Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Taglioni, Marie
Band: 43 (1881), ab Seite: 21. (Quelle)
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Taglioni, Paul (Balletmeister, geb. in Wien 12. Jänner 1808). Man spricht, und nicht mit Unrecht, von der Künstlerdynastie Taglioni, denn in der That, es gibt unter dem Künstlervolke nicht viele Familien, in welchen sich ein Talent durch mehrere Generationen, und zwar in so glänzender Weise vererbt hat, wie dies bei der Famille Taglioni der Fall ist [Wir verweisen auf die Quellen S. 24.] Auch steht dieselbe zur Geschichte des Ballets in Wien in zu nahen und zu vielfachen Beziehungen, als daß wir ihr den Platz in diesem Werke vorenthalten dürfen. Uns zunächst interessiren Paul, dann seine Schwester Marie und seine Kinder Marie und Auguste. Paul nennt Wien seine Vaterstadt. Während des Aufenthaltes seiner Eltern daselbst kam er da zur Welt. Aber Kindheit und Jugend verlebte er in Paris. Schon mit siebzehn Jahren (1825), nachdem seine etwas ältere Schwester Marie sich bereits einen Weltruf ertanzt hatte, betrat er in Stuttgart die Bühne, und bald rivalisirte sein Ruf mit jenem der Schwester. Der Gefeierte unternahm dann fast durch alle Länder Europas Kunstreisen und besuchte auch Amerika. Nach seiner Rückkehr auf den Continent (1829) wurde er nach Berlin berufen, um die Festlichkeiten zu arrangiren, welche zu der am 11. Juni 1829 erfolgenden Vermälung des damaligen Prinzen 'Wilhelm von Preußen, heutigen Kaisers von Deutschland, mit Auguste Großherzogin von Sachsen-Weimar, stattfinden sollten. In Berlin wurde er nach seinem Debut mit dem . selbstcomponirten Ballet „Die Seeräuber“ lebenslänglich engagirt. Bald aber gab er die active Tanzkunst ganz auf. um zuerst mit Hoguet gemeinschaftlich. dann selbständig die Leitung des Ballets zu übernehmen, das, wie einst das Ballet in Warschau seinem Vater, nur ihm den hohen Rang unter den gleichartigen Instituten verdankt, und welches er über vierthalb Jahrzehnte leitete. Groß ist die Zahl der Ballete, welche er verfaßte, und von denen mehrere die Runde über die vorzüglichsten Bühnen der alten und neuen Welt machten. Wir wollen nur beispielsweise: „Ellinor“, dieses während des Ausstellungsjahres 1873 in Wien gegeben, „Satanelia“, „Flick und Flock“ nennen. Ein aufmerksamer Blick auf die Schöpfungen Taglioni’s läßt uns denselben bald als den Reformator seiner [22] Kunst erscheinen, denn in seinen Balleten liegt der Schwerpunkt in dem Ensemble, dem Ballabile, aus welchem dann der Solotanz an geeignetem Orte, wenn die Situation ihn erfordert, hervortritt. So wurde durch Paul das Solo mit seinen monotonen Fußtrillern und Bravour-Pas auf das nothwendigste Maß beschränkt und mit dem Ensemble organisch verflochten. Auf diese Weise nahm der Meister mit dem alten Ballete eine ähnliche Operation wie Gluck mit der von Arien überfüllten italienischen Oper vor und trug dadurch nicht unwesentlich zur Veredlung dieser ohnehin etwas angezweifelten Kunstform bei. Am 4. November 1875 beging Paul Taglioni im Berliner Opernhause sein fünfzigjähriges Künstlerjubiläum. Dasselbe gestaltete sich zu einem großartigen Feste. Der Kaiser verlieh dem Jubilar den Kronenorden dritter Classe, welchem der Herzog von Anhalt die jüngst gestiftete goldene Medaille für Kunst hinzufügte. Dann gab es eine Unzahl Ehrengeschenke: silberne Vasen, Kränze, Schalen und Adressen von Nah und Fern. Unter den Sprechern befand sich der Kunstveteran Theodor Döring. Von Deputationen erwähnen wir die des Wiener Balletpersonals, welches dem Gefeierten mit einer Adresse einen riesigen