Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Zipser, Anna
Band: 60 (1891), ab Seite: 175. (Quelle)
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Zipser, Maier (israelitischer Gelehrter und Rabbiner, geb. zu Balassa-Gyarmat in der Neograder Gespanschaft Ungarns 14. August 1815, gest. zu Rechnitz am 10. December 1869). Sein Vater Jacob, ein ehedem angesehener und wohlhabender Israelit, war durch widrige Schicksalsschläge ganz verarmt und ließ, als er 1821 starb, eine Witwe mit fünf unversorgten Kindern zurück, die in kümmerlichster Weise sich und ihre Kinder ernährte. Zipser lernte also von früher Jugend an den Kampf ums Dasein in dessen bitterster Form kennen, aber sein eigener Lebensmuth und die unerschütterliche Thatkraft seiner Mutter, die alle Mühseligkeit des „Hausirens“ auf sich nahm, um ihren Kindern das Brod zu schaffen, hielten ihn aufrecht und ermöglichten es ihm, an der gelehrten Laufbahn, die er erwählt, festzuhalten. Während er aber unter Wolf Boskowitz sich selbst bildete, unterrichtete er einen älteren Zögling, bis er, 15 Jahre alt, den Wanderstab ergriff, um andere Quellen der Weisheit aufzusuchen, die ihm sein Geburtsort versagte. So begab er sich im August 1830 zunächst nach Proßnitz in Mähren, wo er [176] unter dem in großem Rufe der Gelehrsamkeit stehenden Rabbiner Maier Eisenstadt weiter zu studiren beabsichtigte, und wo Verwandte seiner Mutter lebten. Als Eisenstadt jedoch wenige Wochen nach Zipser’s Ankunft einem Rufe als Landrabbiner nach Nikolsburg folgte, zog ihm Letzterer dahin nach und betrieb daselbst unter Nachim Trebitsch in ziemlich kümmerlichen Verhältnissen seine Studien, die sich aber, nachdem er einen deutschen „Robinson“ gelesen, nicht mehr allein auf talmudische Commentare beschränkten, sondern bald auf die Lecture von Schiller, Shakespeare und allmälig auf die von „Zeitungen“ ausdehnten, welche bis dahin dem Judenjüngling ein Unbekanntes waren. Dabei aber trieb er mit gleich großem Eifer das Studium des Talmud und dessen spitzfindiger Commentare und das der modernen Sprachen. Wir übergehen die in unten angeführter Quellen mit fast unverständlichem Schwulst erzählten widrigen Geschicke Zipser’s, der bis 1837 in Nikolsburg blieb, dann aber mit einem Empfehlungsschreiben aus Wien an das Goldberger’sche Haus in Altofen dahin ging und als Erzieher in die Familie Bobély daselbst eintrat. Bei letzterer fand er eine sehr reiche Büchersammlung und setzte nicht nur seine Talmudstudien fort, sondern eignete sich auch durch Selbststudium die griechische und lateinische Sprache an. Als dann der Rabbiner L. Schwab, den er schon in Proßnitz kennen gelernt hatte, nach Pesth kam, erneuerte er mit demselben die Bekanntschaft, was bei dem Rufe Schwab’s für ihn immerhin förderlich war. Sieben Jahre hatte er schon in Budapesth verweilt und während dieser Zeit in Proßnitz, Nikolsburg und Pesth Gelegenheit gefunden, Proben seiner gründlichen Kenntnisse zu geben und sich in fernen Judengemeinden bekannt zu machen, als im März 1844 ein Ruf auf das Stuhlweißenburger Rabbinat an ihn erging, dem er folgte. Stuhlweißenburg besaß schon 1541 bis 1686 unter der Türkenzeit eine Judengemeinde, von 1686–1840 aber blieben die Juden aus dieser Stadt ausgeschlossen, und erst 1840 fand wieder die Neugründung einer Judengemeinde daselbst statt, indem aus der Umgebung einige meist junge Familien dahin übersiedelten. In diese junge Gemeinde kam Zipser als Rabbiner mit dem idealen Vorsatze, daselbst eine Mustergemeinde zu bilden. So