Bilder aus dem Leben deutscher Dichter/Nr. 4. Ein Dichter-Asyl

Textdaten
<<< >>>
Autor: August Diezmann
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Ein Dichter-Asyl
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 46, 47, S. 731–735, 747–751
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1860
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Reihe: Bilder aus dem Leben deutscher Dichter
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[731]
Bilder aus dem Leben deutscher Dichter.
Nr. 4. Ein Dichter-Asyl.
Mit Benutzung neuer Mittheilungen des Herrn Archidiaconus A. W. Müller in Meiningen, von A. Diezmann.

An einem der ersten Tage des December 1782 kam ein Reisender mit dem Postwagen in Meiningen an und erkundigte sich da nach einem Dorfe. Man sagte ihm, daß es zwei Stunden südlich von der Stadt liege, und zeigte ihm den dahin führenden Weg. Auf diesem schritt er alsbald rasch dahin, weil es schon ziemlich spät war, wohl auch um sich zu erwärmen, denn es hatte tüchtig gefroren und der Schnee lag hoch auf den Bergen und in den Thälern, der Wanderer aber war nur mit einem gestreiften dunkelgrünen Sommerrocke, mit leichten gelben Beinkleidern, Strümpfen und Schuhen bekleidet. Auf dem Kopfe, an dem sich vorn zu beiden Seiten der Stirn große steife Locken, hinten aber ein langer Zopf befanden, trug er einen kleinen dreieckigen Hut. Uebrigens war er noch jung, von hoher, schlanker Gestalt, sah aber leidend und ernst aus. Das Glück hatte ihn offenbar nicht begünstigt, denn er führte neben seiner ungenügenden Kleidung nur noch einen schmächtigen Mantelsack bei sich. Als er das Dorf Maßfeld erreicht hatte, erkundigte er sich nochmals nach dem Ziele seiner Wanderung, denn nun begann es bereits zu dunkeln, und der Weg lief nach einem Walde zu. Am Fuße der Eulskoppe trat der Wanderer aus dem Walde wieder heraus und unfern vor ihm begannen Lichter aus den kleinen Fenstern der Häuser eines Dörfchens zu schimmern. An dem ersten dieser Häuser fragte er, ob er in Bauerbach sei, und auf die bejahende Antwort ließ er sich zu dem Gutsverwalter Voigt führen, der zugleich wohlbestallter Schulmeister war, und in dessen Stübchen er mit den Worten trat:

„Ich bin Dr. Ritter und bringe Briefe von der Herrschaft.“

„So heiße ich Sie willkommen, Herr Doctor. Wir erwarteten Sie, denn die gnädige Frau hat Sie bereits angemeldet und uns empfohlen. Kommen Sie! Drüben im Herrenhause ist ein Stübchen für Sie eingerichtet. Ihr Bett steht bereit, und einheizen ließ ich auch.“

Und der Mann ging mit dem Fremden nach dem sogenannten Herrenhause, in dessen Hofe die Knechte und Mägde zusammenliefen, um den erwarteten Unbekannten zu mustern, geleitete ihn mit Licht die Treppe hinauf und in ein niedriges Stübchen, das behaglich durchwärmt war.

„Nun machen Sie es sich bequem,“ sagte der Verwalter im Fortgehen. „Ich werde für Abendessen sorgen.“

Mit einem tiefen Seufzer sank der Fremde in den Lehnstuhl, und überließ sich Gedanken, wie sie ein – Flüchtling haben mag, der wenigstens für einige Zeit eine sichere Stätte gefunden zu haben glaubt; denn ein Flüchtling mit falschem Namen war der einsame Wanderer, den wir mitten im Winter in dem abgelegenen Walddorfe Bauerbach ankommen sahen, – der damals dreiundzwanzigjährige Dichter der „Räuber“, Friedrich Schiller.

Er war bekanntlich am 18. Sept. 1782 aus Stuttgart wegen der Verfolgung, die ihm seine „Räuber“ zugezogen, und weil ihm der Herzog untersagt hatte, ein anderes Theaterstück zu schreiben, nach Mannheim entflohen, wo sein Erstlingswerk so großen Beifall gefunden und wo er sich von seinem „Fiesco“ noch viel mehr versprach. Aber diese Hoffnung erfüllte sich nicht. Nachdem man ihn lange hingehalten hatte, gab man ihm seinen „Fiesco“ als unbrauchbar zurück. Seine geringen Geldmittel waren aufgezehrt, ohne daß sich eine Aussicht auf die Erwerbung neuer zeigen wollte. Es blieb ihm also in seiner Noth nichts übrig – zumal er fürchtete, [732] sein Herzog werde ihn verfolgen und fangen lassen – als weiter zu fliehen, und deshalb von dem Anerbieten einer edlen Frau, der Mutter seines ehemaligen Mitschülers Wilhelm v. Wolzogen, Gebrauch zu machen, die schon von seiner Flucht aus Stuttgart benachrichtiget gewesen war, und ihm damals für den Nothfall ihr Dorf Bauerbach bei Meiningen als Zufluchtsstätte zur Verfügung gestellt hatte, obgleich sie fürchten mußte, den Herzog zu erzürnen, wenn er Nachricht davon erhalte, da vier ihrer Söhne sich auf der Karlsschule befanden, und sie selbst deswegen meist in Stuttgart wohnte. Er erinnerte sie jetzt in der That an ihr Versprechen, und sie ließ alsbald, wie wir gesehen haben, Vorbereitungen zu seiner Aufnahme treffen, meldete ihm auch, daß sie selbst zu Neujahr auf einige Tage nach Bauerbach kommen werde.

Schiller-Asyl in Bauerbach.
Nach der Natur aufgenommen.

Um wenigstens die Mittel für die in damaliger Zeit gar nicht unbedeutende Reise zu erlangen (man fuhr von Frankfurt a. M. nach Meiningen 45 Stunden), überließ er dem Buchhändler Schwan in Mannheim seinen „Fiesco“ für ein Honorar von 10 Louisd’or.

