BLKÖ:Wagilewicz, Johann

Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Wagner, Adolph
Band: 52 (1885), ab Seite: 80. (Quelle)
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Wagilewicz, Johann (polnischer Schriftsteller, geb. zu Jasien górny, einem Dorfe im Stryjer Kreise Galiziens, am 2. September 1811, gest. in Lemberg am 10. Mai 1866). Sein Vater Nicolaus, Pfarrer der griechisch-katholischen Kirche, lebte noch 1866, ein neunzigjähriger Greis, zu Zawoj, als Johann bereits in Erschöpfung durch Arbeit gestorben; die Mutter Katharina war eine geborene Zahajkiewicz. Die Elementarschulen besuchte Wagilewicz 1822 in Buczac, das Gymnasium 1829 zu Stanislawow. 1830 trat er ins Seminar der griechisch-katholischen Kirche, Philosophie hörte er an der Universität in Lemberg und [81] 1839 beendete er die theologischen Studien. Geschichte und Geographie zogen ihn bereits, als er noch die Schulen besuchte, vor anderen Gegenständen an, und obwohl Theolog, blieb er doch für die Schönheiten der Poesie nicht unempfänglich, ja versuchte sich selbst darin, wie ein paar Proben im „Dziennik mód paryzkych“, d. i. Tagblatt der Pariser Moden, bezeugen. Aber wenn er auch einige Zeit in Reimereien sich versenkte, er kam bald zur Erkenntnis, daß die Technik der Dichtkunst noch lange nicht den Poeten mache, und so gab er es denn auf, Gedichte zu schreiben, es vorziehend, schon fertige zu sammeln. Es war eben der Zeitpunkt gekommen, daß man für Volkslieder sich erwärmte, als nämlich W. Zaleski unter dem Pseudonym Waclawz i Oleska seine berühmte, heute schon höchst seltene, freilich nun auch durch O. Kolberg’s Arbeiten auf diesem Gebiete überbotene Sammlung „Piesni ludu galicyzskiego“ herausgegeben (1833). Mit dem Erscheinen derselben hebt so zu sagen der Aufschwung der nationalen Literatur in Galizien und den Nachbarländern an. Die jungen Literaten begannen neue Volkslieder zu suchen und zu sammeln. Woycicki, Glowacki, Zegota Pauli und unser Wagilewicz wanderten mit dem Stabe in der Hand von Dorf zu Dorf, um aus dem Munde des Volkes dessen Lieder aufzunehmen und niederzuschreiben. Aber es war keine günstige Zeit für dergleichen Beschäftigung. Der Polizeidirector Sacher-Masoch und sein Intimus Kankofer in Lemberg hielten scharfe Wacht auf solche unbefugte geistige Lumpensammler, und es war eine sehr übte Empfehlung, Schriftsteller oder gar Poet zu sein. Schreiber dieser Skizze hatte es auch erfahren. Wohl machte Zaleski, der mit seinem Sammlergeiste noch andere, und zwar zunächst administrative Talente verband, trotz alledem sein Glück, aber nicht Gleiches war seinem Genossen Wagilewicz beschieden, dem man das Sammeln von Volksliedern gar übel vermerkte. Die Bande, welche Letzteren mit den damaligen literarischen Kreisen verknüpften, bildeten für ihn die Schranke in seinem Fortkommen. Man strich ihn zunächst von der Liste der Candidaten für ein Lehramt. Und der Lemberger Bischof in partibus Gregor Jachimowicz war es zuerst, der ihm die Theilnahme an der Herausgabe der Liedersammlung „Rusalka dniestrowaja“, welche 1837 und noch dazu mit cyrillischen Lettern erschienen war, als Vergehen ansah und in einem schriftlichen Verweise vorhielt. In diesem Büchlein hatte Johann Wagilewicz der Erste die Volkslieder der galizischen Ruthenen gesammelt und die slavischen Handschriften beschrieben, welche in der Bibliothek der Basilianer in Lemberg aufbewahrt werden. Auch wurde ihm sein literarischer Verkehr mit ausländischen slavischen Gelehrten, wie mit Šafařík und Anderen, übel angerechnet. Einen weiteren Vorwurf machte man ihm daraus, daß er sich in anerkennender Weise über den Lemberger Bischof Gedeon Balaban äußerte, der, obwohl ein Gegner der Union, doch ein Freund der Wissenschaft war, Bücher sammelte, Druckereien anlegte, aus welchen mancher weiße Rabe (gute Bücher) herausgeflattert kam. Ja, es war eine schlimme, sehr schlimme Zeit. Endlich, auf wiederholte Bitten fand Wagilewicz Aufnahme, und 1845 ausgeweiht, vermälte er sich mit Amalie Piekarska. Im October 1846 erhielt er dann die genug ärmliche [82] Caplanei zu Niestanice im Zloczower Kreise. Da erschien das Jahr 1848 und berief auch ihn auf den Kampfplatz. Sofort begründete er in Lemberg die Zeitschrift „Dnewnik