Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Mayburger, J.
Band: 17 (1867), ab Seite: 170. (Quelle)
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May, Joseph (Director des Taubstummen-Institutes in Wien, Pädagog und Humanist, geb. zu Chabern im Leitmeritzer Kreise Böhmens 5. Jänner 1755, gest. zu Wien 31. October 1820). Sein Vater war Bürgermeister zu Chabern, der Sohn besuchte die Hauptschule zu Böhmisch-Leipa, dann das Augustiner-Gymnasium daselbst, und begab sich darauf nach Prag, wo er an der dortigen Hochschule die Philosophie hörte und das Studium der Rechte begann. Während der Studien hatte M., dem die Eltern keine Unterstützung geben konnten, sich selbst mühsam durch Unterrichtertheilen fortgebracht. Da sich ihm im Vaterlande wenig tröstliche Aussichten für sein Fortkommen zu bieten schienen, beschloß er in der Fremde sein Glück zu versuchen. Er wußte, daß Leute aus seiner Gegend in Paris einen bedeutenden Glashandel trieben und oft reichen Gewinn nach Hause brachten. Bald war sein Plan gefaßt, trotz der geringen Barschaft, die er besaß, schnürte er sein Bündel und machte sich auf den Weg nach Paris. Dort suchte er seine Landsleute, die böhmischen Glashändler, auf und eignete sich in ihrem Umgange die französische Sprache derart an, daß er sie bald mit Vollendung sprach. Durch seine Landsleute lernte er den Vorsteher der königlichen Militärschule in Paris, Junker, einen Elsässer, kennen. Dieser fand an dem jungen Manne Gefallen, und als er an ihm außer tüchtigen Kenntnissen eine ganz besondere Lehrgabe entdeckte, stellte er ihn als Lehrer der deutschen Sprache in der Militärschule an. Hier lebte M. mit allem Eifer und zur vollen Zufriedenheit seines Gönners, seinem Berufe. Als er in der Ferienzeit eine Reise in das Innere von Frankreich, um das Land genauer kennen zu lernen, unternahm, kam er in die Gegenden der Normandie, und die tiefe Armuth, das namenlose Elend, in welchem er die dortigen Landbewohner traf, erschütterte ihn so sehr, daß ihm der weitere Aufenthalt in Paris verleidet wurde. Gerade um diese Zeit traf es sich, daß Kaiser Joseph II. unter dem Namen eines Grafen von Falkenstein Paris besuchte. May, der Kenntniß hatte von den Verbesserungen, welche in seinem [171] Vaterlande im Schulwesen allenthalben Platz gegriffen und wie sich eben im Schulamte jungen fähigen Männern erfreuliche Aussichten eröffneten, suchte, während der Kaiser in Paris sich aufhielt, eine Audienz bei demselben zu erlangen, um ihn um eine Anstellung im Vaterlande zu bitten. Der Kaiser hatte eben in den letzten Tagen die Taubstummen-Lehr- und Erziehungsanstalt des Abbé de l’Epée besucht und hatte, von dem Wirken und Erfolgen derselben auf das Innerste befriedigt, beschlossen, ein ähnliches Institut in seinen Staaten zu errichten. Da stellte sich ihm May vor und bat um Verzeihung, daß er als Böhme in Frankreich Unterkunft gesucht, jetzt aber, da sich ihm Gelegenheit biete, die erworbenen Kenntnisse zum Besten seiner eigenen Heimat zu verwenden, bitte er um eine Stelle im Lehramte. Der Kaiser fand an dem jungen Manne Gefallen und fragte ihn zunächst, ob er die Lehrstunden des Abbé de l’Epée im Taubstummen-Institute besucht habe, wie ihm die Lehrmethode desselben gefalle und ob er sich für fähig halte, dieselbe zu erlernen? Nachdem May die Fragen des Monarchen in zufriedenstellender Weise beantwortet und seine Bereitwilligkeit, sich zum Taubstummenlehrer zu bilden, ausgesprochen hatte, trug ihm der Kaiser