Textdaten
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Autor: Gustav Wallis
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Titel: Der Baumwürger
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 34, S. 539–542
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1869
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Der Baumwürger.
Von Gustav Wallis.

Mit Unrecht beschuldigt man Menschen und Thiere allein eines ihnen angeblich angeborenen Vernichtungstriebes, der den Frieden des stillen Stein- und Pflanzenreichs durch ihren unaufhörlichen Kampf um die Existenz störe; auch dieser Naturfriede ist nur ein schöner Traum, seitdem wir in der sanften Pflanzenwelt Gewächse kennen gelernt, welche an Mordlust den wildesten Geschlechtern der Raubthiere nicht nachstehen und von den Naturkundigen selbst mit dem Namen „Würger“ bezeichnet werden: das ist der Schling- oder Baumwürger in Brasilien. Nicht ohne Rührung, aber auch nicht ohne ein besonderes Gefühl, durchmischt mit stillempfundenem Mitleid und innerer Entrüstung, können wir neben seinen Opfern ihn ansehen, der in der Reihe der tropischen Pflanzenformen eine so grausame Rolle spielt.

Ein Baum lebt auf einem andern Baume; er bemächtigt sich räuberisch seiner Stütze, überwältigt und erdrückt sie, um sie zu Staub zu vernichten, während das Opfer bei selbst größerer Ueberlegenheit sich nicht vor dem tyrannischen Uebermuthe zu schützen vermag. Wiewohl dieser würgende Baum dem äußeren Ansehen nach ein Schmarotzer, so ist er es im wissenschaftlichen Sinne doch nicht, da man, streng genommen, unter solchen nur diejenigen Gewächse begreift, die aus den Säften der Individuen, auf denen sie vorkommen, ihre Nahrung ziehen, oder doch mit dem fremden Leben eine engere Verschmelzung eingehen, ähnlich wie beim Pfropfen durch Wildling und Edelreis bewirkt wird. Die europäische Flora rechnet als bekanntere Beispiele die Mistel und die Flachsseide hierher. Die Gestalt, unter welcher dies Naturwunder – ein lebendes Denkmal irdischer Größe und Vergänglichkeit – auftritt, ist nicht immer gleich. In den gewöhnlichsten Fällen steigen zwei Bäume wie ein enggeschlossenes Zwillingspaar in Brüderlichkeit neben einander auf. Einer derselben jedoch schlingt mörderisch seine Arme um den andern, ihn dem Tode zu überliefern und um hernach siegend über den Resten des Gefallenen seine Krone ausbreiten zu können. Oder es erscheint der Tyrann, in Form eines Maschenwerkes schmiegsam wie fließendes Blei um den Stamm des Andern ausgegossen. Diese Art Erdrosselung ist die wirksamste, am schnellsten den Untergang des Genossen herbeiführende. In beiden Fällen aber sind die Bildungen von gleich überraschender Wirkung, so wunderbarer wie rätselhafter Natur, daß selbst dem geübten Blicke es schwer fällt, zwischen dem richtigen Mein und Dein zu unterscheiden. Ja, es ereignet sich, daß der Feind, wie im Kampf ermüdet, von seinem Vorhaben abzustehen scheint, indem er in einem Bogen nach der Erde sich verästelt und dort einwurzelt, nur um mit größerer Kraft gerüstet seine Kriegsoperationen desto sicherer fortsetzen zu können.

Was nun die Entstehung und das Werden dieser Erscheinung betrifft, so verdankt sie ihr Dasein fast immer nur äußeren Zufällen, zu denen jedoch die Mittel und Wege von der fürsorglichen Natur schon vorgezeichnet liegen. Vögel, Fledermäuse und andere Thiere verzehren die genießbaren Früchte des Baumräubers, und so gelangt der Same leicht an den Ort seiner zukünftigen Bestimmung. Er wird entweder am Stamme abgestreift oder mit den Excrementen der Thiere abgelegt. Hier nun wurzelt, harmlos und bescheiden anfangs, ein junger Sprößling; ein Würmchen am Stamme, treibt er genügsam die ersten Blätter, und noch beachtet Niemand das kümmerliche Wesen, das sich an seine Pflegemutter anzuklammern sucht. Doch wehe! Der kleine Unhold lohnt die erwiesenen Dienste schlecht! Gleichwie beim gezähmten

[540]

Die Weinpalme im Kampf mit dem Baumwürger.
Nach der Natur aufgenommen.

