Textdaten
<<< >>>
Autor: Hermann Oelschläger
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Plaudereien aus Rom
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 21, 25, 28, 33, 34, 39, S. 350–353, 414–416, 479–481, 556–557, 572–573, 656–659
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1875
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
korrigiert
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[350]

Plaudereien aus Rom.
Von Hermann Oelschläger.
I.

Die Bedrängniß der katholischen Kirche. – Das Osterfest. – Der Papst in der Gefangenschaft. – Die Palmenweihe in St. Peter. – Ein galanter Monsignore. – Ein Spitzname aus dem Vatican. – Pariser Friseure und Pariser Tonsuren. – Zurückgetretener Scharlach. – Die Massenaudienzen bei Pio Nono. – Das „Gefängniß“. – Carricaturen auf den Papst. – Il grande Bismarck. – Die Witzblätter mit König, Papst und Garibaldi. – Der Einzug Garibaldi’s. – Sein Project der Tiberregulirung. – Garibaldi’s „Giuro“. – Das bürgerliche Auftreten der Königsfamilie.


Es ist wahr: wer von einem längeren Aufenthalte in Rom nichts Anderes und nichts Besseres mit nach Hause zu bringen wüßte, als römische „Plaudereien“, unterhaltende Causerien, schwatzhafte Feuilletons, wie sie das liebe Publicum daheim allwöchentlich wenigstens einmal in seinen Zeitungen zu finden liebt und wie sie aus den europäischen Hauptstädten Paris, Berlin, Wien, London allwöchentlich auch leicht genug in die Welt gesandt werden, um den wäre es schlecht genug bestellt. Ueber Rom, die Stadt der Städte, die Königin der Welt, über das Rom der alten Imperatoren, über das Rom der Päpste und der Renaissance, über das Rom der Gegenwart, das nun – ein unerhörtes Schauspiel in der Geschichte – zum dritten Male seiner Auferstehung und Verjüngung entgegen geht, wäre leicht besser zu berichten, als in „Plaudereien“, und Jeden, der den unwiderstehlichen, reinigenden und belebenden Zauber eines römischen Aufenthaltes an sich erfahren hat, wird es auch gewiß treiben, hierüber vor Allem ernsthaft zu berichten und so auf würdige Weise den Versuch zu machen, die in ihm ruhende Begeisterung auch auf Andere zu übertragen.

Und dennoch ist es um die nachfolgenden „Plaudereien“ nicht gar so schlimm bestellt, als es den Anschein hat. Hat doch neben der antiken Gemme oder neben dem antiken Marmorkopf, den Einem eine glückliche Fügung als kostbaren Besitz zugeführt hat, auch die Photographie des heutigen Tages ihre Berechtigung – warum nicht die „Plauderei“, wenn sie die Bilder, die Erscheinungen des heutigen Lebens zu fixiren und das Rom der Gegenwart zu schildern unternimmt, das von dem Rom Goethe’s und wie unsere Väter es kannten, schon so sehr verschieden ist und das sich täglich mehr von ihm entfernt?

Die Romfahrer der „heiligen Woche“ – um nur Eines hier gleich hervorzuheben – haben dies schmerzlich genug erfahren müssen. In hellen Haufen kamen sie nach Rom gewandert, Ostern festlich zu begehen, aber die alte Herrlichkeit der Kirche ist im Untergehen begriffen, und es ist wenig mehr von ihr zu sehen. Die frommen „Pilger“ sind da, wie früher – aber der Papst ist fort – in Gefangenschaft, sagen sie in Deutschland; er „will nur nicht kommen“, sagen sie in Rom. Die berühmten Musikaufführungen in der Sixtinischen Capelle sind sistirt, und am Ende – wie bei allem Unglücke immer noch ein Glück ist – kommt es nur den zierlichen Malereien Michel Angelo’s, auf deren Zerstörung man mit all’ dem heiligen Weihrauche und all’ dem heiligen Kerzendunste seit Jahrhunderten geradezu sündhaft losgearbeitet hat, ganz allein zu gute, daß in der Sixtinischen Capelle kein Gottesdienst mehr gefeiert und die Luft in ihr nunmehr frei und rein gehalten wird. Mit Noth und Mühe bekommt der Gläubige noch ein paar Reliquien zu schauen, auf die er sich schon das ganze Jahr gefreut hat, z. B. die Nägel und die Anschlagetafel des heiligen Kreuzes, die Säule, an der die Geißelung Christi vollzogen wurde, die wahrhaftige Abendmahlstafel, die Köpfe von Peter und Paul etc., und da auch die „heiligen Gräber“, was ihre Ausstattung anlangt, unter der allgemeinen Bedrängniß der Kirche bedenklich zu leiden scheinen, so kann man das hohe Fest der Charwoche und der Ostern in einer deutschen gut katholischen Stadt leicht mit größerem Prunke begangen sehen, als beim päpstlichen Stuhle. Zum Beispiel in München.

Ja, der Papst! Es ist ganz unglaublich, mit welcher Hartnäckigkeit er den Anblick seiner geheiligten Gestalt der Menge entzieht und mit welcher bewundernswerthen Ausdauer er die Rolle eines Gefangenen im Vatican spielt. Jedermann, der Rom in früheren Tagen kannte, weiß von den glänzenden Aufzügen zu erzählen, in denen der Papst ehedem in goldener, mit sechs Rappen bespannter Staatscarosse, von seinen Schweizern begleitet, die eine oder andere der Kirchen Roms besuchte, wie es eben der Festtag mit sich brachte. Die Straßen, durch die er, in dem Glaswagen Jedermann sichtbar und beständig nach links und rechts segnend, fuhr, waren mit frischem Sande bestreut und von den Thürmen der Kirchen hallte feierlich das Geläute der Glocken. Seit aber Victor Emanuel an jenem denkwürdigen 20. September durch die Porta Pia in Rom seinen Einzug hielt, hat Pius der Neunte den Vatican nicht mehr verlassen; ja selbst den Monte Pincio, der noch heute mit seinen unvergleichlichen Anlagen in den Abendstunden der Sammelpunkt der vornehmen römischen Welt ist und den der Papst in seiner leutseligen Weise früher so gern besuchte, hat er nicht wieder betreten. Da aber das Sprüchwort „Wie der Herr, so der Diener“ auch in Rom gilt, so sind auch die bekannten Cardinalscarossen von der Erde verschwunden, jene schweren, vergoldeten, wappengezierten Kutschen, in denen die „Eminentissimi“ früher durch die Straßen Roms fuhren, zwei derbe, meist schwarze Pferde voran, hintenauf drei reichgalonnirte Diener im Dreispitz, von denen einer den bekannten unvermeidlichen rothen Regenschirm trug.

In dem herrlichen St. Peter ist der Hochaltar verwaist, denn der Papst liest hier keine Messe und hält kein Hochamt mehr; die Loge, von welcher er früher über das zu Tausenden lautlos versammelte Volk auf dem weiten Peters-Platze mit gehobener Stimme den Ostersegen sprach – urbi et orbi – hat sich seit Jahren nicht mehr geöffnet, und – so ist es am Ende nur erfreulich, zu sehen, daß die Welt auch ohne den Papst in ihrem Laufe bleibt und daß sie seinem Grolle zum Trotze sich in ganz tüchtiger Weise fortentwickelt – auch ohne den Ostersegen.

Bei jenen einzelnen kirchlichen Functionen in der Peterskirche, die nicht ganz und gar unterlassen werden können, ist der Papst gegenwärtig durch einen seiner Monsignori vertreten, wie denn am Palmsonntage Monsignore Ricci, Maestro di Camera, die Vertheilung der von ihm gesegneten, benetzten und schließlich noch beräucherten Palmen an die versammelten Prälaten im Namen Sr. Heiligkeit vornahm. In weißen oder grauen, mit violetter Seide ausgeschlagenen Pelzkragen nahten sich die frommen Herren einzeln, knieten vor dem Monsignore Ricci nieder, küßten die dargebotene Palme zweimal und nahmen dann dieselbe mit gebührender Ehrfurcht in Empfang. Die in großen Körben herbeigeschleppten Palmen waren nach drei Rangclassen gebunden und geschmückt, die der ersten am größten und kostbarsten, die der letzten sehr klein und sehr unansehnlich. Das gemeine Volk, das Laienpublicum wurde mit gemeinen Olivenzweigen abgespeist, die der Monsignore Ricci mit sehr verdrießlichem Gesichte gleichfalls persönlich vertheilte und um die sich die allezeit in erster Linie stehenden Engländerinnen trotzdem förmlich gerissen haben. Die ganze unendliche Ceremonie hat für den unbetheiligten Zuschauer wenig Erhebendes; sie wird sogar, wenn man die Komödie im Ganzen betrachtet, welche hier erwachsene Leute unter allerlei Ceremonien-Firlefanz vor dem gaffenden Volke aufführen, peinlich und erinnerte mich im besten Falle an meine Knabenzeit und an die am Schlusse jedes Jahres übliche Preisvertheilung.

Trotzdem ist es ganz unglaublich, mit welcher Demuth diese hohen Würdenträger der Kirche die Palmen empfingen und davontrugen. Aber man muß sich dadurch nicht täuschen lassen. Einen dieser Monsignori hatte ich einmal in einer Gesellschaft kennen zu lernen die Ehre gehabt und schon damals hatte er mir durch sein überaus weltliches, eitles und geckenhaftes Benehmen große Freude bereitet. Seine tiefschwarzen Haare glänzten und dufteten von den feinsten Oelen; seine Füße staken in den denkbar zierlichsten Schuhen; seine schmalen weißen Finger funkelten von den kostbarsten Ringen, und Alles, was er that, ob er nun stets auf’s Neue das Lorgnon zu den Augen führte oder ob er mit einer Dame sich unter tausend eleganten Verbeugungen unterhielt,

[351] Alles zeigte einzig und allein sein Streben, zu gefallen. Sein größter Stolz war sein kleiner Mund, und wenn er je die Augen niederschlug, so geschah es ganz gewiß nur, um in der Tiefe seines Herzens die allerdings gleichfalls auffallende Kleinheit seiner Füße zu bewundern. Sein Appartamento, seine Wohnung, war fürstlich. Seine Gewohnheiten waren die eines hohen Herrn. Im Vatican hatte man ihm seines ganzen weibischen Wesens halber einen Spitznamen beigelegt, dort, in der Umgebung des Papstes, hieß er allgemein nach der bekannten Heiligen Santa – aber ich will nicht indiscret sein, und es genügt mir, mit diesen Andeutungen zu constatiren, wie wenig noch in der allgemeinen Christenverfolgung der Gegenwart den Herren beim päpstlichen Stuhle der Humor ausgegangen ist und wie sehr sie ihn sogar an sich selbst und ihren Heiligen zu üben vermögen. Wie erfreulich ist das doch!

Diesem Herrn nun begegnete ich bei der Palmenweihe jüngst in Sanct Peter wieder, und ich muß gestehen, daß es mein hohes Interesse erregte, ihn im unmittelbaren Dienste der Kirche zu sehen. Bei der Procession, die der Palmenvertheilung folgt, und bei welcher früher der Papst mit der Mitra auf dem Haupte und der Palme in der Linken durch die Kirche getragen wurde, mußte er unmittelbar an mir vorüber gehen. Seine Haltung war musterhaft. Sein Haar zwar duftete wie immer; seine Füße streckten sich selbst unter dem Priestergewande coquett hervor wie immer; seine Verbeugungen vor dem Altare zeigten auch hier eine gewisse weltmännische Eleganz, und wenn er seine Kappe abnahm, mußte man die Geschicklichkeit bewundern, mit welcher ihm der Pariser Friseur die untadelhafte Perrücke mit einer ebenso untadelhaften Tonsur auszustatten gewußt hatte – aber er hielt den Kopf sanft zur Seite gebeugt, die Hände auf der Brust gefaltet, und die kleinen Augen waren wie voll Inbrunst nach oben gerichtet. Ich hätte meinen Monsignore von neulich kaum wiedererkannt, der heute so ganz alles irdischen Wesens entkleidet schien. Trotzdem war’s mir, als ob auf seinem sonst so sorgenglatten, freundlich heiteren Antlitze eine leichte Wolke des Unmuths lagere. Ich machte meinen Freund darauf aufmerksam. „Wissen Sie nicht, daß Monsignore krank ist?“ fragte dieser entgegen. „Das erste Wort, das ich davon höre. Was fehlt ihm?“ „Er hoffte bestimmt, bei der letzten Creirung der Cardinäle mit dem Purpur geschmückt zu werden. Der Cardinalswagen war schon bereit. Aber der gute Monsignore ist zu seinem unsäglichen Verdrusse durchgefallen, nicht zum ersten Male, und leidet seit der Zeit wieder – am zurückgetretenen Scharlach.“

Die Frage, warum eigentlich der Papst sich in seinem Vatican so eingesponnen habe, liegt nahe genug und wird denn auch oft genug aufgeworfen. Denn Niemand hindert doch den Papst, in Sanct Peter die Messe zu lesen; Niemand hindert ihn, über das Volk den Segen zu sprechen, und noch weniger denkt Jemand daran, dem alten Manne bei seinen Spazierfahrten etwas in den Weg zu legen. Die Antwort darauf, die man in Rom fast durchgängig erhält, ist die, daß er von der Jesuitenpartei völlig willenlos gemacht worden und dieser zum Werkzeuge auch nach dieser Seite hin dienen müsse, theils um außerhalb Roms den Anschein wirklicher Gefangenschaft zu erregen, theils um innerhalb Roms stete Unzufriedenheit wachzuhalten über den Wegfall aller jener hohen kirchlichen Feste, deren pompöses Schauspiel bisher das Entzücken jedes echten Römers und noch mehr jeder echten Römerin gewesen war.

Ueber die Sittlichkeit oder Unsittlichkeit eines solchen Motivs will ich hier nicht streiten, aber andererseits drängt sich Einem doch ganz unwillkürlich die Frage auf, was wohl von einem Hohenpriesteramt zu halten sei, dessen Träger auf alle Werke, auf jede Thätigkeit des Friedens, des Segens, der Versöhnung schlecht gelaunt verzichtet und der seinen einzigen Priesterberuf darin sieht, von sicherer, unnahbarer Wohnung aus zu schelten und zu toben, zu verdammen und zu verfluchen und die Völker lediglich zum Unfrieden gegen einander und zur Unbotmäßigkeit gegen ihre Obrigkeit aufzustacheln? Dieser Wirkungskreis ist offenbar nicht vom Guten, und wenn der Papst, wie man in Rom, wie man in der Peterskirche täglich sieht, auf den anderen, den besseren Wirkungskreis frei- und böswillig verzichtet, warum und wozu ist der Papst dann überhaupt noch da?

Trotz der großen Beharrlichkeit indessen, mit welcher Pio Nono sich im Vatican eingeschlossen hält, ist die Schande, „in Rom gewesen zu sein und den Papst nicht gesehen zu haben“, für Jeden, der nur will, noch immer leicht genug zu vermeiden. Zu den großen Massenaudienzen, in denen der Papst Jedem, der ein Verlangen danach hat, seinen apostolischen Segen ertheilt, ist ohne Schwierigkeit zu gelangen, und ein schwarzes Kleid, ein schwarzer Schleier machen wie Frack und weiße Binde nach geschehener Anmeldung sofort audienzfähig. Da dies die einzige Gelegenheit ist, den Stellvertreter Gottes auf Erden leibhaftig vor Augen zu sehen, so wird dieselbe von Gläubigen und Ungläubigen jeder Art und aller Nationen reichlichst ausgebeutet, und die katholischen Blätter lassen es sich auch nicht entgehen, diesen Andrang der Schaaren für ihre Zwecke zu benutzen.

Es ist doch etwas recht Erbärmliches um die Neugierde, wenn sie, wie hier, bis zum Kniefalle führt und zur demüthigenden Beugung des Hauptes unter einem Segen, den man innerlich verspottet. Würden die Männer in der Umgebung des Papstes, die auch hier ihren rücksichtslosen Einfluß auf ihn geltend machen – denn Pio Nono persönlich soll an diesen Massenaudienzen, zu denen er förmlich geschleppt wird und bei denen er denn auch seine verdrießliche Stimmung oft durchaus nicht verhehlt, am allerwenigsten Gefallen finden – die Spott- und Lästerreden über den Papst hören, die unter dem schallenden Gelächter der Zuhörer an den Wirthstafeln Roms gerade am meisten von denen zum Besten gegeben werden, die Vormittags sich im Vatican den apostolischen Segen geholt haben, so würden sie die Person des Papstes vermuthlich mit größerer Vorsicht und mit mehr Würde zur Schaustellung bringen. Freilich, das Eine gebe ich ohne Weiteres zu: die eigentliche Charakterlosigkeit liegt auf Seite der neugierigen, heuchlerischen Spötter. Daß Pio Nono bei solchen Audienzen sich auffallend gern und freundlich mit jungen schönen Mädchen unterhält, sei hier nur nebenbei bemerkt, und ist dem alten Herrn, der an seinem gegenwärtigen Leben wenig Freude findet, wahrhaftig zu gönnen.

