblich aufgefasst als ewige Weisheit, Sophia, und diese Vorstellung scheint noch leise in der Unterordnung der Engel unter die Gottesmutter anzuklingen. Es scheint aber nur so. Weit entfernt von einer gnostischen Häresie ist die Kunst und Poesie des Mittelalters, indem sie in der heiligen Jungfrau die regina angelorum erkannte, dabei nur von der anima candidissima Mariens ausgegangen. Je nachdem man die Engel als Emanationen, Urkräfte und unmittelbare Theile der Gottheit selbst betrachtete, drohte das Christenthum in den heidnischen Polytheismus und Pantheismus zurückzufallen, daher schon der Apostel Paulus Col. 2, 18. davor warnte und das Concil von Laodicea den Engelcultus verbot. Vgl. Schrökh, Kirchengesch. VI. 256. IX. 212. Binterim, Denkw. V. 1. 467. Die Kirche achtete sorgfältig darauf, dass die Engel immer nur im Verhältniss von Dienern und Werkzeugen des ihnen wie den Menschen absolut übergeordneten Herrn betrachtet wurden. Den Menschen sicherte sie sogar einen Vorzug vor den Engeln, wenigstens galt Adam vor dem Falle und Christus, der neue Adam, als Ideal der Menschheit für ein höheres Wesen, dem die Engel huldigen und dienen sollten. Berthold in seinen Predigten bemerkt sinnig: Gott schuf den Menschen, um wieder gut zu machen, was die gefallenen Engel gefehlt; denn sie fielen in Hochmuth wegen ihrer Geistigkeit und uneingeschränkten Macht, weshalb Gott den [238] Menschen schuf, dessen Leiblichkeit den Geist gefangen nimmt und ihm Demuth lehrt. Vgl. Wiener Jahrb. 32. 207. Suso sagt einmal: „Mehr als Engel ist der leidende Gerechte, denn Engel leiden nicht.“ Gall, Stimmen aus d. Mittelalter 171. „Honoramus angelos caritate, non servitute, nec eis templa construimus,“ sagt St. Augustinus, de vera relig. 55.

Die Engel sind so sehr nur Vollzieher des göttlichen Willens, dass sie zuweilen mit Gott identisch erscheinen. Vgl. Genesis 31, 11. 13. Exod. 3, 2. Richter 6, 11. Andererseits stehen sie wieder in inniger Wahlverwandtschaft mit den Seelen der Seligen, denen verheissen ist, zu werden, wie die Engel. Matth. 22, 30. Luk. 20, 36. Hebr. 12, 22. Ueberall aber gehören sie einer höhern Geisterregion über den Menschen an, und es ziemt ihnen deshalb in bildlichen Darstellungen eine heitere Unbefangenheit, die sich mit der Naivetät der alten Malerei viel besser vereinigen lässt, als mit dem Pathos der modernen. Der wie aus einer fremden Welt herablächelnde Engel ist schicklicher als der vom Weltschmerz ergriffene oder in Sorgen und Leidenschaft sich abarbeitende Engel, in dem die neuern Maler alle menschlichen Gefühle auszudrücken bemüht sind, vergessend, dass die Engel darüber erhaben sind. Am Unpassendsten ist es, in die Physiognomie der Engel etwas Anspruchsvolles, kokettes Bewusstseyn, hohe Selbstschätzung mit aufgeworfener Nase und verkniffener Lippe zu legen. Die zarte Engelwelt eignet sich am wenigsten, in die Sphäre künstlerischer Vornehmthuerei und Renommisterei hinabgezogen zu werden.