[541] Tiger der Blutdurst nur schlummert, nicht unterdrückt ist, um früher oder später unausbleiblich an seinem Herrn sich zu versündigen, so sehen wir auch dem Baumwürger schon zeitig die mörderischen Triebe eingepflanzt. Denn kaum über das erste Kindesalter hinaus, legt er auch schon seine Arme um das Opfer, der erste Schritt seiner verbrecherischen Laufbahn ist geschehen; und damit hat er bereits sein Spiel gewonnen! Die Arme halten ihn fest und kein Sturm entführt ihn seiner Stätte mehr. Mit doppelter Kraft gehoben, dehnt er sich nun rasch in die Höhe, rascher als seine Pflegerin es einst vermochte. Von Zeit zu Zeit wachsen ihm, höher hinauf, neue Armpaare, deren Zweck um so unfehlbarer ist, als sie bei ihrem Zusammentreffen in einander zerfließen und solchergestalt einen einzigen festen Ring bilden. Ihre Verschmelzung geht so gründlich vor sich, daß sie keine Spuren der Einigung zurücklassen.

Mit der zunehmenden Ausdehnung und Stärke dieser Armwurzeln beginnen die Folgen der Zerstörung sichtbar zu werden; denn während das umschlossene Opfer an den freien Stellen sich noch auszudehnen vermag und sich über und unter den Schlingen Anschwellungen bilden, entstehen die grellsten Contraste im Hinblick auf die weniger entwickelten Theile. Die Zerstörung schreitet unaufhaltsam vor, fast sich überflügelnd, durch verschiedene Umstände mehr oder weniger begünstigt. Der Kampf um das Leben ist jedoch so hartnäckig, daß der Unterdrückte dem Sieger oft erst weicht, nachdem die Kronen Beider gleiche Größe haben und vollkommen in einander verwachsen sind.

Der freien Lebensthätigkeiten nicht mehr befähigt, senkt der Besiegte endlich lebensmatt sein vorhin noch so freudig erhobenes Haupt. Er wird ein Spiel der Stürme und anderer zerstörenden Elemente. Ein Ast wird nach dem andern aus der Höhe in die Tiefe hinabgeschleudert, bis nur noch der kahle Rumpf als redendes Zeugniß der Schandthat zu verbluten übrig bleibt. Nun, wo der Verräther den Gipfel seines Triumphes erreicht zu haben sich rühmen könnte, hebt die Periode seines eigenen schmachvollen Unterganges an. Auf eigenen Füßen zu schwach, tragen ihn auch die Reste des Erdrosselten nicht mehr, da diese langsam zu vermodern beginnen, um nun an dem überlebenden Despoten das Werk der Vergeltung zu üben. Ein Gerippe nur noch, schwankt der durchlöcherte Bau, ein kümmerliches Dasein fristend, sich selbst zur Last und unter den übrigen Bäumen des Waldes seinem Schicksal preisgegeben. Noch einmal schüttelt der Sturm die zerbrechlichen Glieder, und mit krachendem Getöse stürzen sie zusammen, über den Trümmern des Vorangegangenen ihr eigenes Grab findend.

Der selbstmörderische Baumwürger.
Nach der Natur aufgenommen.

Nur wenn wir uns die Principien vergegenwärtigen, nach denen die Gebilde des üppigen tropischen Pflanzenlebens entstehen und vergehen, wo Eins mit dem Andern um sein Dasein ringt, wo räthselhafter Weise über modernden Trümmern ununterbrochen neue Formen treiben, und wo ein beständiges gegenseitiges Zerstören und Wiedergebären in der schaffenden Natur stattfindet: dann nur sind wir im Stande, das Schroffe in den Gegensätzen des besprochenen Phänomens weniger schroff zu finden und in gemildertem Lichte eine Erscheinung zu betrachten, welche ohne diese Milderung die Einbildung auch des stumpfesten Gemüthes wachrufen muß.