Wie sehr sich übrigens die Römer selbst über die eingebildete Gefangenschaft des heiligen Vaters lustig machen, beweist eine Carricatur, die neulich in allen Schaufenstern hing und die den Titel führt: „Ein Tag in der Gefangenschaft“. Schlafend, essend, trinkend, Audienzen ertheilend, spazieren gehend und wieder essend und wieder schlafend wird uns der heilige Vater, stets von der bekannten Lieblingskatze begleitet, in sechs heiteren Bildern mit entsprechendem Texte vorgeführt, und Jedermann, der von den Loggien Rafael’s aus die unvergleichliche Lage des Vaticans mit seiner entzückenden Fernsicht über ganz Rom und über die im blauen Dufte verschwimmende Campagna bis zu den Sabiner- und Albaner-Bergen schon bewundert hat, wird dieses „Gefängniß“, das mit seinen kostbaren Galerien, mit seinen in der Welt einzig dastehenden Museen, mit seinen marmorstrahlenden Palästen, Prachtsälen, Gemächern, Zimmern und Capellen, deren Zahl insgesammt auf etwa elftausend angegeben wird, mit seinen zwanzig geräumigen Höfen, mit seinen ausgedehnten Gärten und Parkanlagen eine ganze Stadt für sich bildet, immerhin anständig und erträglich gefunden haben.

Die Carricatur, von der ich eben gesprochen habe, hat viel Beifall gefunden und wurde in wenigen Tagen verkauft, wie der Römer und der Italiener überhaupt auch sonst viel Sinn und Geschmack für Carricaturen und Witzblätter hat. Nicht allein die römischen, sondern auch die aus Turin, aus Bologna und anderen italienischen Städten werden in Rom schwunghaft vertrieben und lassen kein bedeutendes Ereigniß des Tages vorübergehen, ohne es in den Bereich ihrer schonungslosen Satire zu ziehen. Die Richtung dieser Blätter ist eine durchaus liberale und das Herz des Deutschen mag namentlich darin ein besonderes Vergnügen finden, zu sehen, mit welcher bewundernden Aufmerksamkeit der Kampf des deutschen Reiches gegen das Papstthum verfolgt und in seiner Weise hier illustrirt wird. Bismarck spielt natürlich dabei die Hauptrolle, und es ist eine wahre Freude zu sehen, wie er in fast jeder Nummer eines jeden Blattes gefeiert und verherrlicht wird. „Il grande Bismarck“, „der große Bismarck“, kann man in Rom hundertfach lesen, und wie er dann einmal als Gefängnißwärter der Bischöfe mit Peitsche und Schlüsselbund, das andere Mal als Figaro, der die Bischöfe und Erzbischöfe über den Löffel barbirt, dann wieder als Dirigent des europäischen Völkerconcerts etc. dargestellt und [352] dem italienischen Publicum vorgeführt wird, ist äußerst ergötzlich anzusehen. Das Neueste in dieser Art hat der „Papagallo von Bologna geliefert, der Bismarck in Kolossalfigur bringt, über zwei Seiten reichend, die fast so groß sind, wie die der Leipziger „Illustrirten Zeitung“, und überdies in ganz vorzüglichem Farbendrucke ausgeführt. Bismarck ist darauf gar martialisch in voller Kürassieruniform dargestellt. als „il gran velocimano“, der große Tausendkünstler“. Nach Art der Taschenspieler, die in immer rascherer Bewegung vier, fünf, sechs Bälle zu gleicher Zeit aus einer Hand in die andere zu werfen und immer gleich geschickt wieder aufzufangen verstehen, spielt Bismarck hier mit Cardinälen und Bischöfen. Zwei fliegen eben angstschreiend durch die Luft, zwei andere zappeln ihm furchterfüllt auf den Händen, bereit, mit dem nächsten Augenblicke den gefürchteten Stoß zu empfangen und gleichfalls in die Luft zu gehen.

Ein anderes, ernsthafteres, aber vorzüglich gezeichnetes Bild in der neuesten Nummer des Turiner „Pasquino“ illustrirt die deutschen Kaiser, wie sie ehemals über die Alpen stiegen, „einen Fuß zu küssen, die Sclavin Italia hinter sich“, während sie jetzt kommen, „eine Hand zu drücken und um die Freundschaft Italiens zu werben“. Die Illustration ist, wie gesagt, so trefflich gedacht, wie ausgeführt; ihr Autor ist Teja selbst, der bekannte hochbegabte Director des „Pasquino“.

Daß bei den Carricaturen Roms neben dem König Victor Emanuel, dessen ganze Erscheinung für ein Witzblatt geradezu erfunden scheint, auch Garibaldi nicht zu kurz kommt, versteht sich von selbst. Am meisten Anklang und Verbreitung fand das Bild, welches der „Don Pirloncino“ an dem denkwürdigen Tage verkaufte, da Garibaldi seinen berühmten Einzug in Rom hielt. Es zeigt mit der Ueberschrift: „Rom 24. Januar 1875“ auf gleichfalls großem Format den König, den Papst und Garibaldi einträchtig vereint, Arm in Arm, Victor Emanuel in der Mitte und die beiden Andern, auf ihre Krückenstöcke gestützt, zu seiner Rechten und Linken. Im Hintergrund liegt Rom. Vom Capitol weht die italienische Fahne. Unter dem Bilde stehen die Worte: „Omne trinum est perfectum“ und in der That lag in diesem Zusammensein der drei Personen, welche bis dahin – ein Jeder für sich – als die hervorragenden Repräsentanten einer besonderen sich gegenseitig bitter befehdenden Richtung angesehen wurden, Etwas, was die Satire leicht genug herausforderte. Pius der Neunte, Victor Emanuel und Garibaldi!

War doch selbst noch am Tage des Einzugs die Regierung ihrer Sache oder vielmehr Garibaldis so wenig sicher, daß sie insgeheim die umfassendsten Vorsichtsmaßregeln traf, die Garnison vermehrte und über den Tag und die Stunde der Ankunft Garibaldi’s von Caprera das Volk im Ungewissen zu halten suchte.

Um so feuriger und enthusiastischer war denn der Empfang, den die Römer ihrem ehemaligen Dictator, der an diesem Tage die Tiberstadt seit dem verhängnisvollen Jahre 1849 zum ersten Male wieder betrat, bereitete. Halb Rom war ihm entgegengeströmt, und vom wolkenlosen, blauen Himmel lachte die Sonne freundlich nieder auf das schöne Schauspiel. Die Pferde hatte man unter wahnsinnigem Beifallstosen ausgespannt und die nächststehenden vier-, fünfhundert Menschen schienen mit leidenschaftlich erhitzten Gesichtern einen Kampf beginnen zu wollen um die Ehre, an dem Wagen, der den General vom Bahnhof in die Stadt bringen sollte, mitzuziehen. Garibaldi saß ganz allein im Fond des Wagens, vorn standen sein Schwiegersohn Bedeschini und sein Sohn Menotti, um mit erhobener Hand die wie Sturmwogen andrängende und vom Taumel der Begeisterung hingerissene Menge zu beruhigen und vom Wagen fern zu halten. Vieltausendfältiges „Evviva!“ und unerhörtes Händeklatschen umhallte den greisen Helden, und von den Fenstern und Dächern wehten die weißen Tücher der Frauen.

Freilich wie ganz anders hatte ich mir den Löwen von Caprera gedacht! Aufrecht, aber ruhig und wie wenn ihn der ganze aufregende Vorgang Nichts angehe, saß Garibaldi in seiner bekannten rothen Blouse und im weißen Mantel im Wagen; fast theilnahmlos glitt sein müder Blick über die wild tobende, leidenschaftliche tausendköpfige Menge hin; sein bleiches, vom weißen Vollbart umrahmtes Gesicht verrieth nicht die leiseste Erregung; nach keiner Seite hin rührte er die Hand zum Danke, und so hatte diese Bewegungslosigkeit des Gefeierten mitten in der zügellosen Begeisterung, die seine Erscheinung hervorrief, fast etwas Unheimliches.

Garibaldi war leidend; seine Verehrer hatten beabsichtigt, die flatternden Fahnen und die blasenden Musikbanden voraus, ihn in solchem festlichen Zuge durch die Stadt zu führen. Aber am Hôtel Constanzi, das noch ziemlich nahe am Bahnhof liegt, angekommen, bestand Garibaldi darauf, den Wagen verlassen zu dürfen; die Erschöpfung der Reise, die Aufregung des tumultuösen Empfanges hatten ihn überwältigt. Seine Freunde trugen ihn in den Gasthof, von dessen Fenstern aus er dann die Menge noch aufforderte, auseinanderzugehen und vor Allem Ordnung und Ruhe zu halten.

Abends – die Dunkelheit war schon eingebrochen – begegnete ich zufällig noch einmal in der Nähe des Corso dem Wagen, in dem Garibaldi nun von dem Hôtel in die Wohnung seines Sohnes oder Schwiegersohnes gebracht werden sollte. Abermals waren die Pferde ausgespannt. Jungen mit leuchtenden Fackeln liefen brüllend und tobend neben dem rollenden Wagen her, auf dem Bock aber saß ein Mann, der eine große Fahne mit den italienischen Farben trug und sie unter dem grüßenden Beifallsruf der Begegnenden beständig nach allen Seiten hin flatternd schwenkte.

Garibaldi ist durch sein rheumatisches Leiden vor der Zeit alt geworden – körperlich; denn wie sehr er sich die geistige Frische zu bewahren wußte, beweist die Energie, mit welcher er sein Project der Tiberregulirung rastlos verfolgt. Dasselbe geht bekanntlich dahin, den Tiber oberhalb der Aniomündung abzuleiten und ihn, den Mons Sacer zur Linken lassend, in einem neuen Bett durch die Thäler des Anio, der Maranella und des Almone zu führen. Das neue Bett des Tiber würde das gegenwärtige ein wenig oberhalb von St. Paul schneiden und von da aus in geradem Canal nach Fiumicino führen, wo ein großer Seehafen angelegt werden soll, mit welchem Rom auf diese Weise direct verbunden wäre. Indem die neue Tiberleitung an der Ostseite der Stadt vorbei geführt wird, soll zugleich eine Berieselung und Bewässerung der römischen Campagna herbeigeführt werden, von welcher man sich für die rationelle Ausbeutung des ohnehin schon trefflichen Bodens das Beste verspricht. Das Project, dessen Ausführung etwa 80 Millionen Franken verlangen würde, hat so viele enthusiastische Freunde, als skeptische Anzweifler gefunden. Garibaldi, um die letzteren unbekümmert, arbeitet rüstig und voll muthigen Vertrauens weiter; die Pläne, die Risse, die Zeichnungen, die jetzt seinen Tisch bedecken, dienen nicht mehr den Schrecken des Krieges, sondern dem edleren Zwecke der Humanität, und so ist denn nur zu wünschen, daß es dem Helden von Caprera, dessen Name in der Befreiungs- und Einheitsgeschichte Italiens stets mit leuchtendem Ruhme fortleben wird, vergönnt sein möge, dieses segensreiche Werk des Friedens auch wirklich zu erfolgreichem Ende zu führen. Ob die radicale Partei, die doch eigentlich allein Garibaldi in das italienische Parlament brachte, von diesem nicht eine Thätigkeit ganz anderer Art erwartete, habe ich hier nicht zu erörtern. Thatsache ist, daß der General, indem er unter einem unerhörten Beifallsjubel der Kammer den Eid auf die Verfassung ablegte, seinen Frieden mit dem König machte und daß er gerade wegen dieses Actes, der eine hohe politische Einsicht in sich schloß, von allen Besonnenen und wahren Freunden des jungen Königreichs gepriesen und beglückwünscht wurde.

Den König habe ich wiederholt gesehen, wenn er von seiner Villa vor der Porta Pia nach dem Quirinal fuhr. Würde man ihn nicht aus den vielen Bildern kennen, die beim besten Willen keine Verwechselung zulassen, so würde gewiß Niemand auf den Gedanken kommen, daß es der König von Italien sei, der eben vorüberfahre – so einfach und schlicht bürgerlich ist das Auftreten Victor Emanuel’s. Dasselbe gilt vom Kronprinzen Humbert, dem man oft genug auf dem Monte Pincio begegnen kann und der von seinem Vater zwar nicht die gedrungene, kräftige Figur, wohl aber den ungeheueren Schnurrbart geerbt hat, hinter welchem fast sein ganzes kleines Gesicht verschwindet. Nur die Kronprinzessin Marghuerite erlaubt sich den Luxus zweier in brennendes Roth gekleideter Bedienten, die hinten auf dem Wagen sitzen und denselben schon von Weitem kenntlich machen.

An sich ist dieses bescheidene, bürgerliche Auftreten der [353] königlichen Familie gewiß nur lobenswerth. Es fragt sich aber doch, ob es gerade den Römern gegenüber gut angewandt ist, die selbst für ihre eigene Person den Prunk so sehr lieben und auch die Prachtentfaltung Anderer so gern bewundern. Durch Nichts leichter als durch Luxus vermag man dem stark auf das Sinnliche gerichteten Römer zu imponiren, und so wäre es vielleicht nur eine Sache der Klugheit, wenn die königliche Familie der besonderen Neigung und den besonderen Liebhabereien ihrer ohnedies noch nicht ganz gewonnenen und immer noch mehr oder minder mit demokratischen oder gar päpstlichen Elementen versetzten Unterthanen etwas mehr entgegen kommen und dem Papste zugleich zeigen würde, daß er auch hierin zu ersetzen sei.

[414]
II.
Uebergangsstadien. – Der römische Adel. – Der Fürst Borghese und Beatrice Cenci. – Die Fleischtöpfe der päpstlichen Regierung. – Die Bettelei. – Die Wohnungsnoth. – Religiöser Trieb. – Die Bauernflora der römischen Campagna. – Die Bretter von der Jesuskrippe. – Reliquien um Reliquien. – Moderner Götzendienst. – Der Römer als Bummler. – Das Wesen des Römers. – Classische Reminiscenzen. – Die Lebensbehaglichkeit in Rom.

Daß Victor Emanuel in Rom noch gar manche Schwierigkeiten zu überwinden hat, vermag man leicht zu erkennen, und wenn auch die vielen und umfassenden Neubauten auf dem Terrain des Quirinals den höchst erfreulichen Beweis davon ablegen, wie der König von hier aus seine Wohnung gewiß nicht mehr zu verlassen gedenke, sondern sich vielmehr in derselben so häuslich wie möglich einzurichten bestrebt sei, so mag er doch auch – wie sein Volk – nicht wenig unter den Bitterkeiten und Verdrießlichkeiten leiden, mit welchen ein Uebergangsstadium noch immer verknüpft gewesen ist.

Der römische Adel, die römischen „Fürsten“ sind zum größten Theile päpstlich gesinnt und halten sich vom königlichen Hofe und seinen Festen mit nur wenigen Ausnahmen fern. Einige haben sich sogar von ihrer Abneigung gegen den neuen Zustand der Dinge so weit hinreißen lassen, daß sie, seit die Buzurri, wie der Römer spottweise die Piemontesen nennt, in Rom sind, ihre Paläste und selbst ihre Gärten geschlossen haben, die sonst dem Fremden wie dem Einheimischen zum Besuche und Genusse gleich bereitwillig geöffnet waren. Eine ergötzliche Geschichte erzählt man sich dabei von dem Fürsten Borghese, der sich seiner Zeit gleichfalls ganz unwiderstehlich von der Lust angewandelt fühlte, eine ähnliche papstfreundliche Demonstration in Scene zu setzen und seine berühmte Galerie, nach dem Vatican die bedeutendste in Rom, sowie die nach ihm benannte Villa vor der Porta del Popolo fortan geschlossen zu halten. Die italienische Regierung aber bekam zur rechten Zeit Wind davon und erinnerte sich auch ebenso rasch daran, auf welche eigenthümliche Weise, wie männiglich bekannt, das Haus Borghese seiner Zeit in den Besitz eben dieser Kostbarkeiten, um die es sich hier handelte und deren Genuß fortan dem Publicum neidvoll entzogen werden sollte, gekommen sei.

Das vor dem Thore del Popolo gelegene, über eine [415] Quadratmeile große Grundstück, dessen Terrain gegenwärtig von den herrlichsten Parkanlagen bedeckt ist, gehörte nämlich früher jener Familie Cenci, die durch den tragischen Tod der von Guido Reni mit vollendeter Meisterschaft gemalten Beatrice eine so traurige Berühmtheit erlangt hat. Clemens der Achte war es gewesen, der die des Vatermordes fälschlich angeklagte Jungfrau zugleich mit ihrer Mutter enthaupten ließ; ihr Bruder ward mit einer Keule erschlagen. Ein Proceß aber, den die überlebenden Glieder der Familie einige Jahre später bei dem Papste Paul dem Fünften anstrengten, um eine nachträgliche Unschuldserklärung zu erlangen, wurde abgewiesen; denn Paul der Fünfte hatte die Besitzungen der Familie Cenci bereits in die Hände seines Nepoten, des Cardinals Scipio Borghese, gegeben und war nicht Willens, dieselben, wie er nach einer nachträglichen Unschuldserklärung der Cenci hätte thun müssen, wieder auszuliefern. Auf diese Weise blieb der Besitz thatsächlich bei den Borghese, wenngleich die Nachkommen der Familie Cenci auch späterhin die Rechtmäßigkeit desselben so wenig anerkennen wollten, daß, wie man erzählt, ein in Paris lebender Marchese Cenci noch bis in die letzten Jahre durch seinen Advocaten an jedem ersten Januar eine feierliche Protesterklärung gegen das Eigenthumsrecht des Fürsten Borghese bei diesem in Rom überreichen ließ.