Seine glückliche Ankunft meldete er bald nach derselben seinen Freunden in Mannheim und Stuttgart. War es ihm doch zu Muthe „wie einem Schiffbrüchigen, der sich aus den Wogen gekämpft hat“. „Das Haus meiner Wolzogen ist ein recht hübsches und artiges Gebäude, wo ich die Stadt gar nicht vermisse. Ich habe alle Bequemlichkeit, Kost, Bedienung, Wäsche, Feuerung, und alle diese Sachen werden mir von den Leuten des Dorfes auf das Vollkommenste und Willigste besorgt.“

Ruhig und sicher durfte er sich allerdings fühlen, denn er befand sich auf reichsritterschaftlichem Boden, wo die Polizei eines Herzogs von Württemberg nichts vermochte, abgesehen davon aber war der Aufenthalt nichts weniger als angenehm. Die von Hügeln, Wald und Wiesenthälern durchzogene Gegend gewährte zwar einen freundlichen Anblick, aber sie war rauh und ziemlich unfruchtbar. Das Dorf mit den meist kleinen Häusern hatte, wie die fast sämmtlich von dem herrschaftlichen Gute abhängigen Bewohner ein ärmliches Aussehen. Unter diesen Bewohnern befinden sich heute noch wie damals viele Juden. Das sogenannte Herrenhaus selbst war sonst das ansehnlichste Bauernhaus gewesen, erst vor kurzem von der Gönnerin Schiller’s, der Wittwe des geh. Legationsrathes Ludw. v. Wolzogen, angekauft und soweit wohnlich eingerichtet worden, daß sie einige Tage darin sich aufhalten konnte, wenn die Verwaltung des Gutes, die sie als Vormünderin ihrer Kinder zu führen hatte, ihre Anwesenheit erforderte. Es steht heute noch ziemlich unverändert und bildet einen langen, schmalen Bau mit der Giebelseite[1] der Dorfstraße zugewendet, die noch im Anfange des jetzigen Jahrhunderts fast das ganze Jahr hindurch grundlos und kaum passirbar war. Die Hauptlangseite sieht in den Hof, die Rückseite nach dem Garten des Nachbars. Hinter dem Hause befinden sich Scheuer und Ställe. Ein großer Garten fehlt nicht und in dem nördlichen Theile desselben steht eine Laube, in welcher Schiller im Frühling zu sitzen und zu arbeiten pflegte. Sein Stübchen selbst befand sich auf der Rückseite des Hauses, und in das anstoßende Schlafcabinet führte eine rundbogige Thür. Heute noch enthält es sechs Stück, die zu seiner Zeit sich darin befanden: einen Lehnstuhl nämlich, einen auf einem gewundenen Fuße stehenden Tisch, an dem er arbeitete, ein hölzernes Tintenfaß, zwei Bilder an der Wand und einen Ofen mit Messingverzierungen in Rococogeschmack.

Den ganzen December über kam er selten aus diesem Stübchen, wahrscheinlich nie aus dem verschneiten Dorfe heraus. Von den Bewohnern lernte er zu dieser Zeit nur wenige kennen, außer dem Verwalter und seinem nächsten Nachbar, Martin Flock, sowie dem Wirth zum braunen Roß, Debertshäuser, der ihm das Essen lieferte und gegen den er sich nur über das zu oft wiederkehrende [733] Sauerkraut beschwerte, nur den Juden Mattich, den er wegen seiner ziemlichen Bildung und seines gesunden Mutterwitzes gern sah und mit dem er bisweilen das damals in Bauerbach beliebte Kartenspiel „Sechs-Männchen“ spielte. Die Frau des Juden sah freilich den Umgang ihres Mannes mit dem Unbekannten sehr ungern, ja sie machte ihm häufig darüber Vorwürfe. „Was läufst Du zu dem Chattes (Lump)?“ zankte sie. „Geh lieber Deinen Massematten (Geschäften) nach.“ Der brave Jude aber antwortete seinem keifenden Weibe: „Schwag’ mer still! Ich waß net, wie mer werd, wenn er mich ruft. Ich muß folgen. Er ist ein braver, ein gescheidter Ma, und mer weß doch och nicht, was dahinter steckt.“

Darüber, „was hinter dem Fremden stecke“, zerbrachen sich allerdings die Leute im Dorfe und in der nächsten Umgegend vergebens

Schiller’s Wohnstube in Bauerbach.
Nach der Natur aufgenommen.

die Köpfe. Die Wenigsten beruhigten sich bei der Mittheilung des Verwalters. Dr. Ritter sei ein naher Verwandter der Gutsherrschaft; die Meisten glaubten, er stamme aus Baiern, halte nicht viel auf Religion und habe deshalb sein Vaterland verlassen müssen. Daß er den ganzen Tag und meist bis tief in die Nacht hinein las oder schrieb, kam schnell unter den Neugierigen herum, und deshalb galt er allgemein für einen „gescheidten Ma“. Er hatte, wie er selbst in einem Briefe erklärte, „entsetzlich viel zu arbeiten“, denn er wollte so schnell als möglich sein drittes Stück, „Louise Millerin“, vollenden, wie „Kabale und Liebe“ anfänglich heißen sollte. Gleichwohl sah er auch sehnsüchtig und in aufgeregtester Spannung der zu Neujahr verheißenen Ankunft der Frau von Wolzogen mit deren einziger Tochter entgegen, welche letztere auf das immer sehr empfängliche Herz des Dichters schon in Stuttgart, wo er sie gesehen, tiefen Eindruck gemacht hatte, zumal er glaubte, auch er sei ihr nicht gleichgültig. Charlotte v. Wolzogen zählte damals sechszehn Jahre und war zwar nicht eigentlich schön, aber blühend frisch mit besonders lieblichem Ausdruck in den Zügen und anziehend durch Milde und Anspruchslosigkeit.

Mit Entzücken flog er ihnen entgegen, wie er sich selbst ausdrückt, und als sie bereits am 3. Januar nach Walldorf, zu dem Bruder der Frau v. Wolzogen, Dietrich Marschalk von Ostheim, weiter reiseten, begleitete er sie, kehrte aber denselben Tag zurück, um am nächsten schon zu schreiben, daß er sie bald wieder besuchen werde. „Seit Ihrer Abwesenheit,“ sagte er in dem Briefe, „bin ich mir selbst gestohlen. Es geht uns mit großen lebhaften Entzückungen wie demjenigen, der lange in die Sonne gesehen: sie steht noch vor ihm, wenn er das Auge längst davon weggewandt. Er ist für jede geringeren Strahlen erblindet.“ Seine Beschützerin hatte ihn jedenfalls ersucht, ja recht sorgsam bedacht zu sein, daß man nicht erfahre, wer er sei, namentlich in Meiningen, wo man auf den seltsamen Fremden bereits aufmerksam geworden. Er versprach sofort Alles zu thun, was sie wünsche, um ihr keine Unannehmlichkeiten zu bereiten, und ging nicht nur bei seinen späteren Besuchen in Walldorf nicht durch Meiningen, das zwischen diesem Orte und Bauerbach liegt, sondern, ohne Rücksicht auf Weg und Wetter, gerade durch den Wald über Dreißigacker; er schrieb auch drei Briefe mit falscher Ortsangabe und falschen Nachrichten über sich und seine Pläne. Diese sollte Frau v. Wolzogen in Stuttgart im Nothfalle vorlegen, um seine Verfolger über seinen Aufenthalt irre zu führen.

