BLKÖ:Schuh, Franz
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich | |||
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Band: 32 (1876), ab Seite: 137. (Quelle) | |||
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Wattmann geworden war, seine Neigung zwischen Wissenschaft und Kunst. Wie in Goethe’s „Faust“ wohnten in des Studiosus Brust zwei [138] Seelen, die eine zog ihn zur Violine, die andere zur Lancette. Virtuosenthum und Fachgelehrsamkeit – beides ließ sich schwer vereinen, aber zu beiden fühlte er ein gleich mächtiges, gleich unwiderstehliches Drängen. Da übernahm die endliche Entscheidung ein Anderer für ihn. Eines Tages hatte S., der bereits die Doctorwürde erlangt, in einem Concerte mitgewirkt und einen Sturm von Beifall hervorgerufen, Tags darauf saß er auf der harten Bank im kaiserlichen Operations-Institute und hörte seinen Namen aufrufen, um an den Operationstisch zu treten. Rasch stand er vor dem Cadaver und griff nach dem Werkzeuge. Allein ein schallendes Halt! seines Lehrers, Baron Wattmann, wehrte es ihm. „Jetzt entscheiden Sie sich“, sprach der ihn liebende, stets bevorzugende Meister, „entweder Sie entsagen dem Fidelbogen oder der Lancette für immer!“ Schuh, unter dem Eindrucke des ernst würdevollen Anblickes seines Lehrers, theils von der eigenen inneren Stimme geleitet, wählte die Wissenschaft, entsagte der Geige – ohne sie jedoch ganz zu vernachlässigen – und wurde ein Virtuose – der Lancette. Als klinischer Assistent des Barons Wattmann und Secundararzt bildete sich S. zum Operateur aus, und nachdem er mehrere Jahre als solcher an seines Meisters Seite thätig gewesen, erlangte er im Jahre 1836 eine Professur an der chirurgischen Akademie in Salzburg, an der er jedoch nicht das Fach, für das er sich ausgebildet, sondern die Vorbereitungswissenschaften Botanik, Physik und Chemie vortragen soll. [Vormärzliches Unterrichtssystem, nicht das zu lehren, was man verstand, sondern das, wovon man keine oder nur sehr oberflächliche Kenntnisse besaß!] Schon nach kurzer Zeit, 1837, wurde Dr. Schuh nach Wien zurückberufen, und zwar als Primar-Wundarzt im allgemeinen Krankenhause. Im Jahre 1841 wurde er zum außerordentlichen, im folgenden zum ordentlichen Professor der Chirurgie, im Jahre 1843 zum Vorstande des Operateur-Institutes ernannt. Damit schließt die amtliche Laufbahn des großen Chirurgen ab. Einer seiner Biographen schreibt aus diesem Anlasse, „er war mit keinem österreichischen Orden decorirt, in der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften hatte der Schöpfer der neuen Chirurgie in Oesterreich, der große Mitkämpfer Rokitansky’ und Skoda’s in der Begründung der neuen Wiener Schule, keinen Platz gefunden“. Erst über Einschreiten seiner bedeutendsten Schüler wurde er 1860 mit dem Titel eines Regierungsrathes überrascht. Aber der Arzt, der Gelehrte hatten mit diesem Titel nicht abgeschlossen, in beiden Stellungen war S. mit der Zeit fortgeschritten und hatte sich jenen Namen erworben, der ihm in der Wissenschaft unter allen Umständen vorbehalten bleibt. Sowohl in diagnostischer als operativer Hinsicht hat Schuh Großes in seiner Wissenschaft geleistet. Durch seine von einer