BLKÖ:Wilhelm, Andreas Ritter von

Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Band: 56 (1888), ab Seite: 164. (Quelle)
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Wilhelm, Andreas Ritter v. (Schulmann, geb. zu Voitersreuth im Egerlande Böhmens am 17. März 1801). Der Sohn schlichter Landleute, die in der Hoffnung, daß er Geistlicher werde, ihm den dürftigen Unterricht, wie dieser damals auf dem Lande möglich war, durch den Ortslehrer ertheilen ließen, der, da es zu jener Zeit noch kein Schulgebäude gab, von Haus zu Haus ging. Unterdessen aber wurde der Knabe auch zu ländlichen Arbeiten angehalten. Im Jahre 1813 bezog er in Eger das Gymnasium, welches unter der Leitung von Jesuiten stand, und 1818 auf der Wiener Hochschule die philosophische Facultät, an welcher unter Anderen Rembold, Wikosch, Stein, Weintridt lehrten, tüchtige Männer, deren dieses Lexikon an entsprechender Stelle gedenkt. Auch in den außerordentlichen Gegenständen, wie Erziehungskunde, Naturgeschichte, Hilfswissenschaften der Geschichte, moderne Sprachen, that er sich, so weit es seine Verhältnisse gestatteten, weidlich um und beendete 1821 die philosophischen Studien. Aber mit dem fortschreitenden Unterricht war der Gedanke an die geistliche Berufswahl allmälig gewichen. Der Versuch, es mit der Jurisprudenz zu wagen, hielt auch nur ein Jahr vor, und als Wilhelm mit sich zu Rathe ging, welchen Weg für seine künftige Lebensstellung er einschlagen solle, entschied er sich zuletzt für den Lehrberuf, zu welchem er sich namentlich durch das Vorbild zweier Egerer Lehrer, Niemeczek und Kratochwile, vor Allem hingezogen fühlte. Er trat nun aus der juridischen Facultät aus und widmete sich vom 2. Semester 1822 ab mit Feuereifer den Vorbereitungsstudien für das Lehramt. Die Mittel dazu erwarb er sich durch Unterrichtertheilen, wobei ihm die Professoren des akademischen Gymnasiums, die ihn als Hauslehrer empfahlen, behilflich waren. In anderthalb Jahren hatte er sich in dieser Richtung so tüchtig ausgebildet, daß er von 1823–1824 nicht weniger denn sieben Concurse für Grammatical- und zwei für Humanitätsclassen, alle mit vorzüglichem Erfolge, ablegte. Und ohne daß er sich für einen erledigten Posten insbesondere beworben hätte, wurde er, da man bei der Studienhofcommission aus seinen Concursen seine Tüchtigkeit und Befähigung zum Lehramte erkannte, am 28. Februar 1824 zum Grammaticallehrer in Neusandec in Galizien ernannt. Im August desselben Jahres trat er sein Lehramt an. Die Zustände des Sandecer Gymnasiums in jenen Tagen waren nicht danach angethan, den jungen Lehrer besonders zu ermuthigen; doch konnte er nichts dagegen thun, als mittlerweile die Pflicht für seine Person erfüllen, denn ein Versuch, beim Provinzialschuldirector auf eine Abstellung der zahlreichen herrschenden Uebelstände hinzuwirken, blieb erfolglos. Doch fand er daselbst seine Gattin, mit der er sich im Sommer 1827 [165] vermälte, und die ihm nun das Los, das ihm zutheil geworden, zur Hälfte tragen half. Indessen hielt die Cholera auch in Neusandec ihren Einzug, die Jesuiten siedelten sich auch in dieser kleinen Kreisstadt an, und im Nachbarlande, in welchem der denkwürdige 1830er polnische Aufstand ausbrach, säbelten die russischen Kosaken die Aufständischen nieder und machten bald tabula rasa mit allen Bestrebungen nach Herstellung des alten Polen. Das waren die politischen und culturellen Ereignisse, welche ganz besonders bis in die Mitte der Dreißiger-Jahre das Stillleben des Gymnasiallehrers Wilhelm unterbrachen. Um die Mitte 1838 erfolgte seine. Versetzung nach Tarnów, und obgleich seine Ernennung zum Humanitätslehrer am Neusandecer Gymnasium bereits eingetroffen war, mußte er doch an den ihm unerwünschten Bestimmungsort abgehen. In Neusandec hätte er doch nicht länger bleiben können, da, während die „Wiener Zeitung“ seine Ernennung zum Humanitätslehrer der