Mehr aber als die Sorge um seine Sicherheit und um die Beruhigung seiner Beschützerin bewegte sein Herz die Leidenschaft der ersten Liebe zu Charlotte und – der Haß gegen die Adelsvorurtheile, die seiner Verbindung mit dieser entgegenstanden, wie der Louisens mit Ferdinand in seiner „Millerin“, in welchem Stück er seinem Bürgerstolze, dem damals noch in ganzer Starrheit herrschenden Adelsstolze gegenüber, bereits leidenschaftlichen Ausdruck gegeben hatte. Er fand aber gerade in jenen Tagen noch eine Gelegenheit, sein Herz in Bezug darauf, und zwar selbst direct gegen Frau von Wolzogen, zu erleichtern, und zwar in einem Gedicht, [734] das er auf die Bitte Charlottens zur Hochzeit ihrer Pflegeschwester Henriette schrieb. Die Mutter dieses Mädchens, die Frau des Feldscheerers Sturm aus Sangerhausen, war im Jahre 1752 ohne ihren Mann, ganz verlassen, nach Rohr bei Meiningen gekommen und da am 23. Juni von einer Tochter entbunden worden, welche Frau v. Wolzogen, damals noch Freifräulein Marschalk von Ostheim, aus der Taufe hob und später, der großen Noth der Mutter wegen, ganz zu sich nahm und erziehen ließ. Am 3. Febr. 1783 nun wurde dieses Mädchen mit dem Verwalter Schmidt in Walldorf getraut, und Schiller schrieb für sie das lange „Hochzeitsgedicht“, das er leider in seine Werke nicht aufgenommen hat, was um so mehr zu bedauern ist, da man keine lyrischen Erzeugnisse von ihm gerade aus dieser Zeit hat. Darin feiert er nicht blos die Liebe:

Wie schön ist doch das Band der Liebe,
Sie knüpft uns an das Weltgetriebe,
Auf ewig an den Schöpfer an.
Wenn Augen sich in Augen stehlen,
Mit Thränen Thränen sich vermählen,
Ist schon der süße Bund gethan.

Man erkennt auch in anderer Weise darin den Dichter von „Kabale und Liebe“, z. B.:

Gedenktafel am Schiller-Asyl in Bauerbach.

Wie mühsam sucht durch Rang und Ahnen
Die leidende Natur sich Bahnen;
Gefühl erstickt die Ziererei.
Oft drücken ja gleich Felsen bürden
Mit Seelenruh’ bezahlte Würden
Der Großen kleines Herz entzwei.

Dein Herz, das noch kein Neid getadelt.
Dein reines Herz hat dich geadelt,
Und Ehrfurcht zwingt die Tugend ab.
Ich fliege Pracht und Hof vorüber,
Bei einer Seele steh’ ich lieber,
Der die Empfindung Ahnen gab.

Dann unmittelbar in Bezug auf Frau v. Wolzogen:

Die Freundin, die dir Gott gegeben,
Ihr Adelsbrief ist – schönes Leben.
Den hass’ ich, den sie mitgebracht.

Leider gingen die Worte des Dichters:

So gehe denn zum Traualtare,
Die Liebe zeigt dir goldne Jahre,

nicht in Erfüllung, denn Henriette hatte schwere Zeiten der Noth und des Kummers zu ertragen. Ihr Mann verlor seine Stelle als Verwalter und starb, kümmerlich von einem kleinen Kramladen sich nährend, schon drei Jahre nach der Hochzeit. Ihr jüngerer, erst nach des Vaters Tode geborener Sohn, fiel Werbern in die Hände und konnte mit Mühe von einem dänischen Kriegsschiffe wieder losgekauft werden. Henriette selbst kam später, ganz verarmt, in das von den Herren von Marschalk gegründete Hospital und starb da am 3. Februar 1816.

In „Kabale und Liebe“ hat Schiller übrigens Manches benutzt, was während seines Aufenthaltes in Bauerbach in der Nähe vorging. So lernte er einen Kammerherrn von Stein in Nordheim kennen, der mit großem Aufwande lebte, sich gern „Fürst der Rhön“ nennen ließ und dem Kaiser das Grafendiplom mit der Bemerkung zurückgeschickt hatte, er wolle lieber ein alter Freiherr statt ein neuer Graf sein. Dieser Freiherr von Stein war Onkel und Vormund der beiden Schwestern Eleonore und Charlotte v. Marschalk-Ostheim. Beide verkuppelte er. Eleonore, ein junges blühendes Mädchen, mußte zu Ende des Jahres 1782, obgleich sie noch um ihren Bruder Fritz trauerte, der in Göttingen im Duell gefallen war, den alten weimarischen Kammer-Präsidenten v. Kalb heirathen, denselben, von welchem Goethe sagte, er habe sich als Geschäftsmann mittelmäßig, als politischer Mensch schlecht und als Mensch abscheulich benommen. Die jüngene Schwester Charlotte, mit der Schiller später in ein sehr vertrautes Verhältniß treten sollte, gab der Vormund 1783 an einen Officier v. Kalb. Welchen Eindruck solche Verkuppelung auf Schiller machte, sieht man daraus, daß er in seinem Stück Ferdinand ein Fräulein v. Ostheim antragen läßt, wenn wir auch nicht annehmen wollen, daß sein Hofmarschall v. Kalb den Namen von jenem Kammerpräsidenten erhielt. Selbst die Worte des Geigers Miller: „Der Leibschneider … das hat mir Gott eingeblasen – es kann mir nicht fehlen beim Herzog,“ sollen aus dem Leben genommen sein. Der Pfarrer Schmidt in Rohr nämlich hatte einen Bruder, der Leibschneider des Herzogs in Meiningen war. Wenn nun die Bauern in Rohr nicht gehorchen wollten, pflegte der Pfarrer zu sagen: „ich gehe zu meinem Bruder, dem Leibschneider. Es kann mir nicht fehlen beim Herzog.“ Diese Redensart war in der ganzen Umgegend fast sprichwörtlich geworden, und Schiller griff sie auf.