Wie dem nun sei, die Regierung soll sich dieses Zusammenhanges der Dinge zur rechten Zeit erinnert und dem Fürsten Borghese angedeutet haben, daß sie bei der von ihm angedrohten Schließung der Galerie und der Gärten vielleicht Anlaß haben werde, auf denselben eingehender zurückzukommen. Der Fürst aber soll darauf seine feindliche Absicht sofort aufgegeben haben, wie denn die Thüren seines herrlichen Palastes und die Thore seines großartigen Parkes auch heute noch zum Nutzen und Frommen aller Derer weit offen stehen, denen Kunst und Natur immer neue Quellen höchsten Genusses und reichster Freude sind.

Zeigt der römische Adel sich dem neuen Könige gegenüber zurückhaltend und spröde, so jammert ein großer Theil des Volkes um die Fleischtöpfe der päpstlichen Regierung, die ihm verloren gegangen sind, und klagt über die Steuern, die sich dagegen um das Fünffache gesteigert haben. Zu dem idealen Troste, daß dafür Italia una hergestellt sei, vermag sich der Bettler in Lumpen nur schwer aufzuschwingen, und er denkt voll Sehnsucht an die vielen Klöster zurück, deren Thore sich um die Mittagszeit einst gastlich öffneten, ihn mit hundert Anderen für den Tag reichlich zu speisen und zu sättigen, und die nun geschlossen sind für immer. Wozu brauchte er damals zu arbeiten? Niemand verlangte das von ihm. Am Tage leuchtete ihm die Sonne, in der er sich so faul wie behaglich auf den Steinen der nächsten Treppe ausstreckte; für die Stillung des Hungers sorgten die freundlichen guten Mönche, für den Durst die paar Soldi, die er sich von den Vorübergehenden gelegentlich in seinen alten Hut hatte werfen lassen; ein Nachtquartier bot das Portal der benachbarten Kirche, und wenn er ja den unglücklichen Einfall gehabt haben sollte, sich in einer leichtsinnigen Stunde Familie anzuschaffen, so lag es noch immer im Bereiche der Möglichkeit, den einen oder den andern der überflüssigen, umherlungernden Rangen in eben demselben Kloster unterzubringen, das schon so oft in der Noth geholfen hatte und das demselben als Bruder oder gar als wirklichem Priester ein behagliches Dasein verhieß. Körperlich oder gar geistig brauchte er sich weder für den einen, noch für den andern Fall anzustrengen – o, die schönen, guten alten Zeiten!

Die Bettelei, schon von jeher für den Reisenden eine der größten Plagen in Italien, hat in den letzten Jahren bedeutend zugenommen: Männer, Frauen, Kinder, in einer Weise zerlumpt und zerfetzt, die man in Deutschland kaum für möglich hält, wenden sich unausgesetzt mit klagender Stimme und mit erhobenen Händen an die Mildthätigkeit der Vorübergehenden, und dabei deuten die elenden, erbärmlichen, ausgehungerten Gesichter auf einen wirklichen Nothstand hin. Man wird leicht beobachten können, daß der Fremde viel weniger giebt und viel schwieriger in die Tasche langt, als der Einheimische. Er freilich, in welchem der Bedürftige immer einen reichen Engländer vermuthet, ist der Zudringlichkeit des Bettelnden vor Allen ausgesetzt, und daß schon die kleinste Kupfermünze genüge, der lästigen, jammernden widrigen Begleitung sofort loszuwerden und dabei noch in der Regel ein sehr freundliches mille grazie zu erhalten, daran denkt er nicht. Am ersten denkt er noch an seinen Bädecker oder Murray, die ihn bereits eindringlich vor der Unverschämtheit der römischen Bettler gewarnt haben, oder er eilt, überhaupt aus der Nähe solcher Menschen zu kommen, deren Anblick lebhafter und schneller noch den Ekel erregt, als das Mitleid, und Einem in der That leicht genug die Laune oder doch den Appetit für den ganzen Tag verderben kann. Der Römer selbst giebt um so rascher, und diese Thatsache fällt darum schwer in’s Gewicht, weil doch gerade er am besten wissen muß, ob der Bettelnde der Gabe wirklich bedürftig ist oder nicht.

Die Quästur Roms erkennt, daß die Bettlerfrage für sie eine brennende geworden ist, und kündigt die strengsten Maßregeln mit der Bemerkung an, sie beabsichtige die nicht römischen Bettler in ihre Heimath zu schicken; von den einheimischen solle eine Liste angefertigt und ihre Unterbringung in die Hospizien veranlaßt werden. Die Zeitungen antworten achselzuckend mit der Frage: in welche Hospizien?

Auch die Wohnungsfrage giebt dem Municipium der Stadt ein Räthsel um das andere auf. Obwohl sich die Stadt in den letzten Jahren gewaltig gereckt und gestreckt hat, namentlich in der Richtung nach dem Macao, nach dem alten Prätorianerlager hin, wo ganze Quartiere, freilich vom langweiligsten Aussehen, neu entstanden sind, scheint man doch nicht genug auf einen so bedeutenden Zuwachs der Bevölkerung gefaßt gewesen zu sein, wie er in Wirklichkeit eingetreten ist. Dazu kommt, daß der geborene Römer an den geschaffenen neuen Quartieren kein Gefallen findet; er selbst verläßt nur ungern oder gar nicht die finstern Häuser und engen, krummen Straßen, in denen er geboren ist und die den Kern der Stadt bilden, und überläßt es den Buzurri, die neuen Häuser auf dem Viminal trocken zu wohnen.

Kurzum, die Bevölkerung hat sich vermehrt, die Abgaben haben sich vermehrt, nicht aber die Hülfsquellen und die Hülfsmittel. Es ist eben eine alte Wahrheit, daß Rom viel verzehrt, aber nichts producirt. Dieses System war erträglich, so lange die geistlichen Sporteln, die Annaten, die Dispens- und Palliengelder, die Almosen der gesammten Welt nach Rom flossen und der gesammten Bevölkerung ohne Weiteres zu Gute kamen. Jetzt, da sie sich allein und nur in den unersättlichen Cassen des Vaticans und des Papstes concentriren, tritt der wirkliche Nothstand immer leibhaftiger zu Tage und wird sich, bis wirkliche und energische Abhülfe geboten werden kann, beständig vermehren. Ja, die schönen, guten alten Zeiten!

Es braucht nicht weiter hervorgehoben zu werden, wie materiell die Gründe sind, aus denen der Römer sich von dem neuen Stand der Dinge abwendet und nach dem Regimente des päpstlichen Krummstabes bis Dato sich noch zurücksehnt. Das ist nicht Anhänglichkeit an Pio den Neunten oder gar religiöser Trieb, was ihn das neue Regiment mit scheelen Augen betrachten läßt, sondern das ist einfach das Gefallen am behaglichen Wohlleben, das man ihm vergällt hat und dessen freundliche Erinnerung ihn noch fortwährend begleitet. Der religiöse Trieb spielt so gut wie gar keine Rolle dabei. Ich selbst habe bis jetzt wenigstens noch in keiner katholischen Stadt die Feier der Charwoche und das Fest der Ostern von Seiten der Bevölkerung mit solcher Theilnahmlosigkeit begangen gesehen, wie gerade in Rom. Was sich in den Kirchen umherdrängte, waren fast ausschließlich Fremde, die um jeden Preis etwas Neues sehen oder hören wollten, und allein bei den Predigten in der früheren Jesuitenkirche del Gesù habe ich wirkliche Massen römischen Volkes versammelt gesehen.

Ich war, um aus Vielem nur Eines hervorzuheben, während der Charwoche auch in San Maria Maggiore, bekanntlich eine der ersten und prächtigsten Kirchen Roms. Ich fand dieselbe fast ganz leer; nur vor der Seitencapelle dicht neben dem imposanten Marmorbau mit Sixtus des Fünften Grabmal, in welcher die Bretter der Jesuskrippe aufbewahrt sind, die an diesem Tage zur öffentlichen Verehrung ausgestellt sein sollten, knieete eine Schaar frommer Beter, merkwürdiger Weise lauter Männer. Als ich näher kam, fand ich, daß in diesem Häuflein Gläubiger offenbar die Bauernflora der römischen Campagna vertreten und dargestellt sei – Kerle, wie die Banditen, schwarzbärtig, wettergebräunt, zerlumpt, schmutzig, mit trotzigen Blicken und nur

[416] in die Stadt gekommen, um hier, umwirbelt vom Weihrauchqualm, den Krippenbretter ihre Hochachtung zu bezeigen.

Ich weiß nicht, auf welches Zeugniß und Beweismittel sich die hochwürdigen Herren von San Maria Maggiore stützen, wenn sie behaupten, daß dies die echten und wahrhaftigen Bretter der Jesuskrippe seien. Wenn sie es aber sind und wenn der Tisch echt ist, der im Lateran gezeigt wird und an welchem Jesus mit seinen Jüngern das Abendmahl genommen haben soll, und wenn alle die anderen heiligen Dinge echt sind, welche in diesen Tagen der Charwoche in all den verschiedenen Kirchen Roms, deren jede sich ihres besonderen Schatzes rühmt, zum Heranlocken der Gläubigen ausgestellt werden: müßte das Volk dann nicht zu vielen Tausenden herbeieilen, müßte es dann an dem Tage, da der Stifter der christlichen Religion, da der leibhaftige Sohn Gottes zum Heile der in Sünde untergegangenen Menschheit den furchtbaren Tod des Kreuzes auf sich nahm, müßte das Volk dann nicht an diesem Tage zu Tausenden wehklagend und mit zerrissenen Kleidern zu den heiligen Stätten eilen? müßte es nicht, ganz von Zerknirschung erfüllt, Trank und Speise vergessend, jede Minute in der Nähe dieser kostbaren, seltenen, einzigen Gegenstände zuzubringen suchen, so lange sie von den Priestern dem verlangenden Blicke der Menge dargeboten sind? Müßte es nicht –? Aber freilich, es ist ein altes Wort: Je näher an Rom, desto schlechtere Christen, und da kann denn beispielsweise selbst der beharrliche Götzendienst, mit welchem Andere bemüht sind, den schon längst platt geküßten Fuß der Erzstatue Petri in Sanct Peter durch ihre eigenen Küsse noch unförmlicher zu machen, kaum in’s Gegengewicht fallen. Man weiß nicht, ob dieses wahnwitzige Gebahren mehr Abscheu oder mehr Mitleid erregt; ein bischen Komik war aber für mich auch immer dabei, wenn ich sah, wie jeder Herantretende vor Allem aus seinem Sacke wohlbedacht ein äußerst schmutziges Taschentuch zog, mit demselben erst den Kuß seines Vorgängers von Sanct Petri Fuß fein säuberlich abputzte und dann seinen eigenen feierlichst darauf drückte. In demselben Augenblick hatte aber auch der nach ihm Kommende seinerseits schon wieder sein schmutziges Taschentuch in der Hand und so nahm das Putzen und Küssen, Küssen und Putzen immer in ungestörter Reihe seinen schönen Fortgang.

Ob der Römer durch die Noth der Zeit lernen wird, zu arbeiten? Ein gutes Beispiel würde er jetzt an den Piemontesen, überhaupt an den Oberitalienern haben, die ein thätiges, arbeitsames Volk sind und deren Frauen selbst in Rom gern gepriesen werden, ob des tüchtigen Wesens, mit welchem sie in ihrem Hause schalten und walten. Aber vor Allem: der Römer mußte zuerst einsehen lernen, daß die Arbeit Ehre giebt. Statt dessen besitzt er eine unendliche Verachtung der Arbeit, sieht, wenn auch in Lumpen gehüllt, auf diese vornehm herab und fühlt sich, auf den Straßen und Plätzen umherlungernd und seine so sehr geringen Bedürfnisse mit Wenigem befriedigend, ein freier Mann. Aber auch sonst besitzt der Römer – von dem Neapolitaner, der ihn hierin womöglich noch übertrifft, will ich gar nicht reden – einen ausgeprägten Hang zu dem, was man in Deutschland „Bummeln“ nennt. Es ist ganz unglaublich, was die Bevölkerung Roms hierin leistet und wie unermüdlich sie darin ist, den ganzen Tag unthätig durch die Straßen zu flaniren oder sich in süßem Nichtsthun in holdem Sonnenscheine stundenlang an die nächste Straßenecke, an den ersten besten Thürpfosten zu lehnen oder wenigstens zum Fenster hinauszuschauen.

Die Piazza della Colonna ist der Mittelpunkt dieses müßigen Treibens. Dort stehen die Römer von früh bis zum späten Abend in hellen Haufen umher, schwatzend, lachend, schreiend, rauchend, Zeitungen lesend und alles Vorüberkommende mit dem größten Interesse musternd. Kein Stand, der nicht vertreten wäre, vom feinen Elegant bis zum schmutzigen Campagnolen, friedlich durcheinander gemacht und nur von dem einen gemeinsamen Triebe erfüllt, die Zeit möglichst nutzlos todtzuschlagen. Die Officiere müssen hier als Feldherren geboren sein. Denn wenn sie es nicht wären, müßten sie doch etwas zu lernen suchen, um es zu werden. Auf der Piazza della Colonna ist aber wahrhaftig keine Gelegenheit zu strategischem Studien. Dazwischendurch rasseln Equipagen und Droschken, schieben Orangenverkäufer mit lautem Geschrei ihre duftende Frucht auf langen Karren, schleppen kreischende Fischweiber und Austernhändler in schmalen Körben ihre Waare, rennen mit gellendem Rufe die Zeitungsverkäufer, drängen sich mit ihren Brettern die unvermeidlichen Ceriniverkäufer, die Händler mit Antiquitäten, mit Büffelhörnern mit Photographien, mit Regenschirmen, mit Blumensträußen u. s. w. Leicht genug wird man sich freilich bei all diesem bunten Spectakel und bei dem täglichen Anblick so vieler Müßiggänger daran erinnern, daß zurückgezogenes Leben im eigenen Hause oder gar in einem Geschäftslocale schon den alten Römern etwas durchaus Fremdes war. Man lebte schon damals fast so viel, oft noch mehr außer, als in dem Hause. Diese Gewohnheiten sind offenbar heute noch die nämlichen geblieben; nur sind an die Stelle des tempelreichen Forums und der leuchtenden Säulenhallen die schmucklosere Piazza della Colonna oder Piazza Sciarra getreten und die marmorstrahlenden, statuengeschmückten Bäder, in denen sich früher der römische Bürger auf der Jagd nach Neuigkeiten ganze Tage lang müßig umhertrieb, hat das heutige Geschlecht durch kahle Barbierstuben und nicht viel schönere Caféhäuser ersetzt.

Der Römer ist im gewöhnlicher Leben von gefälligem Wesen, freundlichem Sinne, artigen Manieren; seine rasche Auffassungsgabe, sein Verstand sind schon oft gepriesen worden. Aber mit beiden geht es ihm, wie mit seinen Campagnagründen, die öde, brach und nur als Weideland benützt daliegen, während sie bei einigem Fleiße den besten Ackerboden geben würden. Freilich haben auch an diesem letzteren Uebelstande die staatlichen Verhältnisse bisher die meiste Schuld getragen, und eine Veränderung zum Besseren ist unter der neuen Gesetzgebung des Landes auch hier zweifellos zu erwarten. Der Römer ist auch gutmüthig, nur kann er den Spott nicht vertragen der sofort die ganze Heftigkeit des südlichen Temperamentes entfesselt. Die Haltung des Römers, seine Bewegungen sind voll Anstand, und ich habe manchen Strolch bewundert, den ich faul an ein Haus in der Via Sistina oder auf der Piazza Barberini gelehnt fand, den spitzen Hut keck auf dem kraushaarigen Kopfe, den schwarzen Mantel um die Schulter geschlagen, daß das grüne Futter hervorleuchtete, und den rechten Arm gegen die linke Schulter soweit emporgehoben, daß die Hand offen auf dem Saume des Mantels ruhte. In dieser Haltung, ja schon im bloßen Faltenwurfe des Mantels lag oft gar viel Vornehmes und Selbstbewußtes und es war nicht schwer, selbst in solch’ einem nichtsnutzigen Tagedieb aus der Hefe des Volkes noch eine echt classische Reminiscenz zu finden.