Seite verpönten und doch im Interesse der Wissenschaft nicht zu beseitigenden Vivisectionen, indem er Tausende von Kaninchen eigens aufziehen und mästen ließ, um sie unter seinem Seccirmesser zum Studium seiner Wissenschaft zu machen, hat er in derselben erhebliche Eroberungen gemacht, dieser Grausamkeit des Forschers verdankt sein Fach unschätzbare Erfahrungen über Brustkrankheiten, über „Die Paracenthese beim Empyem“, wie die Gelehrten sagen, und die Erfindung eines eigenen Apparates zur Verhütung des Luftzutrittes an die kranken Brustorgane und manche andere Bereicherungen [139] des chirurgischen Wissens. Was seine schriftstellerische Thätigkeit als Fachmann anbelangt, so schreibt zwar die „Presse“ 1865, im Local-Anzeiger zu Nr. 355: „außer drei Schriftchen über specielle Zweige der Chirurgie hat der große Gelehrte – der Schriftstellerei ziemlich abhold – keine wissenschaftliche Arbeit hinterlassen“. Dem ist nicht so. Seine schriftstellerische Thätigkeit eröffnete S. mit seiner „Dissertatio inauguralis medica sistens experimenta de influxu venenorum nonnullorum in oeconomiam animalem“. Acc. tab. lith. (Vindobonae 1831, 8°. maj.). Nach Jahren folgten derselben nachstehende Werke (nicht Schriftchen): „Ueber die Erkenntniss der Pseudoplasmen“ (Wien 1851, Seidel, gr. 8°., IV u. 356 S.); – „Pathologie und Therapie der Pseudoplasmen“ (ebd. 1854, Braumüller, gr. 8°., X u. 480 S.); – „Ueber Gesichtsneuralgien und über die Erfolge der dagegen vorgenommenen Nervensectionen“ (Wien 1858, Seidel, gr. 8°., VIII u. 124 S.); – „Ueber die Einklemmung der Unterleibsbrüche und ihre Behandlung“ (ebd. 1860, Seidel), Separatabdruck aus der „Wiener medicinischen Wochenschrift“; – und mehrere Jahre nach seinem Ableben: „Abhandlungen aus dem Gebiete der Chirurgie und Operationslehre. Nach des Verfassers Tode gesammelt“. Mit einer lithogr. Tafel (Wien 1867, Braumüllerj. In diesem letzten Werke ist aber nur ein Theil seiner zahlreichen, in Fachzeitschriften zerstreuten Arbeiten enthalten. Schuh hat nämlich in den „Oesterr. medicinischen Jahrbüchern“, dann im „Journal der Gesellschaft der Aerzte“, in der „Prager Vierteljahrschrift“, im Journal von Roser und Wunderlich, in der „Medicinischen Wochenschrift“ und in der „Zeitschrift für praktische Heilkunde“ seine Aufsätze veröffentlicht. Im obenerwähnten Werke über die Pseudoplasmen hat S. die Mikroskopie zuerst in die Praxis der Chirurgie eingeführt. Von den zerstreuten Aufsätzen sind besonders bemerkenswerth: „Ueber Epithelialkrebs“; – „Ueber die chirurgische Behandlung des Pneumathorax“; – „Ueber Tymponitis peritonael“, dann in operativer Hinsicht seine Resultate der „Operation der Hernien durch Invagination“, nach Gerdy und Signoroni selbsteigen modificirt“ – „Ueber die Cystosarkome der Brustdrüse“; – „Ueber das Verfahren bei veralteten Darmrissen“; – „Ueber Hypertrophie der Prostata“; – „Ueber Scheiden-Atresie mit zurückgehaltenem Menstrualblut“ u. dgl. m. Seine schriftstellerischen Arbeiten, wahre Eroberungen in der Wissenschaft, wurden noch unter seinen Augen, namentlich von den Franzosen, förmlich geplündert. S. hat nie einen Schritt gegen diesen Eingriff in sein Eigenthum gethan. Der von ihm im