Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Löw, Andreas
Band: 15 (1866), ab Seite: 413. (Quelle)
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Löw, Leopold (Oberrabbiner in Szegedin und israelitischer Bezirks-Schulaufseher im Csongrader [414] Comitate, geb. zu Czernahora im Brünner Kreise in Mähren 22. Mai 1811). Stammt väterlicher Seits von dem berühmten mährischen Landesrabbiner Nachman Krochmal [Bd. XIII, S. 239] und dem durch die Sage verherrlichten Löwe ben Bezatel in Prag ab; mütterlicher Seits ist er Urenkel Maier Löb’s, Rabbiners zu Hořic von 1743 bis 1793. Er wurde in der Kindheit im Hebräischen und Deutschen von Hauslehrern, im Böhmischen und in Musik von Ortsschullehrern unterrichtet. Von seinem 11. Lebensjahre an waren Talmud und rabbinische Bibelcommentatoren seine Hauptbeschäftigung. Er besuchte (1823–1830) die Talmudschulen der berühmten Rabbinen Deutschmann zu Trebitsch und Collin, Fränkel zu Leipnik und Perles zu Eisenstadt. Neben der talmudischen Dialektik betrieb er das Studium neuhebräischer Dichter und las deutsche Bücher, die ihm eben der Zufall in die Hand führte. Erst der Umgang mit Schwab in Proßnitz, wo L. als Privatlehrer und dann als öffentlicher Lehrer des Hebräischen wirkte (1831–1835), gab seinen Studien eine festere, entschiedenere Richtung. 1835 bis 1839 studirte er in Pesth, wo er im Studium der classischen Literatur von Schedius unterrichtet wurde, in Preßburg am evangelischen Lyceum, wo er die philosophischen und einen Theil der theologischen Collegien und in Wien, wo er die Universität besuchte und bei St. Anna Hauptschullehrer wurde. 1840 wurde er Rabbiner zu Großkanischa, wo durch ihn die auf Dr. Mor. Horschetzky’s [Bd. IX, S. 308] Anregung einige Jahre früher in’s Leben gerufene Schule bedeutend gehoben und ein Verein für Anleitung der jüdischen Jugend zu Handwerken und Künsten gegründet wurde. In seinen ersten Amtsjahren machte er sich die ungarische Sprache eigen, in welcher er bei mannigfachen Anlässen predigte. 1845 begann seine journalistische Thätigkeit zu Gunsten der Emancipation der Juden. Seine Artikel in dem vielgelesenen Pesti Hirlap erregten zu jener Zeit Aufmerksamkeit. Im Jahre 1856 folgte er einem Rufe nach Papa. Zum Behufe seiner Wahl war aber daselbst auf Anregung der wohlhabenderen und gebildeteren Gemeindeglieder von der Grundobrigkeit ein Census eingeführt worden, wodurch ein beträchtlicher Theil der Gemeindeglieder des herkömmlichen Stimmrechtes verlustig wurde. Die orthodoxen Gemeindeglieder nahmen auch Anstoß an L.’s progressiver Richtung. So entspann sich ein leidenschaftlich geführter Proceß, den die ungarische Hofkanzlei zu Gunsten der Wahl entschied. Auch in Papa war wie in Großkanischa die Erbauung eines zweckmäßigen Schulhauses das Werk seiner Anregung. 1848 wurde er zum jüdischen Seelsorger bei der Nationalgarde des Veszprimer Comitates ernannt, um die mobilisirte Garde an die Drau zu begleiten, und hatte deßhalb in Folge von Angeberei eine kurze Haft zu bestehen. 1850 wurde er von der Szegediner Gemeinde einstimmig zum Rabbiner gewählt. Bald nachher trat daselbst eine Mädchenschule in’s Leben. 1851 war er Referent bei einer von Baron Geringer niedergesetzten Berathungscommission, welche ein Statut zur Regelung der jüdischen Cultusangelegenheiten in Ungarn auszuarbeiten hatte. Das von L. ausgearbeitete Statut wurde mit einigen Modificationen von der Commission gutgeheißen. Seitdem hat L. bei verschiedenen Gelegenheiten über Aufforderung der Behörden, namentlich der k. k. Statthalterei-Abtheilung [415] zu Ofen, jüdisch-theologische Gutachten abzugeben und dem jüdischen Schulwesen in Ungarn durch Revision und Verbesserung der ungarischen Fibel und des ersten ungarischen Sprach- und Lesebuches behördlich anerkannte Dienste geleistet. 