Die für ihn und seine Familie wichtigste Bekanntschaft war die des Bibliothekar Reinwald, welchen er am 13. Januar in Meiningen durch die Frau v. Wolzogen kennen lernte, die er dahin begleitet hatte. Reinwald war gerade noch einmal so alt als Schiller, ein Mann von Geist und vielen Kenntnissen, aber hypochondrisch und verbittert, weil er viele Jahre bei äußerst geringer Besoldung als Kanzlist hatte arbeiten müssen. Schiller schloß sich dem für alles Schöne und Gute leicht begeisterten Mann bald innig an, besprach sich mit ihm über allerlei Angelegenheiten, entdeckte ihm seinen wahren Namen und erhielt von ihm mancherlei Bücher, die ihm durch den strengen Winter leichter durchhalfen, namentlich solche, die er zu den Vorstudien für die neue dramatische Arbeit bedurfte, für welche er sich entschied, die Geschichte des Don Carlos. Die Hauptfolge aber, welche die Bekanntschaft der beiden Männer hatte, war die spätere Verheirathung Reinwald’s mit Schiller’s ällester Schwester Christophine. Reinwald lernte diese Schwester seines Freundes aus einem Briefe kennen, den sie an den Bruder geschrieben und in dem sie ihm in sehr verständiger Weise gute Lehren über Sparsamkeit etc. gegeben hatte. Auf Reinwald machte dieser Brief einen so tiefen Eindruck, daß er sich sofort hinsetzte und an das Mädchen in folgender Weise schrieb:

„Mademoiselle, ein besonderer Zufall macht mich so frei, an die Schwester meines Freundes diese Zeilen zu schreiben. Unter etlichen Papieren, die Herr Dr. Schiller nach einem Besuche bei mir hat liegen lassen, fand ich einen Brief von Ihnen. Es war wohl nicht blos Sorglosigkeit daran Schuld, sondern auch Vertrauen, denn ich glaube, daß er mich liebt. Ich fand in diesem Briefe, den ich gelesen und nochmals gelesen und abgeschrieben habe, so viel reines Denken und so viel herzliche, besorgte Wohlmeinung gegen Ihren Herrn Bruder, daß ich mich gefreut habe und schäme mich nicht, jeden Gedanken, der mir zu seiner Ausbildung und Glückseligkeit einfällt, mit Ihnen zu theilen etc.“

Nach einiger Zeit machte Reinwald eine Reise nach Schwaben, suchte Schiller’s Eltern auf, sah Christophine und bot ihr seine Hand an, die das verständige Mädchen auch annahm.

In den Januar des Jahres 1783 fällt außer dem schon oben erwähnten Hochzeitsgedichte ein politisch-satirisches Bänkelsängerlied von Schiller, zu dessen Verständniß anzuführen ist, daß der Herzog Georg von Meiningen in Folge einer Erkältung auf der Jagd erkrankt war, und mehrere Tage lebensgefährlich daniederlag. An [735] seinem Leben hing die Selbstständigkeit des Herzogthums. Wenn er starb, fiel es an Koburg. Auch war er sammt dem ganzen Hofe sehr beliebt, weil er mild regierte und für Kunst und Literatur sich interessirte. Koburg vernahm mit großer Freude die Nachricht von der Erkrankung des Herzogs, und machte bereits allerlei kriegerische Anstalten, um gleich nach dem gehofften Todesfalle das Ländchen besetzen zu können. Aber alle diese Vorbereitungen erwiesen sich als voreilige, denn der Herzog genas. Diese Ländergier nun verspottete Schiller in einem Liede, das Reinwald in den Meininger wöchentlichen Nachrichten ziemlich gemildert abdrucken ließ. Um zu zeigen, in welchem Tone es abgefaßt ist, mögen nur folgende Zeilen hier stehen:

„In Juda – schreibt die Chronika –
War Olim schon ein König,
Dem war vom Dan bis Berseba
Bald Alles unterthänig,
Und war dabei ein weiser Fürst,
Dergleichen selten finden wirst.

Nun wird erzählt, daß der König erkrankte und der Vetter auf seinen Tod hoffte:

Doch während daß der Vetter schon
Nach deiner Krone schielte
Und auf dem noch besetzten Thron
Schon Davids Harfe spielte,
Lagst du, o Fürst, beweint vom Land,
Noch unversehrt in Gottes Hand.“

[747] Nachdem Frau von Wolzogen am 24. Januar 1783 über Bamberg nach Stuttgart zurückgereiset war, begann für Schiller wiederum eine öde, trübe Zeit, zumal nachdem am 1. Februar der Winter von Neuem mit aller Macht einzog. Er zählte sehnsüchtig die Tage, die vergehen mußten, ehe er Charlotte wiedersehen konnte. „Ich wünsche,“ schrieb er, „daß die Zeit alle ihre Geschwindigkeit bis auf den Mai zusetzte, damit sie hernach desto ermatteter ginge.“

Den armen Dichter drückte freilich gar Vieles: zuerst seine Liebe zu Charlotte, obwohl er damals noch nicht wußte, daß das Mädchen bereits leidenschaftlich einen Andern liebte; dann erfuhr er, daß seine Mutter ernstlich erkrankt sei, und er mußte fürchten, daß die unmöglich ausbleibende Entdeckung von den drängenden Schulden, die er in Stuttgart zurückgelassen, auf ihren Zustand nachtheilig einwirke, und endlich befand er sich auch in Bauerbach in den drückendsten Geldverlegenheiten, so daß er sich Vieles versagen mußte, selbst den so geliebten Schnupftabak, und sich nur zeitweilig durch kleine Anleihen bei seinen Bekannten hinhalten konnte. Kein Wunder also, daß er an Reinwald schrieb: „Wie sehnlich erwarte ich die Zeit, da die Schwalben an unsern Himmel und die Empfindungen in unsere Brust zurückkommen! Einsamkeit, Mißvergnügen über mein Schicksal, fehlgeschlagene Hoffnungen, vielleicht auch die veränderte Lebensart haben den Klang meines Gemüths verfälscht und das sonst reine Instrument meiner Empfindung verstimmt … Mühsam und wirklich oft wider allen Dank muß ich eine dichterische Stimmung hervorarbeiten, die mich [748] sonst in zehn Minuten bei einem denkenden guten Freunde von selbst anwandelt, oft auch bei einem vortrefflichen Buche oder unter offenem Himmel.“

Trotz alledem war er so fleißig als möglich, namentlich überarbeitete er nochmals seine „Louise Millerin“ und bot sie – vergebens – dem Buchhändler Wergand in Leipzig an. Dies neue Mißlingen würde ihn sicherlich noch tiefer verstimmt haben, wäre nicht gleichzeitig, ganz unerwartet, ein Brief von Talberg aus Mannheim eingegangen, der wohl endlich fühlen mochte, wie sehr er sich an Schiller vergangen, wie sehr er aber auch zugleich sich und seiner Bühne dadurch geschadet, daß er versäumt hatte, einen so hochbegabten Geist, wie den jungen Dichter, der sich ihm vertrauensvoll die Arme geworfen, fest an sich zu binden, nun wieder gut zu machen suchte und um Zusendung des neuen Stückes bat.

