Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Band: 35 (1877), ab Seite: 226. (Quelle)
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Sóbri, Józsi (ungarischer Räuberhauptmann, geboren in Ungarn, Geburtsort und Jahr unbekannt, Todesjahr unbekannt). Schon im XXXI. Theile dieses „Biographischen Lexikons“ wird auf S. 68 dieses förmlich zur mythischen Person aufgeputzten Räubers unter dem Artikel Schobri, Georg, gedacht. Es werden dort mannigfache Daten angegeben, welche durch neuere, dem Verfasser zugekommene Quellen nicht unwesentliche Abänderungen erleiden. Indem der Autor derselben sich ausdrücklich nennt, zudem der Charakter dieser Mittheilungen ein derartiger ist, daß die Annahme, wir haben es hier mit Angaben zu thun, die der Wahrheit zunächst kommen, gerechtfertigt erscheint: so mögen die nun hier folgenden Mittheilungen theils als Ergänzungen, theils als Berichtigungen des im XXXI. Bande enthaltenen angesehen werden. Sóbri oder auch Schobri, dieser merkwürdige Räuber, der durch die Kühnheit und Geschicklichkeit, mit welchen er allen Verfolgungen entging, sich einen Namen in ganz Europa gemacht, trieb sein Unwesen in den Jahren 1836 bis 1838. Ueber seine Geburt, wie über sein Ende herrscht bis heute ein tiefes, nie gelichtetes Dunkel. Es heißt: er wäre in einem Gefechte gegen die kaiserlichen Uhlanen in den Wäldern des Tolnaer Comitates gefallen. Diese Annahme ist eine unverbürgte; während die Vermuthung, daß er statt niederer Abstammung, wie gesagt worden, Fleischer zu sein, vielmehr einer hochadeligen ungarischen Familie entstamme, durch viele feststehende Thatsachen veranlaßt und begründet ist, obgleich Beweise dafür auch nicht vorliegen. Daniel von Kaszony, dem wir die interessantesten Aufschlüsse über Ungarns Räuberleben verdanken, bemerkt anläßlich Sóbri’s, daß er, da sein (Sóbri’s) Name einem der ersten Geschlechter Ungarns angehört, denselben, indem er das, was er über Sóbri weiß, zum ersten Mal vor die Oeffentlichkeit bringe, nur mit dem Anfangsbuchstaben bezeichnen könne. Ein Graf L......, der eines der hübschesten und größten Gestüte in einem der Theiß-Comitate besaß, hatte einen Roßwärter Namens Sóbri, der ein Csikos (Pferdehirt) und weiter nichts war, dessen Namen aber von dem später als Räuberhauptmann aufgetauchten Sóbri nur benützt worden war. Von den sieben Söhnen des Grafen hieß der zweitälteste Joseph (Józsi), welcher zu Sárospatak im reformirten Collegium studirte. Wie es unter Studenten oft vorkommt, bildeten auch die Sárospataker eine Verbrüderung, welche sich „Comitat“ nannte, da sie ganz nach der damals bestandenen Comitats-Organisation eingerichtet war. Der Chef des Comitats hieß Obergespan und zu diesem wurde Graf Joseph, als Reichster, gewählt. Dieser aber nahm die Wahl nicht an. „Ich will außer dem Gesetze stehen“, sagte er, „ich werde allerhand Schelmenstreiche verüben, fangt mich, überweist mich, daß ich Dieß oder Jenes gethan, wenn ihr es könnt! Ich werde Euch ein Schnippchen schlagen und das wird mir mehr Spaß machen, als Euer Anführer oder Obergespan zu sein. Ein Comitat ohne Räuber taugt ohnehin [227] nichts und ich will – Euer Räuber sein. Nennt mich fortan nicht Graf, sondern Schobri“. Graf Joseph hielt Wort. Er vollführte Streich um Streich; der nächste war immer toller als der vorangegangene; spielte Professoren oder Collegen einen Schabernack um den anderen, ließ sich aber nie erwischen, und wenngleich Niemand daran zweifelte, daß er der Thäter war, überwiesen konnte er nie werden. Auf diesem Wege weiterschreitend, hatte er bald die Pferde aus dem Gestüte des Vaters. Er schlich sich des Nachts in dasselbe, fing eines mittelst der Schlinge, ritt es solange, bis es zusammenbrach oder lahm wurde, und wenn er es nicht mehr brauchen konnte, stahl er ein anderes. Der Graf – um, wie es schien, den Jungen los zu werden oder aus dieser Umgebung zu bringen – schickte ihn auf den Preßburger Landtag, dort sollte er als Reichstags-Kanzlist arbeiten. Aber da trieb er es noch toller, und machte zuletzt so schlimme Streiche, daß der Vater, um ferneren Umtrieben ein Ende zu machen, den Jungen zum Militär gab. Damit er aber recht fern