Und da mag es denn gleich hier bemerkt sein, daß gerade dieser eminente Hang zum Schlendern und Nichtsthun, der im römischen Volke steckt, daß gerade er dem öffentlichen Leben jene Behaglichkeit und Sorglosigkeit giebt, die auf den Fremden so äußerst wohlthätig wirken. In den anderen Hauptstädten Europas werden die Nerven allein schon durch den Anblick dieses ewigen, ruhelosen, rastlosen Hetzens, Jagens und Rennens nach Geld und Gewinn aufgerieben; in Rom rollt das Leben in schönem Gleichmaße hin, farbenreich, bilderreich, aber voll Ruhe und voll glücklichen Behagens. Nichts erinnert hier an die moderne „Jagd nach dem Glücke“, und wenn nur des Himmels wunderbares Blau freundlich niederstrahlt auf die Paläste und Kuppeln der ewigen Stadt, wenn nur die goldene Sonne verklärend auf den gigantischen Trümmerresten des alten Rom liegt und auf den immergrünen Gärten mit ihren Palmen, mit ihren Lorbeerwäldern und Orangenhainen – dann sind für den Römer und für den Fremden die besten und vornehmsten Wünsche schon erfüllt.



[479]
III.
Der Flaneur. – Die Putzliebe der römischen Frauen. – Die römische „Hausehre“. – Am Fenster. – Die Römerin als „Padrona“. – Der Wasserreichthum Roms. – Eine Geschichte aus dem Albanergebirge. – Die Römerin in ihrer Leidenschaft für Wagen und Pferd. – Die Metropole der Schönheit. – Südlicher Himmel und südliche Sonne. – In den Osterien. – Die Lebenslieblichkeit in Rom. – Der Anstand der Frauen. – Ein Ball im Boliteama.

Der Römer der bessere Classe, der den Tag über auf dem schmalen Trottoir des Corso flanirt, dort das Gedränge in der unnützesten Weise vermehrt, nur dann ausweicht, wenn man ihm ebenso rücksichtslos auf den Leib rückt, und die ihm begegnenden Frauen mit anmaßendem und herausforderndem Blicke mustert, ist gefallsüchtig und bis zum Uebermaße eitel; geschniegelt vom Kopfe bis zur Zehe, gleicht er einem Gecken auf’s Haar, und die Fragen der Toilette, die Sorgen um den neuesten Kleiderschnitt, um das wohlriechendste Haaröl, um den elegantesten Stiefel nehmen offenbar den größten Theil seiner ohnehin nicht kostbaren Zeit in Anspruch. Er ist, um es kurz zu sagen, noch immer das, was schon die Alten mit dem verächtlicheb Namen eines bellus homo, eines stutzerhaften Menschen bezeichneten und wovon schon der geistvolle Spötter Martial wiederholt eine so treffliche Schilderung gegeben hat. „Ein Stutzer willst Du sein,“ ruft er einmal einem Freunde zu, „und zugleich ein großer Mann scheinen? Aber wer ein Stutzer ist, ist immer klein.“ Und gerade auf dem Corso, gerade auf dem Monte Pincio empfiehlt es sich heute noch dringend, jener Schilderung eingedenk zu sein, die der römische Dichter vor nun bald zweitausend Jahren von seinen Zeitgenossen gegeben hat, um dann im Hinblick auf die Gecken des heutigen Rom resignirt mit Seume zu sagen: „Die Menschen sind, was Menschen immer waren.“

Uebertroffen wird der Römer in seiner kleinlichen, peinlichen Sorge für Mode und Modethorheit nur von den Frauen des eigenen Landes, die auf der Straße gleichfalls eine Putzliebe zeigen, die, obwohl sie den Töchtern Eva’s aller Länder eigen sein soll, hier doch sofort und besonders auffallend und gepflegt in die Augen springt. Eine römische Frau mit ihren Ansprüchen an prunkvolle Straßentoilette mag ihrem Manne manche schwere Stunde bereiten, und dabei thut der sparsameren deutschen Frau das Herz bis in’s Innerste weh, wenn sie sieht, wie hier die kostbarsten Stoffe, der schwerste Sammt, die schwerste Seide in endlos langer Schleppe schonungslos durch den Schmutz und den Staub der Straße geschleift werden. Dafür freilich pflegt sich die Römerin der Mittelclasse zu Hause in einem Aufzuge zu zeigen, den eine deutsche Frau, selbst aus dem Arbeiterstande, nimmermehr für präsentabel würde gelten lassen. Ist schon die Wohnung mit ihrer ganzen Einrichtung, mit ihren klaffenden Thüren, mit ihren vor Schmutz blinden Fenstern, mit ihren alten, abgenutzten Möbeln, mit ihren staubigen Teppichen, mit ihren grauen Gardinen überaus kahl, öde und dunkel, so sind die Kleider, in welchen die Frauen und Mädchen hier am Hausaltare ihres priesterlichen Amtes zu walten pflegen, noch um so älter, um so zerrissener, um so schmutziger. Ein deutsches Auge muß sich erst daran gewöhnen, über solche Mängel, denen eine Römerin beim besten Willen keine Bedeutung zuzuerkennen vermag, zuletzt gleichfalls lächelnd hinwegzusehen, und ein Mann, der etwa Anlagen hätte, nervös zu werden, wenn er das Hauskleid einer Frau alle Tage mit denselben Löchern und denselben Flecken müßte erscheinen sehen, der wäre hier übel genug berathen. Auch denken wohl die meisten Römerinnen, wie meine Padrona: „Gold deckt die Schande zu,“ und hängen über den zerrissenen Fetzen, mit welchem sie ihre Blöße verhüllen, eine schwere goldene Kette, die denn in ihren Augen alles Andere wieder ausgleicht und gut macht.

Wie sollte aber auch eine römische Frau, ein römisches Mädchen dazu kommen, ihre Kleider zu flicken, die Gardinen zu waschen, die Teppiche zu reinigen und die Fenster zu putzen? Der große Geschichtschreiber Niebuhr, der, wenn es ihm vergönnt gewesen wäre, den staatlichen Umschwung und die politische Erhebung der letzten Jahre zu erleben, vielleicht ein weniger unbarmherziges und weniger vernichtendes Urtheil über die Italiener und namentlich über die Römer der Gegenwart ausgesprochen hätte, erzählt in einem seiner Briefe aus Rom allen Ernstes davon wie „ganze Familien – nicht von den Domestiken zu reden – im Winter um die Kohlenbecken schlafen und manchmal ersticken, aus bloßer Langeweile.“ Hier scheint freilich einige Uebertreibung mit unterzulaufen und als wahr bleibt nur das Andere zurück, was Niebuhr sonst noch über die ihn arg empörende „Faulheit“ des römischen Volkes sagt, so grob es auch klingen mag. Thatsache indessen ist, daß die Römerin zu Hause wenig oder gar nichts arbeitet; vom wohlthätigen Einflusse der frischen Luft auf ihre Gesundheit fest überzeugt, bringt sie vielmehr die größte Zeit im unbeschränkten Genusse derselben am Fenster zu, und ist von den kleinen Begebenheiten des Tages, die zu ihrem Schauplatze die öffentliche Straße zu haben pflegen, so ernsthaft in Anspruch genommen, daß bald alles Dasjenige, was die beschränkte deutsche Frau ängstlich als ihren Pflichtkreis anzusehen liebt, weit hinter ihr liegt in wesenlosem Scheine.

Wozu auch die Fenster putzen, wenn man am Ende nur Schaden davon hat? Eine deutsche Familie bezog eine im Erdgeschoß gelegene Wohnung, deren Fenster auf einen Garten gingen. Die Katze des Hauses hatte sich bald mit den Forestieri befreundet und gewöhnte sich, ihren Besuch durch die offenstehenden Fenster zu jeder Zeit des Tages abzustatten. Da trat kühleres Regenwetter ein und man sah sich genöthigt, die Fenster zu schließen. Von diesem Augenblicke herrschte im Zimmer ägyptische Finsterniß, denn die Scheiben, wie sich jetzt erst herausstellte, waren von oben bis unten mit einem Schmutze bedeckt, der sich nur im Laufe langer Jahre hier konnte abgelagert haben und der geradezu antik genannt werden durfte. Beschwerden bei der Padrona blieben fruchtlos. Endlich entschloß [480] man sich, mit eigener Hand die Fenster von ihrem Ueberflusse zu befreien. Die Freude der Deutschen, als sie zum ersten Male wieder durch blanke Scheiben sahen, vermag nur derjenige zu begreifen, der selbst Monate lang hinter schmutzigen Fenstern gewohnt hat. Aber dieser Freude war ein jähes Ende beschieden. Denn in demselben Moment schon klirrten die Fenster, die lichten Splitter fielen zu Boden, durch das Loch kam die Katze gesprungen und lief zärtlich miauend und den Schweif hoch gehoben auf die erschrockene Hausfrau, ihre vornehmliche Beschützerin, zu. Die Katze, natürlich eine römische Katze, die bis dahin nur schmutzige Scheiben gekannt, hatte die ersten blanken für Luft gehalten und war durch dieselben in das Zimmer gesprungen. Warum also die Fenster putzen, wenn man am Ende doch nur Schaden davon hat?

Hat man indessen der Padrona gegenüber auf übertriebene Anforderungen hinsichtlich der Reinlichkeit verzichtet, so kann man nirgends in der Welt eine bessere Hauswirthin finden, als die Römerin. Gerade dem Fremden gegenüber ist sie voll unermüdeter Aufmerksamkeit, voll rastloser Fürsorge für seine Wünsche, für sein Wohlbefinden, sein Behagen, und ich habe im ausgebreiteten Kreise meiner römischen Freunde und Bekannten, die doch alle ihre Erfahrungen für sich zu machen hatten, von der römischen Padrona nie anders als mit dem größten Lobe sprechen hören. Dabei ist die große Höflichkeit, welche die Römerin stets und immer im Verkehre zeigt, nicht etwa eine unbewußte oder zufällige, sondern sie ist im Gegentheil auf ein sehr ausgeprägtes Nationalbewußtsein, auf einen sehr starken nationalen Stolz basirt, der ihr eben die Höflichkeit gegen den Fremden als doppelte Verpflichtung erscheinen läßt.

Sieht oder vielmehr hört es sich schon fast wie eine Ironie an, wenn dem Römer alltäglich durch einen Kanonenschuß von der Engelsburg die Zeit des Mittags angekündigt wird, ihm, dem die Zeit am allerwenigsten einen Schuß Pulver werth zu sein scheint, so ist der Contrast noch auffallender, der in Rom, der wasserreichsten Stadt der Welt, wo in allen Straßen, auf allen Plätzen die klarsten Brunnen tosen und schäumen, die schönsten Fontainen melodisch rauschen, zwischen der dargebotenen Menge des Wassers und dessen Gebrauche besteht. Das niedere Volk benutzt das krystallhelle Wasser am Ende wahrhaftig nur da, wo es dem Deutschen am gründlichsten verhaßt ist, beim Mischen des Weines, geht ihm sonst aber, wie man sich bei jedem Schritte und Tritte, mehr als schön ist, überzeugen kann, mit ausdauernder Scheu und Aengstlichkeit aus dem Wege.

Was vom Städter gilt, gilt natürlich noch mehr vom Landvolke, und ich habe in dieser Beziehung eine hübsche Geschichte gehört. Ich verkehrte in Rom viel mit den beiden Brüdern Karl und Robert Cauer, von denen der Letztere eben eine prächtige, lebensfrisch erfundene Quellnymphe in Marmor ausarbeiten ließ und einen allerliebsten Mignonkopf in Thon modellirte, während Karl Cauer seine „Hexe“ vollendete, ein dämonisch-schönes Weib in Lebensgröße, geistvoll erdacht und mit vollkommener Meisterschaft ausgeführt. Derselbe arbeitete damals auch an einer trefflichen Porträtbüste des gleichfalls in Rom weilenden und auch mir eng befreundeten Levin Schücking; das führte uns denn oft im Atelier zusammen, und bei dieser Gelegenheit gab Cauer einmal folgendes heitere Geschichtchen zum Besten:

Es war im Albanergebirge. Auf steilem Bergstieg kam ihm am frühen Morgen ein bildhübscher Junge entgegen, die schlanke Gestalt in ein braunes verschossenes Wamms und in eine alte blaue Kniehose gehüllt und in den schmutzigen Sandalen elastisch den felsigen Weg herabsteigend. In der Rechten führte er einen langen Stab, auf den er sich manchmal stützte; die schwarzen Locken, die ein frisches, bräunliches, volles Gesicht mit rothen Lippen und hellem, offenem Auge umrahmten, bedeckte nur halb ein alter durchlöcherter Filzhut, um den ein rothes Band gewunden war. Das Hemd stand der Morgenluft weit offen und zeigte eine wohlgebildete Brust und den schönen Ansatz des Halses.

Die jugendlich kräftige Gestalt mußte das Auge des Künstlers entzücken. War aber das Hemd des Jungen schon entschieden von zweifelhafter Farbe, so gewahrte Cauer bald auch an den Händen und an der Brust desselben einen so eigenthümlichen und so pastos aufgetragenen Ton der Farbe, daß er dem Schmutzfinken überrascht auf italienisch zurufen mußte: „Heda, mein Junge, Du hast Dich wohl noch nie gewaschen?“ Der Gefragte zeigte nicht die geringste Verwunderung oder Beschämung. Er sah dem Fremden mit seinen großen Augen voll in’s Gesicht und sagte dann im Vorübergehen, indem er noch mit der Linken wie bekräftigend eine pathetische Bewegung zur Seite machte: „Giammai, Signore, giammai – niemals, mein Herr, niemals …“

Das eigentliche Element der römischen Frau ist die Straße, der Corso; hier zeigt sie sich am liebsten, hier bewundert sie und läßt sich bewundern, ihre reiche Toilette, ihren schweren Goldschmuck, ihre eigene Schönheit. Sie zieht dabei einem ermüdenden Spaziergang unter allen Umständen den bequemeren Wagen vor und begnügt sich, wenn sie keine Carosse oder wenigstens Einspänner zur Verfügung hat, auch mit einer schmutzigen Droschke, in der sie mit dem Aplomb einer Principessa Platz zu nehmen weiß und so stolz gelagert dahin fährt, als hatte sie einen Viererzug vor dem Wagen und mindestens zwei Lakaien hintenauf. Die Leidenschaft der Römerin für das Fahren ist so groß, daß vordem häufig genug in dem Ehecontracte dem künftigen Ehegemahl ausdrücklich die Bedingung auferlegt wurde, seiner Gattin einen Zweispänner oder doch Einspänner zur Verfügung zu stellen. Mochte oder konnte sich der Sposo zu dieser Leistung nicht verstehen, so riß das zarte Band der Neigung oft ebenso schnell, wie es geflochten worden war, und die liebende Jungfrau sah sich anderswo nach Pferd und Wagen um.

Wenn es sich die Römerin indessen ebenso viel Zeit, wie Sorgfalt und Geld kosten läßt, ihren Leib mit den auserlesensten Stoffen und mit den kostbaren Erzeugnissen der hier seit Castellani wahrhaft virtuos betriebenen Goldschmiedekunst zu schmücken, so bin ich am wenigsten geneigt, ihr das Recht dazu zu bestreiten. Denn die Römerin ist schön, und welcher Thor hätte je ein schönes Weib getadelt wegen ihrer Neigung, sich immer neu und immer reicher zu schmücken, wenn sie mit Geschmack zu wählen verstand und er den Schmuck nicht zu bezahlen brauchte?

Man hat Rom die Metropole der Schönheit genannt, und es wird in der That keine Stadt geben, an deren Bevölkerung das holde Geschenk der Schönheit von den Göttern in reicherem Maße vertheilt worden wäre, als an die Männer und Frauen Roms. Um es gleich zu sagen: die Ersteren sind dabei viel schlechter weggekommen, als die Letzteren, und wenn es auch unter den Männern viele wahrhaft schöne Gestalten giebt mit charakteristischen, stolz zurückgeworfenen Köpfen, so ist die Zahl der schönen Frauen, wenigstens so lange die Jugend ihnen leuchtet und sie vor dem leider jede Römerin allzuleicht bedrohenden Verhängniß formloser Ueppigkeit bewahrt, doch bei Weitem in der erfreulichsten Mehrzahl und zwar nicht etwa in einzelnen, bevorzugten Ständen, sondern gerade in Rom nimmt an der Schönheit das ganze Volk Theil und die niedrigste Arbeiterin vermag, wenn ihr die Götter freundlich gewesen sind, lediglich in ihrer Erscheinung, mit der hochgeborensten Principessa um die Palme der Schönheit zu ringen.