Die Engel verhalten sich zu den Teufeln in der Geisterwelt ganz so wie die Frommen zu den Gottlosen in der Menschenwelt; daher sind sie Vorbilder der Christenheit im Gegensatz gegen Heiden und Ungläubige, des Lichtreichs auf Erden im Gegensatz gegen das Nachtreich; im engeren Sinne aber Vorbilder des Priesterthums im Gegensatz gegen die Laienwelt. Jeder Priester soll sich bestreben, so körperlos als möglich zu werden und als Gottes Diener und Bote auf Erden zu erscheinen, wie die Engel. Vgl. Maleachi 2, 7. [239] Als Vorbilder des Priesterthums vollziehen Engel die ganze Liturgie auf alten Kirchenbildern. Didron, man. p. 230 f. Als Chorknaben erscheinen sie höchst reizend auf dem berühmten Genter Altar von Eyck. Vgl. auch Rathgeber, Gothaer Museum S. 228.

Die Engel sind in Rangordnungen getheilt, die unter sich in vollkommener Harmonie stehen. Die Engelwelt soll auch in dieser Beziehung Vorbild der in der christlichen Kirche harmonisch vereinigten Menschenwelt seyn. Daher sieht man auf Kirchenbildern des Mittelalters oben die himmlischen Heerschaaren oder Engelchöre und unten eben so viele und denselben entsprechende Abtheilungen von menschlichen Heiligen, Martyrern, Propheten, Sibyllen, heiligen Jungfrauen, heiligen Rittern, heiligen Matronen, heiligen Einsiedlern etc. Als Chorführerin der Engel tritt dann immer die heilige Jungfrau, als Führer der irdischen Heiligen dagegen Johannes der Täufer hervor.

Die Classification der Engel ist sehr mannigfach und verschiedenartig. Abgesehen von den gnostischen Häresien, deren Aeonenlehre pantheistisch war, unterscheidet man in den Engeln hauptsächlich ihre Tugenden und ihre Zwecke. Sie charakterisiren sich entweder durch die Eigenschaften der Macht, Weisheit, Liebe, die ihnen Gott mittheilt, oder durch die Bestimmung, die er ihnen gibt, durch ihr Amt.

Eine personificirte Einheit der Engelwelt gibt es nicht. Lucifer als erster Engel kann sie nicht darstellen, weil er abfiel. Alle guten, Gott getreuen Engel bilden nur eine Mehrzahl, eine Peripherie um das göttliche Centrum her. Erst die neuere Kunst hat versucht, sie auf eine Zweiheit zu reduciren, auf einen Engel als Vertreter der göttlichen Gnade, einen andern als Vertreter der göttlichen Gerechtigkeit. So brachte sie Pezolt an den beiden Seiten des Altars in der Hauskapelle des Cardinal-Erzbischofs von Salzburg an, den einen mit Lilien und Palmen dankbar emporschwebend, die Flamme der Erleuchtung auf dem Haupt; den andern sein Gesicht verhüllend und aus einer Schale die Flammen göttlichen Zornes ergiessend.

[240] Die älteste dreifache Eintheilung der Engel hing wohl von der Dreieinigkeitslehre ab. Sie begegnet uns schon im Besuch der drei Engel bei Abraham, die auch wohl für die göttliche Dreieinigkeit selbst gehalten worden sind, weshalb sie auf alten Bildern auch den sonst nur den höchsten Personen der Gottheit zukommenden Kreuznimbus tragen. Didron, man. p. 88.

Allen andern Engeln sind die Erzengel vorgesetzt, unter denen der kriegerische Michael die bösen Dämonen überwindet und die Waage des letzten Gerichtes hält, Raphael als Begleiter des jungen Tobias vorzugsweise sich als Schutzgeist guter und leidender Menschen zu erkennen gibt, und Gabriel, der Engel der Verkündigung. Michael entspricht am meisten Gott dem Vater, sofern diesem noch am meisten von den Eigenschaften des Jehovah geblieben sind und überhaupt erst die alte Zeit siegreich im Kampf überwunden seyn musste, bevor die neue kommen konnte. Raphael entspricht am meisten dem unmittelbar zur leidenden Menschheit herabgestiegenen Erlöser; Gabriel sodann dem heiligen Geist, dessen ewiges Friedensreich uns erst verheissen ist. Vgl. die sinnigen Hymnen des Rhabanus Maurus in Fortlage’s Gesängen christl. Vorzeit S. 203. Alle drei Erzengel vereint tragen das segnende Christkind in einer Aureole. Didron, man. p. 77. Raphael malte die drei Erzengel, zum Christkind emporblickend, und zwar Gabriel verkündigend, Michael auf den Drachen tretend und Raphael mit einem Kinde, das er fürbittend dem kleinen Heiland empfiehlt. – Die Zornengel, die in Hagel, Schnee, Dampf und Sturmwind des Herrn Wort ausrichten, Psalm 148, 8, vgl. Offenb. Joh. 7, 12. 14, 18. 16, 5, sind dem Michael, die Schutzengel, Psalm 34, 8. 91, 11. Daniel 10, 13. 20, dem Raphael zu unterstellen.

