Aus meinen Erinnerungen/Zwei Hochstapler in Berlin

Textdaten
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Autor: Franz Wallner
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Titel: Aus meinen Erinnerungen
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aus: Die Gartenlaube, Heft 34, S. 537–539
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1869
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
siehe auch Der Prinz von Armenien
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Aus meinen Erinnerungen.

Zwei Hochstapler in Berlin.
Von Franz Wallner.

In den Jahren 1855 und 1856 tauchten in Berlin verschiedene mysteriöse Persönlichkeiten auf, welche fremdem Eigenthum auf ganz originelle Weise gefährlich wurden. So zum Beispiel Constantin Simonides, von dessen traurigem Ende in Afrika im tiefsten Elend jüngst deutsche Zeitungen Kunde brachten. Er hatte durch seine großartigen Fälschungen die ganze gelehrte Welt in Athem erhalten, nachdem es ihm gelungen war, das Palimpsest des Uranios und andere Schätze der Wissenschaft so täuschend echt hinzustellen, daß selbst die sachverständigen Vorstände des Britischen Museums in London, der Universität in Oxford und der Akademie der Wissenschaft in Berlin dadurch getäuscht wurden und sich für die Falsificate viele Tausende von Thalern herauslocken ließen. Die Professoren C. Tischendorff und W. Dindorf in Leipzig hatten das Verdienst, diesen unerhörten Betrug zu entlarven, wenn auch [538] Alexander von Humboldt schon früher als Zweifler auftrat. Gerade im Begriff nach England durchzubrennen, in dem bereits gepackten Koffer noch die vom Professor Lepsius in Berlin für Ueberlassung des Palimpsest erschwindelte Summe, wurde der geniale und hochgelehrte Verbrecher in Leipzig von dem bekannten Polizeichef Dr. Stieber verhaftet und nach Berlin transportirt.

Man fand bei ihm eine Unzahl gefälschter alter Handschriften und Correspondenzen mit Männern der Wissenschaft nach allen Welttheilen, nach Griechenland, Aegypten, England etc. Ich weiß mich nicht mehr genau auf das Resultat dieses merkwürdigen Criminalprocesses zu erinnern, glaube aber nicht darin zu irren, daß ihm die Gerichte, trotz ähnlicher von ihm früher verübter Betrugsfälle nichts anhaben konnten, da ihm nicht nachgewiesen werden konnte, daß seine energische Behauptung, er habe das Palimpsest des Uranios im guten Glauben an die Echtheit des Manuscriptes verkauft, auf Unwahrheit basire, trotzdem, daß bei ihm der vollständige Fälschungsapparat, die aus verrosteten Nägeln verfertigte Tinte, die Rohrfedern, deren er sich bedient, das präparirte Material zu den Manuscripten etc. vorgefunden wurde, ebenso sein lithographirtes Portrait mit „Stern und Ordensband“, zu welch letzterem er ebenso wenig berechtigt war, wie zu dem angemaßten Doctortitel. Sein Abenteuer in Berlin aber hatte zu viel Lärm in der Welt gemacht, er zog es vor zu verschwinden von dem bisherigen Schauplatz seiner Thaten, und ließ nur das Bedauern hinter sich, daß so eminente Fachgelehrsamkeit nicht zu besseren Zwecken verwendet worden sei. Unlängst, nach einer langen Reihe von Jahren, taucht der Name „Simonides“ wieder in den Zeitungen auf, welche melden, daß der Abenteurer einer schlimmen Hautkrankheit im fernen Welttheil erlegen sei. –

Mit ungleich geringerem Aufwand von Geist und Wissen, aber mit weit größerer Frechheit spielte, fast um dieselbe Zeit, der sogenannte Prinz von Armenien seine kurze Rolle in Berlin. Am 11. October 1855 sandte dieser angebliche Prinz von Armenien dem damaligen Staatsanwalt Nörner – auch diesen deckt bereits der Rasen – eine Denunciation gegen seine Hauswirthin zu, eine Frau Mahlmann, oder Mehlmeyer, nach welcher dieselbe einen an ihn gerichteten Brief, „eine wichtige Depesche seines Flügeladjutanten Amur Khan“ aus London, heimlich eröffnet und gelesen habe. Diese Verletzung des Briefgeheimnisses brachte der hohe Würdenträger zur Kenntniß der Behörden und trug auf gesetzliche Bestrafung der Verbrecherin an.