Reinwald’s Gartenhaus.

Schiller war klug genug, die ihm dargebotene Hand nicht hastig zu ergreifen, sie aber auch nicht von sich zu stoßen. Das letztere um so weniger, als eine Mittheilung der Frau von Wolzogen ihn von Neuem in die Besorgniß versetzte, er werde nicht lange mehr in Bauerbach bleiben können. Sie schrieb ihm nämlich, ein Herr von Winckelmann (aus Meiningen gebürtig und Officier der Nobelgarde des Herzogs von Würtemberg) wolle sie auf ihrer nächsten Frühjahrsreise nach der Heimath durchaus begleiten. Schiller kannte jenen Herrn recht wohl von Stuttgart her, und der wunderbare Instinct der Eifersucht ließ ihm überdies – mit Recht – in demselben einen Nebenbuhler um das Herz Charlottens ahnen. Er schrieb deshalb an seine mütterliche Freundin einen Brief, in welchem sich der ganze Schmerz seiner Seele offenbart: „Wenn sich Herr von W. mit Ihnen in Meiningen einfinden sollte, so ist es durchaus unmöglich, daß ich Ihre Ankunft erwarten kann. Ganz Meiningen weiß, daß sich ein Würtemberger in Bauerbach aufhält, daß dieser ein sehr guter Freund von Ihnen ist und daß er sich mit Schriften beschäftiget. Ganz Meiningen vermuthet, daß dieser „Ritter“ nicht der ist, für den er sich ausgibt; daß er vielleicht Verdruß in seinem Vaterlande gehabt hat und darum seinen Namen verschweigen muß. Man war schon lange begierig, diesem verkappten Ritter auf die Spur zu kommen, man hat sogar auf den Wahren gerathen. Lassen Sie nun besagten Herrn nach Meiningen kommen. Wird man nicht die erste Gelegenheit ergreifen, nach mir zu forschen? Zweifeln Sie, daß W., wenn ihm alle jene Umstände, mit meiner Figur verbunden, gesagt werden, den Augenblick auf mich fallen wird? Ich gebe Ihnen zu bedenken, ob eine Person, die so wie jener Herr von unserem Thun und lassen unterrichtet, die mehr als tausend Andere neugierig und vorzüglich neugierig auf mein Schicksal ist, bei der ausgestreuten Erdichtung stehen bleiben werde? Ob Sie selbst Gewalt genug über sich haben, das Gegentheil auf seine zudringlichen Fragen mit unveränderter Stirn zu behaupten? Ob er der Mann ist, der in das Geheimniß gezogen werden darf? Ich erkläre Ihnen entschlossen und offenherzig, daß ich das letztere niemals zugeben werde. Ich will ihm duchaus nichts von seinem Werthe nehmen, denn er hat wirklich einige schätzbare Seiten, aber mein Freund wird er nicht mehr, oder gewisse zwei Personen müßten mir gleichgültig werden, die mir so theuer als mein Leben sind. Weil ich also eine Entdeckung auf dieser Seite unmöglich Gefahr laufen kann, so muß ich einen Schritt thun, der mir von allen meines Lebens der schmerzlichste ist, – ich muß Sie verlassen; ich muß Sie zum letzten Male gesehen haben. Es kostet mich viel, es Ihnen zu sagen. Ich kann nicht bergen, daß ich dadurch manche schöne, herrliche Hoffnung aufgeben muß, daß es vielleicht einen Riß in mein ganzes künftiges Schicksal zurückläßt; aber die Beruhigung meiner Ehre geht vor und mein Stolz hat meiner Tugend schon soviel Dienste gethan, daß ich ihm auch einmal eine Tugend preisgeben muß. Es wäre eine unverzeihliche Eitelkeit von mir, wenn ich verlangen könnte, daß Sie um meinetwillen einen Menschen, der sich durch Bande der Verwandtschaft und Liebe an Sie attachirt bat, verstoßen sollten. Nein, es wäre ein ungerechtes Zumuthen, wenn ich prätendirte, daß Sie mir, der kein Verdienst um Sie hat, als Freundschaft, eine Person [749] aufopfern sollten, die keinen Fehler hat, als das; ich sie nicht liebe. Ich würde Ihre und Ihrer guten Lotte Ankunft in Bauerbach nicht ertragen kennen, wenn mir einfiele, daß ich Sie eines Freundes beraubte.“

Es war ein Glück für den Gepeinigten, daß unterdeß der Frühling kam, der es ihm möglich machte, durch Umherstreifen in der wiedererwachenden Natur und durch neu angeknüpfte Bekanntschaften seinen Mismuth zu zerstreuen.

Ein Schritt aus dem Hause und dem Dörfchen brachte ihn in’s Freie, und die Tradition weiß heute noch seine Lieblingswege in der ganzen Umgegend anzugeben. Gleich über dem Dorfe liegt der Fritzenberg, zu dem vom Herrengarten aus der jetzt sogenannte Schillerpfad hinaufführt. Auf der Höhe stand zu seiner Zeit ein von Buchen umgebener Tisch mit Bänken, wo er oft rastete, oft auch seinen Kaffee trank. Von da wendete er sich häufig abwärts durch eine schöne Buchenwaldung, der Tiegel genannt, zu dem waldeinsam liegenden Schlößchen Sophienlust, das die Herzogin Elisabeth Sophie von Meiningen erbauen ließ und das jetzt Amalienruh heißt.

Die Schiller-Hütte bei Bauerbach.