Wer sich in den späteren Nachmittagsstunden auf den Terrassen des Monte Pincio umhertreibt oder in einem der Kaffeehäuser am Corso Platz nimmt, vom Fenster aus die endlose Reihe der vorbeidonnernden Wagen und das Gewühl der sich langsam vorbeischiebenden Spaziergänger zu betrachten, erstaunt über die Fülle, die Menge der schönen Frauengestalten, die an ihm vorüberziehen. Namentlich der Kopf zeigt einen durchaus edeln und vornehmen Schnitt in Stirn, Nase, Mund und Kinn, ein reines und strenges Profil, wie wir es schon an den antiken Gemmen kennen; die Büste ist von tadelloser Schönheit und die ganze Haltung ohne Absicht an die Statuen der Antike erinnernd. Der südliche Himmel mit seiner feuchten Wärme und seinem strahlenden Lichte ist es, der die Schönheit der Römerin so zur vollen Blüthe sich entfalten und heranreifen läßt, aber es liegt auch jener große Zug in ihr, den wir an der Geschichte Roms, an seiner Natur, an seiner Kunst rühmen, und er vor Allem drückt ihr den junonischen Stempel des Siegreichen und Imponirenden auf.

Nicht ein- oder zweimal, nein, oft genug begegnete es uns beim Hinschlendern durch die Straßen, daß wir uns plötzlich anstießen mit dem halblauten Zurufe: „Sieh, wie schön!“ Da schritt nur ein Dienstmädchen über die Straße hin, mit dem Kruge oder der strohumflochtenen Flasche in der Hand; aber wie [481] selbstbewußt, wie aufrecht war der Gang! Und wie sicher ruhte auf den schönen Schultern der edle Kopf mit seinen vornehmen Linien, mit den dunkeln, brennenden Augen und dem reichquellenden, gagathschwarzen Haar!

Man lernt sehr rasch insbesondere zwei Arten von weiblicher Schönheit unterscheiden: die volle kraftstrotzende Brünette mit dunklem Teint, der auf den Wangen von einem ganz leichten, rosigen Schimmer durchhaucht ist, das große, kecke braune Auge voll Lebenslust blitzend und die rothen, schwellenden Lippen leicht aufgeworfen – und jene idealen Gestalten mit den feinen, marmorbleichen Gesichtern, die mehr zu schweben als zu wandeln scheinen, die weiße schmale Stirn von den vollen schwarzen Flechten umschattet, das schwarze träumerische Auge immer groß in die Ferne gerichtet, als gehe die ganze Welt umher sie nicht das Mindeste an, ein „Bild holden Sinnes, gleich stillem Glanz des Meeres.“

Wer ein Auge für Menschenschönheit hat und sich an ihr zu freuen versteht, der wird hier des glücklichen Staunens nicht satt, ob er nun im Albanergebirge die Mädchen armverschlungen und singend durch die Gassen ihres Dorfes ziehen sieht, nicht wissend, welche er für die Schönste nehmen soll, oder ob er in einem der Gärten vor den Thoren Roms namentlich an Sonn- und Festtagen in der Osterie Mangani oder Melafumo die Römer und Römerinnen beim vino bianco beachtet. Das ist ein frisches, frohes, lebenslustiges Treiben; ein Wagen um den anderen jagt in den Hof der Osterien; alle Tische, alle Bänke sind von Fröhlichen besetzt – eine Flasche um die andere wird geleert; immer besser mundet der herrliche römische Landwein, der so leicht und lieblich die Kehle herabrinnt. Die Wangen der Frauen erglühen; ihre dunkeln Augen leuchten, und ihre Ohrgehänge und ihre Ketten und Ringe blitzen im Strahle der warmen, funkelnden Sonne. Auch der blaue Himmel ist von ihm märchenhaft schön durchleuchtet; die dunklen Steineichen und ernsten Cypressen stehen im ewigen Grüne; die Pinie wiegt ihr breit gewipfeltes Dach, und da drüben liegt die unendliche schwermuthvolle Campagna, dehnen sich die schönen Linien des blauen, duftumflossenen Sabiner- und Albanergebirges, wo schon Horaz seine schönsten Lieder gedichtet, wo Hadrian seinem vergötterten Lieblinge in den strahlenden Sälen seines Sommerpalastes und in den dunklen Lorbeergängen seiner Gärten leuchtende Marmorbilder errichtete, wohin Cicero sich aus der Sonnengluth der geräuschvollen Weltstadt flüchtete, dort auch schimmert aus dem violetten Duft der Berge Frascati, die freundliche, lichte Villenstadt – wie soll, wie kann man von dieser das ganze Dasein umstrahlenden Schönheit, dieser vollen Poesie des Lebens, die man nirgends wiederfinden wird, scheiden? Ach, wer hätte nöthig, erst aus dem klaren Quell der Fontana Trevi sich jene Sehnsucht nach Rom zu trinken, die nie mehr zu löschen, die unendlich sein soll und mit unsichtbarer, unwiderstehlicher Macht immer wieder zurückzieht nach dem Zauberkreis der alten, herrlichen unvergleichlichen Stadt? –

Was die römischen Frauen und Mädchen außer ihrer Schönheit noch in besonderem Grade auszeichnet, ist der Anstand, den sie auf der Straße zeigen. Wie weit der gerade in Rom allmächtige Zwang der Sitte und des Herkommens dabei betheiligt ist, wage ich hier nicht zu entscheiden. Ebenso wenig, wie weit jene pikanten Geschichtchen begründet sein mögen, welche man sich, während der Ruf der Mädchen durchaus makellos ist, von der Leichtigkeit erzählt, mit welcher eine römische Frau galante Beziehungen zu knüpfen und zu lösen verstehe. Ich für meine Person habe die gute oder schlechte Gewohnheit, von solchen Geschichtchen nicht einmal die gemeinhin übliche Hälfte zu glauben, und speciell die römischen Frauen haben einen guten Beschützer ihres Rufes schon vor langer, langer Zeit an ihrem Landsmanne Properz gefunden, der das bekannte schöne Wort aussprach, die üble Nachrede sei eine Art Buße, welche die Götter über schöne Frauen für ihre Schönheit verhängt haben. Aber wie dem sei, immer legen Frauen und Mädchen in Rom auf der Straße eine gewisse Würde, einen gewissen Ernst an den Tag, und durch leichte Coquetterien Aufmerksamkeit oder gar Gefallen zu erregen, verschmähen sie durchaus.

Wie tief gewurzelt im römischen Volke das Gefühl für Schicklichkeit ist, davon vermag man sich leicht genug beim Carneval zu überzeugen. Wer in Rom die großen Volksbälle in den Theatern oder in den Räumen des Politeama besucht, wird sich sehr enttäuscht finden, wenn er dort vielleicht das südlich leidenschaftliche Temperament in wilder oder orgienhafter Ausgelassenheit beobachten zu können hofft. Die Sitte ist auch hier allmächtig, sie bannt die Leidenschaften nieder, und ich habe nie eine nach Tausenden zählende Masse mitten in der übermüthigsten Lustigkeit mit mehr Anstand und mit mehr Schicklichkeit sich gebahren und bewegen sehen, als im Politeama in Trastevere.

Der ungeheure, taghell erleuchtete Raum vermochte kaum die sich drängende, stoßende, treibende, immer neu zufluthende Menge zu fassen. Die Meisten trugen Masken, Dominos, Alle aber waren vom Taumel des Carnevals ergriffen und erfüllten die heiße, schwüle Luft mit einem Geschrei, Gelächter, Gejauchze, das geradezu betäubend war. Für die Tanzenden war nur schwer Raum zu gewinnen. Um die Lotteriebuden, welche rings an den Wänden des großen Saales angebracht waren, drängten sich spiellustig die erregten Haufen, den glücklichen Gewinner wegen der seltsamen Gabe, die ihm vielleicht zugefallen war, laut belachend und mit Stichelreden durch den ganzen Saal verfolgend; Maskenzüge, mit tollstem Applaus empfangen, vermehrten das Gewoge bis in’s Unendliche; Matrosen lärmten, Hanswurste schrieen; Frauen zeterten; Domino’s lachten – nirgends aber, selbst nicht im Momente der höchsten Ausgelassenheit, sah ich die Schranken der Zucht und der Schicklichkeit auch nur um eine Linie überschritten und das setzt den Fremden in um so größeres Erstaunen, als er doch in Deutschland bei einem ähnlichen Anlaß oft genug ganz andere Dinge mit angesehen und erlebt hat.

Unterstützt wird dieses angeborene Schicklichkeitsgefühl beim Römer allerdings noch durch seine Mäßigkeit im Trinken. Während in Deutschland durch unendliche, die ganze Nacht fortdauernde Libationen von Wein und Bier die Geister erhitzt, die Begierden entfesselt werden, läßt der Italiener auch bei solchen Gelegenheiten nicht von der ihm eigenthümlichen Mäßigkeit – er verschmäht das erhitzende und erregende Getränk fast ganz, ist glücklich, mit Anderen fröhlich zu sein, und gönnt es gern den Fremden, heimatlicher Gewohnheit zu Liebe, Büffet und Keller zu stürmen und beim schweren Römerweine bis zum Morgen um so lieber festzukleben, als ihm, dem echten „Reise-Onkel“, der aus Paris und London, Berlin und Wien von ganz unterhaltenderen Augenweiden zu erzählen weiß, die Costüme und die Leute hier überhaupt viel zu anständig und viel, viel zu langweilig sind.

[556]
IV.
Der römische Carneval. – Goethe als Unheilstifter. – Unvermeidliche Citate. – Römische Masken. – Brutalitäten. – Confettischlachten.

Die Gelegenheit scheint zu verführerisch, um hier nicht ein kurzes Wort über den römischen Carneval einzuwerfen, obgleich er im Augenblicke, da ich diese Zeilen schreibe, schon längst zu den Todten dieses Jahres gehört. Viele, und namentlich viele Fremde – sind der Meinung, daß derselbe überhaupt für immer, für die Ewigkeit zu den Todten zähle, aber ich will das nicht glauben. Das heurige Jahr scheint lediglich als eine „Krisis“ für den römischen Carneval angesehen werden zu dürfen, und nachdem er diese glücklich überstanden hat, wie die zwei letzten Tage seines kurzen Daseins bewiesen, so ist zu hoffen, daß er von Neuem einer frohen Entwickelung und Verjüngung entgegengehe, wenn sich die ehrsamen und würdigen Väter der Stadt seiner auch nur ein wenig annehmen wollen. Und das möchte er denn doch verdienen.

Der Deutsche vor Allem freilich fühlt sich, wenn er den römischen Carneval, den Carneval von heute ansieht, auf’s Bitterste enttäuscht. Ihm vor Allem schwirrt noch die bekannte Goethe’sche Schilderung des römischen Carnevals durch den Kopf, die er schon als Kind gelesen und die ihm schon damals eine unbezwingliche Sehnsucht nach dem schönen Italien, nach dem ewigen Rom eingepflanzt hat, und nun, da er die phantastische Herrlichkeit endlich mit angesehen, da er endlich mit erleben durfte, was zu sehen ja lange das heißeste Ziel seiner Wünsche gewesen war, nun fühlt er sich auf das Empfindlichste getäuscht, und seine Unlust über diese Enttäuschung ist um so größer, macht sich um so lauter, um so unverhohlener Luft, je größer die Erwartungen, je höher gespannt die Ansprüche waren, mit denen er seiner Zeit dem endlichen Beginne des Carnevals entgegengesehen hatte.

Und dabei kommt, wie ich oft erfahren mußte, der arme Goethe noch am allerschlechtesten weg, und am Ende hat er allein das ganze Unglück verschuldet. Denn daß zwar der römische Carneval sich seit Goethe’s Aufenthalt in Rom bedeutend verändert hat, und nicht zum Besseren, das giebt Jedermann gern zu; daß er viel von seinem Reize, seiner Pracht, seiner Eigenthümlichkeit verloren, auch das wird ohne Weiteres eingeräumt – aber, wird dann weiter calculirt, der Grund, die Basis ist doch noch da; die Masken sind noch da; die Confetti (ach, wie hatte man sich in Deutschland gerade auf die Confetti so sehr gefreut!), diese abscheulichen confetti sind noch da; die Blumensträuße sind da; die Wagen sind noch da – wie hat Goethe, gerade Goethe mit seinem vornehmen, aristokratischen Sinne an diesem wilden Treiben so viel Geschmack, so viel Freude, so viel Gefallen finden können! Das ist ja, lautet der regelmäßige Schluß dieser oft gehörten Apostrophe, gar nicht zu begreifen, und da sieht man wieder einmal, wie wenig den Dichtern zu trauen und zu glauben ist, namentlich aber wenn sie aus Italien kommen. Denn überhaupt –

Bei diesem verhängnißvollen „denn überhaupt“, das eine durch Nichts mehr einzudämmende Sturmfluth polemischer Reden verheißt, ist es höchste Zeit, der erregten Apostrophe ein Ende zu machen.

„Meine Gnädige,“ falle ich darum schüchtern ein, „Sie haben gewiß in vielen Dingen Recht, wie immer. Aber diesmal dürften Sie Goethe doch zu streng beurtheilen, und wenn es nicht unartig wäre, möchte ich fast der Meinung sein, daß Sie sein römisches Tagebuch doch nicht genau und aufmerksam genug gelesen haben.“

„Wie können Sie das behaupten, mein Herr? Noch kurz vor dem Carneval habe ich mir bei Spithöver auf der Piazza di Spagna Goethe’s römische Reise gekauft.“

„In schönem römischem Einbande?“

„Gewiß, obwohl ich zu Hause selbstverständlich Goethe’s sämmtliche Werke –“

„Im Schranke stehen habe.“

„Jawohl, und habe noch mit allem Fleiße die Schilderung des Carnevals durchgelesen, um ja Alles zu beachten und mir Nichts entgehen zu lassen.“

„Und Sie wissen trotzdem nicht, daß Goethe eigentlich am römischen Carneval durchaus kein Gefallen fand, daß er von dem ganzen breitspurigen Treiben der Narrheit nichts weniger als angenehm berührt war, daß es seinem fein und vornehm organisirten Sinne durchaus widerstrebte, und daß er die beiden Male, da er Augenzeuge davon war, herzlich froh war, wenn es endlich beschlossen, beendigt war, und daß er förmlich aufathmete, sich nun wieder ganz den Freuden der Kunst, der Natur und seines kleinen, sorgsam ausgewählten Freundeskreises hingeben zu können?“

„Das erste Wort, das ich höre!“

Und so bleibt mir denn nichts übrig, als meine Behauptung, an der im Grunde nichts Anderes überraschend ist, als daß sie überraschend ist, durch die einschlägigen Stellen zu bekräftigen und zu erhärten. Am Aschermittwoch 1787 schreibt Goethe: „Nun ist der Narrheit ein Ende! Die unzähligen Lichter gestern Abend waren noch ein toller Spectakel. Das Carneval in Rom muß man gesehen haben, um den Wunsch völlig loszuwerden, es je wiederzusehen; zu schreiben ist davon gar nichts, bei einer mündlichen Darstellung möchte es allenfalls unterhaltend sein. Was man dabei unangenehm empfindet, ist, daß die innere Fröhlichkeit den Menschen fehlt und es ihnen an Geld mangelt, das Bischen Lust, das sie noch haben mögen, auszulassen. Die Großen sind ökonomisch und halten zurück, der Mittelmann unvermögend, das Volk lahm. An den letzten Tagen war ein unglaublicher Lärm, aber keine Herzensfreude. Der Himmel, so unendlich rein und schön, blickte so edel und unschuldig auf diese Possen.“

Bei seinem zweiten Aufenthalte in Rom aber klagte Goethe in einem vom 1. Februar datirten Briefe: „Wie froh will ich sein, wenn die Narren künftigen Dinstag Abend zur Ruhe gebracht werden! Es ist eine entsetzliche Seccatur, andere toll zu sehen, wenn man nicht selbst angesteckt ist.“ Und am nächstfolgenden Tage schrieb er noch: „Die Narren haben noch Montag und Dinstag was Rechts gelärmt. Besonders Dinstag Abends, wo die Raserei mit den Moccoli in völligem Flor war. Mittwochs dankte man Gott und der Kirche für die Fasten.“

Noch schärfer und bestimmter äußert sich Goethe in der Einleitung zu seiner eigenen Beschreibung, indem er „zugestehen muß, daß das römische Carneval einem fremden Zuschauer, der es zum ersten Male sieht und nur sehen will und kann, weder einen ganzen, noch einen erfreulichen Eindruck gebe, weder das Auge sonderlich ergötze, noch das Gemüth befriedige.“

Davon aber, wie er trotzdem dazu gekommen sei, dem Carneval eine so eingehende, lebhafte und farbenfrische Schilderung zu widmen, giebt er gleichfalls Rechenschaft, indem er auf die bei seinem zweiten Aufenthalte gemachte Beobachtung hinweist, „daß dieses Volksfest, wie ein anderes wiederkehrendes Leben und Weben, seinen entschiedenen Verlauf hatte. Dadurch ward ich nun mit dem Getümmel versöhnt, ich sah es an als ein anderes bedeutendes Naturerzeugniß und Nationalereigniß, ich interessirte mich dafür in diesem Sinne, bemerkte genau den Gang der Thorheiten und wie das alles doch in einer gewissen Form und Schicklichkeit ablief. Hierauf notirte ich mir die einzelnen Vorkommnisse der Reihe nach“ etc.

