Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Band: 5 (1859), ab Seite: 188. (Quelle)
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Gioja, Cajetan (Statistiker und Nationalökonom, geb. zu Piacenza 20. Sept. 1767, gest. zu Mailand 2. Jänner 1829). Der Sohn eines Silberarbeiters, verlor aber den Vater, als er 6 J., die Mutter, als er 11 J. alt war. Die unteren Schulen besuchte er in Piacenza und, um sich dem geistlichen Stande zu widmen, trat er am 2. Nov. 1784 in’s Collegium Alberoni; wo er unter geistlicher Leitung den Keim zu jenen Kenntnissen legte, die ihn den Vater der neueren Statistik in Italien werden ließen. Neben seinen theologischen Studien betrieb er Philosophie und Mathematik, und fand an dem Professor Joh. Anton Comi aus Pavia den Freund und Gönner, der den strebenden Jüngling in Allem förderte. 1793 im August verließ er als Priester das Institut und lebte einige Zeit bei seinem Bruder Ludwig, der eine ehrenvolle Stelle als Handelsmann einnahm. Im J. 1797, nachdem einzelne Arbeiten die Aufmerksamkeit auf ihn gerichtet hatten, begab er sich nach Mailand, in welcher Stadt er seither bis an seinen Tod gelebt und gewirkt. Dort, theilnehmend[WS 1] an den politischen Bewegungen der Zeit, erhielt er bald die freilich nur nominelle Würde eines Historiographen Italiens, welche er, wie es hieß, in Folge seiner Schrift über den Ehebruch verlor, wofür er sich durch sein Pasquil: „Il povero diavolo“ rächte. Als Graf Daniel Felici Minister des Innern wurde (1803), übernahm G. die Leitung des statistischen Bureaus, welche er auch, als 1806 der Marchese Breme das Ministerium [189] übernahm, fortsetzte. Als aber am 10. October 1809 Graf Baccari auf Breme folgte, stellte ersterer das beherzigenswerthe Princip auf: die Statistik müsse von Privaten und nicht vom Staate gepflegt werden, weil dem Staate gegenüber die einzelnen Parteien, welche die zahlenden Elemente der Statistik ausmachen, ihre Angaben fälschen, welche Fälschungen der Privatstatistiker auf die wahren Angaben zurückzuführen bemüht sein wird. So trat 1811 G. in ein neues Verhältniß zur Staatsverwaltung in der Eigenschaft eines Privatstatistikers, den die Regierung für seine Arbeiten honorirte. In dieser Stellung entwickelte G. eine großartige Thätigkeit bis zum Sturze des Königreiches Italien im April 1814. Von dieser Zeit an wurde sein Leben ruhiger, weil die häufigen Ausflüge in die Departements zum Sammeln und Verificiren der statistischen Daten unterblieben und sich G.’s Arbeiten nicht mehr auf dem administrativen, sondern dem freien wissenschaftlichen Gebiete bewegten. Mit dem J. 1815 beginnt jene Thätigkeit dieses Fachmannes, die auf dem wissenschaftlichen Wege, den er einschlug, einerseits sein Ansehen steigerte, andererseits die in der Wirklichkeit öfter angefochtene Ansicht, bestätigte, daß ächte Wissenschaftlichkeit mit der Praxis des Lebens Hand in Hand gehe, d. h. lebendig, schaffend und wohlthätig wirkend sei. Sie wurde nur einmal (1820) auf kurze Zeit durch seine Verhaftung unterbrochen, die in Folge von Verdächtigung, an revolutionären Umtrieben gegen die österr. Regierung theilzunehmen, Statt fand; als aber nichts vorkam, was seine Schuld bestätigte, wurde er freigelassen. G. veröffentlichte zahlreiche Schriften und hinterließ Vieles in Handschrift. Seine Werke sind: „Dissertazione sul problema quale dei governi liberi meglio convenga alla felicità dell’ Italia“ (Mailand 1797). G. erklärte sich in Beantwortung dieser Preisfrage für die Republik und erhielt den Preis; – „Quadro politico di Milano“ (Ebd. 1798); – „Apologia al quadro politico di Milano“ (Ebenda 1798); – „Cos’ e patriotismo?