Auf der Spanischen Treppe

Textdaten
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Autor: Hermann Oelschläger
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Titel: Auf der Spanischen Treppe
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 2, S. 32–35
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1876
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Auf der Spanischen Treppe.


Von Hermann Oelschläger.


So viel Schönes und Herrliches ich in Rom erlebt und erfahren, unvergeßlich vor Allem bleibt mir doch der erste Morgen, an welchem ich mit Absicht ziellos und auf’s Geratewohl diese „Hauptstadt der Welt“ durchschlenderte und an welchem mich ein freundlicher Zufall fast sofort gerade auf denjenigen Punkt führte, der mir einen der berühmtesten Blicke auf das von der Sonne bestrahlte Häusermeer der Stadt und auf die drüben so stolz und kühn in den Himmel ragende Kuppel von St. Peter bot.

Der kleine Cecco.
Nach dem Originalgemälde von Nathanael Schmitt.

Es war schon in später Abendstunde gewesen, als ich Tags zuvor den „heiligen Boden der ewigen Stadt“ betreten, und ich kann nicht sagen, daß ich trotz aller Sehnsucht und Begierde, mit welcher ich schon seit Jahren diese Stunde herbeigesehnt, anders als verdrießlich und mißmuthig gestimmt gewesen wäre. Schon, daß uns die classische Roma, diese „Hohepriesterin unter den Städten“, nicht anders empfing, als in einem Bahnhofe, der genau so herkömmlich und gewöhnlich aussah wie alle anderen Bahnhöfe dieser Welt und genau wie diese von übelriechendem Kohlenrauche erfüllt war, durch den man hustend den Ausgang suchte, schon das erschien mir höchst prosaisch und ernüchternd. Wie ganz anders mag es dem Romfahrer vordem zu Muth gewesen sein, wenn nach tagelanger Fahrt der Wagen [33] endlich die letzte Höhe vor Ponte Molle erreicht hatte und Vetturin und Reisende gemeinsam riefen: „Eccola Roma!“ denn „auf einmal lag die ewige Stadt vor ihren Blicken ausgebreitet, ein Meer von Dächern und Ziegeln, Mauern und Bogen, Thürmen und Kuppeln, und in demselben Augenblick trat auch hinter dem Monte Mario hervor St. Peter in seiner Alles beherrschenden Majestät“.

Ciocciara auf der Spanischen Treppe.
Nach der Natur aufgenommen.

Davon ist, wie gesagt, bei einem heutigen Einzuge in Rom nicht mehr die Rede. Ein Dienstmann oder Packträger, den ich mit Ehrfurcht betrachte, denn er kann – wer mag das wissen? – ein directer Nachkomme von Horatius Cocles sein, öffnet mir mit der gleichgültigsten Miene von der Welt das Coupé wie überall; städtische Zollbeamte halten uns bei aller Ungeduld unsererseits und bei aller Höflichkeit ihrerseits noch eine kleine Stunde in ihren Visitationsräumen zurück, auch wie überall, und zuletzt steht draußen eine Reihe von Hôtel-Omnibussen, nicht anders als in Paris oder London, und die nämlichen Portiers und Hausknechte mit denselben nichtssagenden Gesichtern wie dort schaffen uns sammt unserm Gepäck in den nämlichen Omnibus, ohne den wir nun einmal doch nicht in das Weichbild der „ewigen Stadt“ gelangen können. Mir wurde immer unbehaglicher zu Muthe, obwohl ich nicht sagen kann, was ich eigentlich erwartet hätte. Aber ich fuhr mir über die Stirn, denn ich glaubte zu träumen, und fragte mich: Bist du denn wirklich in Rom? In der Stadt des Augustus, des Tiberius, des – und schnell recitirte ich in Gedanken die ganze Imperatorenreihe, soweit ich sie von der Schule her noch wußte. Hatte ich vielleicht eine Ehrenwache antiker Prätorianer erwartet? Ich weiß es nicht. Aber das weiß ich, daß ich mit jeder Minute stiller und stiller wurde, namentlich als wir über die weite wüste Piazza [34] de’ Termini fuhren und dann durch gar so enge stille Straßen und zwischen gar so alten baufälligen Mauern hin durch die finstere Nacht bergab rollten.