Wollte er von da aus einen noch weitern Weg gehen, so begab er sich durch Still und weiter über die Dreißigackerer Höhe nach Walldorf oder über die Spießenleute nach Reinwald’s Gartenhause bei Meiningen, das in einem sogenannten Berggarten, oben am Ende des Berges, am Saume eines Kiefernwaldes steht, von einer höchst malerischen Baumgruppe umgeben, ein höchst einfaches Häuschen, von dem aus man aber eine reizende Aussicht hat, welche ein Höhenzug des Thüringer Waldes abschließt. In diesem Häuschen fand er häufig die rechte Stimmung zu poetischem Schaffen, und einige Scenen des „Don Carlos“ sind darin entstanden. Nicht selten bestieg er auch den Gipfel der Eulskoppe, die auf guten Wegen leicht zugängig war, um die Aussicht von da zu genießen, die bis zum Inselsberg reicht, während sich im Westen ein Hügel mit den Ruinen der Stammburg der Grafen von Henneberg zeigt. Oder er wanderte auf einem schönen Waldpfade, abwechselnd durch Buchenwald und Tannendickicht, nach dem Spatel, einem wohlgepflegten, von Wiesen begrenzten Waldtheile, in dessen Mitte sich Wege kreuzten und eine von Tannen und Eichen gebildete Laube mit einer Rasenbank zum Ruhen einlud, vielleicht von da noch weiter durch die Bibraischen Büsche nach Bibra selbst, dem Stammsitze des alten Geschlechts der Freiherrn von Bibra. Auch bog er auf einem Punkte dieses Weges wohl ab, um nach Nordheim im Grabfeld zu wandern, und er machte da der Familie von Stein einen Besuch oder noch öfter seinem Leib- und dem von Stein’schen Garderobeschneiter Valentin Kümmel, der ein weitgereister, über seinen Stand gebildeter, weltgewandter Mann war, eine kleine Restauration hielt, die durch ihren trefflichen Kaffee in der ganzen Umgegend berühmt war, und überdies zwei reizende Töchter hatte, die den empfänglichen Dichter wohl auch anzogen. Einst, als er von Nordheim ziemlich spät zurück in die Nähe von Bauerbach kam, hörte er von einer nahen Wiese her ein klägliches Geschrei. Er eilte sofort dahin und fand den Haus- und Hofjuden des Herrn von Stein, Jonas Oberländer, der sich in Bauerbach betrunken hatte und in einen tiefen Wassergraben gefallen war. Der Dichter zog den Betrunkenen glücklich an’s Land, und der Gerettete, der erst vor wenigen Jahren gestorben ist, segnete dankbar bis an sein Ende den Dichter, der ihn aus Todesgefahr befreit. Ein anderes Mal hatte er sich unter einen Birnbaum an der Straße nach Walldorf gelagert und sah von da aus ein Mädchen herankommen, das sich offenbar scheute in seine Nähe zu gelangen. Es war die in der Erziehung sehr vernachlässigte Tochter einer unglücklich verheiratheten Schwester der Frau von Wolzogen, welche diese zu sich genommen hatte. Schiller stand auf und hielt die Kleine an, die Heimweh bekommen hatte und fliehen wollte. Er beruhigt sie, führte sie nach Bauerbach zurück und unterhielt sie den ganzen Abend dadurch, daß er ihr Bilderchen zeichnete, Figuren ausschnitt etc.

Häufig machte er die erwähnten Wanderungen, um einen oder den andern Prediger in der Nähe zu besuchen, den er durch Reinwald kennen gelernt hatte. Merkwürdiger Weise lebten in kleinem Umkreise mehrere Geistliche, die nicht blos wissenschaftlich sehr gebildet, sondern zum Theil sogar berühmt waren, wie Rasche zu Untermaßfeld, der als Numismatiker einen europäischen Ruf hatte, Scharfenberg in Ritschenhausen, den seine entomologischen Schriften bekannt gemacht hauen, Sauerteig in Walldorf, die beiden Frießlich, Vater und Sohn, in Bibra, der Diaconus Volkhardt und der Hofprediger Pfranger in Meiningen, der Verfasser des „Mönchs vom Libanon“, eines Seitenstücks zu Lessing s „Nathan“. Der Letztere allein sah in Nathan eine Verherrlichung des Judenthums auf Kosten des Christenthums, alle Andern waren begeisterte Verehrer Lessings und also wohl geeignet und befähigt, den jungen Dichter anzuziehen und festzuhalten. Sie alle, oder doch mehrere, kamen auch mit Schiller, namentlich in der Zeit als er in Meiningen entdeckt zu werten fürchtete, in dem Volkhardt’schen Gartenhaus Nachmittags und Abends zusammen, wo die Unterhaltung oft sehr lebhaft gewesen sein soll. Der Pfarrer Pfranger, Sohn des genannten Hofpredigers, erzählt: „Als im Jahre 1829 der würdige Pfarrer Sauerteig zu Walldorf sein 50jähriges Amtsjubiläum gefeiert hatte, saß ich am Abende darauf traulich mit ihm an einem Tische zusammen, und er äußerte damals: „Diesen Tisch sollst Du einmal von mir erben. Er ist um dreier Ursachen willen merkwürdig, erstens weil er von mir selbst gefertigt wurde, zweitens weil er mit mir zugleich sein 50jähriges Jubelfest gefeiert, und drittens –? weil Schiller, als er eines Tages von Bauerbach aus mich besuchte, an diesem Tisch eifrig an seinem Don Carlos arbeitete, während ich ihm gegenübersaß und an einem Leichensermon schrieb. Nachdem wir so eine Zeit lang still gearbeitet hatten, forderte Schiller mich auf, ihm etwas von dem vorzulesen, was ich unterdeß geschrieben. Ich that es, und Schiller las mir dann mit großem Pathos die Scene vor, welche ihn eben beschäftigt hatte. Ich war so erstaunt über das, was ich vernahm, daß ich unwillkürlich bemerkte: „unsere Werke von heute werden wohl ein sehr verschiedenes Schicksal haben.““

Nach einer andern Tradition, welche sich in Walldorf erhalten hat, kam Schiller eines Tages mit dem Hofprediger Pfranger in Streit über Lessing’s „Nathan“, den er gegen den Vers des „Mönchs vom Libanon“ warm vertheidigte. Da bemerkte Pfranger: „Sie sind am Ende auch der jetzt überhandnehmenden Freigeisterei zugethan, welche nichts für überflüssiger hält, als die christliche Kirche?“ – „keineswegs,“ soll Schiller geantwortet haben, „im Gegentheil, ich ärgere mich darüber, daß Viele sich so wenig aus ihrer Kirche machen, während, wie ich in Bauerbach und Walldorf sehe, die Juden sehr eifig in ihrem Gottesdienst sind. Ich ärgere mich namentlich darüber, daß es in Bauerbach eine so schlechte Kirche gibt, die man viel eher für einen Holzschuppen, [750] als für ein Gotteshaus halten konnte. Ich habe darum auch Frau von Wolzogen mehrfach ersucht, für eine neue Kirche sorgen zu wollen, ja mich erboten, ein Trauerspiel zu schreiben und den Ertrag für den Kirchenbau zu bestimmen.“ Und allerdings schrieb er später aus Mannheim an Frau v. Wolzogen einmal: „Könnte ich doch, wenn ich wieder nach Bauerbach komme, den Grundstein zur neuen Kirche gelegt finden! Es bleibt dabei, daß ich Etwas darein stifte.“ Auch ist es bekannt, daß er jedesmal in der kleinen Kirche zu Bauerbach war, wenn der Pfarrer Frießlich von Bibra, dessen Filial Bauerbach war, darin predigte. Nur ärgerte er sich über das im Dorfe gebräuchliche alte Gesangbuch, weil es viele geschmacklose Lieder enthielt, und er ruhete nicht, bis dasselbe abgeschafft und durch ein anderes ersetzt wurde, das namentlich viel Gellert’sche Lieder enthielt. Er veranlaßte Frau v. Wolzogen, eine namhafte Summe für den Ankauf des neuen Gesangbuches zu bewilligen, und besorgte denselben selbst.