Eine Vierzahl der Engel tritt uns in den vier Cherubim entgegen, siehe diesen Artikel. Man pflegt auch die drei eben genannten Erzengel durch Uriel als vierten zu ergänzen. Das soll der Engel gewesen seyn, der Christi Grab bewachte.

Die Siebenzahl der Engelwelt nach Tobias 12, 15. gehört der Aeonenlehre an und lässt sich auf die Planeten zurückführen, [241] obgleich der siebenarmige Leuchter, die sieben von Gott ausgehenden Strahlen etc. auch darauf bezogen werden können. Vgl. Jesaias 11, 1. Offenb. Joh. 5, 6. Auf Glasfenstern des Mittelalters kommt Christus unter sieben Tauben vor, Didron, icon. p. 297; das sind die sieben Geister Gottes.

Erst Dionysius Areopagita nahm in seinem Buch de coelesti hierarchia, Cap. 6–10, neun Engelchöre an, die seitdem in der christlichen Kunst beibehalten wurden. Sie bilden ein heiliges Dreimaldrei:

1) Θρόνοι, Χερουβίμ, Σεραφίμ,
Throni, Cherubim, Seraphim.
Throne, Cherubim, Seraphim.
2) Ἐξουσίαι, Κυριότητες, Δυνάμεις,
Dominationes, principatus, potestates.
Herrschaften, Fürstenthümer, Gewalten.
3) Ἄγγελοι, Ἀρχάγγελοι, Ἀρχαὶ,
Angeli, archangeli, virtutes.
Engel, Erzengel, Tugenden.

Die Throne sind entlehnt aus Kolosser 1, 16, die Gewalten und Fürstenthümer aus Epheser 1, 12, die Herrschaften und Tugenden aus Epheser 3, 10.

Die Throne beziehen sich auf die feurigen Regenbogen, auf denen Gott zu thronen pflegt, und auf die feurigen Räder neben den Cherubim, und bedeuten das Gericht, die Macht Gottes. Die Cherubim dienen der Weisheit, die Seraphim (so viel als die Brennenden) der Liebe Gottes. Die Herrschaften sollen sich auf das Befehlen, die Fürstenthümer auf das Gehorchen, die Kräfte auf die Ordnung beziehen. Die Erstern sind Engel über die Engel, die Andern Engel der Völker, die Dritten kriegerische Engel zur Bekämpfung der Teufel. Die Tugenden werden vorzugsweise auf die Wunder bezogen und die Erzengel als die grossen, die Engel als die kleinen Boten erklärt; jene in wichtigen Angelegenheiten der ganzen Menschheit, diese als Schutzengel der Einzelnen. Vgl. die aurea legenda, cap. 86, Dante’s Paradies, 28ster Gesang, das altdeutsche, von Hahn herausg. Passionale S. 340 f., wo dieselbe Engellehre wiederholt ist.

[242] In der griechischen Kirche werden die Throne als feurige und geflügelte Räder dargestellt; die Cherubim als Köpfe mit zwei Flügeln; die Seraphim als Engel mit sechs Flügeln; die Herrschaften, Fürstenthümer und Kräfte als Engel mit einer Ruthe (Scepter) und einem Siegel in den Händen; die drei niedern Ordnungen als Engel mit Lanzen. Didron, man. p. 71 f. Sehr ähnlich sind auch die Darstellungen in einigen altfranzösischen Kirchen; nur erscheinen hier neben den kriegerischen Erzengeln die gemeinen Engel alle in Priestergewändern; Didron, man. p. 75.