ruski“, welche indeß nicht lange ihr Dasein fristete. Man ernannte ihn nun zum Schulrathe. Aber wegen Verschiedenheit der Meinungen zur Verantwortung gezogen, gerieth er in neue Ungnade, mußte sein Vergehen in zwangsweisen Bußübungen sühnen und durfte nicht wieder auf seine Caplanei zurückkehren. Seine Lage wurde immer schlimmer. Man fand an ihm Vergehen, die keine waren, belegte ihn mit Strafen für etwas, was gar nicht strafwürdig war. Aus diesem ihm gegen seinen Willen auferlegten Dilemma sah er nur Rettung im Religionswechsel, und so wurde er evangelisch. Zugleich aber stand er auch brodlos da. Als Gatte und Vater befand er sich in traurigster Lage. Wohl unterstützten ihn seine Freunde, doch reichte dies nicht auf die Dauer. Endlich kam Hilfe, als Georg Fürst Lubomirski [Bd. XVI, S. 106], damals Curator des Ossoliński’schen Instituts in Lemberg, ihn zum Custos an der Ossoliński’schen Bibliothek ernannte. Doch war dieser Glücksfall von kurzer Dauer. Der Fürst wurde nach kaum dreiviertel Jahren seiner Curatorstelle enthoben und unter dessen Nachfolger Moriz Grafen Dzieduzycki [Bd. III, S. 405] unser Wagilewicz entlassen, weil derselbe evangelisch war, obgleich die Religion beim Bibliotheksdienste doch gar nicht in Frage kommt. Als öffentlichen Vorwand nahm man aber seine Ernennung zum amtlichen Dolmetsch der ruthenischen Sprache, als welcher er jedoch schlecht genug besoldet war. Indessen führte er in Gemeinschaft mit dem von Erblindung bedrohten [BLKÖ:Szajnocha, Karl|Szajnocha]] [Bd. XLI, S. 128] außer der Aufsuchung von Belegstellen die Redaction und Textcorrectur der neuen Ausgabe des berühmten Wörterbuches der polnischen Sprache von Linde [Bd. XV, S. 198] durch und besorgte dann auch die Nachträge zu diesem Werke. Inzwischen wurde die Dolmetschstelle aufgelassen und Wagilewicz dafür zum Corrector, später zum Expeditor der amtlichen „Lemberger Zeitung“ (Gazeta lwowska) bestellt. Aber diese monotone, geisttödtende mechanische Beschäftigung war nichts weniger als nach seinem Geschmacke, und da er sich überdies als dazu nicht geeignet erwies, mußte er 1860 abdanken. Nun trat er als Corrector bei der politischen Zeitung „Głos“, d. i. Die Stimme, ein, welche Siegmund Kaczkowski redigirte. Aber auch hier war seines Bleibens nicht lange, da sich dieses Journal in Folge der über dasselbe verhängten Preßprocesse auf die Dauer nicht halten konnte. Nun stand Wagilewicz wieder der Brodlosigkeit und dem Mangel gegenüber. Endlich zu Beginn des Mai 1861 wurde er Translator der ruthenischen Sprache im Landesausschuß. 1863 übernahm er nach Dionys Zubrzicki die Archivarstelle. Wir wollen den literarischen Verdiensten des Letzteren nicht nahe treten, aber verschweigen können wir nicht, daß das demselben anvertraute, an den wichtigsten Documenten überreiche Archiv hinsichtlich seiner Ordnung nicht am besten bestellt war. Wagilewicz fand also genug vor, aber er stand nach vierzehnjährigem Kampfe ums Dasein endlich vor einer Arbeit, die einerseits den Mann nährte, andererseits seinem Geiste zusagte. So machte er sich mit allem Eifer an die archivalische Ordnung, welche durch jahrelange Vernachlässigung außer Rand und Band gerathen [83] war. Doch man ließ ihn nicht mit Ruhe gewähren, man drängte ihn, die Sache zu Ende zu bringen, und die Uebersetzung der Landtagsverhandlungen, die auch keine Säumniß gestattete, mußte gleichwohl besorgt werden. So überarbeitete sich Wagilewicz, und schon fast erschöpft und leidend, gönnte er sich noch keine Ruhe, bis er fühlte, daß sein Ende herannahe, dann ließ er den Pastor rufen und hauchte, 55 Jahre alt, seine ermattete Seele aus. Die Zahl der von Wagilewicz im Druck erschienenen Arbeiten ist nichts weniger denn groß, und von diesen findet sich der größere Theil in Zeitschriften zerstreut; denn die Nachfrage nach Büchern war in jener bewegten Uebergangsperiode nicht stark, und Verleger, welche Honorar zahlten, waren dünn gesät. So geschah es denn, daß er anfangs das Feld für seine schriftstellerische Thätigkeit im Auslande suchte. Es erschienen demnach seine ersten Arbeiten in čechischer Uebersetzung in der böhmischen Museal-Zeitschrift (Časopis českého Museum) in den Jahrgängen 1838–1841 und sind Abhandlungen über die Huculen, einen in