Als eine seiner Eigenthümlichkeiten, die er schon als Kind gehabt hatte, ist seine bewundernde Vorliebe für Gewitter zu erwähnen, die sich auch in Bauerbach geltend machte, denn man erzählt, er sei bei jedem Gewitter, wenn die Leute in die Häuser geeilt, regelmäßig, selbst im stärksten Regen, hinaus ins Freie und namentlich auf den Fritzenberg gegangen. Indeß sagt man, er habe bei seinen Spaziergängen meist ein paar Blätter von einem Baume gepflückt und sie den ganzen Weg über in der Hand gehabt. Gewöhnlich ging er allein, tief in Nachdenken versunken, und blieb gelegentlich stehen, um etwas in ein Notizbuch zu schreiben. Nur bisweilen ersuchte er den schon erwähnten Juden, ihn zu begleiten. Sonst hielt er sich auch im Frühjahr ziemlich fern von den Leuten in Bauerbach; nur einigemal nahm er am Kegelspiel Theil und an den Sonntags-Abenden, wenn die jungen Burschen und Mädchen unter der Dorflinde zusammenkamen, erschien auch er erst, sprach freundlich mit ihnen und bat, sie möchten ein Lied singen. Gefiel ihm eins besonders, so klatschte er lebhaft Beifall so lange, bis es wiederholt wurde. Unternahm er keinen Gang in’s Freie, so saß er in der schon erwähnten Laube oder Hütte im Hofe unter Linden und las oder schrieb eifrig.

Einmal wurde die Ruhe und Stille seines Lebens in Bauerbach durch einen Tumult gestört, bei dem er sich mit einer gewissen Autorität zu benehmen wußte. Das Dorf und das Gut standen nämlich fortwährend in Fehde, die bei jener Gelegenheit gewaltsam losbrach. Er selber schrieb darüber an Frau von Wolzogen: „Ihr ganzes Bauerbach ist gegenwärtig in Unruhe, welche nur durch Ihre persönliche Autorität gestillt werden kann. Der ewige Groll der Gemeinde gegen den Verwalter äußert sich täglich mehr. Kürzlich entstand ein Streit zwischen den beiden Parteien wegen der Schafe. Voigt und Consorten verboten, das Vieh auf die Wiesen zu treiben. Der Wirth und Andere prätendirten das Gegentheil, die Gerichte sprachen zweimal für den Verwalter und demungeachtet trieben die Letzteren die Schafe auf die Wiesen; Ihre eigenen wurden nicht geschont. Ich kam zu einer Scene, die, so verdrießlich sie mir im Grunde war, den besten Maler verdient hätte. Voigt und Consorton kamen mit Knitteln, die Schafe wegzutreiben; die Andern wehrten sich, man sagte einander Grobheiten, Wahrheiten und dergl. Des Wirths Sohn hetzte den Hund an den Verwalter, welcher, in Gefahr Schläge zu kriegen, die Glocke ziehen ließ und das ganze Dorf aufforderte. Nun ist durch den Gerichtshalter jede gewaltsame Execution des Verbots untersagt und für morgen ein Termin angesetzt. Meine Meinung ist (ich habe beide Parteien gehört), Sie souteniren ihren Schulzen, der doch immer Ihre Person vorstellen muß, gegen das respectswidrige Betragen der Nachbarn. Die Gemeinde aber müssen Sie auch gegen diesen in Schutz nehmen. Rein ist er nicht. Geben Sie ihm Gewalt, aber behalten Sie sich vor sein Verhalten zu untersuchen.“

Es war dies kurz vor der erwarteten Ankunft der Gutsherrin, und Schiller veranlaßte die Gemeinde, ihre unveränderte Liebe und Verehrung für Frau von Wolzogen durch einen recht feierlichen Empfang derselben kund zu thun. Er selbst hatte 9–10 Tage mit allerhand Kleinigkeiten zu thun, da er über sich genommen, Haus und Garten in Stand zu setzen. „Vor dem äußersten Ende des Dorfes“, schreibt er, „ließ ich eine Allee von Maien bis an das Herrenhaus anlegen. Im Hofe des Hauses war eine Ehrenpforte von Tannenzweigen errichtet. Vom Hause ging es unter Schießen in die Kirche, die überall mir Maien vollgestellt war. Wir hatten artige Musik mit Blasinstrumenten, und der Pfarrer hielt eine Einzugsrede, was ich erwähne, weil ich es interessant fand, daß in dem „barbarischen Bauerbach“ dergleichen geschehen ist.“

Was er später so unvergleichlich von „der ersten Liebe goldner Zeit“ gesungen hat, empfand er nun im vollsten Maße, denn seine Leidenschaft für Charlotte loderte in hellen Flammen auf, so daß Frau von Wolzogen es gerathen fand, auf seine Abkühlung bedacht zu sein. Sie zeigte ihm deshalb das Tagebuch ihrer Tochter, aus welchem hervorging, daß sie den Herrn von Winckelmann liebte. Wer weiß, welche Wirkung diese plötzliche niederschlagende Enthüllung auf den Dichter gehabt, wenn er nicht zugleich einen Brief von dem Bruder des Mädchens, seinem Freunde Wilhelm von Wolzogen, erhalten hätte, der ihm eine ähnliche Mittheilung machte, ihn um seine Meinung über Winckelmann bat und ihm seine Schwester empfahl. Das war ein Aufruf an sein edles Herz –, das sich denn auch vollständig bewährte. Er antwortete dem Freunde: „Sie haben mir Ihre Lotte anvertraut. Ich danke Ihnen für diese große Probe Ihrer Liebe zu mir. Noch ganz wie aus den Händen des Schöpfers, unschuldig, die schönste, reichste, empfindsamste Seele und noch kein Hauch des allgemeinen Verderbnisses am lauteren Spiegel ihres Gemüths – so kenne ich Ihre Lotte, und wehe demjenigen, der eine Wolke über diese schuldlose Seele zieht! – Ihre Mutter hat mich zum Vertrauten in einer Sache gemacht, die über das ganze Schicksal Ihrer Lotte entscheidet. Ich kenne den Herrn von Winckelmann, er ist Ihrer Schwester nicht unwerth …“