“ (Ebenda 1798). Ein Anhang zu den zwei vorgenannten Schriften; – „La causa di Dio e degli uomini difesa dagli empij e dalle pretensioni dei fanatici“ (Ebenda, 8°.)</tt; – „Sul commercio de’ commestibili e caro prezzo del vitto“ , 2 Bde. (Milano anno X [1802] Pirotta); – „Il nuovo Galateo“ (Mailand 1802, später 1820, 22 und 27). Dieses Werk war, als es 1802 in einem kleinen Bändchen herauskam, sehr fehlerhaft, bedeutend vermehrt und verbessert in der zweiten Ausgabe 1820 in 2 Bänden, dann 1822 und 1827. Obwohl eine Nachahmung des bekannten gleichnamigen Werkes von Della Casa , verhält es sich doch zu demselben, wie das XIX. zum XVI. Jahrhunderte und die Fortschritte der Wissenschaft im einen zu dem des anderen; – „Logica Statistica“ (Mailand 1813, mit synopt. Tafeln); – „Discussione economica sul Dipartimento d’Olona“ (Ebenda 1803, 8°.); – „Discussione economica sul dipartimento del Lario“ (Ebenda 1804, 8°.); – „Teoria civile e penale del divorzio ossia necessità causa nuova maniera d’organnizarla“ (Ebenda 1803, 8°.); – „Manifesto di S. M. Prussiana contro la Francia del 9 Ottobre 1806 corredato di note“ (Ebd. 1806); – „Cenni morali e politici d’Inghilterra“ (Ebenda 1805); – „I Francesi, i Tedeschi, i Russi in Lombardia“ (Ebenda 1805); – „Tavole statistiche, ossia norme per definire, calcolare, classificare tutti gli oggeti d’amministrazione privata e pubblica“ (Ebenda 1808, gr. 8°., mit Taf.); – „Indole, estensione, vantaggi della statistica“ (Ebd. 1809); – „Indole, estensione, vantaggi della cittadinanza“ (Ebd. 1809); – „La scienza [190] del povero diavolo, storia orientale“ (Ebd. 1809), jenes Pasquil, welches er nach dem Verlust des Titels eines Reichshistorikers schrieb, und in Folge dessen er für einige Zeit Italien verließ; – „Documenti comprovanti la sua cittadinanza italiana“ (Ebenda 1809); – „Nuovo prospetto delle scienze economiche …“ Serie I. Teoria“ , 6 Bde. (Ebd. 1815–1819, 4°.); – „Del merito e del ricompenso“ , 2 Bde. (Ebenda 1818 und 1819, 4°., mit synopt. Taf.); – „Sulle manifatture nazionali e Tariffe daziarie“ (Ebenda 1819); – „Problema: quali sono i mezzi più spediti, più efficaci, più economici per alleviare l’attuale miseria in Europa“ (Ebenda 1817, Silvestri); – „Elementi di filosofia“ , 2 Bde. (Ebd. 1818, neue Aufl. 1819); – „Dell’ ingiuria, dei danni, del soddisfacimento e relative basi di stima“ , 2 Bde. (Ebenda 1821); – „Ideologia“ , 2 Bde. (Ebenda 1822); – „Esercizio logico sugli errori d’ideologia e zoologia“ (Ebenda 1823); – „Riflessioni sull’ opera intitolata: L’homme di Midi et l’homme du Nord ou l’influence du climat del sign. Bonstetten“ (Ebd. 1825); – „Filosofia della statistica“ , 2 Bde. (Ebd. 1826,4°., mit synopt. Tafeln); – „Esame d’un