entwarf er denn Statuten für die Gemeindeleitung, Verwaltung u. s. w., Statuten für die religiösen Bedürfnisse und die Obliegenheiten der jüdischen Seelsorge, den Plan einer vierclassigen Lehranstalt mit ungarischer Vortragssprache, die er sich selbst bis zu großer Vollkommenheit zu eigen gemacht; dabei faßte er die Errichtung einer israelitischen Töchterschule und den Religionsunterricht der israelitischen Handwerkslehrlinge ins Auge; dann ging er an die Regelung des Gottesdienstes, und zuletzt rief er einen israelitischen Leseverein ins Leben, in welchem er selbst jeden Sabbath aus den daselbst aufliegenden jüdischen Zeitschriften, Brochuren u. d. m. die wichtigsten und schönsten Stellen den Mitgliedern vorlas. Das alles führte er in kürzester Zeit – innerhalb eines Jahres – durch. Als dann 1845 zu Pápa ein heftiger Streit bezüglich der Synagogenreformen ausbrach, veröffentlichte Zipser über Aufforderung zuerst in ungarischer Sprache, dann in deutscher Uebersetzung sein Gutachten in dieser Streitfrage, wodurch er mit dem Literaturblatte des Orients in [177] Verbindung trat und dann dessen eifriger Mitarbeiter wurde. Im Jahre 1847 vermälte er sich mit seiner ehemaligen Schülerin, einer Tochter des oben erwähnten Bobély, und schon schickte er sich an, seine 80jährige Mutter heimzuholen und in sein Haus einzuführen, als ihn (Februar 1848) die Nachricht von ihrem Hinscheiden traf; dann brach im April dieses Jahres der Judenkrawall in Stuhlweißenburg aus, welchem der Croateneinzug unter Jelacić folgte. In den nächstfolgenden Jahren der Aufregung spielten auch die Juden Ungarns, die längst in der nationalen Frage Stellung genommen, und Zipser mit ihnen, eine Rolle, freilich mit jener Vorsicht, in welcher dieses Volk, in allen Verhältnissen das Für und Wider abwägend, mustergiltig ist und bleibt. Dadurch gewann Zipser das Vertrauen des Stuhlweißenburger Platzcommandanten, des Generals Fürsten Lobkowitz, infolge dessen für die Juden manches Drückende des Belagerungszustandes gemildert wurde, und als auch bei der kaiserlichen Regierung die Judenfrage auf die Tagesordnung gestellt wurde, berief der damalige Chef der königlich ungarischen Statthalterei Baron Geringer am 12. September 1851 unseren Zipser in das Comité, das zur Regelung des Cultus- und Unterrichtswesens der Israeliten in Ungarn zu Ofen gebildet worden. In dieser Zeit erlangte er auch an der Universität in Budapesth die philosophische Doctorwürde. Indessen fühlte er sich in den damals herrschenden politischen Zuständen Ungarns nichts weniger als befriedigt, so daß er ernstlich daran dachte auszuwandern und theils England, theils Amerika als freiwilliges Exil in Aussicht nahm. Aber die in dieser Richtung angeknüpften Verbindungen führten doch nicht zum erwünschten Ziele, und eine um diese Zeit eingetretene Gemüthskrankheit seiner Gattin vereitelte vollends sein Vorhaben. Inzwischen waren auch Zerwürfnisse in seiner Gemeinde eingetreten, und auch auswärtige Rabbiner stellten sich seinen Reformversuchen feindlich und mit einem bei den Juden gewöhnlichen Fanatismus entgegen. Dazu gesellte sich politische Denuntiation. Alles dies verleidete ihm seine Wirksamkeit in seiner Gemeinde, und gern folgte er dem Rufe der altbewährten Gemeinde in Rechnitz, den er 1858 annahm, nachdem er 14 Jahre unter drückenden, verwirrenden und das Wohl seiner Gemeinde nichts weniger denn fördernden Verhältnissen in derselben gewirkt hatte. Etwas über ein Jahrzehnt war es ihm gegönnt, in Rechnitz seines Amtes zu