Schiller’s mit Gewalt niedergehaltene Liebe fand trotzdem bald wieder Gelegenheit sich frei zu äußern. Jener Herr von Winckelmann schien durch die Liebe Charlottens mehr sich geschmeichelt zu fühlen als sie zu erwidern und hatte einige nicht sehr zarte Aeußerungen darüber an Wilhelm von Wolzogen gethan, der entrüstet und besorgt wegen der Schwester an Schiller schrieb. Dieser aber antwortete: „Wir haben Ihre liebe Schwester in Bauerbach vierzehn Tage bei uns gehabt und mit dem größten Vergnügen beobachtet, daß eine ansehnliche Provinz ihres Herzens dem bewußten Götzen noch nicht angehört. Sie ist nicht so melancholisch, als die Eitelkeit gewisse Personen zu überreden scheint etc.“

Daß er sich nun alle erdenkliche Mühe gab, dies Herz für sich zu gewinnen, wird man eben so erklärlich finden, als die Besorgniß der Frau v. Wolzogen, es könne ihm gelingen, da bei den unsichern Aussichten des Dichters eine Verbindung der Tochter mit ihm in sehr großer Ferne lag. Er bestürmte sie, das Verhältniß zu der Herzogin zu lösen, welche bisher das Honorar für Charlotte in einer Pension bezahlt hatte, in welcher es ihr nicht gefiel, und versprach, aus Freude dann jedes Jahr ein Trauerspiel mehr zu schreiben und darauf zu setzen: „Trauerspiel für Loire“. Um das junge Mädchen aus der Nähe des leidenschaftlichen Dichters zu bringen, gab die Mutter sie zu der Amtmännin in Maßfeld, bei der sie einige Kenntnisse in der Wirthschaft erlangen sollte. Diese Trennung steigerte aber Schiller’s Leidenschaft nur noch mehr, obgleich sie in keiner Weise durch Charlotte’s Benehmen genährt wurde. Er vernachlässigte alle seine Arbeiten, da seinen Geist nichts beschäftigte als die Liebe, ja er kam in eine so gefährlich aufgeregte Stimmung, daß das Schlimmste zu fürchten war. Von seiner ungewöhnlichen Erregtheit zeugt u. A. eine Ahnung, die vielfach erzählt worden ist: „Auf einem unwegsamen Pfade durch den Tannenwald, zwischen wildem Gestein, ergriff ihn das Gefühl, daß hier ein Todter begraben liegen müsse, weil es ihn wie ein Hauch aus einer Todtengruft anwehe. Er blieb stehen, der Verwalter Voigt holte ihn ein, wieß auf eine von zwei sich kreuzenden Wegen gebildete Waldspitze und erzählte: „Hier wurde vor einigen Jahren der Fuhrmann Martin von einem Räuber erschlagen und sein Leichnam eingescharrt.“

Es war offenbar die höchste Zeit, daß etwas geschah, um ihn aus solchen Verhältnissen und Zuständen zu reißen. Er selbst jammerte, „daß es weit und breit Niemand gebe, welcher seiner zerstörten und wüsten Phantasie zu Hülfe käme“. Frau v. Wolzogen faßte endlich einen Entschluß, nachdem sie lange Alles bedacht hatte. Der Herzog von Würtemberg benahm sich fortwährend großmüthig: er that nichts gegen die Eltern Schiller’s, auch nichts gegen diesen selbst; die Mannheimer Freunde forderten den Dichter auf, wieder zu ihnen zu kommen, und die Unterhandlungen mit Dalberg wegen „Louise Millerin“ waren noch immer [751] im Gange. Auf einem einsamen Spaziergange durch den Wald brachte sie alles dies, und was ihn in Bauerbach drückte, so zart und schonend als möglich zur Sprache und endlich rieth sie ihm, – eine Reise nach Mannheim zu machen, seine Angelegenheiten dort zu ordnen und dann, wenn er wolle, zu ihr zurück zu kommen. Welchen Eindruck dieser Vorschlag auf ihn machte, geht aus den Worten hervor, die er ein ganzes Jahr später an Frau v. Wolzogen schrieb: „Nie kann ich ohne Bewegung der Seele an den Spaziergang in Ihrem Walde zurückdenken, wo es beschlossen wurde, daß ich eine Zeit lang verreisen sollte!“ Nach einem starken Kampfe mit sich selbst willigte er in den Vorschlag, gewiß freilich mit der stillen Hoffnung, die Folgen der Reise würden ihn seinem Ziel – der Verbindung mit Charlotten – näher führen, und mit dem festen Vesprechen bald wieder zu kommen. Frau v. Wolzogen sorgte für das nöthige Reisegeld, und am 20. Juli 1783 fuhr er in einer Kutsche seiner mütterlichen Freundin aus Bauerbach fort. Nur das Nothwendigste nahm er mit sich, alles Uebrige ließ er zurück für seinen, wie er hoffte, weiteren Aufenthalt, selbst die von Reinwald geliehenen Bücher. Er sollte aber nicht wieder zurückkehren, obwohl er länger als ein Jahr nach Bauerbach sich zurücksehnte.

Erst nach fünf Jahren, als er in Mannheim, in Leipzig und Dresden gewesen, dann nach Weimar gegangen war, kam er wieder in jene Gegend, wie er an Körner nach Dresden schrieb: „Ich war auch wieder in der Gegend, wo ich von 1782 bis 1783 als Einsiedler lebte. Damals war ich noch nicht in der Welt gewesen; ich stand, so zu sagen, schwindelnd an ihrer Schwelle und meine Phantasie hatte ganz erstaunlich viel zu thun. Jetzt, nach fünf Jahren komme ich wieder, nicht ohne mehr Erfahrungen über Menschen, Verhältnisse und mich. Jene Magie war wie weggeblasen. Ich fühlte nichts. Keiner von allen Plätzen, die ehemals meine Aufmerksamkeit interessiren mochten, sagte mir jetzt etwas mehr. Alles hat seine Sprache an mich verloren. An dieser Wirkung sah ich, daß eine große Veränderung in mir vorgegangen war. Und mußte sie nicht? Wie viele neue Gefühle, Schicksale und Situationen liegen in diesem Zeitraume!“

Und Charlotte? Sie verheirathete sich am 30. März 1788 mit dem Regierungsrath von Lilienstern in Hildburghausen, einem Verwandten der Frau von Lengefeld, Schillers späterer Schwiegermutter, starb aber schon 1794 im ersten Wochenbett. Der Herr von Winckelmann aber ging 1787 „aus Schmerz über so viel zertrümmerte Lebenshoffnungen“ mit Carl von Wolzogen nach dem Cap der guten Hoffnung und zwar als Capitain in dem Regimente, welches der Herzog von Würtemberg der holländisch-ostindischen Compagnie in Sold überließ.

  1. Wurde im Jahre 1859 bei der Schillerfeier mit der darüberstehenden Platte geziert.
    D. Red.