BLKÖ:Tóth, Wilhelm von

Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Band: 46 (1882), ab Seite: 243. (Quelle)
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Tóth, Wilhelm von (ungarischer Staatsmann, Ort und Jahr seiner Geburt unbekannt) Zeitgenoß. 1861, etwa 30 Jahre alt, von der Stadt Neutra in den ungarischen Reichstag, den ersten nach Niederwerfung der Revolution 1848/49, gewählt, trat er zuerst in den Vordergrund. In der 28. Sitzung des Repräsentantenhauses vom 24. Mai, in welcher Jókai [Bd. X, S. 246], Podmanitzky [Bd. XXIII, S. 8] für den Beschluß sprachen [vergleiche zum Verständniß der politischen Sachlage die Biographie des Abgeordneten Paul Jámbor, Bd. X, S. 60], erhob sich Wilhelm Tóth für die Adresse. Seine kurze, aber maßvolle, die heiklichsten Punkte in schonendster Weise berührende Rede machte auf die Zuhörer einen wohlthuenden Eindruck. Ohne den Rechten seiner in gedrücktester Lage befindlichen Nation etwas zu vergeben, hielt er doch das Banner der Loyalität hoch aufrecht und war ebenso patriotisch als treu königlich gesinnt. Die Einwendung Jener, welche für den Beschluß stimmten, indem sie [244] argumentirten: daß in der Abdankung Sr. Majestät Ferdinands V. ein Formfehler sei und man demnach, so lange der gesetzlich gekrönte König nicht in aller Form Rechtens abgedankt habe, an einen anderen keine Adresse richten könne, widerlegte er einfach mit der Frage: was das Repräsentantenhaus durch eine Adresse, welche die gesetzliche Verwahrung enthalte, aufs Spiel setze? „Wenn die Adresse von Erfolg begleitet ist, dann werden wir die Würdigung und den Dank des jetzigen Geschlechtes ernten, unsere Nachkommen werden in uns unsere Ahnen segnen können, daß wir die Verfassung des Vaterlandes durch eine Adresse wieder erworben haben; wenn aber die Adresse keine besseren Folgen als die bisherigen haben sollte, dann würden wir mit voller Seelenruhe in den Kreis unserer Sender zurückkehren mit dem Bewußtsein, Alles gethan zu haben, was wir ohne Verletzung unserer Rechte thun konnten, und daß es nicht unsere Schuld gewesen, wenn unseren Bemühungen nicht der Segen des Friedens folgte“. Wilhelm Tóth zog durch seine parlamentarische Thätigkeit, durch den Tact, der aus allen seinen Handlungen und Reden sprach, alsbald die Aufmerksamkeit der leitenden Kreise auf sich. Er war bald die rechte Hand des Präsidenten, dem er in den wichtigsten Momenten des schwierigen Dienstes hilfreich zur Seite stand. So geschah es denn auch, daß, als Paul Rajner, seit 29. October 1869 Minister des Innern, am 10. Februar 1871 seines Postens enthoben wurde, Wilhelm Tóth’s Berufung an dessen Stelle erfolgte. Nun brach im December d. J. plötzlich ein Sturm gegen den neuen Minister los. Die Neograder Bauern traten wegen Wahlumtriebe mit Klagen gegen ihn auf. Es war ein Sturm im Wasserglase. Ein Berichterstatter der „Neuen Freien Presse“ gibt in einer Original-Correspondenz ddo. Pesth 5. December, 1871 in der Nummer 2618 vom 7. December einen komisch gehaltenen Bericht über den ganz ergötzlichen Vorgang. Am 5. December 1872, als Szlávy an Lonyay’s Stelle das ungarische Ministerpräsidium übernahm, wurde Wilhelm Tóth auf seinem Ministerposten bestätigt, am 5. März 1873 aber doch desselben enthoben, um dem Grafen Julius Szapáry Platz zu machen. Sein Austritt galt in den amtlichen Kreisen für eine wahre Calamität, da Tóth nicht nur die schätzbare Eigenschaft unverdrossenen Fleißes besaß, sondern dabei auch ein Beschirmer der Elemente der Ordnung, ein Freund der Deutschen und ein orthodoxer Parteimann war, der mit schneidiger Schlagfertigkeit die Unarten und Invectiven der Opposition abzuwehren verstand. Die Ursache seines Falles ist nicht in von ihm begangenen Fehlern, sondern in dem Umstande zu suchen, daß in Ungarn jedem Minister des Innern eine potenzirte Feindseligkeit entgegentritt, da immer der jeweilige Träger dieses Portefeuilles für die veralteten von seinem Vorgänger übernommenen, nur langsam ausrottbaren Mißbräuche der Verwaltung verantwortlich gemacht wird. Im October 1879 wurde Tóth zum Präsidenten des gemeinsamen Obersten Rechnungshofes ernannt. Seit der Fusion der ungarischen Parteien zählte er zu den treuesten Anhängern des Cabinets Tisza und war auch ein entschiedener Verfechter der Occupationspolitik im ungarischen Abgeordnetenhause. Im Jahre 1873 erhielt er die Geheime Rathswürde, bei Gelegenheit seines Rücktrittes vom Ministerposten das Großkreuz des Leopoldordens. 1879 war er noch Mitglied des Abgeordnetenhauses [245] des ungarischen Reichsrathes und Mitglied der Delegation. Tóth zählt zu denjenigen Staatsmännern Ungarns, die in weiser Mäßigung patriotische Ziele verfolgen und mit echt staatsmännischen Eigenschaften große Talente, weltmännischen Tact und nicht gewöhnliches Wissen und Achtung für das Deutschthum verbinden.

Der ungarische Reichstag, 1861 (Pesth 1861, Osterlamm, 8°.) Bd. I, S. 399. – Neue Freie Presse (Wiener polit. Blatt) 1866, Nr. 568, im „Feuilleton“ von Theodor H.; 1871, Nr. 2618: „Ein ungarischer Minister unter Anklage“; 1873, Nr. 3050: „Correspondenz aus Pesth 17. Februar“. – Allgemeine Zeitung (Augsburg, Cotta, 4°.) 1873, Nr. 54, S. 809; 1879, Nr. 295, S. 4332.
Porträt. Holzschnitt im „Magyarország és „Nagy világ“, 1873.