Von dem Vorwurfe also, daß Goethe eine übertriebene Erwartung vom römischen Carneval in dem deutschen Leser anrege, ist er gewiß freizusprechen; wer sich aber von der genialen Darstellung des Dichters allzu rasch hat begeistern und hinreißen lassen, der mag denn am Ende in Rom wirklich zu bereuen haben, daß er die reichlichen „Wenn“ und „Aber“, mit denen Goethe selbst den Verlauf des Carnevals begleitet, im leichtfertigen Hinlesen unbeachtet gelassen hat.

Nun aber hat überdies, wie schon gesagt, der römische Carneval seit Goethe seine Physiognomie total verändert, und man kann nicht behaupten, daß das Gesicht, das er nun zeigt, gewonnen habe und schöner geworden sei. Die festlichen Aufzüge des Gouverneurs und des Senators, mit denen sonst alljährlich der Carneval eröffnet wurde, sind verschwunden; die vornehme römische Welt in ihrer allgemeinen Unzufriedenheit mit den [557] gegenwärtigen Zuständen hält sich zu Hause und entzieht den vielbewunderten Anblick ihrer prächtig ausgeschmückten Karossen und ihrer luxuriösen Costüme grollend der Menge; die Stühle auf den Trottoirs und auf den Plätzen, von wo aus früher die schönen römischen Frauen, gleichfalls in Masken oder doch festlich geschmückt, dem närrischen Treiben zusahen, sind bis auf spärliche Ausnahmen gleichfalls unsichtbar geworden; die berühmten Pferderennen, die einst jeden Tag des Carnevals beschlossen, sind verboten, und so groß und ungewohnt auch für einen Fremden die Zahl der Masken ist, die sich auf dem Corso und den benachbarten Plätzen umhertreiben, so ist doch das charakteristische Element aus ihnen fast vollständig verschwunden und der leicht zu beschaffende Matrosenanzug, wie der Domino in allen Farben, behaupten das Feld. Neben ihnen sind vielleicht noch am häufigsten die malerischen römischen Landestrachten vertreten.

Viele Mädchen beschränken sich sogar darauf, nur im einfachen schwarzen Hauskleide mit weißer Schürze, weißer Haube und einer Gesichtsmaske zu erscheinen; aber das gewährt wenigstens einen reizenden Anblick, wenn sie, meist in größerer Zahl vereinigt, durch die Straße dahinschwärmen, lachend, neckend, die Begegnenden umkreisend, sie wieder freigebend und, zuletzt selbst um ihre Freiheit besorgt; laut schreiend nach allen Richtungen aus einander stieben. So reich oder einfach aber auch ein Costüm sei, ein Merkmal haben sie alle: das der größten Reinlichkeit, Sauberkeit und Nettigkeit. Die schmutzigen, garstigen Maskenfetzen, mit denen man sich bei solchen Gelegenheiten in Deutschland schmückt, kennt man in Rom nicht; alle Costüme scheinen eben erst aus der Hand des Schneiders gekommen zu sein, und dieser Umstand trägt nicht wenig dazu bei, selbst dem anspruchlosesten und harmlosesten Gewande immer noch einen gewissen Reiz und eine gewisse Berechtigung zu geben. Der Sinn für das Schöne, der den Römer und die Römerin überall begleitet, wo er mit dem öffentlichen Leben in Berührung kommt, schlägt auch hier durch und zeigt sich dabei von seiner besten Seite.

In den ersten Tagen seines kurzen Daseins zeigte der diesjährige Carneval eine solche Lahmheit und gähnende Langeweile, daß es wahrhaftig zum Bedauern war. Die meisten Logen blieben leer; von Wagen war fast gar nichts, von Masken äußerst wenig zu sehen, und durch den Corso flanirten nur die Fremden, die um jeden Preis etwas vom vielgepriesenen römischen Carneval zu sehen begehrten und beim besten Willen Nichts zu sehen bekamen. Dann und wann, da und dort entspann sich ein kleines Confettigefecht, schlief aber wegen mangelnder Theilnahme und Ausdauer bald wieder ein.

Die nächsten Tage sollten mehr als vollen Ersatz bringen. Der Corso füllte sich mit Wagen, Masken, Neugierigen; die Fenster und Logen waren dicht besetzt, und die Confettischlacht war fürchterlich. Vom Standpunkte der Rohheit und Brutalität aus blieb fast Nichts mehr zu wünschen übrig: Die Römer selbst haben dies am meisten bedauert; sie sahen ganz richtig in dieser pöbelhaften Ausgelassenheit den Ruin ihres Carnevals und machten dafür den „Forestiere“, den Fremden, verantwortlich, der zuerst die Ausartung dessen herbeigeführt und veranlaßt habe, was früher nur scherzhaft und muthwillig anzusehen gewesen sei. Sie, die Römer, wollten für sich dabei durchaus nur die Rolle des Verführten gelten lassen. Namentlich auf die Engländer und Amerikaner waren sie darum schlecht zu sprechen; ihnen – ich weiß nicht, mit welchem Rechte – schrieben sie die Erfindung jener abscheulichen, ungeheuren Blechschaufeln zu, die man mit vielen Hunderten von Confetti füllt, um diese dann mit Einem Male vom Fenster aus dem Vorübergehenden nachdrücklichst auf den Kopf zu schleudern. Die Confetti aber sind, wie allgemein bekannt, Kügelchen aus Gyps oder Porcellanerde, und da ist denn über die eindringliche Wirkung, die sie auf den so schmählich Betroffenen üben, kein Wort weiter zu sagen. Bald ist das Pflaster der Straße wie mit Schnee bedeckt; zuletzt ist auch der Gassenjunge bei solchem guten Beispiele, das man ihm giebt, nicht müßig, hebt die daliegende Munition ohne Besinnen vom Boden und wirft sie dem Nächsten Besten sammt dem Straßenschmutze, den er mit aufgelesen, in’s Gesicht.

In nächster Nähe meines Fensters, von dem aus ich ziemlich mißvergnügt das Treiben mit ansah, beobachtete ich auf einem Balcon eine junge Römerin von auffallender Schönheit und im geschmackvollen Costüme einer Griechin. Ich war erstaunt über die Leidenschaftlichkeit, mit welcher dieses Mädchen dem Confettiwerfen oblag; unermüdet schwang sie ihre Blechschaufel; Ladung um Ladung schleuderte sie voll und kräftig in das Gedränge da unten, und ich habe nicht einmal eine Ahnung, wie viel Munition dieses holde Geschöpf im Laufe eines Nachmittags verschossen haben mag, die ein Diener in kleinen Kisten immer neu herbeischleppte. Zuletzt entdeckte sie in der Parterreloge des gegenüberliegenden Hauses eine kleine Gesellschaft von Masken, die sich dort gleichfalls auf ihre Art amüsirte. Flugs hatte meine kleine Griechin ihre Begleitung, mehrere Herren und Damen, darauf aufmerksam gemacht, und mit deren thätiger Mithülfe begann nun ein so gewaltiges, andauerndes und nachdrückliches Bombardement der Loge da unten, daß deren Inhaber, über und über beschüttet, nach einer halben Stunde das Feld gänzlich räumen mußten. Die Luft war mit Wolken weißen Staubes erfüllt, und bis in die Höhe des ersten Stockes herauf hatten die Angegriffenen nicht zu antworten vermocht.

Wie hier, so mochte wohl der Carneval überall auf dem langgestreckten Corso seinen Verlauf haben, daß denn den Wagen nichts übrig blieb, als dem Beispiele der Masken zu folgen und sich in die benachbarte Via di Ripetta zu retten, wo die Fahrt eine gemüthlichere und gefahrlosere gewesen sein soll. Dem Eifer der jungen Griechin freilich setzte auch diese allgemeine Fahnenflucht noch immer keine Grenzen. Mit derselben Verschwendung wie früher warf sie ihre Confetti nun den Soldaten, alten Weibern und Gassenjungen an den Kopf, die sich allein noch über die Straße wagten – seltsames Vergnügen!

[572]
IV.
(Schluß.)
Die Herrschaft der Blumen. – Die Kronprinzessin Margherita. – Das Fest der Moccoli. – Licht-Effecte. – Der Carneval in den Gärten Roms. – Der Corso. – Ein neuer Carneval.

Die römische Presse zeigt im Allgemeinen ein sehr lobenswerthes Streben nach Unabhängigkeit und Freiheit der Aeußerung, die wirklich radicale geht darin gelegentlich sogar bis an die Grenze dessen, was einem ruhigen und besonnenen Staatsbürger noch für erlaubt und anständig gelten mag; aber auch sonst wird der Leser leicht der Neigung begegnen, sich namentlich den Anordnungen und Entschlüssen der Regierung gegenüber in einer Weise kritisch und skeptisch zu verhalten, die bei einem ohnedies noch nicht ganz in sich gefestigten Staatswesen vielleicht doch nicht immer am Platze sein dürfte.

So mußte denn auch der allgemeine Unwille, welchen die brutalen Ausartungen des diesjährigen römischen Carnevals in seinem Anbeginn hervorriefen, in der römischen Presse sein Echo finden; die allgemeinen Klagen kamen dort in einstimmiger und energischer Weise zum Ausdruck, freilich nur, um als Heil- und Schutzmittel gegen die geschilderten Brutalitäten den einzigen Rath finden zu können, überhaupt während des Carnevals den Corso nicht mehr zu betreten. War es doch an einzelnen Stellen mit der lieben Straßenjugend sogar zu Conflicten gekommen, die ohne das Dazwischentreten der überall vertheilten Polizeisoldaten leicht zu ernsthafteren Händeln hätten führen können.

Da schaffte denn – mitten in dieser Calamität – der Syndicus von Rom rasch entschlossen auf seine Weise Rath und verbot für die letzten Tage des Carnevals kurzweg und überhaupt jeden Verkauf und Gebrauch der Confetti.

Neuer Nothschrei in der Presse. Ein römischer Carneval ohne Confetti? zeterten die Zeitungen; das heißt ihn todtmachen, heißt ihn vernichten.

Aber siehe da, der Syndicus, als ein weiser Mann, kümmerte sich um die reichlichen Vorwürfe, mit denen er überschüttet wurde, nicht im Mindesten, nahm den in erster Reihe betroffenen Fabrikanten sämmtliche Vorräthe an Confetti auf Kosten der Stadt ab, und in der That entfaltete der Carneval noch einmal kurz vor seinem Verscheiden jene ganze Liebenswürdigkeit, die man bisher so vergeblich bei ihm gesucht.

Von allen Seiten strömten die Equipagen herbei; zu vielen Tausenden und unter betäubendem Lärmen drängte sich die Menge, drängten sich die Masken durch die enge Häuserzeile des Corso, dessen Fenster mit rothen Teppichen behängt, dessen Balcone und Bogen festlich verziert waren, und aus allen Logen, von allen Balconen grüßten schöne Frauen, lachten schöne Mädchen, nickten reizende Masken, daß denn die Freude bald allgemein war und nun Blumensträuße, Confect, Orangen ebenso durch die Straßen, von Wagen zu Wagen, von Fenster zu Fenster flogen wie noch Tags zuvor die abscheulichen Confetti. Namentlich die Blumensträuße, oft von kostbarster Art, wurden wahrhaft verschwenderisch ausgeworfen – aber freilich, man kann auch nichts Schöneres sehen, als diese lächelnde Anmuth, mit welcher eine Römerin im Wagen oder vom Fenster aus für eine solche Aufmerksamkeit zu danken weiß.

Ein freundlicher Zufall führte uns in dem Augenblicke an dem Balcon vorbei, den die Kronprinzessin Margherita für sich und ihr Gefolge gemiethet hatte, als diese den Balcon betrat. Wie sehr die Kronprinzessin, eine zarte, anmuthige Blondine, bei den Römern beliebt ist, zeigte sich auch hier. Ein unendlicher Applaus, tausendfaches Evviva! und Händeklatschen begrüßte sie – schon aber flogen auch die Blumensträuße in ungezählter Menge zu ihr empor und einer war illoyal genug, ihr den breitkrämpigen Hut fast vom Kopfe mit fortzunehmen. Die Kronprinzessin lachte, schob den Hut rasch wieder zurecht, griff dann in den hochgefüllten Korb, den Lakaien ihr nachgetragen hatten, und rächte sich für die ihr angethane Unbill, indem sie mit derselben Lebhaftigkeit, wie Tags zuvor die kleine Griechin auf dem Balcon neben mir ihre Mehlkugeln, nach allen Seiten Sträuße unter das Volk warf, das mit hundert Händen danach haschte.

Der nächste und letzte Abend brachte das in seiner Art einzige Fest der Moccoli. Es ist schon oft genug beschrieben worden. Ich meinerseits gestehe gerne, den Standpunkt der Kindlichkeit nicht mehr gefunden zu haben, von welchem aus man ein bis zwei Stunden lang Andern die Lichter ausbläst und sich selbst ausblasen läßt. Unbekümmert um das mir allgemein im Chore mit tiefer Grabesstimme zugerufene: Senza moccoli, fuhr ich deshalb im dunkeln Wagen dahin; aber die malerischen Effecte, welche die tausend brennenden, immer beweglichen Kerzen auf der Straße, in den Wagen, auf den Balconen, in den Fenstern, ja auf den Dächern hervorriefen, erregten in hohem Grade meine Bewunderung; dazu flammten bald da, bald dort, bald in der Höhe, bald in der Tiefe, bald nah, bald fern rothe, grüne, weiße Feuer auf, die das lärmende Volk, die teppichgeschmückte Häuserreihe gegenüber, die Masken an den Fenstern plötzlich aus der dunkeln Nacht hoben und mit ihrem blendenden Lichtscheine übergossen; an einzelnen Stellen warfen Pechfackeln ihre rothen Gluthen über das ganze seltsame Schauspiel, daß man denn, wie gesagt, des im Grunde kindischen Anlasses bald gern vergaß und sich nur der malerischen Lichtwirkung freute, die es oft so überraschend und in so hohem Grade bot.

Während in den Straßen Roms der Carneval lärmend dahin rauschte, hatte sich in den grünen Gärten und in den Osterien vor der Porta del Popolo bis zum Ponte molle ein anderes Leben ganz eigener Art entwickelt: Burschen und Mädchen, meist in der Tracht der Albanerin oder der Ciociara, hatten sich vor dem beengenden Gewühle der Straßen hierher in die behaglichere Einsamkeit geflüchtet und tanzten nun hier, im leuchtenden Sonnenschein, umdrängt von bewundernden Zuschauern, beim Klange des Tamburin und der Castagnette, unermüdlich und in leidenschaftlicher Bewegung, bis spät in den Abend hinein den Saltarello. Zur Seite, im Schatten des schlichten Binsendaches, saßen verliebte Paare; der Fiasco kreiste um den schlichten Holztisch, und aus allen Büschen des Gartens, aus allen Ecken scholl fröhliches Lachen und munteres Schwätzen.

Vielleicht war gerade dies das beste Bild, das ich vom römischen Carneval mitnahm: hier war die Freude am reichsten und doch vollsten entwickelt, und jene bewundernswürdige Fähigkeit des römischen Volkes, mit Wenigem zufrieden, der Freude nur ihrer selbst wegen nachzugehen und sich ihr mit heiterem Anstande voll und ganz hinzugeben, ist mir nie liebenswürdiger entgegengetreten, als hier in den Gärten vor den Thoren Roms. Freilich, Himmel und Sonne haben an dieser schönen Entfaltung echten Volkslebens ihren besten Theil: dunkle Kneipen und qualmige Wirthsstuben sind hier unbekannt; unter dem freien Himmel aber, in leuchtender Sonne, blüht die wahre Fröhlichkeit, hält die Stirn frei, die Herzen gesund und läßt darum alle Erscheinungen schön und gefällig in’s Leben treten.

Aber wahrhaftig, trotz allem Schönen allem Anmuthigen, das man im Laufe der eben geschilderten Tage – ich möchte jetzt beifügen: Goethe zum Trotz – zu sehen bekommt, Goethe hat dennoch Recht, und man athmet förmlich befreit auf, wenn das letzte Licht auf dem Corso verlöscht ist, wenn der Aschermittwoch all der Raserei ein Ende gemacht hat, und dankt Gott und der Kirche für die Fasten. Nun ist ja auch die Ruhe der Nächte – soweit man überhaupt von einer solchen in Italien sprechen kann – garantirt, und man riskirt weniger mehr, denn sonst, allstündlich bis zum frühen Morgen hinein durch Gesang und Gelächter, Flöten und Geigen, Tamburin und Guitarre aus dem süßen Schlummer aufgeweckt zu werden. – Der Corso wird wieder stiller, nimmt wieder sein gewohntes Aussehen an, jedoch nur um schon nach wenigen Wochen mit dem nahenden Frühling ein desto reicheres, bunteres und in gewisser Beziehung noch interessanteres Leben zu entfalten.