1857 ist er zum israelitischen Bezirks-Schulaufseher im Csongrader Comitate ernannt worden. Berufungen nach Lemberg (1853) und nach Brünn (1857) hat er abgelehnt. Als Schriftsteller versuchte sich L. schon in seinem 16. Jahre. Seine Jugendarbeiten, durchaus hebräisch und meist poetischen Inhalts, sind nicht gedruckt worden. Als deutscher Schriftsteller trat er schon im Jahre 1837 auf. Seine ersten Aufsätze erschienen in der „Universal-Kirchenzeitung“ (Frankfurt am Main) und in der „Allgemeinen Zeitung des Judenthums“ (Leipzig). Sie betreffen meist die jüdische Volks- und Religionsgeschichte. L.’s wichtigere im Drucke erschienene Schriften sind mit Uebergehung mehrerer Fest- und Gelegenheitsreden in deutscher Sprache: „Die Reform des rabbinischen Ritus auf rabbinischem Standpuncte“ (Wien 1839, Strauß), eine Einleitung in Chorin’s [Bd. II, S. 356] „Kind des hohen Alters“; – „Ben Chananja. Blätter für israelitisch-ungarische Angelegenheiten“ (Leipzig 1844, Otto Wigand); – „Das Vermächtniss, das der hochselige Reichspalatin im Leben und im Sterben hinterlassen. Predigt, gehalten am 6. Februar 1847“ (Wien 1847, Gerold); – „Gabe für die israelitische Jugend. Erste Gabe“ (Szegedin 1855, Grün); – „המפתח‎‎‎ Praktische Einleitung in die heilige Schritt und Geschichte der Schriftauslegung“ (Großkanischa 1855, Markbreiter); – „Biblische Geschichte, zum Gebrauche der israelitischen Schulen im Kaiserstaate Oesterreich“ (Wien 1858, k. k. Schulbücherverlag), wurde von Leopold Löw in’s Ungarische übersetzt und erschien diese Uebersetzung zu Pesth bei Hartleben im Jahre 1864; – „Ben Chananja, Monatschrift für jüdische Theologie“ (Szegedin, 8°.); der erste Jahrgang erschien 1858 und wird diese die Interessen des Judenthums in progressiver Richtung im Allgemeinen und in Ungarn im Besonderen vertretende Zeitschrift bis auf die Gegenwart fortgesetzt; anfänglich erschien sie monatlich, dann zweimal im Monat und seit 1860 wöchentlich; seit 1866 bringt sie besondere homiletische und didaktische Beilagen und außerdem in einer eigenen Beilage „Forschungen des wissenschaftlich-talmudischen Vereins“, welcher von L. gegründet, sich der Theilnahme vieler jüdischen Gelehrten erfreut. Durch diese Forschungen wird nicht nur das Gebiet der jüdischen Religionsgeschichte, sondern auch das der Archäologie überhaupt auf eine fruchtbare Weise bearbeitet; in dem von Mor. Busch herausgegebenen Jahrbuch für Israeliten in den Jahrgängen 1845 u. 1846: „Die Schicksale und Bestrebungen der Juden in Ungarn, I u. II“, und in dem von Dr. Letteris redigirten, israelitische Zwecke fördernden Journal: „Wiener Blätter“, im Jahrgange 1851: „Geschichte des mährischen Landesrabbinates seit hundert Jahren“. Außerdem sind zahlreiche Beiträge von ihm erschienen in der ehemaligen „Ofner Zeitung“, in der „Allgemeinen Zeitung des Judenthums“, im „Orient“, im „Israeliten des 19. Jahrhunderts“, in des Dr. Letteris oberwähnten „Wiener Blättern“ und „Wiener Mittheilungen“; – Löw’s Schriften in ungarischer Sprache: „Történelmi és vállas tudományi értekezések“, d. i. Geschichtliche und confessionelle Abhandlungen“ (Szegedin 1861, Burger, 8°.); und mehrere Gelegenheitsreden; ferner [416] mehrere Aufsätze in den Journalen Pesti Hirlap und Nepelem; – in hebräischer Sprache, im Jahrbuche He-Chaluz (Lemberg) 1853: „ביאבידן ובי נצרפי‎“ (religionsgeschichtliche Erörterung über die Nazarener und Ebioniten im Talmud); – im Jahrgange 1856: „חמהלכים והעוםרים‎“ (über Reformen im Judenthume); – im Jahrbuche Kerem Chemed (Berlin) 1856: „Zwei Briefe literatur-historischen und kritischen Inhalts über Sal. Gebirol und zwei in Ungarn erschienene rabbinische Gutachtensammlungen; – in französischer Sprache mehrere Artikel für die in Paris erschienene Zeitschrift Archives Israelites. Der politische Umschwung in Ungarn im Jahre 1860 erweiterte L.’s Wirksamkeit insoferne, als er von vielen jüdischen Gemeinden in Ungarn bei verschiedenen Anlässen zum Behufe der Abhaltung ungarischer Predigten berufen wurde. Die Reformgenossenschaft wollte ihn im Jahre 1861 zu ihrem Rabbiner wählen, L. aber lehnte diese Wahl ab.

Porträte des Leopold Löw. 1) Lithographirtes Bildniß ohne Angabe des Zeichners; – 2) lithographirt von Jonas Berger (Papa). –