Auf einem ital. Miniaturbilde aus dem 13ten Jahrhunderte sind die neun Engelchöre in neun Gruppen dargestellt, von denen jede aus drei geflügelten Engelköpfen besteht. Sie schweben vor Gott, der sie mit der Rechten segnet und mit der Linken die Weltkugel hält. Didron, icon. p. 246.

Cornelius hat in den Fenstern in der Münchner Ludwigskirche die dominationes als gesetzgebende Gewalt (Engel mit Weltkugel und Scepter), die potestates als vollziehende Gewalt (Engel mit Richterstab und Schwert) charakterisirt; die virtutes als scientiae (Engel der Wissenschaft mit Messinstrumenten) und virtutes (Engel der Kunst mit musikalischen Instrumenten) unterschieden; endlich die throni und principatus als die Macht der Religion genommen, die er aber nicht auf die Menschen herabwirken lässt, sondern die er (als kniende und Korn und Weihrauch darbringende Engel) Gott zu Füssen legt – eine willkührliche Auffassung, welche die ganze Engelwelt aus dem subjectiv menschlichen Standpunkt betrachtet, gleichsam als Ausflüsse der Menschheit (im staatlichen, wissenschaftlichen, künstlerischen und andächtigen Thun), nicht der Gottheit. Steinle im Kölner Dom hat in seinem Bilde besser den Grundsatz festgehalten, dass die Engel im Namen Gottes von obenher wirken wie in den Raum, so in die Zeit, wie in die Natur, so in das Völkerleben.

Eine eigenthümliche Verbindung der Neun- und Siebenzahl hat Vasari in der Kuppel des Domes von Florenz angebracht. Beim thronenden Christus befinden sich zunächst [243] Seraphim und Cherubim, dann folgen die sieben andern Engelchöre, und zu den Füssen eines jeden liegt eines der Hauptlaster überwunden. Unter den Thronen der Neid als Schlange, unter den virtutes der Zorn als Bär, unter den potestates die Faulheit als Kameel, unter den dominationes die Völlerei als Cerberus, unter den principatus der Geiz als Kröte, unter den Erzengeln die Wollust, unter den Engeln der Hochmuth als Lucifer.

Unzählige Engelschaaren erscheinen malerisch gruppirt um den Thron des Herrn an den Festtagen des Himmels, an den Tagen grosser Verkündigung und Verklärung, an den Tagen der Himmelfahrt Christi, der Jungfrau, der Heiligen, endlich am Tage des Weltgerichts.

Die Engel bilden alsdann eine lebendige Glorie, einen lebendigen Nimbus, einen lebendigen Rosenkranz um die allerheiligsten Personen. Eine mandelförmige Glorie (mandorla) von lauter Engelsköpfen s. Agincourt sc. tab. 44. Eine Glorie von Cherubim, die unten in goldnen Flügelspitzen statt der Füsse enden, malte Alunno in Foligno. Spekter, Briefe aus Paris I. 87. Solche Engelreigen, frei in der Luft schwebend, kommen besonders häufig auf Deckengemälden der Kirchen vor, im Innern der Kuppeln. In der Kuppel der Domkirche zu Parma malte Correggio die heilige Jungfrau umgeben von Engelreigen, die in immer weiterer Entfernung einer hinter dem andern zu schweben scheinen, immer einer schöner als der andere. Vasari III. 1. 64. Millin, Reise in der Lombardei II. 190. Ein ähnliches Kuppelgemälde in Florenz. Die spätern Maler haben nur den Fehler begangen, den Engeln zu viel Fleisch zu geben und in dem Durcheinanderschweben derselben am Himmel zu viel blos anatomisches Studium, kunstreiche Verkürzungen etc. anzubringen.

