Ballade vom verkauften Assessor

Textdaten
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Autor: Ernst von Wolzogen
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Titel: Ballade vom verkauften Assessor
Untertitel:
aus: Die zehnte Muse. Dichtungen vom Brettl und fürs Brettl. S. 153–156
Herausgeber: Maximilian Bern
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1904
Verlag: Otto Eisner
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Erscheinungsort: Berlin
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Quelle: Commons = Google-USA*
Kurzbeschreibung:
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[153]

Ballade vom verkauften Assessor.

In Bozen war’s, vor’m schwarzen Greifen,
     Am Platze, wo Herr Wolter steht,
Zur Zeit, da schon die Kirschen reifen,
     So Mitte Mai – und abends spät.

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Die grellen Bogenlampen strahlten,

     Fahlgelb erschien der Mond vor Neid –
Die Gäste stunden auf und zahlten,
     Dieweil um zehn Uhr Schlafenszeit.

Nur einer schnippelt mit dem Messer

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     An seinem Käse noch herum,

Aus Luckenwalde ein Assessor,
     Und schaut ins Bierglas stier und stumm.

Und ihm zur Seite sitzt die Gattin –
     Auch aus der Gegend, wie es scheint –

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Erst ehegestern nämlich hatt’ ihn

     Des Himmels Segen ihr vereint.

Allein kein taubenhaft Gebahren
     Zeugt von so jungem Ehebund –
Sie sind ja Nacht und Tag gefahren,

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     Das bringt die Stimmung auf den Hund.


Ihn kann man etwas üppig finden,
     Ihr mangelt jeder Fülle Spur;
Es unterscheidet vorn und hinten
     Nur wenig sich in der Kontur.

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Die Augen grau, der Mund gewöhnlich,

     Kinn flüchtig und die Nase breit,
Der ganze Stil höchst unpersönlich,
     Von selbstbewusster Nichtigkeit.

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Dagegen er! Ein Vollgermane,

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     Noch jeder Zoll ein Corpsstudent,

Der unentwegt hochhält die Fahne
     Des, was man »höchste Güter« nennt.

Ein forscher Kerl mit sieben Schmissen,
     Und, bis auf’s Fettherz, kerngesund,

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Der trotz enormen Hindernissen

     Zwei Staatsexamina bestund!

Harmonisch floss bisher sein Leben,
     Wie ein Armeemarsch stramm dahin …
Nicht jeder Jüngling sieht so eben

40
     Den Weg vor sich von Anbeginn.


Doch, ach, die Existenz hienieden
     Fast nie ganz tadellos verläuft –
Auch des Assessors Seelenfrieden
     Ward eines Tages jäh ersäuft.

45
Sein alter Herr, der stets solvente,

     Stiess den bewährten Usus um
Und reduziert’ des Sohnes Rente
     Urplötzlich auf ein Minimum.

Und da der Staat die Assessoren

50
     Nicht standesmässig unterhält,

Sah unser Freund sich wie verloren
     In dieser rücksichtslosen Welt.

Welch Ausweg steht dem Manne offen,
     Der pekuniär am Rande ist?

55
Nur von der Eh’ ist was zu hoffen,

     Zumal wenn er vom Stande ist.

So rettete der Freund auch balde
     Mit kühnem Sprung sich in die Eh’.
Ein Fräulein zart aus Luckenwalde

60
     Besass das grosse Portemonnaie.


Vereinigt werden Herz und Hände,
     Man kann wohl sagen: Vom Fleck weg,
Des Schwiegersohnes Aussenstände
     Bereinigt durch des Vaters Check.

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Die Sehnsucht nach dem Süden trieb sie,

     Bis Bozen man, wie üblich, fuhr;
Postkarten viel mit Ansicht schrieb sie,
     Er kneipte Bier teils, teils Natur.

     

[155]

Er saugt an seinem Weichselrohre

70
     Und auch am fünften Glase schon,

Da flüstert sie an seinem Ohre:
     »Nein, Otto, sieh blos die Person!«

Er schaut, – dort, wo die Schatten dunkeln
     Um einen Oleanderstrauch,

75
Sieht er vier schwarze Augen funkeln,

     Vernimmt ein ruchlos Kichern auch.

Ein Mädel vom Ampezzothale,
     In blütenweissem Faltenhemd
Und schwarzem Mieder, auf das schmale

80
     Wieghüftlein keck die Faust gestemmt. –


So kokettiert die kleine Schlange
     Mit einem hübschen Lieutenant,
Der streichelt ihr die braune Wange
     Und löst ihr seidnes Schürzenband.

85
Von ihrer Brust dem Schnurrbartträger

     Die schönste Rose just sie reicht …
Wie thut ein flotter Kaiserjäger
     Sich doch bei diesen Mädeln leicht!

Assessor Otto starrt erblassend,

90
     Wie auf ein Schrecknis, auf dies Paar,

Und, die Cigarre ausgehn lassend,
     Fährt er sich durch das Borstenhaar.

Wär’s etwas länger nur gewesen,
     Vor Wut hätt’ er sich’s ausgerauft:

95
Ein Mann zum Höchsten auserlesen –

     Und nun um schnödes Geld verkauft!

Wie duftete die blütenschwere,
     Die südlich süsse Maiennacht!
Um ihn nur gähnt die öde Leere – –

100
     Und dies ist seine Hochzeitsnacht!


Man muss doch seiner Pflicht genügen,
     Ihn schaudert, wenn er nur dran denkt!
Vermutlich wird sie Kinder kriegen,
     Soviel als ihr der Himmel schenkt!

105
Das werden lauter Sauertöpfe,

     Plattnasig wie die Frau Mama,
Philister, freudenarme Tröpfe,
     Gleichwie ihr Krämer-Grosspapa!

[156]

Indessen auf der Ehrenleiter

110
     Steigt er empor zur Excellenz –

Und sie verknöchert immer weiter
     Mit der ihr eignen Konsequenz.

Dafür hat man sich nun geschunden,
     Dafür biereifrig stets gestrebt!

115
Die roten Adern unterbunden –

     Mit zweiunddreissig ausgelebt!

War man zur Herrlichkeit geboren,
     Nicht auch wie jener Lieutenant?
Zum Rosenbrechen nicht erkoren?

120
     Den Erdengöttern nicht verwandt?


O heil’ger Brahma! welch Entzücken
     In dieser Welschlands-Ueppigkeit
Ein süsses Weib ans Herz zu drücken,
     Sei sie auch nur Bedienungsmaid!

125
Heiliger Bimbam! o wie wollt’ er …

     Da zupft die Gattin ihn am Rock.
»Hier, Otto!« … unterschreiben sollt er
     Der Ansichtskarten erstes Schock.

»Ach, bitte, schreib nach Posemuckel

130
     An Tante Jettchen einen Gruss –

Weisst du nicht mehr? Die mit dem Buckel
     Und mit dem etwas kurzen Fuss.

Er unterschreibt. Ein blöd Gethue.
     Sie lächelt dumm, er lacht gequält. –

135
Und dann begiebt er sich zur Ruhe

     Mit ihr, die er sich auserwählt.

Ernst von Wolzogen.