Endlich hielten wir im großen Hofe des Hôtel Costanzi. Und wir waren in Rom! Denn rings herum an den Wänden standen und lagen in gefälliger Ordnung antike Marmorreste, Büsten, Säulenstümpfe, zerbrochene Capitäle, und von den Treppenabsätzen des Hauses leuchteten mir aus Lorbeerbüschen die wohlbekannten Gypsabgüsse berühmter Antiken grüßend entgegen. Sie, denen ich in Deutschland bisher nur in Museen begegnet war, sie riefen mir, hier in ihrer hesperischen Heimath, das erste freudige Willkommen zu, welches in meiner Brust einen begeisterten Widerhall fand, und mitten durch die Schaaren der verwünschten schwarzfrackigen Kellner und der gaffenden, lorgnettirenden Engländer und der schnatternden, langhüftigen Engländerinnen, die sich hier in den Vorsälen und auf den Treppen des Hôtels offenbar wie zu Hause fanden, eilten wir in unsere Zimmer, uns in der Stille zu freuen, daß wir wirklich in Rom seien und daß schon morgen das Größte, das die Erde kennt, leibhaftig vor unseren Augen stehen werde. Auf’s Neue spannten sich unsere begeisterungsvollen Erwartungen, spannten sich auf’s Höchste, und sie wurden erfüllt, wenn auch nur langsam und nach und nach. Denn gerade das, daß der lebhafteste und ehrlichste Enthusiasmus, den wir über die Alpen mit herüber in die Siebenhügelstadt bringen, im Anfange aus mehrfachen Gründen stark abgedämpft wird und nur allmählich wieder eine Steigerung erfährt, die aber dann um so höher geht und um so unauslöschlicher wirkt, gerade das ist charakteristisch für Rom. Und wer anders sagt, ist ein Phantast oder Heuchler.

Schon in den ersten Stunden des nächsten Tages war ich auf den Füßen, ohne Führer, ohne Plan, nur meinem Stern vertrauend, und er führte mich glücklich. Ich betrat die nahe Piazza Barberini, an der, wie ich erst später erfuhr, sich Georg Scherer für den ganzen Winter eingemiethet hatte, schritt an der rauschenden Fontaine mit ihrem muschelblasenden Tritonen vorüber, der „zu dem Platze gehört, als wäre er mit Naturnothwendigkeit auf demselben emporgewachsen“, that einen raschen Blick in die Via delle quattro fontane, ohne damals zu ahnen und um es erst einige Tage später zu erfahren, daß in einem der ersten Häuser sich hier Levin Schücking gleichfalls für den ganzen Winter niedergelassen habe, und schlug mich dann hastig wieder nach rechts, wo mir von der Höhe ein stattlicher Obelisk entgegenwinkte. Römisches Straßenleben habe ich den Lesern der „Gartenlaube“ schon früher geschildert, und ich übergehe also den lebendigen Eindruck, den ich auf diesem Wege von allen Seiten zum ersten Male empfing.

Die sanft ansteigende und zur Höhe führende Via Sistina ist zu beiden Seiten mit Ateliers, Läden und Kunstwerkstätten aller Art gefüllt: Steinschneider, Mosaikarbeiter, Bronzenhändler, Gypsgießer, Marmorschleifer, Antiquitätenverkäufer haben hier die Parterregeschosse der beiden Häuserreihen in Beschlag genommen und dazwischen hausen deutsche Künstler in ihren Ateliers, unter welchen mir später dasjenige des Schwaben Dausch mit seiner großartigen Siegfried-Figur mit das interessanteste werden sollte.