dortigen Lehranstalt meldete, diese mittlerweile an die Jesuiten übergeben worden und er also als weltlicher Lehrer daselbst überflüssig war. Auch in Tarnów erwiesen sich, die Gymnasialverhältnisse kläglich genug. Aber auch hier ging er wie in Neusandec ganz in Erfüllung seiner Pflicht auf und that das Mögliche, um wenigstens für seine Person und in seinem unmittelbaren Wirkungskreise den Schlendrian ferne zu halten, der bei seinen Collegen im Schwange war. Die Anerkennung blieb auch nicht aus, da er nach dem 1840 erfolgten Tode des Gymnasialvorstandes Großmann im October 1841 zum Präfecten des Tarnówer Gymnasiums befördert wurde. Nun, in seiner Eigenschaft als Vorstand, konnte er schon energischer einschreiten, um dem bisher an dem Institut herrschenden Schlendrian an den Leib zu gehen, jedoch der compacte Widerstand der Mehrheit der Lehrer legte seine Bemühungen wenn nicht ganz lahm, immerhin erschwerte er sehr jeden noch so kleinen Erfolg. Nun kamen die allerdings sehr bedenklichen Wirren des Jahres 1846, in welchen Tarnów den Centralpunkt des revolutionären polnischen Adels bildete, und welche auch nicht ohne Rückschlag auf die Schulen blieben, wie denn alle Stände und alle Verhältnisse unter diesen blutigen Gräueln litten. Wilhelm hielt vor Allem an dem Grundsatze der Kaiserin Maria Theresia fest: „die Schule ist ein politicum“, nämlich eine Angelegenheit des Staates, und dies ist auch Alles, was die Politik mit der Schule gemein hat. Er war daher als Leiter des Schulwesens vor Allem bemüht, die Aufmerksamkeit der Schüler durch den Unterricht von der Außenwelt möglichst abzulenken. Daß er dabei mit großen Hindernissen zu kämpfen hatte, braucht kaum ausdrücklich bemerkt zu werden; da der bekannte Patriotismus der polnischen Mütter, welche ihren Kindern daheim von der Befreiung des Vaterlandes von diesen hündischen Deutschen vordeclamirten, in wenigen Minuten das zerstörte, was die Lehrer in der Schule in Stunden und Tagen aufbauten, und namentlich die Gemüther der Kinder in die Wirren des blutigen Aufruhres mit hineinriß. Nach niedergeworfenem Aufstande blieb Wilhelm nur noch kurze Zeit in dem Lande, wo der Aufenthalt für jeden Nichtpolen der denkbar unerquicklichste war. Im December 1846 kam die Gymnasial-Präfectenstelle in Troppau in Erledigung, und obwohl für die Besetzung derselben zunächst Geistliche, und zwar aus dem Piaristenorden, [166] in Aussicht genommen wurden, erhielt er doch wider alles Erwarten im October 1847 diesen Posten. So willkommen ihm derselbe war, so wenig entsprach diese Besetzung dem Geschmacke des damaligen Troppauer Lehrkörpers, denn Wilhelm, der in den Jahren 1845–1847 in Schmidl’s „Oesterreichischen Blättern“ einige den Gymnasialunterricht betreffende Aufsätze veröffentlicht hatte, erschien als Reformer, und ein solcher ist jedem eingelebten altgewohnten Schlendrian zuwider. Die Art und Weise jedoch, in welcher er dem Lehrkörper gegenübertrat, indem er mit Energie Gerechtigkeitsgefühl und Billigkeit verband, verwandelte bald die herrschende Stimmung, sein Anhang mehrte sich, und selbst seine erbittertsten Gegner traten über in sein Lager. Als Präfect des Troppauer Gymnasiums machte er nun alle Experimente durch, welche in Oesterreichs Unterrichtswesen unter den sich rasch folgenden Ministern und Leitern desselben, Sommaruga, Feuchtersleben, Exner, Helfert, Graf Thun, nicht zum Frommen des Unterrichtes selbst und der Unterrichteten, Platz griffen. Im Ganzen verhielt er sich anfangs mehr zuwartend, bis ihm der geeignete Zeitpunkt gekommen schien, selbstthätig in der so wichtigen Sache einzugreifen, wobei ihm vornehmlich der Umstand zu Statten kam, daß Schlesien in Joseph Freiherrn von Kalchberg [Bd. X, S. 384] einen Staatsmann zum Leiter gewann, der den neuen Geist der Zeit erfaßte und im Sinne desselben mit Umsicht und Energie waltete. Um diese Zeit ging die Ernennung von