Die Veilchen sind schon verblüht, die den weitgedehnten, [573] frischgrünen Wiesengrund der Villen Borghese und Doria-Panfili wie mit einem blauen Schleier überzogen hatten, auch die Mandelbäume, die Pfirsichbäume haben ihre reizenden, zartfarbigen Blüthen schon verloren, aber der dunkle Lorbeer blüht jetzt voll und frisch; der Frühling ist nun wahrhaftig gekommen. Auf den breiten Wipfeln der Pinien und um die schlanken Stämme der Cedern, der Cypressen und um die ragenden Schäfte der Palmen spielt der warme, lebenweckende, lebenerhaltende Strahl der Sonne, die uns diesmal im Winter so oft untreu geworden war.

Der Frühling ist gekommen, die schönen Frauen Roms streifen die schweren Pelze ab, wie die Schmetterlinge ihre Hüllen, und in duftiger, buntfarbiger Seide rauschen sie an dem bewundernden Blicke vorüber, schöner, strahlender, imponirender denn je. Der Monte Pincio, der Corso sind auch jetzt der Mittelpunkt der römischen Welt, und jetzt in der That zeigen die Corsofahrten ein Bild, wie es mannigfaltiger und farbenprächtiger nicht gedacht werden kann. Ich muß gestehen, daß mir manchmal zu Muthe war, als habe nur ein neuer, ein anderer Carneval begonnen, und bei Gott, dieser gefiel mir noch besser, als sein Vorgänger.

Jetzt zeigt auch die römische Aristokratie ihren ganzen Reichthum; die feurigen Pferde vor ihren Carossen sind kostbar und von reinster Race. Ein Principe scheint den andern überbieten zu wollen, und indem man die Schönheit des vorübersausenden Gespannes, die Pracht des Geschirres, den Glanz der Livreen bewundert, versäumt man oft, sein Auge auf den Inhalt des Wagens zu richten, der noch kostbarer und schöner ist. Ich werde mich hüten, hier eine Beschreibung der Toiletten, der von verschwenderischer Pracht zeugenden Seidengewänder zu unternehmen, welche diese dunkeläugigen römischen Frauen in ihren Equipagen wie eine helle, leuchtende Wolke umgeben. Wie wäre es möglich, die Zusammenstellung aller jener lauten und auffallenden Farben zu schildern, welche der Geschmack des heutigen Tages ist, und die hier, wo der Zusammenfluß so vieler Fremden ohnedies leicht genug Extreme erzeugt, in der That bis zum Aeußersten geführt ist. Aber der breitkrämpige Rubens-Hut mit der wallenden Feder kleidet den Kopf der Römerin ganz vortrefflich und erhöht noch das vornehme Auftreten, das sie in der Öffentlichkeit so gern zeigt.

Vierspänner, Zweispänner, Einspänner drängen und treiben sich; ihre Insassen gehören nicht allein Rom, sie gehören allen Nationen der Erde an. Dort die Dame mit den mandelförmigen braunen Augen und den goldblonden Locken, anmuthvoll in den weichen Polstern ihres Wagens ruhend, den wollhaarigen Mohren auf dem Bock, stammt von einer der meerumrauschten Inseln Griechenlands. Sie ist berühmt wegen ihrer Schönheit, berühmt wegen ihrer Toiletten. Wenn sie manchmal den Wiesengrund der Villa Doria-Panfili der Gnade würdigt, ihn mit ihren lächerlich kleinen Füßen zu treten, so wird man bald erkennen, daß keine zweite Frau in Rom das Gewand so eng gespannt um den schlanken Körper trägt, wie sie, daß keine die ungeheuere Schleppe mit solchem Anstand zu führen weiß, wie sie, daß keine Frau auf höheren Absätzen an den coquetten Stiefelchen durch die Welt schreitet und daß kein Rubenshut in ganz Rom breitere Ränder aufzuweisen hat, wie der ihre. Aber auch keiner zweiten Frau sitzt er so keck, so herausfordernd auf der Seite, daß die rothe Feder mitsammt den blonden Locken weit hinab in den Nacken wallt. Im Wagen ist ihr unzertrennlicher Begleiter ein weißer Hund von colossaler Größe, der breit auf dem Rücksitz Platz genommen hat und sich von hier aus gravitätisch das Leben in Rom betrachtet. – Dort die junge Dame in der excentrischen Toilette mit dem bronzefarbenen Teint und den aufgeworfenen Lippen, die sich in ihrer Equipage mit solcher übertrieben vornehmer Nonchalance zurückgelehnt hat, daß ihre schmalen, ins feinste Handschuhleder gepreßten Füßchen fast beim Kutscher auf dem Bock zu liegen kommen, ist unter der heißen Sonne der Havanna geboren; die andere im nächsten Wagen kennzeichnet der weiße Schleier schon, der das ganze Gesicht mit Ausnahme der Augen undurchdringlich verhüllt, als Muhamedanerin, und so mag man leicht genug alle Nationen der Welt sich hier begegnen sehen, von dem überall unvermeidlichen Engländer, dem Franzosen und Deutschen ganz abgesehen.

Letzterer hält sich in der ihm angebornen großen Bescheidenheit meist zu Fuß auf dem Trottoir, wo er indessen von nicht minderer Mannigfaltigkeit des Lebens und der Erscheinungen in ihm umfluthet ist, als drüben auf der Fahrstraße. Durch das Gedränge, welches Elegants, Künstler, Officiere, Kleinkrämer aller Art bilden, kommt hier ein armenischer Geistlicher geschritten im schwarzen Gewand, mit breitem, lang niederwallendem weißem Bart und auf dem charakteristischen Kopf einen merkwürdigen Hut von schwarzer und rother Farbe, der die breitkrämpige Kopfbedeckung des katholischen Geistlichen und den Turban des Muhamedaners in sinniger Weise vereinigen zu wollen scheint. Dort schlüpfen zwei Trinitarier gewandt durch die Equipagenreihe, auf ihren weißen Gewändern das blaue und rothe Kreuz, und hier wandeln bedächtig zwei Kapuziner durch die Menge, das Haupt geneigt und die härene Kapuze bis zu den Sandalen reichend. Dazwischen drängt sich denn auch das Frauenvolk munter und lustig, Allen voran die robuste, breitnackige Amme in ihrer pompösen, grellfarbigen Tracht, die rothgefältelte Krause hinten um den schwarzen Zopf und die blitzende Silbernadel, deren eines Ende meist in einen Büschel immer schwankender, kunstvoll gearbeiteter Kornähren ausläuft, quer durch das Haar.

Ich wiederhole: bei all diesem schillernden, wie die Woge des Meeres immer beweglichen Treiben, das unaufhörlich neue Bilder, neue Erscheinungen zu Tage fördert, empfängt man leicht genug den Eindruck, als sei man nur von einem neuen, von einem zweiten Carneval umrauscht. Und dabei habe ich noch nicht einmal der zu jener Zeit noch in voller Blüthe stehenden römischen Salons gedacht, in denen so mancher zweifelhafte Geselle, der mit seiner Heimath aus irgend einem Grunde grollend gebrochen hat, oft unter dem Schutze eines vornehmen Namens oder gut klingenden Titels noch eine Rolle zu spielen vermag, in denen so manche abenteuerlustige Frau, der das Leben daheim schon längst zu philisterhaft geworden ist, nun das wallende Banner der Emancipation schwingt, und in denen so manche reifere Jungfrau, die jenseits der Alpen viele lange Jahre hindurch ihren Ruhm darin sah, zu den Prüdesten gezählt zu werden, jetzt mit einem an Verrücktheit streifenden Enthusiasmus die Herrlichkeit der antiken Plastik preisend verkündigt.

Ja, das ist der wahre, echte Carneval des Lebens, mit allen Glanzseiten und Gebrechen seines Namensbruders, der nur im Februar die Köpfe und Herzen der Menschen verwirren darf, mit all seiner berauschenden Farbenpracht, mit all seiner bestrickenden Leichtfertigkeit, mit all seinen bunten Maskeraden, seinen Thorheiten und seinen Täuschungen. Wessen Auge vermöchte sofort zu entscheiden, wer in diesem Gewühle Mitspieler sei, wer blos Zuschauer? Am Ende spielen wir Alle mit, Alle ohne Ausnahme, bewußt oder nicht, und am besten ist wohl der daran, der durch das Gedränge dieses Carnevals mit der Schellenkappe des Humors schreitet, ihre Silberglöcklein lächelnd anschlägt, wo ihm eine jener glänzenden und verführerischen Erscheinungen mit gefährlicher Lockung vorüber gleitet, und der um so kräftiger mit ihnen Sturm läutet, wenn ihm Heuchelei oder Thorheit allzu derb auf die empfindlichen Zehen treten wollen.

[656]
V.
Die Deutschen in Rom. – Der deutsche Künstlerverein an der Fontana Trevi. – In den römischen Ateliers. – Die Schaar der Copistinnen. – Verbannte Götter. – Der classische Boden Roms. – Senator Rosa. – Die Ausgrabungen auf dem Palatin. – Häuser, Sarkophage und Inschriften. – Das Auditorium des Mäcenas. – Die „neue Venus“. – Unter den Kaiserpalästen auf dem Palatin. – Ausklang.

Das deutsche Element, von welchem ich bereits sprach, war in Rom während des verflossenen Winters und namentlich um die Osterzeit so stark vertreten als man es nur wünschen mochte, und wer Neigung dazu hatte, vermochte hier, im Mittelpunkte Italiens, die theuern heimatlichen Dialektlaute, vom schnarrenden Jargon des Stockberliners bis zum breitbehäbigen Geplausche des Oesterreichers so gründlich zu studiren, wie jenseits der Alpen. Am leichtesten bot sich die Gelegenheit dazu bei Carlin in der Via delle quattro Fontane, einem wackern deutschen Wirthe, dessen tüchtige Restauration wohl von den meisten Deutschen in Rom besucht wird und auch allen deutschen Romfahrern des kommenden Winters hiermit angelegentlichst empfohlen sei. Um so mehr ist es zu verwundern, daß noch immer keine deutsche Buchhandlung der schon wiederholt gegebenen Anregung, eine deutsche Zeitung wenigstens für die Wintersaison herauszugeben nachgekommen ist. Die wenigsten der vielen in Rom lebenden Deutschen dürften in der Lage sein, sich in eine italienische, eine römische Zeitung mit nennenswerthem Erfolg zu vertiefen; die der Regierung nahestehende und französisch geschriebene „Italie“ schenkt den localen Tagesfragen nur geringe Aufmerksamkeit, und so habe ich nach den von mir gesammelten Beobachtungen die feste Ueberzeugung, daß eine deutsche Zeitung in Rom, die den deutschen Interessen sich widmen und den deutschen Leser über die Fragen und Begebenheiten des Tages immer genau unterrichten würde, ohne Mühe zahlreiche Abnehmer finden werde. Es liegt hier ein wirkliches Bedürfniß vor, von dem nur zu wünschen ist, daß seine Befriedigung von einer geschickten und mit dem nöthigen Capital versehenen Hand baldigst in Angriff genommen werde. Spithöver wäre wohl am ersten in der Lage dazu.

Einen Sammelpunkt für das deutsche Element in gewissem Sinne bildet der deutsche Künstlerverein, der sich bekanntlich der besondern Protection des deutschen Kaisers erfreut, und der redlich bemüht ist, die vielen deutschen Männer und Frauen, welche seine Gastfreundschaft in Anspruch nehmen, an heiteren Abenden in froher Geselligkeit zu versammeln und zu vereinigen. Selbstverständlich haben die immer tanzlustigen und lebensfrohen Künstler auch den Carneval nicht unbenützt vorübergehen lassen und namentlich wird der glänzende Costümball, den der Verein in seinem Palazzo an der Fontana Trevi gab, allen Mitgliedern der deutschen Colonie, die an ihm Theil genommen haben, trotz des mehr als kindlichen Festspieles, das sie vor dem Beginne des eigentlichen Balles auszustehen hatten, in bester Erinnerung bleiben.

Der Sprung von dem Palazzo Poli an der Fontana Trevi – er ist heutzutage bekannter unter dem Namen „Sala Dante“ – in die Ateliers der Künstler wäre leicht genug. Aber in meinen „Plaudereien“, die schon schwatzhaft genug geworden sind, ist kein Raum mehr für die letzteren. Denn was wäre aus und von ihnen nicht Alles zu berichten! Die deutschen Künstlerveteranen in Rom: Wolf, Riedel, Achtermann, Seitz, arbeiten noch immer rüstig fort, während sich an Lindemann-Frommel, Kopf, Gebrüder Cauer, Gerhard, Pollack, Karl Voß, Heilbuth, die beiden Müller von Coburg, Ernst Meyer, Ziehlke, ein jüngerer Nachwuchs, wie: Dausch aus Oberschwaben, Nathanael Schmitt aus Heidelberg, Hübner, Henneberg, F. Schulz aus Schleswig, der von dem während des Winters in Rom gleichfalls anwesenden Georg Scherer ein ganz treffliches Medaillonbild gefertigt hat, und Andere, würdig anreiht.

Und neben diesen bedeutungsvoll schaffenden Künstlern, welche endlose Reihe mehr oder minder talentvoller Copisten und Copistinnen, die sich in den Sälen drängen und, von Neugierigen umgafft, alle jene berühmteren Bilder, die gerade in der Mode sind – denn auch hier schwingt die Mode ihren Zauberstab, wie die von Copisten tausendfach mißhandelte Beatrice Cenci und die in allen Läden schaugestellte, seltsamer Weise so sehr beliebte Büste des jungen Augustus beweisen – im Schweiße ihres Angesichts vervielfältigen!

Die Copistinnen, überhaupt die Malerinnen scheinen nicht überall freundliche Beurtheilung zu erfahren. Ein deutscher Maler hat sich unlängst in einer römischen Zeitung ziemlich herb gegen die Leistungen der Frauen auf dem Gebiete der Kunst ausgesprochen und sich dabei bis zu der Behauptung verstiegen, wenn man die ganze künstlerische Thätigkeit der Frauen mit einem Male streiche, so sei dies nicht anders, als wenn man von einem großen Palaste eine seiner kleinen Verzierungen wegnehme. Auch dann stehe der Palast so groß und köstlich wie zuvor, und kein Auge werde das Verschwinden und Fehlen des weggenommenen Steines vermissen. Aber, fährt der große Unbekannte, der sich selbst offenbar als gewaltigen Quader im herrlichen Tempelbaue der Kunst fühlt, fort, aber warum hat Rafael so Großes, so Schönes, so Anmuthiges geschaffen? Einfache Antwort: weil ihm die schönsten und holdseligsten Frauen als Modelle dienten, und so hat jene berühmte Fornarina der Kunst mehr geleistet, als alle Künstlerinnen zusammen genommen, welche jemals in Oel, Aquarell oder Pastell gearbeitet haben. Ecco, ruft unser Maler bei dieser Entdeckung den malenden Frauen fröhlich zu, welch anderes und reicheres Feld der Thätigkeit eröffnet sich Euch hier! Werft Pinsel und Palette weg, ahmt das schöne Beispiel von Rafael’s Frauen nach (die Rafaele, meint er offenbar, werden sich dann schon von selbst einstellen), und wie ganz anders wird Euch die wahre, die echte Kunst zu wirklichem Danke verpflichtet sein!

Dieser Vorschlag des Malers, so beredt vorgetragen, hat offenbar etwas Verführerisches. Wer indessen bei einem Gange durch die bilderreichen Säle den fleißigen Copistinnen eine mehr als flüchtige Aufmerksamkeit widmet, wird bei aller Galanterie, die ihm sonst eigen sein mag, doch bald zu der Einsicht kommen, daß die Theilung der Arbeit auch auf diesem Gebiete wie bisher das Ersprießlichste sein, daß es sich auch fernerhin empfehlen werde, wenn von den kunstthätigen Frauen die Einen nur malen und nur die Andern sich malen lassen, und daß Goethe, wie immer, auch hier Recht hat. Eines schickt sich nicht für Alle. –

Bei den Wanderungen durch die Galerien und Sammlungen Roms drängen sich Einem oft genug die berechtigten Klagen auf über die mangelhafte Aufstellung und schlechte Beleuchtung, unter der mitunter gerade die kostbarsten Gegenstände zu leiden haben. Selbst im Vatican, selbst im Belvedere kann man diesem Uebelstande begegnen, der dem Beschauer am ausgeprägtesten wohl in der Villa Ludovisi entgegentritt, wo überhaupt den hohen Bildwerken Griechenlands wie wahren verbannten Göttern ein geradezu unwürdiger Aufenthalt angewiesen ist.

Da auch die Sammlungen des Capitols in dieser Hinsicht viel zu wünschen übrig lassen, wie man sich leicht schon im ersten und berühmtesten Zimmer, das von dem sterbenden Fechter seinen Namen führt, zu seinem Leidwesen überzeugen kann, so liegt etwas Tröstliches in dem Gedanken, daß die italienische Regierung den Bau eines monumentalen Museums, das alle ihre Schätze in sich vereinige und das hinsichtlich der Aufstellung und Beleuchtung derselben Nichts mehr zu wünschen übrig lasse, auf die Dauer vielleicht doch nicht werde umgehen können. Denn noch immer ist der classische Boden Roms unerschöpft, seit Jahrhunderten schon durchwühlt und durchforscht, spendet seine geheimnißvolle Tiefe noch immer neue Schätze, die, nachdem sie fast zwei Jahrtausende schon im dunklen Schooße der Erde geruht haben, dennoch nicht der ewigen Vergessenheit anheim fallen sollten; sondern sich nun plötzlich wieder an das strahlende Licht des Tages gestellt finden, um von einer längstversunkenen Herrlichkeit, von einer längst untergegangenen und nie wieder erreichten Culturblüthe neues beredtes Zeugniß abzulegen.