Heute eilte ich an allem Diesem vorüber, hatte kaum einen Blick für die Bronzen, Gypsabgüsse, Marmorschalen und Gemmen, die aus allen Schaufenstern schimmerten, mich lockte nur der Obelisk, und dennoch eilte ich, als ich ihn erreicht, auch an ihm achtlos vorbei über den kleinen Platz, trat in freudigem Schreck vor an die steinerne Rampe, und dem Staunenden tief zu Füßen lag im strahlenden Sonnenglanz weit gedehnt die lang ersehnte, alte, ewige Stadt. Gerade vor mir hatte ich den Spanischen Platz, und die breite, gewaltige Treppe, die von ihm zur Höhe führte, auf der ich stand, war die berühmte Spanische Treppe.

Mein Stern hatte mich wirklich gut geführt, und vielleicht war es nur die Dankbarkeit gegen ihn, wenn ich selbst später noch neben der Aussicht vom Monte Pincio, die uns außer dem volleren Blick auf die riesenhafte, majestätische Kuppel des Michel Angelo, noch den andern auf die in ihrer Art ganz einzige Piazza del Popolo bietet, oder gar neben der Aussicht vom Janiculus, die mit dem modernen Rom zugleich das antike umfaßt, auch an dem Blicke von der Spanischen Treppe mich stets auf’s Neue ergötzte und auf der Piazza della Trinita auch am häufigste verweilte.

Wenn nun Rom diejenige Stadt ist, in welcher behagliches, stillfrohes, weltvergessenes Hinschlendern eine der erfreulichsten und ausbildungsfähigsten Beschäftigungen ist, denen man sich ergeben kann, so gewährt es ein ebenso einfaches und harmloses, wie genuß- und abwechselungsreiches Vergnügen, den Obelisken und die Kirche St. Trinita de’ Monti im Rücken, auf der Steinbalustrade der Piazza della Trinita gelehnt, über die Spanische Treppe hinweg auf das ausgedehnte Häusermeer Roms zu sehen, von der Villa Melini auf Monte Mario bis hinüber zu den Höhen des Janiculus mit seinen Prachtgärten, die aus der Tiefe der Stadt bis hinauf zu seinen Höhen, bis zur herrlichen Aqua Paola und bis zum Kloster San Onofrio reichen, in welchem Tasso starb. Dazwischen hochragend über alles von Menschenhand Gebaute die Kuppel von St. Peter, links dahinter die Piniengruppen der unvergleichlichen Villa Pamfili, während aus dem Häusermeer und Dächerwirrwarr vor uns sich Säulen um Säulen, Obelisken um Obelisken heben, bis endlich links hinter dem gewölbten Bleidach des Pantheons der Thurm des Capitols den weitschweifenden Blick begrenzt.

Aber was sind Namen! Man muß das Alles sehen und zwar zur rechten Zeit, im rechten Licht. Die rechte Zeit aber war für mich immer die des Sonnenunterganges, und oft habe ich mich aus heiterer Gesellschaft weggeschlichen, um von der Spanischen Treppe aus die Sonne königlich hinter den Hügeln von Rom untergehen zu sehen. Ein violetter Duft von wunderbarem Zauber schwebt über der Riesenstadt mit ihren Giebeln und Thürmen; jener nur dem italischen Himmel eigenthümliche zarte blaugrüne Ton über dem Horizont geht rasch in ein tiefkräftiges Purpur über, in dem die Peterskuppel selbst zu erglühen scheint; die breiten Wipfel der einsamen Pinien auf Monte Mario heben sich schwarz und riesenhaft von der flammenden Abendgluth, und mir allzurasch versinkt in die aus den Tiefen aufsteigende Nacht ein Schauspiel, das an Pracht und Farbenschönheit seines Gleichen nicht hat.