Jahre 1840 unternommene Einstich in den menschlichen Herzbeutel bildet ein Ereigniß in der Geschichte der operativen Medicin. Das bis dahin unerhörte Wagniß hat den Kranken gerettet. In seinem Berufe als Lehrer zählte er durch Vortrag und Eifer zu den Zierden der Hochschule. Sein mündlicher Vortrag war bestimmt und klar im Ausdrucke. Seine Worte waren ebenso kurz, wie seine Beobachtung scharf. Als erfahrener Mann der Praxis, verweilte er gern bei der Betrachtung unscheinbarer und darum in den Handbüchern meist unbeachteter Erscheinungen der täglichen Erfahrung, indem er allzeit das praktische Bedürfniß der kleinsten Hilfeleistungen betonte. Leeres Phrasengeklingel vermeidend, geißelte er die plumpen Ueberhebungen breiter Mittelmäßigkeit mit beißendem Sarkasmus, gefiel sich in den spöttelnden [140] Redewendungen eines gutmüthigen, lebensfrischen Humors und ergötzte seine Hörer nicht selten mit den geistvollen Aperçus seines nie versiegenden Witzes. Seine ausgebreitete Belesenheit machte ihn zum strengsten Kritiker in der Sichtung des Materials. Im Gegensatze zu vielen Koryphäen der Neuzeit, war S. kein Verächter der früheren Schule und hat immer die Forschungen der Alten hochgestellt und dabei den verdienten Leistungen seiner Zeitgenossen die selbstbewußte Anerkennung eines gleichberechtigten Mitkampfers als Tribut wissenschaftlicher Achtung entgegengebracht. Am Krankenbette war er Mensch; wie sicher er auch sein Instrument handhabte, er fühlte tief dabei mit, und nicht selten sank er nach vollbrachter Operation, bei welcher ihm oft fast der Athem versagte, erschöpft zusammen. Seinen Schülern widmete er freiwillig und ohne jegliche Ostentation väterliche Fürsorge, und erst, als er starb, wurden die vielen Wohlthaten bekannt, die er im Stillen geübt. Vollendeter Seelenadel war der Urquell seines Lebens, die glänzendste Lichtseite seiner Genialität. Die Stärke seiner Seele beurkundete er, indem er die furchtbaren Anfälle eines schweren, langjährigen Leidens (Tic doloureux), gegen den seine Kunst ohnmächtig gewesen, mit mannhafter Geduld ertrug, ohne seinen Lebensmuth brechen, seine schöpferische Thatkraft dadurch lähmen zu lassen. Trost suchte er in der Musik, die ihm in Tagen der Noth eine nährende Mutter gewesen, und ihm in jenen seines ärztlichen Ruhmes eine treue, seine liebste Freundin geblieben. Seine letzte Krankheit, die ihn plötzlich befiel, war von kurzer Dauer. Schon nach wenigen Tagen war er ihr erlegen. Er hinterließ eine Tochter, welche an den Professor der gerichtlichen Medicin, Dr. Gylewsky, in Krakau verheirathet ist. Der an sich einfache Conduct wurde durch die großartige Menge der Theilnehmer – über 10.000 Menschen – wahrhaft pomphaft. S. wurde in der Familiengruft zu Waldegg bestattet. Sein Biograph schildert ihn kurz: „in der Wissenschaft unermüdlicher Forscher, in der Beobachtung klarer Denker, als Arzt ein Wohlthäter, als Lehrer ein Meister, als Operateur ein Genie, als Mensch ein Charakter – das war Schuh“. Sein Andenken ist an der Stätte seines Wirkens, in einem der Höfe des Wiener allgemeinen Krankenhauses, durch Errichtung eines Denkmals, das seine ähnliche Büste trägt, für die Nachwelt verherrlicht.