Lorbeerkranz mit schwarzgelber Schleife schickte. Und auch von Wien kam eine telegraphische Depesche, von der berühmten Collegin des Jubilars: Fanni Elsler. Er selbst dankte mit kurzen und bewegten Worten, die aber des Humors nicht entbehrten, indem er, sein uncorrectes Deutsch entschuldigend, sagte: „obwohl er über ein halbes Jahrhundert in Deutschland lebe, ja im Herzen Deutschlands, in Wien, geboren sei, so sei dieser Zeitraum doch nicht für ihn ausreichend gewesen, die deutsche Sprache vollkommen zu erlernen“. Paul, den auch Se. Majestät der Kaiser Franz Joseph mit dem seinen Namen führenden Orden auszeichnete, ist noch zur Stunde Balletdirector der königlichen Schauspiele in Berlin. Wir dürfen schließlich nicht unerwähnt lassen, daß unser Künstler während seines Dienstes an der Berliner Hofoper zur Aufführung seiner Ballete oft allein oder auch mit seiner Tochter Marie nach Wien kam. – Paul Taglioni’s älteste Tochter Marie (geb. in Berlin 1831) und Nichte der gleichnamigen berühmten Tänzerin, deren Lebensskizze S. 17 mitgetheilt ist, erhielt von ihrem Vater die sorgfältigste choreographische Ausbildung; sie trat zum ersten Male am 16. Februar 1849 in London in dem „Pas de la rosière“ auf. Mit diesem ersten Debut eroberte sie sich ihren Platz neben ihrer einst so berühmten gleichnamigen Tante, sowie der Cerrito und Grisi. In Berlin debutirte sie erst am 9. November 1849 in „Thea“. Dann trat sie in St. Petersburg in sieben Vorstellungen auf dem Theater des kaiserlichen Lustschlosses Lazienki auf. Für sie schrieb ihr Vater darauf das berühmt gewordene Ballet, sozusagen das Musterballet der Neuzeit, „Satanella“, worin sie in Wien und in Pesth glänzendes Furore machte und, wie damals ein Kritiker treffend bemerkte, aus der Beifalls-„Scylla“ in die Beifalls-„Charybdis“ fiel. Engagementsanträge aus Petersburg, wie nicht minder vortheilhafte aus Wien ablehnend, schloß sie am 1. October 1853 auf zehn Jahre einen Contract mit der Berliner Hofbühne. Den ihr contractlich zugesicherten jährlichen Urlaub benützte sie abwechselnd zu Gastspielen in London, Wien und an anderen deutschen Hofbühnen. In Wien 1853 war es, wo sie [23] mit dem ungehobelten Stazics-Steger zusammen agiren sollte, nämlich in der Oper „Die Hugenotten“, in welcher dieser den Robert sang und Taglioni die Helene tanzte. Steger’s Benehmen ließ schon auf den Proben das Schlimmste besorgen und gipfelte bei der Aufführung vor dem Publicum in einer Ungezogenheit, die ganz seiner rohen Natur würdig war. In dem Momente, in welchem er Helene umarmen und küssen soll, steht der croatische Tenor unbeweglich wie eine Latte, endlich als sie ihm so nahe ist, daß er sie umfangen soll, hebt er die Arme wie ein Telegraph alter Form seine Schenkel, nimmt dann die Tänzerin mit der gleichgiltigsten Miene von der Welt um die Mitte und schaut gemüthlich blöde ins Orchester. Als nun das Publicum in ein frenetisches Lachen ausbrach, das der Ungezogenheit des Croaten galt, ließ der Beschämte die Tänzerin mitten in der Umarmung los, so daß diese nur durch ihre Gewandtheit vor dem Niederstürzen sich rettete, und rannte hinter die Coulissen, wo er eine Scene aufspielte, die zwar nicht in dem Texte, wohl aber mit seinem ungeschlachten Wesen in vollem Einklange stand. Marie Taglioni tanzte dann noch oft in Wien, ohne, wie damals bei Steger’s Rohheit, ausrufen zu müssen: „ça m’embête“. In der Zeit vom 1. October 1853 bis zum Schlusse des Jahres 1865 hatte sie im Ganzen an 1497 Abenden getanzt, von welcher Gesammtsumme allein 1095 dienstliche Leistungen für die königliche General-Intendantur