von der Heimat sei, schickte er ihn nach Venedig in die Marineschule. Aber das Leben zu Schiff wollte Joseph nicht gefallen, er schrieb dem Vater, er wolle nicht Seemann werden, er möge ihn zur Cavallerie geben. Der Vater gab nach und Joseph kam als Cadet in das 1. Chevauxlegers-Regiment. Aber der Cadet verübte auch da einen tollen Streich um den anderen, und so wurde er denn in ein Regiment versetzt, das in einer Festung stationirt war. wo der Dienst mit größter Strenge gehandhabt wurde und dem unbändigen Burschen keine Gelegenheit zu Ausschreitungen gegeben war. Graf Joseph kam somit in das Infanterie-Regiment Franz Ferdinand d’Este Nr. 32, welches damals, Mitte der Dreißiger-Jahre, in der Festung Peterwardein stationirt war. Im Anbeginn ging alles gut. Graf Joseph sondirte erst das Terrain. Der commandirende General, Feldzeugmeister Freiherr Csollich, der mit Joseph’s Vater eng befreundet war, zog den jungen Grafen in sein Haus. Dieser verliebte sich in die Tochter des Generals, welche nun ihrem Verehrer von Seite des Vaters mancherlei Erleichterungen im strengen Dienste, dem auch die Cadetten unterworfen waren, erwirkte. So kam es denn, daß Graf Joseph die Erlaubniß erhielt. Pferde zu halten. Nun aber war der Wildfang in seinem Elemente, und trieb es bald so arg, daß er sogar dem alten General Verlegenheiten und Unannehmlichkeiten bereitete, worauf ihm dieser alles Reiten und Fahren auf öffentlichen Plätzen streng untersagte, und ihn, nachdem er diese Verbote übertrat, mit scharfem Arrest bestrafte. Da nun unter solchen Umständen das Leben für ihn wenig Gemüthliches besaß, verschwand er eines schönen Tages und war für anderthalb Jahre unsichtbar geworden, ohne daß man je in Erfahrung gebracht hätte, wo er sich während dieser Zeit aufgehalten hatte. Das war eben jene Zeit (1836 und 1837), innerhalb welcher die Räuberei Sóbri’s das ganze Land Ungarn in Aufregung gesetzt und dessen waghalsige Unternehmen von Mund zu Mund colportirt wurden. Graf Joseph, den man sowohl damals wie später damit aufzog, daß er Sóbri sei, stellte das gar nicht in Abrede, obschon er sich nie damit gebrüstet, daß er, und der vielgenannte Räuber eine und dieselbe Person gewesen. Wie nun der oben citirte Herr Kaszony berichtet, pflegte später der Graf Joseph manche seiner Abenteuer, die darauf hindeuten, daß dem Gerüchte doch Wahrheit [228] zu Grunde liege und die in den erwähnten Zeitraum fallen, gern zu erzählen, und so würde sich denn die Räubergeschichte Sóbri’s in eine anderthalbjährige Räuber-Maskerade des Grafen Joseph auflösen, die dieser, nachdem er sie satt bekommen, oder nachdem er über die ernstlichsten gegen den Räuber aufgebotenen Maßregeln doch besorgt geworden, abgelegt hatte, um einfach wieder als Graf Joseph S. aufzutreten. Unmöglich war das in jenen Tagen der Räuber-Romantik, welche Rózsa Sándor bis in unser Zeit hineinzuspielen nicht ganz erfolglos versuchte, und welche auf den ungarischer Globus eine Gloriole ganz eigener Art wirft, gewiß nicht. Und der Umstand, daß es nie gelungen, des Räubers Sóbri habhaft zu werden, bestärkt diese Annahme. Die Räuber-Abenteuer Sóbri’s reihen sich würdig an die groteskesten Geschichten eines Fra Diavolo, Gasparone und Leone. Welcher Art sie waren, möge die folgende, deren Wahrheit verbürgt wird, beweisen: Eines Tages erhielt der Erzbischof von Erlau ein Schreiben, in welchem er aufgefordert wird, eine Summe von mehreren tausend Gulden bereit zu halten, da Schreiber dieses Briefes sie persönlich abholen werde. Der Erzbischof wird in dem ganz lakonisch gehaltenen Brief übrigens ernstlich ermahnt, von der Sache kein Aufhebens zu machen, und aufgefordert, dem Schreiber desselben einen freundschaftlichen Empfang zu bereiten. Die Bestürzung des Erzbischofs war keine geringe, als ihm die Unterschrift des Briefes den Namen des damals im Zenith seines Räuber-Ruhmes stehenden Sóbri zeigte. Die ganze Haltung des Briefes ging über den Spaß hinaus, und der Erzbischof, dessen Besorgniß keine geringe war, traf die erforderlichen Vorsichtsmaßregeln. Um die Mittagsstunde eines der nächstfolgenden Tage rollte vor die erzbischöfliche Residenz eine Equipage, welche