Nörner begab sich in die Wohnung der Beschuldigten und fand an dieser eine sehr einfache, verstandesbeschränkte arme Frau, welche durchaus nicht fassen konnte, daß sie sich eines Vergehens schuldig gemacht, als sie den für sie in unverständlicher Sprache adressirten, unlesbaren Brief eröffnet habe. Der Brief könne auch keine Wichtigkeit haben, meinte sie, denn der Prinz habe ihn in ihrer Stube hingeworfen und liegen lassen. Mit dieser Entschuldigung, deren Richtigkeit auf der Hand lag, übergab sie dem Staatsanwalt einen auf ordinärem Papier geschriebenen Wisch „die Depesche des Flügeladjutanten Amur Khan“, welcher sich aber als grober Mahnbrief einer Parfümerie-Handlung „Hovender“ in London entpuppte, in welchem der Prinz in derber Weise aufgefordert wird, zwei Töpfe Haarpomade zu bezahlen, welche er auf Borg entnommen. Die Böswilligkeit der Denunciation lag auf der Hand, aber der Grund derselben blieb selbst dem scharfen Verstande Nörner’s verschlossen. Nur Stieber, der damalige Cristrinal-Director, dem die Sache gemeldet wurde und für welchen der ganze Apparat der Verbrecherwelt ein offenes Buch ist, fand sogleich das Wahre heraus, indem er mit apodiktischer Gewißheit erklärte:

„Der Mann ist ein Schwindler und hat die Absicht einer königlichen Behörde ein officielles Schreiben herauszulocken, welches die Adresse: ,An Se. Hoheit den Prinz von Armenien’ an der Stirne trägt, um dies Actenstück später als Legitimation zu gebrauchen.“

Zur Bestätigung dieser Ansicht lief eine zweite Denunciation gegen die Mahlmann ein, worin in pikirter Weise eine Beschwerde ausgesprochen wurde, daß man die Anzeige eines hochgestellten Mannes von Seiten der königlichen Staatsanwaltschaft nicht einmal einer Antwort werth gehalten habe.

Inzwischen hatte man Erkundigung über die Person des angeblichen Prinzen eingezogen und erfahren, daß derselbe in sehr ärmlichen Umständen und ganz ohne Legitimation sich in Berlin aufhalte.

Nun hielt es Dr. Stieber an der Zeit, gegen den Unbekannten vorzugehen. Auf eine artige mündliche Einladung des Polizei-Commissars Rakenstein, sich im Directions-Bureau der Criminal-Polizei einzufinden, erschien am nächsten Tag ein behäbiger, wohlgenährter, aber nichts weniger als prinzlich aussehender Mann, trotz des Sternes, den er auf der Brust des schwarzen, ziemlich abgetragenen Fracks befestigt hatte.

„Ich bin der ‚Prinz von Armenien‘, melden Sie mich Ihrem Chef,“ herrschte er dem im Vorzimmer Stieber’s arbeitenden Beamten zu.

Wie einen zum Besuch erwarteten Bekannten empfing Stieber den Abenteurer, ließ sich von ihm noch einmal die Geschichte der erbrochenen Depesche seines Adjutanten „Amur Khan“ erzählen, die sichtlich in gewinnsüchtiger Absicht, von seiner Hauswirthin geöffnet worden sei. Ferner theilte er, einmal zutraulich geworden, dem Chef der Criminal-Polizei mit, er sei durch einen eigenhändigen Brief der Königin von Georgien an Se. Majestät den König von Preußen empfohlen worden und hoffe wieder in den Besitz seiner Länder und zu dem viele Millionen betragenden Staatsschatze zu gelangen, welche der Kaiser von Rußland ihm gestohlen habe.

Hier entfernte sich Dr. Stieber, indem er sich die Erlaubniß ausbat, einen Augenblick „nur zur Ertheilung eines geschäftlichen Auftrages“ sich in’s Vorzimmer begeben zu dürfen.

Im weiteren Verlauf des Gespräches wußte der schlaue Polizist das Gespräch auf den Ordensstern des Prinzen zu lenken, und um die Bedeutung desselben zu fragen, obgleich er längst in demselben das Commandeurkreuz des portugiesischen Christusorden erkannt hatte. Es wäre der „armenische Hausorden“, den jeder armenische Prinz schon in der Wiege erhält, lautete die unbefangene Antwort.