Und wie oft bin ich wieder um Mitternacht auf der Spanischen Treppe gestanden, wenn das große Rom da unten nachtbedeckt still, still im tiefen Schlafe lag, nur der Brunnen auf der Piazza di Spagna rauschte und die freundlichen Sterne so zauberhaft strahlend wie immer am blauen Himmel dahinzogen, die stummen Zeugen so vieler verrauschten Jahrtausende. Sie allein sind lebendig geblieben, und wie viele Götter der Erde und des Himmels haben sie stürzen, wie viele Herrlichkeit und Macht haben sie in Blut und Jammer und Schande enden sehen! Von den Nächten, da sie Numa und Egeria im Haine belauschten, bis heute. Und für den, der die Todten zu beschwören versteht, wenn der Mond sein volles Licht auf die Dächer und Häusermassen wirft, daß sie leuchten wie von frisch gefallenem Schnee, für den ist auch die Spanische Treppe ein guter Platz, aber das Meiste, was die Todten in Rom aus dem Grabe mit sich bringen, ist grauenhaft. Denn hier auf dem Monte Pincio, der unmittelbar an die Spanische Treppe stößt, lagen die prachtvollen Lucullischen Gärten, in denen die blutgierige Buhlerin Messalina ihre Villa zum Schauplatze wilder Orgien machte, und da drüben, wo heute St. Peter aus der Erde steigt, hatte Nero seine Gärten, in denen er, die Nacht zu erhellen, die Christen bei lebendigem Leibe wie Fackeln verbrannte. …

Aber warum die Todten beschwören! Das frische Leben rauscht voll und kräftig um uns und am Meisten hier auf der Spanischen Treppe, die zugleich mit dem Spanischen Platze der Mittelpunkt des Fremdenverkehrs genannt werden kann. Vom frühen Morgen bis zum späten Abende ist die vielstufige Treppe belebt, meist von Fremden, die aus ihren Quartieren in der Via Sistina hier hinunter zur Stadt oder vom Spanischen Platze herauf steigen, die vielbewunderte Aussicht zu genießen oder auf der Passegiata des Monte Pincio sich zu ergehen oder ihre Quartiere in den luftigen Straßen da oben aufzusuchen. Unter den Passanten dieser Treppe ist im Laufe eines Winters jede civilisirte Nation der Erde, jedes Alter und Geschlecht vertreten, und ich habe nur immer die Körnigkeit des Materials bewundert, aus dem die Treppe hergestellt ist, und die große Geschicklichkeit, mit welcher die einzelnen [35] Theile und Platten so fest in einander gefügt sind, daß sie noch heute, trotz einer Dauer von mehr als anderthalbhundert Jahren und trotz der unglaublichen Benutzung, die sie erfährt, doch so fest geschlossen und gegliedert dasteht, als sei sie erst von gestern. Die Schönheit ihrer reichen Gliederung mit ihren breiten Absätzen, mit ihren Vorsprüngen und Balustraden wird indessen erst in größerer Entfernung sichtbar, etwa vom Corso aus durch die Via Condotti gesehen, oder noch besser von dem fern gelegenen Platze vor dem Palazzo Borghese.

Und bei aller Vornehmheit und Schönheit, die der alten Riesentreppe für sich eigen ist, hat sie noch einen besonderen Reiz, der, wie ich oft beobachtet habe, auf viele Fremde noch anziehender wirkt, als der Blick auf die Stadt selbst: sie ist der Aufenthalt der berühmten Costümmodelle, der Männer und Frauen aus dem Albanergebirge, aus dem Neapolitanischen, die sich den Winter über in Rom aufhalten, den Künstlern Modell zu stehen und sich in ihren eigenthümlichen malerischen Trachten, denen man selbst in Rom sonst nirgendwo wieder begegnet, malen zu lassen.

Wenn sie im Herbste kommen und ihre altgewohnten Plätze auf dem Trottoir oder auf den Haustreppen der Via Sistina, auf der Piazza Trinita de’ Monti und auf der Spanischen Treppe einnehmen, hat die Saison begonnen, und nicht eher rüsten sich die buntfarbigen, immer beweglichen Gestalten zur Rückkehr in ihr heimathliches, waldkühles Gebirgsdorf, bis die Sommersonne schon hoch am Himmel steht und unter ihrem heißen Strahle die bleiche Fieberluft aus den Tiefen steigt und sich unheilvoll über die öde und fremdenleere Stadt breitet.