auf, seine Entlassung von dem Lehramte in der Militärschule anzusuchen, dem Unterrichte der Taubstummen täglich beizuwohnen, um sich die Methode in kürzester Zeit anzueignen. Zugleich sicherte er ihm ein Jahresgehalt zu, das er monatlich bei dem österreichischen Gesandten in Paris erheben sollte. Ueberdieß wollte der Kaiser noch einen tauglichen Mann von Wien nach Paris senden, der sich gleich May im Taubstummenunterrichte ausbilden und dann mit May vereint die Lehrerstellen in dem Taubstummen-Institute übernehmen sollte, welches der Kaiser in Wien zu errichten beabsichtigte. In der That schickte der Kaiser auch den Weltpriester und der Philosophie Doctor Friedrich Stark aus diesem Anlasse nach Paris, und nachdem dieser mit der Methode des Unterrichts und der Behandlung der Taubstummen sich vertraut gemacht, kehrte er zugleich mit May nach Wien zurück. Daselbst wurde May im Jahre 1779 in der Freischule für sechs taubstumme Knaben und ebenso viele Mädchen, welche Maria Theresia auf Joseph’s Antrag im Bürgerspitale errichtet hatte, als Gehilfe an Stark’s Seite, welcher der Anstalt als Lehrer vorstand, angestellt. Als einige Jahre später, 1782, da sich der Versuch bewährte, der Kaiser das Taubstummen-Institut erweiterte und die Zahl der Zöglinge von zwölf auf zwanzig vermehrte, wurde Stark zum Director und May zum Lehrer in demselben erhoben. Fortan lebte M. ausschließlich der Bildung und Erziehung seiner Zöglinge, deren Vervollkommnung, so weit sie menschlich denkbar ist, er sich auf das Ernstlichste angelegen sein ließ. Er machte sich nicht nur mit den Schriften der ersten Pädagogen seiner Zeit, eines Basedow, Rochow, Campe, Salzmann, Villaume u. A. bekannt, auch die Methode des Abbé de l’Epée suchte er immer mehr zu vervollkommnen, die Geberdensprache der Taubstummen zu regeln, insbesondere ihre Tonsprache auszubilden und überhaupt den Verkehr der Taubstummen mit sprechenden Personen möglichst zu erleichtern. Aus dieser seiner Beschäftigung rissen ihn mit einem Male Mißhelligkeiten mit dem Director Stark, die einen so ernsten [172] Charakter annahmen, daß er und der zweite Lehrer Strommer ihres Amtes entlassen wurden. May beschäftigte sich nun mit der Herausgabe von Kinderschriften, die er in Gemeinschaft mit Gaheis [Bd. V, S. 54] bearbeitete, dann errichtete er die Hauptschule auf dem Bauernmärkte, welche später in andere Leitung – in jene des Directors Drack – überging. Im Jahre 1792 aber, nach Stark’s Austritte, wurde May zum Director des Taubstummen-Institutes ernannt und bekleidete dieselbe bis zum Jahre 1819, also noch volle 27 Jahre. Auch der mit ihm zugleich entlassene Lehrer Strommer wurde in seine frühere Stelle wieder eingesetzt und beiden die Gehalte von dem Tage ihrer Entlassung nachgezahlt. Unter May’s Leitung nahm das Institut einen gedeihlichen Aufschwung. Er suchte dem Institute immer neue Wohlthäter zu gewinnen, um dessen Bestand für die Zukunft zu sichern und dessen Wachsthum zu fördern. Der Ruf der Anstalt verbreitete sich bald im Auslande, man schickte aus fremden Ländern Männer nach Wien, um sich mit der Einrichtung des May’schen Institutes bekannt zu machen, und so wurde das Wiener Taubstummen-Institut thatsächlich die Pflanzschule vieler ähnlicher Anstalten des In- und Auslandes. Von ihm und seinem Lehrer Weinberger wurden die Directoren der königlichen Taubstummen-Institute zu München und Kopenhagen, der Ritter von Ernsdorfer und der Dr. Kastberg, dann der Professor Sigmund, früher zu