BLKÖ:Tietjens, Therese

Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
korrigiert
<<<Vorheriger
Tiers, L.
Band: 45 (1882), ab Seite: 144. (Quelle)
[[| bei Wikisource]]
Therese Tietjens in der Wikipedia
Therese Tietjens in Wikidata
GND-Eintrag: 117381543, SeeAlso
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Linkvorlage für Wikipedia 
* {{BLKÖ|Tietjens, Therese|45|144|}}

Tietjens, Therese (Sängerin, geb. zu Hamburg den 17. Juli 1833, n. A. 1831, gest. zu London am 3. October 1877). Nach den englischen „Illustrated London News“ ist sie, wenngleich in Hamburg geboren, von ungarischer Abstammung. Auf den Jahrmärkten der Vorstadt Sanct Pauli daselbst soll sie als Kind zur Harfe gesungen haben. Ein Musiklehrer, der ihre schöne Stimme erkannte, bewog die Eltern, daß sie der Tochter musikalischen Unterricht ertheilen ließen, und J. Jentzen, nachmals Capellmeister in Valparaiso, brachte ihr die Anfangsgründe bei. Später war ihr Lehrer der Pianist Jacob Schmidt. Im Gesange unterwies sie ein Fräulein Dellevie, und den höheren Unterricht in dieser Kunst ertheilte ihr der als erster Tenorist an der Dresdener Oper bekannte Anton Babnigg, welcher auch mit richtigem Künstlerblick erkannte, wie verschwenderisch Mutter Natur das Mädchen mit Stimmmitteln ausgestattet habe. Anderer Meinung freilich war die damals in Hamburg anwesende Frau Cornet, die [145] merkwürdiger Weise dem jungen Mädchen alles Talent absprach, ein Urtheil, welches durch die späteren Erfolge der Therese Tietjens glänzend Lügen gestraft wurde. Aber trotz dieser angeblichen Talentlosigkeit studirte und bildete sich dieselbe unbeirrt rastlos und ernstlich weiter und trat, ein sechzehnjähriges Mädchen, am Actientheater zu St. Pauli 1849 als Irma in der Oper „Maurer und Schlosser“ zum ersten Male auf. Im genannten und im folgenden Jahre war sie in Altona engagirt. Ostern 1851[WS 1] ging sie nach Frankfurt a. M. und sang daselbst dreiviertel Jahre. Hierauf trat sie ein Engagement in Brünn an, wo sie zwei Jahre verblieb, und 1853 folgte sie einer Einladung des Directors der Wiener Hofoper Julius Cornet, des Gemals jener Dame, welche einst die Talentlosigkeit der Tietjens proclamirt hatte. In Wien debutirte sie im Sommer 1853 als Pamina in der „Zauberflöte“ mit durchschlagendem Erfolge. Sie wurde engagirt, erhielt zuletzt ein jährliches Honorar von 16.000 fl. und feierte durch die Jahre, welche sie am Kärnthnerthor-Theater sang, eine Reihe der glänzendsten Triumphe. Im Februar 1868 kam der Director der Londoner Oper Benjamin Lumley nach Wien und traf hier die Sängerin, die er schon bei einem früheren Besuche der Residenz gehört und bewundert hatte. Mußte er zu jener Zeit der Hoffnung entsagen, die anziehende Künstlerin für Her Majestys theatre zu gewinnen, so standen jetzt die Verhältnisse des kaiserlichen Hoftheaters wesentlich anders. Durch Vermittlung eines Freundes leitete er Unterhandlungen ein, welche bald zu einem günstigen Resultate führten, aber vorderhand nicht verlautbart werden durften, da auch Agenten des mit der Londoner Hofoper rivalisirenden Coventgarden Theaters Wien unsicher machten und es leicht hätte geschehen können, daß im letzten Augenblick die für sicher gehaltene Beute entrissen wurde. Erst als ein Rücktritt unmöglich war, hörte man von dem Engagement, und noch in der Londoner Saison 1858 trat Fräulein Tietjens als Valentine in den „Huguenotten“ mit glänzendstem Erfolge auf, den der Sänger Giuglini, welcher den Raoul sang, mit ihr theilte. Das Glück der deutschen Primadonna war gemacht. „Sie trat“, schreibt Lumley in seinen „Reminiscences