unverkennbar das Gefährt eines hohen kirchlichen Würdenträgers war. Aus derselben stieg ein Bischof im gewöhnlichen Hausornate, von seinem reich galonirten Bedienten unterstützt. Der Ankömmling stellte sich dem Erzbischof als ein neu ernannter Bischof Ungarns vor und fand die achtungsvollste und herzlichste Aufnahme. Die Tafelfreuden hatten die frohe Laune der beiden Kirchenfürsten gesteigert und nach Tische zogen sich beide, um in intimis oder gar in stricte officiosis zu plaudern, in die inneren erzbischöflichen Gemächer zurück. Sie saßen so da gemüthlich plaudernd, als der fremde Bischof mit einem Mal sich von seinem Sitze erhob, zur Thüre schritt, an derselben den Riegel vorschob, aus seiner Brusttasche ein Doppelterzerol hervorzog, es auf den Erlauer Erzbischof anlegte und mit leiser, doch genug vernehmlicher Stimme diesem zurief: „Keinen Laut oder ich schieße sie nieder. Ich bin Sóbri und komme um mein Geld“. Der niedergedonnerte Erzbischof schien nach Fassung zu suchen, als ihm Sóbri weiter zurief: „Meine Gefährten sind in der Nähe, wenn Sie um Hilfe rufen, so sterben Sie und wird Ihr Palais angezündet. Also geben Sie rasch das Geld und dann geleiten Sie mich, als wenn nichts vorgefallen wäre, freundlich zu meinem Wagen, der, wie Sie sehen können, bereits eingespannt vor dem Thore Ihres Palais steht“. Mehr instinctiv als freiwillig öffnete der Erzbischof ein geheimes Fach seines Arbeitstisches und langte aus demselben ein ansehnliches Packet Banknoten heraus, welches Sóbri flüchtig prüfte, und mit den Worten: „es wird wohl richtig sein“, zu sich steckte. Darauf fuhr Sóbri fort: „Seien Sie [229] ganz unbesorgt und machen Sie mir nur die Freude, mich zu meinem Wagen zu geleiten. Dann sind wir auf immer gute Freunde“. Nun nahm Sóbri den Arm des Prälaten, schob ihn in den seinigen, und beide gingen Arm in Arm durch die ganze Flucht der Gemächer an den hie und da stehenden Dienern, Priestern und Gästen vorüber, hinab zum Wagen, wo der bischöfliche Gast von dem Erzbischof nicht sich verabschiedete, sondern denselben auf das liebenswürdigste bat, eine Strecke mitzufahren. Der Erzbischof war, er wußte nicht wie, in den Wagen gestiegen und fuhr eine Strecke des Weges mit Sóbri. Als es diesem weit genug schien, ließ er halten, half dem Erzbischof aus dem Wagen und fuhr weiter. Der Erzbischof kehrte zu Fuß zurück. Es scheint, daß der Erzbischof weiter keine Schritte in dieser Sache gethan hat. Herausgeber verweist im Uebrigen auf die sehr interessanten und den Charakter voller Glaubwürdigkeit an sich tragenden Mittheilungen Kaszony’s. Nimmt man, schließt Kaszony dieselben, alle diese sprechenden Umstände zusammen, so bilden sie nur ein zu starkes Conglomerat von Beweisen, daß der Graf Joseph L...... in seiner Jugend ein Räuberleben geführt habe. Wem fiel es aber jemals ein, als Kläger gegen den Graf aufzutreten? Sein Vater war einer der reichsten und angesehensten Magnaten Ungarns, er würde seinen Sohn nicht haben stecken lassen. Die ganze Sóbri’sche Geschichte gerieth allmälig in Vergessenheit. Zu jener Zeit konnte so etwas noch angehen, heutzutag würde es schwer fallen, eine ähnliche Sache zu vertuschen. Damals war der Adelige ziemlich straffrei; man mußte ihn bei einer That erwischen, um ihn vor Gericht ziehen zu können; ja es ereigneten sich sogar Fälle, wo der Adelige auf frischer That ertappt wurde und dennoch mit heiler Haut davon kam. Herr Kaszony bezeichnet den Grafen Joseph nur mit dem Anfangsbuchstaben und sechs Puncten als Graf Joseph L....... Der Vollständigkeit halber geben wir nun die Namen jener Magnaten und höheren Adeligen Ungarns, welche mit einem L anfangen: Lazsánszky, Lipthay, Lo Presti, Lussinsky, Lovássy, Lonyay, Luzsensky, Lázár, Leszai.

Der Räuberhauptmann Sóbri Józsi als Krämer, Buchdrucker, Hausirer u. s. w., nebst seinem gegenwärtigen Schicksale in Amerika. Von ihm selbst beschrieben. Zweite Auflage (Ofen 1843 [Leipzig, Kummer], gr. 8°.). – Gartenlaube. Herausgegeben von Ernst Keil (Leipzig, 4°.) XVI. Jahrg. (1868), S. 328: „Aus Ungarns Räuberleben“. Von Daniel von Kaszony. – Pilsener Zeitung 1868, Nr. 82, im Feuilleton: „Eine Räubergeschichte“.