Nach einer Stunde des wechselreichsten Zwiegesprächs, gegen den Schluß desselben nur unterbrochen durch einen Beamten, der seinem Chef eine leise Meldung und ein Schriftstück brachte, wollte sich „der Prinz“ entfernen, als ihn, schon zwischen Thür und Angel, Director Stieber bat, einem Beamten, der die Ehre haben würde, ihn zu begleiten, seine Legitimationspapiere mitzugeben.

Zuerst in hochfahrender Weise, dann bei der eisernen Festigkeit des Criminalisten, ahnend, daß er durchschaut sei, etwas kleinlauter, erklärte er, er habe gemeint, seine Stellung schütze ihn vor derlei Polizeinergeleien, man möge sich bei Sr. Majestät dem König nach ihm erkundigen.

„Das ist bereits während unseres Gespräches telegraphisch geschehen,“ antwortete Stieber mit leisem ironischem Lächeln, „Und es thut mir leid, daß Se. Majestät nicht nur Nichts von dem Empfehlungsschreiben der Königin von Georgien weiß, sondern daß man im königlichen Cabinet so unwissend ist, die absolute Behauptung aufzustellen, eine solche existire gar nicht.“

Sein Paß, erwiderte er, und seine Legitimationspapiere seien ihm ebenfalls vom russischen Kaiser gestohlen worden.

„Auch dies muß ich bestreiten,“ entgegnete mit dem Behagen einer mit einer Maus spielenden Katze der hartgesottene Criminalist, „die russische Gesandtschaft stellt in einer hier eben eingetroffenen telegraphischen Antwort alle Ihre Behauptungen nicht nur entschieden in Abrede, sondern behauptet auch, daß Sie von derselben namhafte ‚Almosen’ empfangen hätten.“

Das Resultat dieses Besuches war die Verhaftung des angeblichen Prinzen von Armenien und ein monatelanger heftiger Kampf zwischen den gewaltigen Mitteln der Polizei und der frechen Schlauheit eines Abenteurers. Trotzdem, daß dem Letzteren Zug für Zug der Boden seiner erlogenen Existenz unter den Füßen weggezogen wurde, brachte jeder Tag eine ungeahnte Erfindung, eine neue unglaubliche Behauptung. Große Summen mußten zur Erforschung dieses Lügengewebes hinausgeworfen werden, trotzdem man von der Zwecklosigkeit dieser Vergeudung im Voraus überzeugt war. Einem kecken Schachspieler gleich versuchte der „Prinz von Armenien“ die Polizeigewalt „matt“ zu machen, und seiner bodenlosen Unverschämtheit gelang dies seltene Kunststück am Ende wirklich.

Wir haben oben schon erwähnt, welche Märchen er über sein Verhältniß zum Kaiser von Rußland, zum König von Preußen, zur fabelhaften „Königin von Georgien“, ferner über seinen armenischen Ordensstern der Polizei aufzutischen wagte; man fand [539] unter seinen Papieren einen Brief mit einem preußischen Thalerstück gesiegelt, der in französischer Sprache die Aufschrift trug: „Depesche des Fürsten Petrosbey an Se. Königl. Hoheit den Prinzen von Armenien“, und einen abgelaufenen Paß auf einen Engländer „Amur Khan“. Es wurde durch die betreffenden Gesandtschaften erwiesen, daß er unter letzterem Namen in London und Brüssel eine zahllose Menge Betrügereien verübt habe und in Belgien von der Zuchthauspolizei zu fünf Jahren Gefängniß verurtheilt worden sei. In Paris hätte er sich mit einem gefälschten holländischen Paß auf den Namen Johannes Joseph aufgehalten, war dort im Jahre 1850 wegen Schwindeleien durch Ministerialbefehl ausgewiesen und später wegen unbefugter Rückkehr nach Frankreich mit zwei Monat Gefängniß bestraft worden. Der Leipziger „Illustrirten Zeitung“ bot er mit seltener Frechheit fünf Thaler an, damit sie ihn unter dem Namen „Prinz Silvanesian“ verherrliche; in dem genealogischen Kalender machte er den mißlungenen Versuch, sich unter dem Namen „Adjutant Fürst Petrosbey“ unter die Reihen hoher Häupter einzuschmuggeln; ja selbst Berlin hatte er vor einer Reihe von Jahren zum Schauplatz seiner Thaten erkoren, hatte damals zur Abwechslung unter dem Namen „Fürst Koricoz“ betrügerische Schulden gemacht, war im Arrest gesessen und durch den Polizeipräsident v. Puttkammer verwiesen worden. Der Schneidermeister Kohn unter den Linden, welcher die Identität dieses Fürsten Koricoz mit dem jetzigen „Prinz von Armenien“ auf das Allerbestimmteste behauptete, war damals von dem schlauen Gast auf die raffinirteste Weise um eine sehr namhafte Summe beschwindelt worden.