Den Engelchören kommt vor Allem das Anbeten der höchsten Personen zu, indem sie knien, die Hände betend erheben etc. Dann als Lobsinger, indem sie den Mund zum Gesang öffnen oder auch Saiteninstrumente spielen. So erscheinen sie auf unzähligen Kirchenbildern. Wessenberg, [244] christl. Bilder II. 3, sagt zwar, in den Himmel gehöre nur Gesang, kein Instrument; allein wir dürfen der Kirchenmalerei wohl einige Naivetät zugestehen. Auf einem altdeutschen Bilde in der Sammlung des Procur. Abel in Stuttgart, darstellend die Anbetung der Hirten, sieht man von den singenden Engeln nichts, aber der Ausdruck der auf die himmlischen Stimmen horchenden Hirten ist höchst lebendig.

Die Engel tragen Attribute der Passion beim Tode des Heilands oder auch ausgezeichneter Heiligen; Sinnbilder der Sakramente, der Tugenden; Sinnbilder der Länder, deren Schutzgeister sie sind. Je nachdem ihre Erscheinung eine bestimmte Beziehung hat, wird dies auch in ihren Attributen und Geberden ausgedrückt. Sie weinen und klagen in der Trauer um den Herrn und die Martyrer. Sie jubeln und freuen sich an den hohen Freudentagen der Kirche. Sie erscheinen alle kriegerisch im Kampf mit den bösen Dämonen; alle priesterlich in Uebung der Friedensfunctionen. Ein schönes Lied vom Frieden der Engel im Himmel im Herrnhuter Gesangbuch 1741, S. 819.

Die Zahl der Engel ist unermesslich (Matth. 26, 53. Hebr. 12, 22. Offenb. Joh. 19, 14.) und soll der Zahl der gerechten und seligen Menschen entsprechen; daher öfter auf Kirchenbildern oben das ganze Reich der Engel und unten das der guten Menschen einander gegenübergestellt werden. So auf einem Bilde, wo die ganze Welt das Gloria oder Te Deum singt, alle Engel oben und alle guten Menschen unten, beide in charakteristische Chöre eingetheilt. Didron, man. p. 236. Oft ist der ganze obere Raum der Bilder dicht mit Engelsköpfen angefüllt. Auch Raphael umgab die Madonna di S. Sisto mit einem weitreichenden Schein, in dessen goldner Dämmerung zahllose Engelsköpfe nur sanft vorschimmern. Eben so Altorfer in einem Bilde der Münchner Pinakothek.

Auf den ältesten christlichen Sarkophagen in den Katakomben begegnen uns oft Engel, die ganz wie die Genien der Alten, etwa wie Maneros auf heidnischen Gräbern, gebildet sind, nackte Knaben mit Flügeln. Hier war die christliche [245] Kunst noch ganz abhängig von der antiken. Vgl. Piper, Myth. I. 351. Bald aber stellte sich die Nothwendigkeit ein, jene heidnischen und nackten Formen zu verlassen, und in den Miniaturen und Mosaiken der byzantinischen Zeit erscheinen die Engel ohne Flügel und in langer Tunica, auch als Boten mit langen Stäben versehen. Waagen, Paris I. 197. Sodann bezeichnete man der Schrift gemäss die drei ersten Engelklassen (Throne, Cherubim, Seraphim) durch Räder, Thierfiguren und vielgeflügelte und vieläugige oder selbst vielköpfige Menschenfiguren, behielt aber für die andern die einfache menschliche Gestalt und nur zwei Flügel bei, die ihnen als den vom Himmel kommenden Boten gebühren. Die weissen und weichen Taubenflügel erinnern an den heiligen Geist unter der Gestalt der Taube, wie die schwarzen Flügel der Teufel an den Teufel unter der Gestalt des Raben. Um die vielen Augen der Cherubim natürlich anzubringen, gaben die altdeutschen Maler den Engeln oft Flügel voll Pfauenfedern. So Eyck auf dem Bilde der Verkündigung. Vgl. auch d’Agincourt II. 12. fig. 16. Juden und Muhamedaner geben ihren Engeln fabelhaft grosse und mannigfache Flügel. Von solchen Ausschweifungen blieb die christliche Kunst fern; doch zeigt sich allerdings bei den bunten, papageifarbigen Engelflügeln mancher sonst sehr frommer Maler, wie z. B. des Fiesole, etwas zu viel Spielerei.