Die Männer und Knaben dieser seltsamen Colonie treiben sich meistens auf der kleinen Piazza Trinita de’ Monti oberhalb der Treppe herum, in schmutzigen Sandalen, brauner Jacke, durchlöchertem blauen Mantel, und auf dem krauslockigen Haare den alten, rothbebänderten Spitzhut. Ein langer Stock, eine Kürbisflasche mit Rothwein, eine mit Ziegenfell überzogene Seitentasche, die Lebensmittel für den ganzen Tag bietet, ist ihre ganze Ausstattung. Hier stehen oder liegen sie in der Sonne herum, rauchend, essend, trinkend, bis ein Maler sie in sein Atelier holt. Sie sind freundlich und grüßen, wie dies auch ihre Frauen und Mädchen thun, Denjenigen gerne, der öfter des Weges kommt und Interesse an ihnen zeigt.

Einer gewissen Berühmtheit unter ihnen erfreuen sich der einbeinige junge Mann, der wegen seines edlen, von schwarzbraunen Locken umwallten Kopfes den nom de guerre des „Nazareners“ führt, der bildschöne jugendliche Bernardino und der kleine possirliche Cecco, dessen Bild die „Gartenlaube“ heute nach einem vortrefflichen Oelgemälde des in Rom lebenden Malers Nathanael Schmitt wiedergiebt. Wer in den letzten Jahren in Rom war, kennt auch den kleinen munteren Burschen mit den großen, kohlschwarzen Augen im Schelmengesichte, der die Bettelei so lustig zu treiben versteht, wie Keiner – denn wenn er lachend uns entgegen gelaufen kommt, sobald er unser nur von der Ferne ansichtig wird, hat er, eben seines drolligen Wesens halber, seinen Soldo schon in der Hand, bevor er uns darum gebeten hat. Wir plaudern mit ihm, und wenn wir weiter gehen, steht der Krauskopf noch lange in seinem schmutzigen Lämmerpelz da, winkt uns dankend mit der Hand und springt dann jubelnd zu seinen Gespielen zurück, ihnen die erhaltene Gabe zu zeigen. Ob er zum Betteln erzogen ist, weiß ich nicht, aber ich weiß, daß, als er einstmals wieder auf mich zulaufen wollte, ein etwa sechszehnjähriges Mädchen, vielleicht seine Schwester, ihn zurückhielt und seiner Zudringlichkeit wegen, wie sie es nannte, schalt. Aber er hat den gewohnten Soldo von mir trotzdem erhalten.

Der Maler des kleinen Cecco, Nathanael Schmitt, ist unter den jungen Künstlern in Rom einer der tüchtigsten Portraitmaler, der von seinem Vater, einem Schüler des großen Cornelius, in Heidelberg den ersten Unterricht erhalten, dann seine Ausbildung durch große Reisen in Deutschland, Frankreich, England vollendet hat und nun dauernd in Rom lebt, wo er in der Via Sistina sein Atelier aufgeschlagen hat. Das Originalbild befindet sich im Besitze des Dr. Gräfe in Halle.

Auf der Spanischen Treppe selbst kauern in einzelnen Gruppen, die der Treppe eine außerordentlich malerische Staffage geben, die Frauen, Mädchen und kleinen Kinder – gleichfalls schwatzend, lachend, vom Einen zum Andern laufend, Orangen essend, vielleicht Veilchen verkaufend und im besten Falle strickend. Wirklich schön sind unter ihnen seltsamer Weise nur Wenige, und der ganze Reiz ihrer Erscheinung ruht häufig genug nur in den buntfarbigen, geschmackvollen Costümen, die sie tragen. Doch ist z. B. Philomene ein wegen seiner großen Anmuth von den Malern oft gesuchtes Modell, desgleichen Giovannina, die wegen ihres feinen Gesichtsschnittes bei den Künstlern ebenso großer Beliebtheit sich erfreut, wie ihr alter Vater, der auf hunderten von Bildern als Campagnahirte figurirt. Und nicht weit von ihr pflegt mit andern Genossinnen Marianina auf den Treppenstufen zu kauern, der ihr reiches blauschwarzes Haar eine Berühmtheit besonderer Art verschafft hat.

Während des Carnevals vergnügten sich die Modelle jeden Nachmittag auf dem ersten großen Absatz der Spanischen Treppe beim rauschenden Klang des Tambourins und von Zuschauern dicht umdrängt, am bacchantischen Saltarello, der immer nur von einem Paare getanzt wird und dessen leidenschaftliche und doch rhythmische Bewegung die schönen Formen des Körpers auf’s Anmuthigste zu Tage treten läßt.