Schulräthen vor sich, in Schlesien erkannte Kalchberg alsbald die Tüchtigkeit Wilhelm’s, und Letzterer wurde am 28. September 1850 zum schlesischen Gymnasial- und Volksschulinspector mit dem Titel eines k. k. Schulrathes ernannt. Und so hatte sich einfach der Uebertritt Wilhelm’s vom Schul- ins Bureauzimmer vollzogen. Im März 1855 ward ihm – nachdem die Inspection der Volksschulen von jener der Mittelschulen getrennt worden – neben der Oberaufsicht der schlesischen Mittelschulen auch die des Krakauer Verwaltungsbezirkes übertragen, und mußte er seinen bisherigen Amtssitz in Troppau nach Krakau verlegen. Diese Stellung bot unter den veränderten nachmärzlichen Verhältnissen nicht geringe Schwierigkeiten. Dieselben wurden ihm vornehmlich von zwei im Lehrkörper vertretenen Parteien bereitet, einerseits von jener der panslavistischen Eiferer und andererseits von jener der preußischen Convertiten, welche durch die besondere Vorliebe des damaligen Unterrichtsministers Grafen Thun für Ausländer in das Personale des österreichischen Lehrkörpers eingeschmuggelt worden waren. Auch die verschiedenen politischen Strömungen, welche sich in der principienlosen Zeit, in welcher man Alles, nur nicht das Richtige versuchte, fühlbar machten, bereiteten dem Schulinspector mehr Schwierigkeiten, als die Sache an sich ohnehin mit sich brachte; aber bei seinem Grundsatze, sich als Schulmann von aller Politik fern zu halten, weil ein Lehrer, der auf den politischen Kampfplatz hinabsteigt, nie seiner erziehlichen Wirksamkeit entsprechen kann, schiffte er mitten in den Wogen der Zeit und half die Jugend erziehen, indem er die Lehrer in ihrem verantwortlichen und wichtigen Geschäfte überwachte. Eine willkommenere Stätte, als bis dahin in Krakau, erhielt er zugewiesen, als er mit Decret vom 28. October 1860 zum Inspector der [167] Mittelschulen in Mähren und Schlesien berufen wurde. Auch da fand er die Zustände des Schulwesens in mitunter bedauerlichster Verkommenheit. Das Gymnasium in Brünn, wo Wilhelm nun seinen Wohnsitz aufschlug, befand sich in einem stallähnlichen, geradezu vom Zusammensturze bedrohten Gebäude. Der frühere Unterrichtsreferent Mährens, Domherr Höchsmann, hatte in unverantwortlicher Weise seines Amtes gewaltet und als Priester unwürdig, als Schulmann strafwürdig gehandelt. Hier nun, wo es am dringendsten war, Abhilfe zu schaffen und auf einen neuen Bau zu dringen, trat Wilhelm mit aller Energie ein. Es wurde auch, indem die Schule mittlerweile in einem gemietheten Privathause Unterkunft fand, der neue Bau 1868 in Angriff genommen, und heute steht er palastähnlich – eine würdige Stätte des Unterrichts – da. Dieses neue Gymnasium Brünns ist die bleibend sichtbare That unseres sonst auch hochverdienten Schulmannes, die ihm aber freilich nur durch die Energie des um diese Zeit zum Statthalter Mährens ernannten Grafen Forgács ermöglicht ward. Im Uebrigen aber war es ihm unter diesem umsichtigen Staatsmanne, wie später unter dessen beiden Nachfolgern, dem Grafen Chorinský und Freiherrn von Poche, vergönnt, in ersprießlichster Weise in seinem Berufe zu wirken, wenngleich sich ihm oft Hindernisse, die fast nicht zu bewältigen schienen, entgegenstellten. Namentlich erschwerten die Kämpfe um die von einigen nationalen Heißspornen auf die Tagesordnung gestellte und von Laien im Bureaudienste, die von slavischer Abkunft waren, in unbotmäßiger Weise zu einer Capitalfrage aufgebauschte Unterrichtssprache ein gedeihliches Durchführen der sonst richtigen und wichtigen Reformen. Die nationalen Heißsporne leisteten den äußersten Widerstand und machten eine die Interessen des Unterrichtswesens unverkümmert fördernde Wirksamkeit ungemein schwierig. Wilhelm war unter solchen Verhältnissen dem Greisenalter immer näher gerückt und zur Erkenntniß gelangt, mit des Staatsverrathes tückischen Mächten sei kein gedeihlicher Bund zu siechten, und