Die Engel erscheinen immer barfuss. Wer Flügel hat, bedarf der Schuhe nicht. Molanus, hist. imag. 349, stellt die seltsame Behauptung auf, die Engel sollten eigentlich immer nackt dargestellt werden, gleich den ersten Menschen im Paradiese, weil sie sich noch im Stande der Unschuld befinden. Aber die heilige Schrift selbst verlangt für das wiedereroberte Paradies weisse Kleider und nicht die Nacktheit des verlorenen Paradieses.

Die Engel sollen immer züchtig verhüllt oder bekleidet seyn. Die Cherubim und Seraphim decken sich mit ihren Flügeln. Doch geht das Herrnhuter Gesangbuch 1741, S. 230. zu weit, wenn es verlangt, die Engel sollen mit verhülltem [246] Angesicht Gott dienen, weil sie seinen Glanz nicht ertragen können. Es ist im Gegentheil der Engel Vorrecht, in der Nähe Dessen zu verweilen und Den anzuschauen, der sie sendet. Auch die Darstellung der Engel als unsichtbare Geister ohne Leib (Cyrillus, in Joannem 4, 10. Augustinus, de cognit. verae vitae 6.), oder als eines bewegten Windes, einer Flamme (Psalm 104, 4.), oder als reines Licht, weshalb sie Engel des Lichts heissen (2. Kor. 11, 14.), genügt für die christliche Kunst nicht, zumal da in der heiligen Schrift viele Engel als sichtbare Wesen in Menschengestalt auftreten. So oft aber die christliche Kunst Engel in Menschengestalt darstellt, soll sie dieselben sittsam ankleiden und dem entsprechend auch nur in züchtigen Geberden auffassen. Seit dem 16ten Jahrhundert haben viele und die berühmtesten Maler dies verabsäumt und die Engel nackt gebildet, theils als Kinder amorettenartig, theils auch in verführerischer Jünglings- und Jungfrauenschönheit. Damit hörte auch die fromme und demüthige Haltung auf und die Künstler gaben den Engeln üppige und verwegene Stellungen. Rubens malte die heilige Jungfrau mit dem Christkinde unter einer grossen Menge von Engeln, die als Kinder ungeflügelt, theils Knaben, theils Mädchen, lustige Gruppen bilden. Landon, annales V. 17. In Rom selbst erblickt man in dem Saale des Vatican, in welchem die Fusswaschung vorgenommen zu werden pflegt, etwa vierzig Engel, alle weiblich mit starker Brust. Blainville, Reise II. 337. Viel häufiger aber werden sie als schöne Jünglinge dargestellt. Ohne Zweifel ist es die Schönheit, die ihnen vor Allem ziemt, aber nicht gepaart mit irgend etwas Sinnlichem, viel eher mit der reinsten Jungfräulichkeit der Seele. Nur insofern kann die Gottesmutter ihre Königin seyn und können sie Vorbilder des Priesterthums werden. Wenn die ewige Jugend der Engel (Durandi, rationale off. I. 3. 8.) und ihre himmlische Schönheit auch verlangt, dass der christliche Künstler sie im jugendlichen Alter abbilde, so darf er doch kein Geschlecht in ihnen ausdrücken. Ganz eben so stellte die mittelalterliche Malerei die Seele der Verstorbenen [247] als ein neugeborenes Kind ohne Geschlecht dar, weil man im Himmel nicht freit. Mit Recht verlangt Wessenberg, christl. Bilder I. 364, von den Malern, sie sollen an den Engeln nichts Athletisches, keine Adern noch Muskeln ausdrücken (so wenig wie weibliche Ueppigkeit), sondern ihnen einen möglichst verklärten Leib geben.