opinione intonilo all’ indole, estensione e vantaggi della statistica“ (Ebenda 1826). Seine Handschriften hinterließ er seinem Freunde Giov. Gherardini (s. d. S. 169), welcher sie der Bibliothek der Brera übergab. Sie enthalten u. a. reiche Materialien zur Statistik Dalmatiens, der Departements: Mincio, Mella, Alto Po, Bachiglione, Brenta, Adriatico, Adda, Agogna, Adige, viele historische, kirchenhistorische und statistische Materialien und zwei Dramen in Versen, beide aus der römischen Geschichte. Eine Sammlung seiner in der „Biblioteca italiana“ erschienenen Abhandlungen kam nach seinem Tode unter dem Titel: „Scritti vari risguardanti la statistica e la pubblica economia“ (Ebd. 1832) heraus. Was Gioja , den Menschen, betrifft, so machte ihn seine Unduldsamkeit gegen Alles, was nicht mit seiner Ansicht übereinstimmte, nicht beliebt, noch weniger die Herbheit seiner kritischen Aussprüche. Seine Zurückgezogenheit von der Gesellschaft, verbunden mit seinem Suchen nach Wahrheit, die ihm als Statistiker immer sehr wichtig sein mußte, machte ihn einerseits befangen, andererseits gefürchtet; woraus jene Bitterkeit der Lebensanschauung entsprang, die sich in scharfer Satyre und schonungsloser Ironie Luft machte. Seine Biographen nennen ihn nach Plato: Generosae iracundiae virum, ohne jedoch zu verhehlen, daß sein Verhalten nicht gebilligt werden könne.

Bettini (Filippo), Cenni intorno alla vita ed alle opere di M. Gioja (Parma 1843, 16°.). – Romagnosi (Giov. Domenico), Elogio storico di M. Gioja (Mailand 1829, m. Portr.). – Sacchi (Giuseppe), Memoria sulla vita di M. Gioja (Mailand 1829, 8°.). – Rovani (Giuseppe), Storia delle lettere e delle arti in Italia, giusta le reciproche loro rispondanze (Mailand 1855 u. f., Fr. Sanvito, Lex. 8°.) III. Bd. S. 615 [Abdruck der Biographie von Romagnosi]. – Biblioteca italiana (Mailand 1829, 8°.) LII. Bd. S. 392: „Necrologia“ [der Nekrolog ist von Giov. Gherardini, der mit der Liebe des Freundes das Lebensbild des Gelehrten entwirft]. – Gazzetta uffiziale di Venezia 1856, Nr. 186 [im Feuilleton, eine literarisch-kritische Uebersicht der wichtigeren Werke G.’s von Federico Federigo]. – Maffei (Giuseppe)), Storia della Letteratura italiana (Mailand 1834, tipogr. de’ Classici italiani, 8°.) IV. Bd. S. 245. – G.’s größter kritischer Gegner war der Ab. De’ Rosmini vernichtend setzt ihn dieser im II. Bde. seiner „Opuscoli filosofici“ herab. Doch übte De’ Rosmini nur Vergeltung an G., der ihn auf das Unglimpflichste behandelt hatte. G. konnte seinem Gegner auf die Angriffe nicht mehr antworten, denn, kaum wurden dieselben veröffentlicht, starb G. – Tipaldo, Biografia degli Italiani illustri I. Bd. – Conversations-Lexikon der neuesten Zeit u. Literatur. In 4 Bänden (Leipzig 1832, Brockhaus, Lex. 8°.) II. Bd. S. 178. – Biographie [191] des hommes vivants (Paris 1817, L. G. Michaud, 8°.) III. Bd. S. 269. – Meyer (J.), Das große Conversations-Lexikon (Hildburghausen 1845, Bibl. Inst., Lex. 8°.) XII. Bd. S. 1051 [nach diesem geb. 27. Sept. 1767]. – Porträt. Unterschrift: Gaetano Gioja. G. Gallina diss. L. C. Ricordi. 4°. (Lith.)

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: theilnehnehmend.