in Berlin (Opernhaus, Schauspielhaus und königliches Theater in Potsdam) entfallen. In den 1497 Vorstellungen spielte sie 877 mimische Rollen. Am 14. April 1866 nahm sie in einer Vorstellung, welche aus verschiedenen Scenen mehrerer von ihrem Vater verfaßten Ballete zusammengesetzt war, in denen sie am meisten Beifall geerntet, Abschied von den Brettern. Während der Aufführung, zu welcher sogar ihr Großvater Philipp aus Arese in Oberitalien sich eingefunden hatte, empfingen der König und die Königin die Tänzerin, welche zum Abschiede kostbare Geschenke von beiden Majestäten, dem Kronprinzen, dem Prinzen Karl u. s. w. erhielt. Schon zu Beginn der Fünfziger-Jahre hatte sich der Bruder des damals regierenden Großherzogs von Schwerin ernstlich um ihre Hand beworben und erst in letzter Stunde kam es von der beabsichtigten Verbindung ab. Als sie dann nach vieljährigem Wirken an der Berliner Hofoper ins Privatleben sich zurückzog. that sie dies nur, um ihre Hand dem Sprößlinge einer der ersten Familien Oesterreichs zu reichen, denn am 24. September 1866 vermälte sie sich mit Joseph Fürsten Windischgrätz (geb. 23. Juni 1831). seit 1. November 1877 General-Major und Brigadier zu Kaschau. – Ihre jüngere Schwester Auguste widmete sich dem recitirenden Schauspiele. Im Jänner 1857 trat dieselbe im Wiener Hofburgtheater in den Stücken „Die erste Liebschaft“ und „Wahn und Wahnsinn“ auf, später wurde sie Mitglied des königlichen Schauspiels in Berlin, aber schon nach einiger Zeit zog sie sich von der Bühne ganz zurück. – Ein Bruder Augustens und Mariens, Karl, ergriff die diplomatische Carrière, war mehrere Jahre bei der preußischen Gesandtschaft in Paris angestellt, starb aber als Legationsrath in noch jungen Jahren.

Wiener Illustrirtes Extrablatt, 1873, 31. – Illustrirte Zeitung (Leipzig, J. J. Weber) Bd. LXV, 1875, S. 365. – [24] Correspondent von und für Deutschland (Nürnberg) 1879, S. 2166. – Der Sammler (Augsburg, 4°.) 1875, Nr. 1286. – Schwäbischer Merkur, 1879, S. 1403. – Fremden-Blatt. Von Gustav Heine (Wien, 4°.) 7. Jänner 1862, Nr. 6, und 5, und 6. November 1875, Nr. 306 und 307 [über Paul Taglioni]. – Dasselbe, 1866, Nr. 97. – Deutsche Schaubühne. Redigirt von Martin Perels. 1866, S. 95 und 96. – Presse (Wiener polit. Blatt) 1866, Nr. 105. – Neue Freie Presse, 1866, Nr. 581 und 593, in den Feuilletons von Max Ring [über Marie Taglioni].
Porträte von Paul Taglioni. 1) Holzschnitt im „Wiener Illustrirten Extrablatt“, 1873, Nr. 31. – 2) Unterschrift: Facsimile des Namenszuges „Paul Taglioni“. Kriehuber (lith.) 1856. Gedruckt bei Jos. Stouffs in Wien (Fol.) (Verlag des Gust. Lewy in Wien). – 3) Gez. von Krüger, lith. von Jentzen (Berlin, Sachse und Comp., Roy.-Fol.)
Porträte der Marie Taglioni. 1) Gez. von Krüger, lith. von Jentzen (Berlin, Sachse und Comp., Fol.). – 2) Facsimile des Namenszuges „Marie Taglioni“. Lith. von Kriehuber (Wien 1853, C. A. Spina, Fol.).
Costumbilder. 1) Als „Thea“. Gez. und lith. von Paul Bürde (Berlin, Sachse und Comp., Roy.-Fol.). – 2) Als „Satanella“. Nach Paul Bürde lith, von Planas (Paris, Goupil und Comp., gr. Fol.). – 3) Von H. Bohn gez., von Querl in Holz geschnitten. In der Muster- und Modezeitung „Victoria“, 1866, S. 153. – 4) Nr. 30 der Costumblätter des Berliner königlichen Opernhauses. Lithogr. Atelier von Louis Veit (Berlin, Verlag von Eduard Bloch, color. Blatt. 4°.). – 5) Lith. von Eduard Kaiser 1883 (Wien, C. A. Spina, Fol.). – 6) Als Phantasie im Ballet „Ellinor“. Originalzeichnung von J. Raymond de Baux. In der „Illustrirten Zeitung“ (Leipzig, J. J. Weber, 1861, Nr. 932, S. 329.