Die älteste Kirchenmalerei gab den Engeln eine einfache Tunica. Im spätern Mittelalter empfingen sie Mäntel, die auf der Brust mit einer Spange befestigt waren. Waagen, Paris 303. Ihr Gewand soll immer weiss seyn, denn sie sind Engel des Lichts. Das Licht ist ihr wahres Element. Bei Daniel 10, 5. trägt der Engel Gabriel[WS 1] ein linnenes Gewand; eben so die sieben Engel in der Offenb. Joh. 15, 6. Doch hat eine unschuldige Spielerei oder das Bedürfniss der Polychromie selbst sehr fromme altdeutsche und altitalienische Maler bewogen, den Engeln ihr Gewand, wie ihre Flügel roth, blau oder grün zu färben, durch welche Farben sie zugleich Liebe, Glaube, Hoffnung ausdrückten. Die weisse Farbe kommt den Engeln hauptsächlich zu im Gegensatz gegen die schwarzen Teufel.

Attribute der Engel sind der Stab des Boten; der Lilienstengel als Sinnbild der jungfräulichen Reinheit; der Palmzweig, den sie als Siegeszeichen den Martyrern bringen; die musikalischen Instrumente und Noten, die ihre Bemühung, Gott in Tönen zu verherrlichen, zwar etwas naiv ausdrücken, darum aber nicht belächelt werden sollen. Wessenberg, christl. Bilder I. 280, schlägt vor, den Engeln nur wie den Ossian’schen Wolkengeistern Harfen zu geben, was eben modern macphersonisch-sentimental, aber gewiss nicht kirchlich wäre. Das Naive ist immer kirchlicher als das Sentimentale. Auf Bildern, die sich auf die Passion, die Erlösung und das Gericht beziehen, tragen die Engel häufig zur Erinnerung an die grosse Mission die Marterwerkzeuge des Heilandes. Im Kampf mit den bösen Geistern oder wenn sie strafen, tragen die Engel ein Schwert, häufig ein flammendes. In der Offenb. Johannis blasen sie die Posaune zum Gericht [248] und schütten Schalen des göttlichen Zornes aus. Michael ersticht den Drachen mit einer Lanze, deren oberes Ende ein Kreuz bildet. Raphael erscheint als Pilger mit Stab und Kürbisflasche, Gabriel priesterlich in weissem Kleide mit den Lilien. Nicht biblisch, aber der Tradition angehörig und von der Kunst aufgenommen sind die Engel Uriel, der ein Buch oder eine Rolle trägt, was die Erfüllung der Weissagungen beider Testamente bedeuten soll; Jophiel, der mit dem Flammenschwert die ersten Eltern aus dem Paradiese jagt; Zadkiel, der Abrahams Opfer verhindert; Chamuel, der Christo auf dem Oelberg den Kelch der Trübsal reicht; Haniel, Administrant der Passion, der daher auch die Dornenkrone und das Rohrscepter trägt.

Nicht nur die sichtbare Erscheinung, sondern namentlich auch die Stimme ist bei den Engeln von höchster Bedeutung. Sie sind das ausgesprochene Wort Gottes; Gott spricht und es geschieht durch die Engel. Daher 1. Kor. 13, 1. der Engelzungen gedacht ist, als des Ueberzeugendsten, was es in der Welt gibt. Aber den Engeln wird auch eine Löwenstimme zugeschrieben, Offenb. Joh. 10, 3. Auch fährt im alten Testament Jehovah donnernd einher auf den Winden, oder Adlern, oder Cherubim, und die rollenden Räder neben den Letztern sind das eigentliche Sinnbild für das Rollen des Donners.

Als Speise der Engel kommt das Manna vor, welches Engelbrodt heisst. Psalm 78, 25.

Auf Gott den Vater allein bezogen, tragen ihn die Cherubim wie im Sturme dahin, ausdrückend seine Allmacht. Aber neuere Maler haben Gott auch in einem Kranze von anbetenden Kinderengeln gemalt, als den liebenden Vater aller Wesen.