Namentlich seit die Ausgrabungen unter der rastlosen Leitung des gelehrten Senator Rosa systematisch betrieben werden, sind dieselben von staunenswerthem Erfolge begleitet gewesen; fast jede Woche brachte neue Bereicherungen, und so [658] ist z. B. gar nicht abzusehen, welche Wunder dem Boden Roms noch entsteigen werden, wenn nur erst einmal die Villa Mils auf dem Palatino oder das Kloster der Salesianerinnen daselbst hinweggeräumt sind.

Wie unerschöpflich in Wirklichkeit der römische Boden ist, beweist am sichersten der statistische Ausweis, welchen jüngst die städtische Commission für Archäologie hinsichtlich ihrer Funde und Ausgrabungen veröffentlicht hat. Danach umfaßte das Ergebniß der Arbeiten im Jahre 1874 allein: 17 Statuen, 10 Torsi, 47 Köpfe oder Büsten, 5 Sarkophage oder Aschenurnen, 12 Weihgegenstände, 6 kostbare gravirte Steine, 11 Reliefs in Knochen oder Elfenbein, 5 Gegenstände aus Gold, 6 aus Silber, 30 aus Bronze, 11 Silbermünzen, 8925 Bronzemünzen, 75 verschiedene Gegenstände aus Terracotta, 11 Architecturfragmente, 39 Inschriften etc. So sind z. B. hier die unzähligen Utensilien jeder Art nicht mit aufgeführt, welche man gefunden hat und von denen einige sehr merkwürdig und beachtenswerth sein sollen.

Am ergiebigsten sind die Ausgrabungen auf dem Esquilin, die daselbst auch am energischsten betrieben werden. Erst im Laufe dieses Frühjahrs hat man daselbst das Pflaster des Forums des Esquilins bloßgelegt, sowie die Reste eines Privathauses mit schwarz-weißem Mosaikboden. Die Wände der Mauern sind mit Fresken geschmückt, die nicht ohne Werth sind. In einer der Zellen fand man zwei Thonlampen, welche die Reliefs der drei Gottheiten des Capitols zeigen, ebenso eine Statuette des Hausgottes, in Bronze und zehn Centimeter hoch.

Da wo die Via Merulana sich mit der Via Labicana kreuzt, förderte man einen Marmorsarkophag an’s Licht, etwas mehr als zwei Meter lang und achtundsechszig Centimeter breit. Sein Deckel war nie geöffnet worden. Ein Leichnam war in dem Sarkophage und zwar der einer Porcia Posilla, wie der auf die Stirnseite des Sarkophags eingegrabene Name besagte.

Bedeutungsvoller ist, daß man – gleichfalls erst im Laufe des April – nicht weit von den Mauern, welche zur Zeit der Könige Rom umgaben, eine massive Mauer bloßgelegt hat, die mit zahlreichen Votiv-Inschriften bedeckt ist. Diese sind aber darum merkwürdig, nicht allein, weil sie wiederholt einer Stadt erwähnen, deren Name bisher nicht auf uns gekommen war, sondern auch, weil sie auf einen bisher unbekannten Jupiter-Cultus hindeuten. Die meisten dieser Inschriften stammen nämlich von Soldaten der fünften und sechsten Legion, die von der Niederdonau nach Rom gekommen und vermuthlich im Lager der Prätorianer eincasernirt waren; diese Barbaren hatten zwar den Cultus ihrer heimatlichen Götter bewahrt, bald aber in der steten Berührung mit der römischen Civilisation seine genaue Ausübung verlernt und eine Art von gemischtem Cultus erfunden, der heimatliche und lateinische Elemente verträglich zusammenwarf und die barbarischen Götter ohne Weiteres mit den hochtönenden Epitheten der Olympier schmückte. In den Inschriften flehen die Prätorianer die Götter an, über das Wohl des Kaisers zu wachen, über seine Gemahlin, seinen Sohn, oder sie nehmen die Hülfe des Himmels für ihre eigenen Angelegenheiten bittend in Anspruch. Was den Inschriften den höchsten Werth verleiht, ist der Umstand, daß dieselben nicht allein die Namen der Consuln geben, zu deren Amtszeit die jeweilige Inschrift gemacht wurde, sondern zugleich noch die genaueste Angabe des Tages, des Monats und des Jahres. Wie wichtig der Fund darum gerade für die Archäologen ist, springt leicht genug in’s Auge. Die Ausgrabungen – gegen Ende April hatte man etwa siebenundzwanzig Säulenbasen aufgefunden – sollten fortgesetzt werden, weil man die Mauer ganz bloßzulegen hoffte, die vielleicht den Rest eines Jupiter-Tempels bildet. Einer Statuette des Jupiter, die man zugleich mit ausgrub, fehlte leider der Kopf. Die Inschriften waren zum größten Theile gut erhalten, fast alle vollständig, und man wird sie inzwischen längst schon in das Capitolinische Museum geschafft haben, wo sie geeignet sind, für die Archäologen der Gegenstand interessanter Studien zu werden.

Am meisten Aufsehen und Bewegung im Lager der Archäologen rief im verflossenen Jahre wohl die Bloßlegung eines Häuserrestes auf dem Esquilin hervor, den man gegenwärtig als das Auditorium des Mäcenas bezeichnet, und die Auffindung mehrerer Marmorstatuen ebendaselbst, deren bedeutendste seit Ende Januar bereits auf dem Capitol als „neue Venus“ aufgestellt ist. Sie steht gleich rechts an der Glasthür, welche von der Treppe in den Corridor führt. Das sogenannte Auditorium des Mäcenas ist ein mit Mosaik belegter, oblonger Raum, dessen rothbemalte Wandnischen früher wohl mit Marmorstatuen geschmückt gewesen sein mögen. Der Hintergrund ist von amphitheatralisch erhöhten Sitzreihen eingenommen, deren Zahl etwa sechs betragen mag. Man weiß, daß Mäcenas auf dem Esquilin eine Villa gehabt hat, und man weiß, daß er es liebte, sich hier im Kreise vertrauter Freunde und Hausgenossen von den großen Dichtern seiner Zeit deren neueste Schöpfungen vorlesen zu lassen. Der Raum, wie man ihn hier aus der Tiefe an das Tageslicht gefördert hat, legt die Vermuthung nahe genug, daß man es hier wirklich mit dem Auditorium des berühmten Dichterfreundes und Kunstbeschützers zu thun haben könne.

Was indessen die „neue Venus“ auf dem Capitol betrifft, so denke ich zwar nicht im Entferntesten daran, dem Urtheile und der Meinung der gewiß grundgelehrten Herren irgendwie zu nahe zu treten. Verschweigen will ich indessen nicht, daß mir die Statue, trotz des Kruges und des Tuches, die ihr beigegeben sind, auch nicht im Geringsten den Eindruck einer Venus macht. Das ist ein Mädchenleib, der noch im Aufknospen begriffen ist, der der Blüthe erst entgegenreift, und hart und streng in der Form, in der Linie, ist er noch weit entfernt von dem voll und reich entfalteten Körperreiz einer Venus, die wir uns als den Typus höchster Formenschönheit und als die Göttin der unbezwingbaren, Alles umfassenden Liebe vorstellen. Muß es denn durchaus eine Venus sein? Oder wäre es nicht möglich, daß wir vielleicht die Portraitstatue einer jugendlich schönen Freigelassenen vor uns haben, die ihr Gebieter in Marmor bilden ließ, dem Bade entsteigend, die Haare schlingend, und der er in Bewunderung des jungen Leibes die Attribute der Venus beigeben zu lassen den Einfall hatte? Im ersteren Falle würde diese „neue Venus“ hinter den zahlreichen anderen und weltberühmten Darstellungen der Liebesgöttin weit zurückstehen, im anderen würde sie ihrer, wenn auch nicht tadellosen, doch im Ganzen schönen und anmuthigen Ausführung halber unsere vollste Beachtung und unser regstes Interesse verdienen. ...

Was Menschenschicksal, was Völkerschicksal sei, auf dem Palatin, in den sarnesischen Gärten erfährt und empfindet das wohl Jeder am besten. Dort, unter den gigantenhaften Trümmern der Kaiserpaläste umrauscht und umklingt es die Seele geisterhaft, und glücklich ist Derjenige, dem es nur einmal vergönnt war, ungestört und sich selbst überlassen da, wo einst die stolzen Imperatoren in marmornen, goldstrahlenden, statuengeschmückten Säulenhallen den Geschicken des weiten Römerreichs in unbeschränkter Machtvollkommenheit geboten, eine einsame Stunde zu verleben und zu verträumen.

Von den vielen Tausenden von Fremden, welche alljährlich die Trümmerstätten des alten Rom durchwandeln, wird der Eindruck, den wir hier am Riesengrabe des größten und mächtigsten Culturvolkes der Erde empfangen, nur Wenigen voll und ganz zum Bewußtsein kommen. Bädecker oder, wenn sie ihre Aufgabe ernster nehmen, Gfell-Fels in der Hand, suchen sie an Ort und Stelle die reichen Lücken ihres Wissens eilfertig zu ergänzen, suchen sie sich über die Bedeutung jeder einzelnen noch ungebrochen in die Luft ragenden Säule, jedes einzelnen Tempelrestes zu unterrichten, eilen sie voll Wißbegierde vom Einen zum Andern, und versäumen über das Einzelne das Ganze, dessen großartige, überwältigende Erscheinung ihre Seelen für das Leben lang füllen müßte mit den erhabensten Bildern, mit den nachhaltigsten Vorstellungen.

Ein Sonntagsmorgen in der Mitte des Februars brachte mir einmal das Glück, nach welchem ich mich so oft und immer vergeblich gesehnt hatte, allein und einsam durch die sarnesischen Gärten, durch die Kaiserpaläste mit ihren gewaltigen Erinnerungen zu wandeln; von dem immer zudringlichen, schwatzhaften Schwarme der Fremden war noch keine Spur zu sehen, denn es hatte mehrere Tage lang geregnet, kein unwillkommener Laut unterbrach die unendliche Ruhe, in welcher die sonnenbestrahlten classichen Ruinen vor mir lagen, der Himmel leuchtete im reinsten Blau und eine einzige Nacht hatte die Mandelbäume mit rosa Blüthen überschüttet. Die schlanke Pinie schaukelte sacht bewegt ihr breites Blätterdach, im dichten Dunkel des Lorbeerbaumes sang da und dort ein munteres Vöglein dem nahenden Frühlinge seinen hellen Gruß entgegen.

[659] An den hochgethürmten Caligulabauten und der aus gewaltigen Tuffblöcken aufgeführten Ringmauer der Roma quadrata vorbei, kam ich zur langen Reihe jener Gemächer, welche man wohl mit Recht als die Wohnungen des palatinischen Gesindes und der diensthabenden Soldaten bezeichnet, deren Namen noch heute in den guterhaltenen Wänden eingekratzt zu lesen sind, und weiter zu den malerischen weitgedehnten Ruinen der Paläste des Commodus und des Septimius Severus. Geschosse um Geschosse sind hier vier-, fünffach aneinander getürmt, gewaltige Mauern, wie für die Ewigkeit gebaut, ragen schwarz in die Höhe, die Wände der Parterregemächer sind zum Theil noch bemalt, die Gewölbe zeigen kunstvolle Cassetirungen, aber oben auf den Mauern, auf den Decken der Gewölbe, die dem Sturme der Zeit widerstanden haben und noch nicht zusammengebrochen sind, wuchert munter junges Grün, blühen Büsche, haben sogar Bäume ihre Wurzeln geschlagen – unten, halbbedeckt vom Schutte oder von jungen Zweigen umrankt, liegen gestürzte Capitäle, zerbrochene Friese und Gesimse, liegen gewaltige Säulentrümmer umher, und das mußte ein Tag voll schwerem unglückseligen Verhängnisses gewesen sein, da diese leuchtenden Marmorriesen, die einst den prachtstrahlenden, mit den schönsten Schöpfungen der griechischen Kunst angefüllten Palast getragen und zwischen welchen Cäsaren, Senatoren Könige prunkvoll dahin gewandelt waren, in Feuer und Brand donnernd zusammenbrachen, von schwarzen Rauchwolken umhüllt und die ganze Herrlichkeit des alten Römerreiches im Sturze mit sich begrabend.

Auf langgestreckten Treppen, deren Stufen noch die Reste früherer Marmorbekleidung zeigen, gelangt man in die Höhe zu neuen Ruinen, zu neuen Trümmern. Während man auf dem breitgewölbten Dache eines Palastflügels hinzuschreiten glaubt, zeigen große Mosaiküberreste auf dem Boden, deren Zeichnung noch fast unversehrt ist, daß wir uns nur in einem neuen Geschosse befinden; aber die Wände sind gebrochen, zerfallen, verschwunden und nur ein Mauerrest in der Ecke scheint übrig geblieben zu sein, um noch nach fast zweitausend Jahren von der stolzen Höhe des ungeheuren Saales, auf dessen Boden wir wie auf einer Plattform wandeln, Zeugniß zu geben.

Die Aussicht, die sich von hier einst den Augen der römischen Imperatoren bot, muß entzückend gewesen sein: drüben zur Rechten die weitgedehnten, gigantischen Marmorbauten der Caracallathermen, dieser „prachtvollsten Luxusbäder der Welt“, mit ihren kühngewölbten verschwenderisch ausgestatteten schimmernden Sälen, mit ihren dunkelgrünen Hainen, mit ihren stolzen Portiken, mit ihren zahllosen Bild- und Kunstwerken jeder Art; dort zur Linken das Colosseum, eines der großartigsten von Menschenhand gebildeten Werke und noch heute aus den Häusern, aus der Landschaft ringsum in unvergleichlicher Hoheit zum Himmel ragend. Zwischen beiden hin der herrliche Blick über die römische Campagna mit ihren Aquäducten, mit ihren Gräberstraßen, heute eine melancholische, ruinenerfüllte Einöde, zur Zeit der Cäsaren bedeckt von immergrünen Hainen und Gärten, von leuchtenden Villen und Palästen, deren marmorne Giebel und goldene Kuppeln das Bild einer zweiten Stadt boten, das sich nicht minder schön und groß, als das unermeßliche Rom selbst, dem bewundernden Blicke endlich im violetten Duft des Albanergebirges verlor.

Drüben zur Linken lag der eigentliche Mittelpunkt des weltherrschenden Rom, lag das Forum mit seinem einzigen Prachtwald von Tempeln, Triumphbogen, Säulen, Statuen, ragte das Capitol, dessen goldstarrende Zinnen allerdings hier, zugedeckt von den gewaltigen Palastbauten des Caligula, nicht sichtbar gewesen sein mögen. Von der Höhe zur Rechten aber, vom Aventin schimmerten die Tempel und Heiligthümer des alten Plebejer-Quartiers herüber. Dazwischen in der Tiefe dehnte sich der Circus Maximus mit seinen 250,000 Sitzplätzen, mit seinen staubaufwirbelnden Wagenrennen, mit seinen blutigen Faustkämpfen, mit seinen Läufer- und Ringspielen. Dort boten die Cäsaren, die Gunst der Masse zu gewinnen, ihrem nach immer neuen Genüssen, nach immer neuen Aufregungen lechzenden Volke ein glänzendes Schauspiel um das andere, und das Beifallsgebrülle der bis zur Tollheit erregten Menge hallte donnergleich bis herauf zu den Marmorpalästen der Kaiser.

Jetzt ist keine Stätte Roms öder, einsamer und stiller, als diese. Verweht ist der Staub der Cäsaren, die, vom Taumel der absoluten Macht trunken und schon von Haus aus mit krankhafter Geistesanlage behaftet, hier in Wahnsinn und Raserei gehaust, hier über ein inmitten des ungeheuerlichsten Luxus und der ungeheuerlichsten Laster selbst immer am Rande des Wahnsinns hintaumelndes Volk geherrscht haben, das, nachdem es in der Politik, der Kunst, der Poesie, der Philosophie eben sein Höchstes erreicht hatte, nun rasch seinem Niedergange zustrebte. In Ruinen liegen die kaiserlichen Paläste, das Forum ist zerstört, die Campagna ist verödet. Da und dort auf dem Palatin und in seiner Nähe liegt ein Klosterhof, den die Mönche hier auf der Stätte früherer Kaiserherrlichkeit erbaut haben, in seinem Hofe schaukelt eine vereinzelte Palme ihren Wipfel, und nur die ewige Sonne strahlt noch immer so voll, so göttlich wie früher auf diese Welt von Trümmern und Ruinen.

Was ist Menschenschicksal? Was ist Völkerschicksal?