Schuh, Franz (Professor der chirurgischen Klinik, geb. zu Ybbs in Niederösterreich 17. October 1804, gest. zu Wien 22. December 1865). Die Geburts- und Sterbedaten dieses großen Chirurgen sind festgestellt, nicht so die Angaben über seine früheren Lebensverhältnisse. Sein Vater war nach Einigen Kirchendiener, nach Anderen Turnermeister. Das Gymnasium hatte er im Stifte Seitenstätten, die philosophischen Jahrgänge im Stifte Kremsmünster beendet und war dann nach Wien gegangen, um dort die medicinischen Studien zu hören. Nach einer anderen Version wäre er, zum geistlichen Stande bestimmt, als Novize in das Benedictinerkloster Admont in Steiermark eingetreten; da geschah es eines Tages während der Horen, daß ein heftiges Gewitter ausbrach und der Blitz einen der zwei, mit Schuh im selben Jahre stehenden Novizen erschlug. Die zwei Ueberlebenden, Schuh und F. X. Breither, nachmaliger Kaufmann und Eigenthümer des „Volksfreundes“, sahen sich an und sagten unisono: „Da geh’n wir“ und verließen das Kloster. In Wien begann S. das Studium der Medicin, trieb aber nebenbei fleißig die Musik, wozu er ebenso großes Talent wie Neigung besaß und wodurch er seinen Lebensunterhalt bestritt. Schon im Stifte, wo er seine Jugenderziehung genossen, hatte er als Chorknabe im Chore singen und nebenbei die Geige spielen erlernt, auf welch letzterer er es zur Meisterschaft brachte. So theilte sich denn auch, während er seinem Berufsstudium oblag und er als Hörer der Medicin bald der bevorzugte Liebling des Professors- Presse (Wiener polit. Blatt) 1865, Nr. 360, im Feuilleton: „Der stille Winkel“; – dieselbe 1870, Nr. 360, im Feuilleton: „Eine Erinnerung an Franz Schuh“, von Dr. Heinr. Mittler. – Oesterreichischer Volks- und Wirthschafts-Kalender (Wien, gr. 8°.) Jahrg. 1867, auch im Separatabdrucke, betitelt: Oesterreichische Ehrenhalle. III. 18653 (Wien 1866, Ant. Schweiger u. Comp., gr. 8°.) S. 53. [leider ist diese Rubrik im Kalender, welche J. Ritter v. Hoffinger seit 1863 bis 1869 mit so viel Geist, Verständniß und patriotischem Gefühl durch mehrere Jahre bearbeitet und dem österreichischen Biographen darin so reiches Material geboten hat, bald nach 1870 eingegangen). – Waldheim’s Illustrirte Zeitung (Wien, kl. Fol.) Jahrg. 1662, S. 542 [nach dieser zu Scheibbs 1805 geboren). – Ueber Land und Meer. Allgemeine illustrirte Zeitung (Stuttgart, Ed. Hallberger, kl. Fol.) XV. Bd. (1862), 1. Halbjahr, Nr. 16, S. 246 [daselbst wird sein Geburtsort – wohl durch einen Druckfehler – Yos statt Ybbs genannt; auch wird irrig 1805 als sein Geburtsjahr, der 21. statt des 22. December 1865 als sein Sterbedatum bezeichnet]. – Porträte. 1) Unterschrift: Professor Dr. Franz Schuh. Nach einer Photographie von F. Schultz. Holzschnitt [auch in der obengenannten Waldheim’schen Illustr. Zeitung]; – 2) mit der irrigen Unterschrift: Joseph (statt Franz) Schuh, Professor der Medicin (Operateur) [141] in Wien, † 21. (statt 22.) December 1865. Holzschnitt ohne Ang. des Zeichn. u. Xylogr.; – 3) Lith. von Kaiser (Wien, Neumann, Fol.); – 4) Unterschrift: Facsimile des Namenszuges: Prof. Schuh. Jos. Bauer 1858 (lithogr., 12°.). – Schuh’s Denkmal. Dasselbe wurde am 9. November 1875 im ersten Hofe des allgemeinen Krankenhauses in Gegenwart seiner früheren Collegen, vieler seiner Verehrer und ehemaligen Schüler feierlich enthüllt. Das Wiener Doctoren-Collegium hatte“ im Jahre 1871 ein Comité mit der Aufgabe betraut, dem Dr. Schuh in Würdigung seiner hohen Verdienste um die Wissenschaft ein Denkmal zu errichten. Das Comité hatte dieser Aufgabe sich entledigt. Das Denkmal besteht aus einem Postamente von schwedischem Granit, auf welchem die überlebensgroße Büste Schuh’s, aus weißem Looser Marmor ausgeführt, sich erhebt. Das Postament trägt in goldenen Lettern die Inschrift: „Prof. Franz Schuh, geboren 17. October 1804, gestorben 22. December 1865“. Unter dem in den gedruckten Quellen als Verfertiger der Büste genannten Bildhauer Mailler dürfte wohl Bildhauer Meixner gemeint sein.