Mit Gott dem Sohne sind die Engel von seiner Verkündigung an bis zu seiner Himmelfahrt fast immer in Berührung. Die Hauptstelle der Evangelien ist aber das Dienen der Engel in der Wüste, nachdem der Teufel den Heiland eben verlassen hat. Die Engel erscheinen nie als Werkzeuge des Sohnes, wie des Vaters. Was Christus thut, thut er durch Wunder seines Wortes oder seiner Handberührung, nie [249] mittelbar durch Engel. Aber die Engel dienen ihm, beten ihn an, verkündigen ihn, lobsingen ihm und beklagen ihn.

Im jüdischen Talmud, wie auch im muhamedanischen Koran, wird Adam vor dem Falle von den Engeln angebetet. Diese Ehre gebührt aber nach christlichen Begriffen nur Christo, denn nicht die Geburt, nur die Wiedergeburt macht heilig; nicht der erste, nur der zweite Adam kann Herr der Engel seyn. Christus ist es vermöge seiner ewigen göttlichen Natur. Dieser dogmatische Gedanke ist zart ausgedrückt in einem Bilde des Hugo van der Goes. Vom neugebornen Christkinde geht allein Licht aus und beleuchtet auch die aus dem dunklen Nachthimmel hervortretenden Engel, die an sich kein Licht haben. Vgl. Kunstbl. 1841, S. 18.

Wie die Engel schon im alten und neuen Testament unzähligemal als Boten Gottes erscheinen, um Heil zu verkünden oder zu warnen, wie sie Strafen vollziehen, Unschuldige schützen und begleiten etc., so begegnen sie uns auch wieder in der Legende. Engel verkündigen den Müttern vieler Heiligen, z. B. der heiligen Gudula, Genoveva, des heiligen Kentigern etc., die Geburt derselben. Der Gesang der Engel wird von Heiligen vernommen, z. B. von der heiligen Cäcilie, der heiligen Veronica, dem heiligen Franciscus. Ein Engel begleitet die heilige Francisca und bedeckt seine Hände, so oft in ihrer Nähe etwas Unreines geredet wurde. Ein Engel begleitet zu Pferde die heilige Hildegund auf ihrer Reise in’s heilige Land. Ein Engel reicht dem heiligen Bonaventura das Abendmahl. Ein Engel heilt die Wunden des heiligen Sergius, des heiligen Carterius. Engel begruben die heilige Katharina, den heiligen Secundus.

Bei neuern Malern seit dem 16ten Jahrhundert bemerkt man oft einen zu grossen Luxus in Bezug auf das Anbringen von Engeln auf den Bildern. Sie sind dazu durch das häufige Vorkommen der Genien, Eroten etc. auf antiken Bildern veranlasst worden, und haben oft eine wahrhaft heidnische Koketterie hineingetragen. Ein Engel zielt z. B. nach dem Herzen der heiligen Theresa nicht anders wie der antike Amor.

[250] Der Taufengel in der Kirche, der das Taufbecken hält, hat eine Beziehung zu dem Engel, der den Teich Bethesda hütet, dessen Wasser die Kranken heilt.

Der Michaelistag (29. September) ist zugleich das Fest aller Engel; desgleichen der 8. Mai. An diesem Tage soll der heilige Michael mit den himmlischen Heerschaaren auf dem Berge Gargano in Apulien erschienen seyn. Vgl. den Art. Michael. Die berühmte Kirche S. Maria degli angeli bei Assisi steht in der Gegend, welche portiuncula heisst. Hier hat man von uralter Zeit her die Engel singen hören, weshalb der heilige Franciscus sich hier die Hütte baute, die nachher mit der prächtigen grossen Kirche degli angeli überwölbt worden ist. Einst erschien ihm hier auch Christus und bot ihm eine Gnade an. Da erbat sich der Heilige für Alle, die hier ihre Andacht verrichten würden, den Portiuncula-Ablass.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Berichtigung Band II. In der Vorlage: 'Raphael'