Wilna, später zu St. Petersburg Taubstummenlehrer, Johann Bapt. Scagliotti zu Genua, Abbé Falkowsky, Director des Taubstummen-Institutes zu Warschau, u. A. gebildet. Von den für das Vaterland gebildeten Lehrern sind sein eigener Nachfolger in der Leitung des Institutes Director Venus, der Vorsteher und Lehrer des Institutes zu Waitzen in Ungarn Simon und Schwazer, jene zu Linz Reiter und Biringer, welche unmittelbar seine Schüler waren, vor Anderen zu erwähnen. Aber nicht bloß im Taubstummen-Institute hat M. wohlthätig auf die Bildung der Jugend eingewirkt, auch als er im Jahre 1792 die Hauptschule auf dem Bauernmarkte begründete, erwies er sich als gediegener Pädagog. Ueber Aufforderung des Freiherrn van Swieten verfaßte M. um diese Zeit eine Sprachlehre für die Hauptschulen und einen Auszug aus derselben für die Trivialschulen, welche beide sich bis zum Jahre 1823 als vorgeschriebene Lehrbücher im Gebrauche erhalten haben. Durch Herausgabe von Jugendschriften, durch die im Taubstummen-Institute errichtete Buchdruckerei, welche aber in der Folge wieder eingegangen ist, hat sich M. in mannigfacher Weise nützlich gemacht. An jeder Unternehmung zur Bildung der Lehrer und zur Beförderung des Unterrichts nahm er thätigen Antheil, und junge Schulmänner unterstützte er wohlwollend mit Rath und That. Die von May herausgegebenen Schriften sind: „Angenehme und lehrreiche Beschäftigung für Kinder in ihren Freistunden“, 2 Bände (Wien 1787); – „Erste Kenntnisse für Kinder, nebst einer Anweisung“ (ebd. 1787); – „Welche ist die eigentliche, den Taubstummen nützliche Lehrart?“ (ebd. 1795); – „Erste Kenntnisse für Taubstumme. Zum Gebrauche bei dem Unterrichte der Zöglinge des k. k. Taubstummen-Institutes zu Wien“ (Wien 1798); – „Anleitung zum Unterrichte der Taubstummen nach der Lehrart des Herrn Abbé de l’Epée zu Paris, nebst einer [173] Nachricht von dem k. k. Taubstummen-Institute in Wien“. Mit 1 Kupfer. I. Theil (Wien, 8°.); – „ABC der Tonsprache“ (ebd.). Auch sind von ihm mehrere Prüfungsprogramme erschienen. May’s Verdienste um das Institut und das Unterrichtswesen wurden von Sr. Majestät durch Verleihung der großen goldenen Medaille mit der Kette belohnt, welche ihm am 10. Juli 1802 in feierlicher Weise umgehangen wurde. Auch der Churfürst von Bayern, Karl Theodor, zeichnete ihn für die Organisirung des Münchener Taubstummen-Institutes mit der großen goldenen Medaille aus. Wie bereits bemerkt worden, blieb M. bis zum Jahre 1819 in Thätigkeit; im genannten Jahre wurde ihm der wiederholt erbetene Ruhestand gewährt, den er aber nur mehr ein Jahr genoß, welches er meist auf seinem bei Wiener-Neustadt gelegenen Landgütchen Breitenau verlebte. Er war nach Wien sterben gekommen. May war 75 Jahre alt geworden. Aus einer dreimaligen Ehe waren ihm wohl zwei Söhne geboren worden, beide aber, der eine in ganz jungen Jahren, der andere als Bezirksarzt in Sieghartskirchen, vor dem Vater gestorben.

Annalen der Literatur des österreichischen Kaiserstaates (Wien, 4°.) Jahrg. 1804, Intelligenzblatt Nr. 18, Sp. 141; Intelligenzblatt Nr. 24, Sp. 185. – Oesterreichischer Bürgerkalender (Wien, gr. 8°.) Jahrg. 1846, S. 79. – Oesterreichisches Morgenblatt. Zeitschrift für Vaterland, Natur und Leben. Redigirt von Nikolaus Oesterlein (Wien, 4°.) I. Jahrg. (1836), Nr. 52 bis 55: „Joseph May, Director des k. k. Taubstummen-Institutes“, von Leopold Chimani. – Oesterreichische National-Encyklopädie von Gräffer und Czikann (Wien 18353, 8°.) Bd. III, S. 610.