of the Opera“, „in verschiedenen Opern auf, ging von Erfolg zu Erfolg, und ihre Beliebtheit steigerte sich so, daß der bisherige Liebling des Londoner Opernpublicums, die Piccolomini trotz aller Reize und aller Liebenswürdigkeit in Schatten gestellt wurde. Kaum aber fühlte sich Fräulein Tietjens in ihrer neuen Stellung sicher, als sie auch schon mit Anforderungen herausrückte, welche es nöthig machten, daß die Direction immer eine Rivalin zur Hand hatte, mit der sie drohen konnte. Die Künstlereifersucht war bei Fräulein Tietjens so stark entwickelt, daß bei dem üblichen Kränze- und Blumenwerfen das Quantum der Rivalin genau abgemessen und danach die gute Laune eingerichtet wurde.“ Hinsichtlich der Künstlerdankbarkeit – des einzigen nonens auf Erden – bemerkt im Hinblick auf unsere Sängerin Director Lumley: „Als ihr Erfolg noch zweifelhaft schien, war die Dame die Sanftmuth selbst und voll Besorgniß, ob sie auch wieder engagirt werden würde. Nun da ihr Succeß entschieden war und alle ihre Erwartungen übertraf, änderte sich der Ton, in welchem sie mit der Direction verkehrte, vollständig“. Die Glanzperiode der Tietjens war aber auch [146] der Anfang vom Ende für Mr. Lumley, denn mit dem Schluß der Theatersaison von 1858 schloß auch die Wirksamkeit dieses Directors ab, der zwanzig Jahre hindurch Her Majestys theatre geleitet und auf das Höchste gehoben hatte. Fräulein Tietjens aber blieb der Londoner Oper erhalten und sang auch unter dem folgenden Directorium bis zu ihrem Tode. Ein Engagement für Wien, das im Jahre 1862 projectirt war, zerschlug sich. Petersburg gewann die Sängerin für 2 Monate um ein Honorar von 60.000 Francs; im Jahre 1863 sang sie in „San Carlo“ in Neapel mit ungeheuerem Erfolge, weniger glücklich war sie im Herbst desselben Jahres zu Paris, wo sie in der großen Oper auftrat, dagegen feierte sie im folgenden wieder neue Triumphe in Hamburg. Fräulein Tietjens sang in London nicht blos in der Oper, sondern in allen großen Oratorien, bei allen Händel-Festen, und die große Arie in Händel’s „Messias“: „Ich weiß, daß mein Erlöser lebt“ singt ihr keine Zweite nach. Als Cavour sie gehört hatte, schrieb er auf seine ihr gewidmete Photographie: „Der Besitzerin der größten und schönsten Stimme des Jahrhunderts“. Von der königlichen Familie von England wurde sie hochgeschätzt, und einen Tag vor dem Hinscheiden der Sängerin ließ die Königin Victoria um das Befinden derselben anfragen. Die Tietjens war trotz der Schilderung Lumley’s eines der liebenswürdigsten und besten Geschöpfe. Wenn sie als Künstlerin sich einmal auf die Beine stellte, so that sie nur, was im Vergleich mit ihr andere Künstlerinen viel öfter noch thaten. Für den Ausbau des Nicolaithurmes in Hamburg wirkte sie im Jahre 1866 in zwei Concerten unentgeltlich mit und trat auch öfter für wohlthätige Zwecke auf. In Anerkennung dessen widmete ihr der Vorstand der Nicolaikirche im Seitenschiffe ein Fenster mit Glasmalereien mit einer lateinischen Inschrift, welche besagt: „dem frommen Gesange der Therese Tietjens verdanke ich meine Entstehung“. Ihre Hauptpartien waren: Fidelio in Beethoven’s gleichnamiger Oper, Valentine in den „Huguenotten“, Donna Anna in „Don Juan“, Norma, Lucrezia Borgia, Lucia, die Gräfin in „Figaro’s Hochzeit“, Leonore im „Troubadour“. Ihr großes Vermögen, das sich auf über 16.000 Pfund Sterling belief, vermachte sie ihren nächsten Verwandten, mit der Bemerkung bei den Vermächtnissen für weibliche Verwandten: daß sie ausschließlich zu deren persönlichem Eigenthum ohne Controle oder Betheiligung der Gatten derselben bestimmt seien.