hatte schon 1867 das Gesuch um seine Pensionirung eingereicht. Aber Bitten, welche von der Lehrerschaft des ganzen Landes an ihn einliefen, als die Kunde sich verbreitete, er wolle sich zurückziehen, wie auch Vorstellungen höhererseits bestimmten ihn, für eine Weile nachzugeben, bis sich die Verhältnisse so gestalteten, daß er es mit seiner amtlichen Ehre unverträglich fand, länger im Dienste zu bleiben, worauf er dann im Mai 1870 um seine Pensionirung ansuchte. Nach 47 wechselvollen kämpferfüllten Dienstjahren trat er, mit dem Orden der eisernen Krone dritter Classe für seine Verdienste ausgezeichnet, in den Ruhestand und zog sich nach Gratz in Steiermark zurück. Die Stadt Troppau ehrte sich selbst, als sie auf den Antrag des Stadtverordneten Hermann Kudlich, Bruders des 1848er Reichstagsabgeordneten Hans Kudlich, in der Sitzung vom 5. August 1870 beschloß: „Es sei dem k. k. Landesschulinspector Andreas Wilhelm in Anbetracht seiner langjährigen um die Studirenden von ganz Schlesien erworbenen anerkennenswerthen Verdienste das Ehrenbürgerrecht der Landeshauptstadt zu verleihen.“ Seine Verdienste um Oesterreichs Schulwesen sind zunächst auf administrativem und praktischem Felde als Schulmann zu suchen, wo sein Wirken durch unerschütterlichen Patriotismus, [168] Mäßigung bei Beseitigung jener Schäden, deren Abstellung in seiner Machtsphäre lag, und Durchführung gesunder Erziehungs- und Unterrichtsreformen besonders charakterisirt wird. So lange er im Amte wirkte, blieb ihm fachlich zu schriftstellern nur wenig Zeit übrig, daher beschränkt sich seine Thätigkeit in dieser Richtung nur auf einige wenige selbständige Werke und Zeitungsaufsätze. Hievon führen wir zunächst an: „Wegweiser beim Unterrichte im Lateinischen und Griechischen. Mit einer Einleitung vom Unterrichte überhaupt“ (Brünn 1867, Winiker, gr. 8°.); – „Praktische Pädagogik der Mittelschulen, insbesondere der Gymnasien. Erweiterung und Fortsetzung des „Wegweisers beim Unterrichte““ (Wien 1870, Gerold’s Sohn, gr. 8°.); – „Das österreichische Volks- und Mittelschulwesen in den Hauptmomenten seiner Entwicklung seit 1812“ (Prag 1874, Tempský, gr. 8°.). Früher aber brachten die von Dr. Adolf Schmidl herausgegebenen „Oesterreichischen Blätter für Literatur und Kunst“ aus Wilhelm’s Feder einige größere Aufsätze, deren Gediegenheit die Redaction veranlaßte, darauf besonders die Aufmerksamkeit der Leser zu lenken, und zwar im Jahrgang 1844: „Ehemaliges Unterrichtswesen in Tarnów“ [IV. Quartal, Nr. 64]; – Jahrgang 1845: „Ueber das Fremde in der deutschen Sprache“ [Nr. 99]; – „Ueber die Behandlung des griechischen Zeitwortes“ Nr. 101 –104]; – „Die Grenze der deutschen Volksmundarten in der Schrift“ [Nr. 134]; – „Der Wohllaut und seine Begründung“ [Nr. 139] und „Die deutsche Rechtschreibung in der Gegenwart“ [Nr. 145 –148]. Nach seinem Uebertritt in den Ruhestand griff er fleißiger zur Feder, und in den acht Jahrgängen der von Friedrich Mann herausgegebenen „Deutschen Blätter für erziehenden Unterricht“ begegnen wir oft den Arbeiten des greisen und erfahrenen Pädagogen. Wilhelm verheiratete sich am 9. Juli 1827 mit Francisca geborenen Freiin von König, welche er, wie in der Lebensskizze erwähnt ist, während seines Aufenthaltes in Neusandec kennen gelernt hatte.

Rotter (Richard Dr.). Andreas Ritter von Wilhelm. Biographischer Beitrag zur österreichischen Schul- und Staatsgeschichte in den letzten fünfundsiebzig Jahren (Wien 1884, Graser, XVI und 325 S. gr. 8°.). [Ein ungemein breit angelegtes, weitspurig durchgeführtes Buch, aus welchem man das Essentielle von Wilhelm’s verdienstvoller pädagogischer Thätigkeit mühsam herausschälen muß. Mit dem vierten Theile des Umfanges wäre dasselbe nur klarer und wirksamer zu sagen gewesen.
Porträt. Unterschrift: Facsimile des Namenszuges: „Andreas Ritter von Wilhelm“. Th. Mayerhofer gez., Angerer und Göschl chemit. (8°.).