Am poetischsten ist dieses Modellvölkchen aber immerhin aus der Ferne anzusehen, wenn es im klaren Helldunkel eines Kirchenportals herumlungert oder auch von glänzender Sonne beschienen seine Siesta hält. In der allernächsten Nähe oder gar im Lichte des Ateliers verschwindet doch Vieles von dem Zauber, der die Leute für den flüchtigeren Beobachter umgiebt; von geistiger Angeregtheit ist wenig oder Nichts an ihnen zu spüren, und Manche bringen es fertig, einem Maler den ganzen Tag lang als Modell zu sitzen, ohne zu fragen oder zu sehen, wozu sie benutzt werden. Andererseits haben sie ganz gut gelernt, daß diese Jacke oder jener Mantel noch zerfetzt und verwettert großen Werth habe, und sie vergessen es niemals, wenn dieser oder jener Maler „venticinque Lire“ (25 Lire) dafür geboten hat. Auch verstehen sie sich vortrefflich darauf, einem neuen Stück Kleid auf künstliche Weise ein getragenes Ansehen zu geben.[WS 1]

Als ich einmal mit einem befreundeten Maler durch die Via Babuino schlenderte, begegneten wir einem alten Kerl in Lumpen, den mein Freund fragte, ob er Modell sei. Er antwortete damit, daß er seinen Mantel mit großer Gewandtheit und gewiß mit viel Grazie mit der linken Hand über die Brust faßte und mit der rechten eine große Bewegung machte, die für einen Propheten wohl passend gewesen wäre.

Wirkliche Naturwüchsigkeit findet man nur mehr im Gebirge, in den Abruzzen. Anagni, Veroli und besonders Alatri, das berüchtigte Räubernest, sind reich an den herrlichsten Gestalten, ernsten, scheuen Naturen. Auch findet man dort das Costüm viel einfacher und schöner im Tone, während es in Rom dem erfahrenern Auge mitunter doch etwas zu viel Absicht verräth, was indessen nicht hindern soll, daß die Modelle der Spanischen Treppe namentlich den Touristen als heitere römische Staffage immerdar in angenehmer Erinnerung bleiben.

Das Beliebteste unter den weiblichen Costüm-Modellen ist neben der Albaneserin und der allerdings sehr selten sichtbaren Donna di Nettuno das sogenannte Ciocciaren-Costüm, wie es unser zweites Bild nach einer photographischen Originalaufnahme bietet. Es ist so genannt nach der Fußbekleidung (cioccia), einer starken, länglichen Ledersandale, deren Ecken mit Schnüren, die um das Bein bis zur Wade hinauf laufen, über den Fuß befestigt werden. Den anmuthigen Kopf schmückt ein weißer, durchbrochener und befranster Schleier; ein weißes Hemd, gleich den weiten Aermeln von zierlicher durchbrochener Arbeit, verhüllt mit dem meist dunkelfarbigen schleifengeschmückten Mieder den Oberkörper, während auf dem blauen oder rothen Rocke eine grüne oder blaue Schürze liegt, die oben und unten eine breite, bunte, arabeskenartige Stickerei zeigt. Das Ohr schmücken große goldene Ringe.

Eines der schönsten Modelle, die Schwester einer gewissen Beatrice – ich vermag mich im Augenblicke nicht auf ihren Namen zu besinnen –, ist seit vorigem Winter von der Spanischen Treppe verschwunden. Ein preußischer Baron, sagt man, hat sie in die enge Haft eines Instituts gebracht, wo sie sich damit abquält, ihren Geist zu bilden, und das sie nach erreichtem Ziele nur verlassen soll, eben besagten Baron zu heirathen. Ganz gelegentlich fragte ich Beatrice, wie denn eigentlich jener Baron, ihr künftiger Schwager, heiße? Beatrice aber lachte und sagte achselzuckend nichts als „Chi lo sa?“ – wer weiß es?“

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: gehen