Der Bazar (Berlin, Fol.) XXIII. Jahrg., 1. December 1877, S. 374: „Therese Tietjens“. – Fremden-Blatt. Von Gustav Heine (Wien, 4°.) 1862, Nr. 13: „Fräulein Tietjens und die Nase des Herrn Giuglini“. – The Illustrated London News, 1858, 8. May. – Illustrirte Zeitung (Leipzig, J. J. Weber, Fol.) 1. Juli 1855, Nr. 226, und 3. November 1877, Nr. 1792. – Monatschrift für Theater und Musik. Redigirt von dem Verfasser der „Recensionen“ (Fürst Czartoryski) (Wien, Wallishausser, 4°.) I. Jahrgang (1855), S. 104; III. Jahrg. (1857), S. 156; IV. Jahrg. (1858), S. 104, 211 und 560; VIII. Jahrg. (1862), S. 208; IX. Jahrg. (1863), S. 95, 239 und 638; X. Jahrg. (1864), S. 799. – Neue Freie Presse, 7. October 1871, Nr. 2557: „Fräulein Tietjens in Dublin“. – Neues Fremdenblatt (Wien 4°.) 1872, Nr. 205. [Daselbst lesen wir die groteske Charakteristik der Tietjens von einem Londoner Scribenten, der sie „einen Elephanten nennt, der eine Nachtigall verschluckt hat“, und über ihren Vortrag schreibt: „er sei ein Feuerwerk, dessen sämmtliche Stücke nicht losgehen, Und oft ist’s gerade das Schlußbrillantfeuer, das abblitzt“. [147] (Wahrscheinlich von dem „Elephanten“ einer talentlosen Rivalin der Tietjens für etliche Gulden geschrieben).] – Ostdeutsche Post (Wiener polit. Blatt) 1864, Nr. 219, im Feuilleton: „Das Engagement des Fräuleins Tietjens; Sieg der Tietjens in London“. – Presse (Wiener polit. Blatt) 11. October 1877, Localanzeiger Nr. 280: „Eine edle That der Tietjens“. – Dieselbe, Nr. 305: „Testament der Tietjens“. – Rheinische Blätter (Mainz, 4°.) 1864, Nr. 220, S. 879: „Erinnerungen eines ehemaligen Theaterdirectors“. – Theater-Zeitung von Adolph Bäuerle (Wien) 1858, S. 755: „Therese Tietjens und ihre Erfolge in London“.
Porträte. 1) Holzschnitt in der „Neuen Illustrirten Zeitung“ (Wien, Zamarski, Fol.) 1875, Nr. 5. – 2) Holzschnitt im „Bazar“ vom 1. December 1877, S. 372. – 3) Holzschnitt in „Illustrated London News“, May 8, 1858 [dieses das ähnlichste]. – 4) Holzschnitt nach Zeichnung von A. N.(eumann) in der Leipziger „Illustrirten Zeitung“ vom 1. Juli 1855, – und 5) Holzschnitt ebenda, Nr. 1792 vom 3. November 1877.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: 1815.