Ein gewiß interessantes Beispiel solcher Erdrosselung bieten uns die im Bilde vorgeführten nebeneinander stehenden Mauritia- Palmen, welche Ansicht den unteren Theilen des Itapicuru- Flusses im nordöstlichen Brasilien nahe dem Aequator, entnommen ist. Spricht nicht aus dem Bilde des anscheinend unselbstständigen Wesens eine Ueberlegung, eine Kriegslist heraus, deren berechnende Absicht, von der der Baumgattung eigenen Dehnbarkeit und Schmiegsamkeit begünstigt, um so gewisser erreicht wird? Der Würger, nicht zufrieden, rechterseits seinen Zweck erreicht zu sehen, sandte schon frühzeitig eine Helfershand aus, um mit ihr später unter vereinten Kräften den Prachtbau auch der zweiten edlen Gestalt herabzustürzen die in so würdiger wie prunkloser Majestät noch stolz ihr Haupt in die Lüfte trägt! Wenn schon unter allen Bäumen die Palmen am längsten dem Würger Widerstand zu leisten pflegen, so macht doch die in Rede stehende Mauritia – auch Weinpalme genannt – eine Ausnahme. Sie besitzt nur in ihrer Rinde außerordentliche Härte; das Innere dagegen ist weich und schwammig. Den schönen Namen „Weinpalme“ hat dieser Baum darum erhalten, weil der äußere Breimantel der zierlich beschuppten Früchte zur Darstellung eines beliebten gegohrenen Getränkes Verwendung findet, das zwar keineswegs mit Wein verglichen werden kann, der Wissenschaft aber dennoch Veranlassung gab, eine Art dieser Gattung mit dem Namen „vinifera“ zu belegen.

Auf den wunderbaren, aus dem Geschlecht der Feigenarten stammenden Schlingbaum zurückzukommen, so wurde derselbe von dem Brasilianer ganz bezeichnend mit dem Namen Cipó-matador (wörtlich Schlingwürger) bezeichnet. Er gehört aber nicht, wie man mehrfach angenommen hat, einer einzigen Species, sondern mindestens drei verschiedenen, wie ich schon beobachtet, an. Es ist dies um so weniger befremdend, als die Eigenschaft des Kletterns, die große Genügsamkeit auf dürftigem Boden, sowie die Dehnbarkeit, gewissermaßen das Modelungsvermögen im Anschluß an fremde Gegenstände, selbst an Steine, einen wesentlichen Charakter der ganzen Familie ausmachen. Aehnlichen Charakter, jedoch weniger gewaltsam im Anblick, finden wir in Brasilien auch noch bei einigen Gliedern der in den Tropen zu hohen Bäumen anwachsenden, der Malvenfamilie verwandteu Bombacineen; ferner bei mehreren Clusia-Arten, die alle Eigenschaften eines wahren Schmarotzers zeigen, weil sie auf Kosten ihres Gastfreundes ein fettes glänzendes Blatt, große prachtvolle Blumen tragen, wie auch noch oft dem fremden Haushalte eine Menge seltsam geformter Früchte zu danken haben.

Nicht weniger auffällig macht sich der Cipó-matador, wenn er, zufällig einer Mauer entsprossen, gegen die ihm feindlichen [542] Elemente ankämpfend heranwächst. Alsdann bewahrt er zwergartigen gedrungenen Habitus, er quält sich zu einem Flachwuchse, die sonderbarsten Verzerrungen bildend, und während er durch alle Steinfugen seine Wurzeln treibt, bereitet er, anstatt sich mehr und mehr zu befestigen, sich selbst mit der Mauer zugleich unvermeidlich Ruin, indem ein gelegentlicher Sturm den ganzen Bau über den Haufen wirft.

Wie aber, möchte der Leser fragen, wenn ein solches Gewächs aufkeimt, ohne überhaupt eine Stütze in nächster Nähe zu haben?

Dann bietet es das Bild der lächerlichsten Einfalt. Es entsteht dann allerdings ein Baum, der anfangs wie jeder andere in Selbstständigkeit gerade und ohne Mißbildung aufwächst. Lange aber unterdrückt er seine angeborenen Triebe nicht, denn aller Consequenz zuwider treibt er, wie unsere kleinere Abbildung zeigt, auch ohne Stütze Arme und Wurzeln aus dem Stamme, sucht endlich an sich selbst sein Würgsystem in Anwendung zu bringen und betrügt sich solcher Art früher oder später um seine eigene Existenz.