Sollte man nicht glauben, daß unter der Wucht dieser gravirenden Thatsachen auch das verstockteste Abenteurergemüth zusammenbrechen und zum Geständniß bewogen werden würde? Zumal als die Untersuchungshaft – ob mit Recht oder Unrecht, will ich dahin gestellt sein lassen – im Arbeitshause stattfand, und Se. Hoheit der Prinz von Armenien zu den gesetzlichen niedrigen Dienstverrichtungen angehalten wurde, da der armenische Staatsschatz nur aus sechs Thalern bestand und nicht zum Unterhalt des höhen Herrn ausreichte. Seine Antworten lauteten dahin, „daß er nun alle und jede Auslassung verweigere, da er einsehe, daß alle preußischen Beamten von seinem Feinde, dem Kaiser von Rußland, bestochen seien, daß man ihm seinen Staatsschatz stehlen würde, wenn er den Versteck desselben nachwiese, und er es daher vorziehe, sich in sein Schweigen zu hüllen und, wie er schon so oft gethan, als Märtyrer seines guten Rechtes zu leiden.“

Dabei blieb er nun unverbrüchlich stehen und setzte die Polizei dadurch in nicht geringe Verlegenheit. Trotz der enormen Kosten, welcher in dieser verhältnißmäßig so unbedeutenden Sache aufgewendet worden waren, konnte man dem Abenteurer nichts nachweisen als Führung falscher Titel, Würden und Orden – Vergehen, die nur mit einer nicht allzu langen Gefängnißstrafe geahndet werden konnten. Die weitere Untersuchung würde dem Justizfonds ungeheure Ausgaben verursacht haben und zwar ohne Zweck. Man lehnte es daher „aus Zweckmäßigkeitsgründen“ ab, den Fremdling vor Gericht zu stellen, nahm von weiterer gerichtlicher Verfolgung Abstand und ließ den „Prinzen ohne Land und Namen“ über die Grenze frei, mit der ernstlichen Verwarnung, das preußische Land je wieder zu betreten. Die erlittene Haft wurde ihm als Strafe (??) angerechnet. Der Abenteurer hatte so recht eigentlich die Polizei mürbe gemacht, nicht sie ihn; unter einem Hinckeldey wollte dies etwas bedeuten.

Das war das nüchterne Ende einer geheimnißvollen Begebenheit, welche damals in Berlin ungeheures Aufsehen erregte und zahllose Pro und Contra hervorrief.

Wer war dieser Prinz von Armenien? Das ist ein Mysterium geblieben bis auf den heutigen Tag, das außer ihm selbst wohl Niemand zu lösen im Stande sein dürfte. Aller staatsanwaltliche, criminaldirectoriale und polizeiliche Scharfsinn scheiterte an diesem Räthsel. Seit der Unbekannte aus Preußen „gegangen wurde“, ist er verschollen und auf der Weltbühne großer Städte nicht wieder aufgetaucht. Seine versteckten Anspielungen, nach welchen Preußen für die Beschimpfung seiner Person Genugthuung, „die selbst einen Krieg nicht ausschloß,“ werde geben müssen, sind ohne Erfolg geblieben, weder die „Königin von Georgien“, noch „der Schah von Persien“ haben sich ihres Schützlings angenommen, der trotz seiner auffallenden Persönlichkeit seit vierzehn Jahren von der Landkarte weggefegt erscheint, und nur im Neuen Pitaval oder in Bülow’s Buch über geheimnißvolle und räthselhafte Menschen ein Denkmal finden wird. Keiner aber wird je die Frage beantworten können: „Wer war der Prinz von Armenien?“