walten, dann raffte ihn im Alter von erst 54 Jahren der Tod hin. Richten wir noch einen übersichtlichen Blick auf Zipser’s schriftstellernde Thätigkeit. Er war nicht Schriftsteller von Beruf, nichtsdestoweniger aber häuften sich im Laufe der Jahre seine Arbeiten, und besitzen dieselben nach Stoff und Ausführung einen Charakter, der ihm in wissenschaftlichen Kreisen Ansehen und Geltung verschaffte. Das Meiste – einige homiletische Vorträge ausgenommen – ist in Fachblättern zerstreut. Wir führen davon an im Literaturblatt des Orients: „Die jüdischen Zustände unter der 150jährigen Türkenherrschaft“ [1846 und 1847]; – „Zur Biographie des Rabbi Maier Eisenstadt“ ]1847]; – „Raphael Meldola. Ein Bild der jüdischen Zustände in Italien zu dessen Zeit“ [ebd.]; – „Kritische Untersuchung über die Originalität der im Talmud und Midraschim vorkommenden Parabeln [178] und Sentenzen“, in einer Reihenfolge von zehn Nummern [ebd.]; – „Die magyarische Sprache und die Juden“ [ebd.]; – „Ueber die talmudischen fremdsprachlichen Wörtererklärungen“ [ebd.]; – „Zur Charakteristik der Hillel’schen Schule und deren Lehren“ [ebd.]; – „Ueber das Erbrecht des weiblichen Geschlechtes nach dem Evangelium“ [ebd.]; – „Ueber das jüdische Kalenderwesen“ [ebd.]; eine Kritik des Luzzato’schen Werkes „„Calendario ebraico per venti secoli“; – in der in London herausgegebenen englischen Zeitschrift, The Jewish Chronicle: „Eine Scene aus dem ungarischen Kriege“, wo er auf den heimlichen Urheber des Weißenburger Judenkrawalls hinweist; – „The Talmud and the Gospels“ [1851, eine 13 Nummern umfassende Abhandlung], worin er die Frage der Judenemancipation behandelt; der israelitische Cultusvorstand in London fand diese Abhandlung so inhaltreich und wichtig, daß er dieselbe unter dem Titel: „The sermon of the mount. Reprinted from the London“, Jewish Chronicle (1852) besonders drucken und unter die englischen Parlamentsmitglieder vertheilen ließ; – in der Allgemeinen Zeitung des Judenthums: „Gegenprotest in Angelegenheit der Philippson’schen Bibelausgabe“ [1860]; – in Ben Chananjah. „Zur Zoologie des Talmud“ (1858); – „Zur Geschichte der israelitischen Gemeinde in Belgrad“ (1859); – „Zur Geschichte der Sabbatfeier“ (1859); – „Ueber die Ostrichtung unserer Tempel“ (1860). Andere speciell für Israeliten belangreiche Aufsätze und einige Fest- und Trauerreden führt sein in Abgeschmacktheit der Darstellung sich überbietender Biograph an. Einige Jahre nach Zipser’s Tode gab Ad. Jellinek heraus des Flavius Josephus Werk: „Ueber das hohe Alter des jüdischen Volkes.... Nach hebräischen Originalquellen erläutert und nach M. Zipser’s Tode herausgegeben und bevorwortet“ (Wien 1870, Beck’s U. B., 8°.).

Reich (Ignaz). Beth-El. Ehrentempel verdienter ungarischer Israeliten (Pesth 1862, Al. Bucsanszky, 4°.) Heft 5, S. 1 –31. [Ein durch die abgeschmackteste verschwenderische Einmengung israelitischer jedem Nichtisraeliten geradezu unverständlicher Ausdrücke ungenießbarer Aufsatz, in dem wir nur mit Mühe das für unseren Zweck Verwendbare herausfanden. Ekeliger Schwulst schadet der besten Sache!] – Literaturblatt des Orients, 1847, S. 380, 440, 459. – Fürst (Jul. Dr.). Bibliotheca judaica, Biographisches Handbuch, umfassend die Druckwerke der jüdischen Literatur u. s. w. (Leipzig 1863, Engelmann, gr. 8°.) Bd. III, S. 552–554.
Porträt. Unterschrift: Facsimile des Namenszuges: „Dr. Zipser M. Főrabbi.“ Lithographie ohne Angabe des Zeichners und Lithographen [im 4. Hefte des von Ign. Reich herausgegebenen „Beth-El“.]