den östlichen Karpathen ansässigen slovakischen Volksstamm, über Vampyre und Gespenster u. a. m., Alles Abschnitte aus einem größeren Werke, das unter dem Titel „Simbolik“ erscheinen sollte; dann kam selbständig heraus: „Monastýr Skit w Manyawie“, d. i. Kloster Skit in Maniaw (Lemberg 1848, 8°., mit Abbildung) und „Grammatiyka języka maloruskiego“, d. i. Sprachlehre der kleinrussischen Sprache (Lemberg 1845, 8°.). – In Zeitschriften veröffentlichte er mehrere meist geschichtliche und culturgeschichtliche Artikel, theils unter seinem Namen, theils unter den Pseudonymen Dalibor und Wilk Zaklika, so in der „Biblioteka Warszawska“ 1841: „Pogrzeb u Slawian“, d. i. Leichenbräuche bei den Slaven; – „Wywód początków Slawian od Franków“, d. i. Nachweis slavischer Anfänge unter den Franken; – im Czasopis Biblioteki Ossolińskiey“, d. i. in der von der Ossolińki’schen Bibliothek herausgegebenen Zeitschrift 1844: „Szelodywy Buniak rzecz z podan ludo roku 1842“, d. i. Szelodywy Buniak aus den Ueberlieferungen des Volkes im Jahre 1842; – „Drogi kommunikacyjne starożytnej Rusi“, d. i. Die Verkehrswege im alten Rußland; – im Dodatek tygodniowy do Gazety lwowsky“, d. i. Wochenbeilage zur Lemberger Zeitung: Osann o fragmentach Troga“, d. i. Osann über die Fragmente des Trogus; – im „Dziennik literacki“ 1852: „Der h. Methodius“; – 1854: Związek dziejów polskich z morawskiemi“, d. i. Anknüpfungspunkte der polnischen Geschichte mit der mährischen; – im „Kółko rodzinni“ 1860: „Początki Lwowa“, d. i. Die Anfänge Lembergs, und in der von Peter Dubrowski herausgegebenen „Jutrzenka“, d. i. Morgenstern: „Uwagi nad Bielowskiego, d. i. Bemerkungen über A. Bielowski. Ungleich reicher ist sein handschriftlicher Nachlaß, und dieser enthält eine „slavische Dämonologie“, eine systematische Darstellung der bei den galizischen Ruthenen bestehenden Vorurtheile u. s. w.; – eine „Abhandlung über die Anfänge der altslavischen Sprache“, sich anlehnend an die Arbeiten des gelehrten Forschers Miklosich über diesen Gegenstand; – „Wörterbuch des ruthenischen Landvolks in Galizien“; – „Ueber das Verhältniß der altslavischen oder Kirchensprache zur polnischen“; [84] – „Ein Wort über Igor’s Zug, eine philologische Bearbeitung des Originaltextes“; – „Die polnisch-ruthenischen und die lateinisch-ruthenischen Schriftsteller. Biographien“; – „Eine Chronologie der historischen Thatsachen in tabellarischer Darstellung bis zu Ende des achtzehnten Jahrhunderts in drei Abtheilungen, von denen die ersten zwei vollendet, von der dritten die Materialien vorhanden sind“; – „Die ägyptischen Pharaonen“, einen Zeitraum von sechs Jahrtausenden umfassend, und nach den neuesten Quellen bearbeitet; – „Abstammung der Slaven von den Dako-Illyriern“; – „Chronologie der polnischen Geschichte, Genealogien der Könige und Fürsten von 880 bis 1195“; – „Die Annalen Nestor’s“, übersetzt zur Vergleichung der von Bielowski herausgegebenen „Monumenta“: – eine von Wagilewicz später begonnene neue Uebersetzung blieb unvollendet. Ein Sonderabdruck erschien, gemeinschaftlich von Wagilewicz mit Augustin Bielowski herausgegeben, unter dem Titel: „ Latopis Nestora z dodatkiem monomacha nauki do Olega w originale i polskiem tlomaczeniu“ (Lemberg 1864, 8°.) und „Sammlung von Urkunden in ruthenischer Sprache“. Es ist ein ebenso inhaltreiches als bewegtes Leben, das sich in dem unseres Wagilewicz darstellt; es war, wie so oft der leidige Kampf ums Dasein, begonnen aus geistigen Anregungen, Ueberzeugungstreue und Liebe zu seinem angestammten Volke, dem er aus der künstlichen Nacht, in welcher es Popen und ihre Verbündeten halten, heraushelfen wollte. Als dann endlich die Stunde der Erlösung kam, da er nicht mehr ängstlich für das tägliche Brod sich abmühen und abmüden sollte, war auch schon der Moment der Erschöpfung da, und ein Märtyrer seiner Sache, legte er sein Haupt hin und hauchte seine Seele aus. Ein trauriges Schriftstellerleben, um so trauriger, als es ihm nicht gegönnt war, ein einigermaßen bedeutendes Werk zu hinterlassen, welches seinen Namen der Zukunft auf die Dauer überliefert hätte.

Tygodnik illustrowany, d. i. Illustrirtes Wochenblatt, 1866, Nr. 357. – Dziennik literacki, d. i. Literarisches Tagblatt, 1866, Nr. 23 und 24.