Textdaten
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Autor: L. Otto
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Titel: Auf der Louisenburg
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 12–13, S. 157–160, 169–172
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1857
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[157]
Auf der Louisenburg.




I.

Die Saison in Alexanderbad war sehr still. Die launische Mode wechselt mit den Bädern so gut, wie mit den Trachten, und nur Wenige wagen es, ihrem Scepter zu widerstreben. Auch Alexanderbad ist diesem Wechsel erlegen. Es kann nicht mehr wetteifern, wie einst, mit den hessischen Bädern, die durch ihre Spielbanken die fashionablen Schwindler zu sich locken, noch mit Wiesbaden und Kissingen, noch mit den nahen böhmischen Bädern, die den alten Ruf behaupten, noch mit dem gleich nahen sächsischen Bad Elster, das alle Anstrengungen macht, sich empor zu schwingen. Die schönen Tage, da die Königin Louise von Preußen hier Hof hielt, und das nahe Felsengebirge „Luxenburg“ ihr zu Ehren „Louisenburg“ genannt ward, scheinen nicht wiederkehren zu wollen unter bayrischem Scepter. Aber wenn auch die Zahl der Curgäste verhältnißmäßig klein, so wächst doch die der Vergnügungsreisenden, die es berühren, seit der Strom derselben auch wenigstens einige Arme von sich in das Fichtelgebirge sendet.

Zu diesen Vergnügungsreisenden gehörte auch Bruno Meinhardt. Ein rüstiger Fußgänger im blühendsten Jünglingsalter, durchwanderte er an einem heißen Sommertage in Begleitung eines der Gegend kundigen Führers diese reizendste Partie des Fichtelgebirges. Ueberall war es einsam und menschenleer gewesen, und es war darum kein Wunder, daß er lauschend stehen blieb, als auf der Louisenburg die ersten Menschenstimmen an sein Ohr schlugen, und sie klangen ihm um so melodischer, da es zarte weibliche Stimmen waren, die hier in fast wehmüthigen Tönen mit einander flüsterten. Ohne die Sprecherinnen zu sehen oder von ihnen gesehen zu werden, blieb er hinter einer der abenteuerlich gestalteten, mit Moos überzogenen Felsenwände stehen, an denen dieser wundersame Berg so reich ist, und lehnte sich mit dem Ohr an eine Spalte, die auch die leisesten Worte zu ihm hindurch dringen ließ.

„Wir brauchen nur um diese Ecke zu biegen und sind an dem Jean Pauls-Platz,“ erklärte der Führer. Aber Bruno winkte ihm heftig Schweigen zu und daß er hier warten möge, und hörte den ungesehenen Sprecherinnen zu.

Sie waren offenbar viel zu sehr in ihr Gespräch vertieft, um auf das zu achten, was etwa in ihrer Nähe sich regen mochte, und er hörte die Eine zu der Andern in schmerzlich aufgeregtem Tone sagen: „Ich dachte in Dir eine Bundesgenossin, Beistand und Hülfe zu finden – und nun bist Du selbst gegen mich und stimmst den Anderen bei, statt mich zu beschützen!“

„Du bist ungerecht, Amanda!“ antwortete eine ruhig klingende Stimme, „ich habe Deiner Familie gegenüber ihrem Plan noch mit keiner Silbe beigestimmt – aber im Innern muß ich es thun, wenn ich Alles bedenke, um Deines eigenen Wohles willen. Du erliegst diesen kleinlichen, täglich wiederkehrenden Quälereien – Du hast mir mehr als einmal versichert, daß Du die unaufhörlichsten Kämpfe mit Dir selbst zu bestehen hast – Deine Jugend vergeht unter verstohlen geweinten, bittern Thränen; die Widerwärtigkeiten, die Du verbergen mußt, und die darum doppelt schwer zu ertragen sind, zehren an Deiner Gesundheit – die Alexanderquelle kann Dir so wenig helfen, wie irgend ein anderes Heilmittel, wenn Dein Gemüth nicht ruhig wird – und das kann nicht eher geschehen, als bis Du, dem jetzigen Kreise entrückt, ein neues Leben beginnst, das Du Dir nach Deinem Gefallen gestalten kannst.“

„Und das hältst Du für möglich an der Seite eines ungeliebten Mannes?“ rief Jene erstaunt. „Mir ist, als wären alle Kämpfe in meinem jetzigen Verhältnisse Kinderspiel gegen die in einer solchen Ehe, zu der man mich zwingen will.“

„Aber seit wann ist Dir denn Blumenbach unangenehm?“

„Seit er um mich wirbt!“

„Das ist nur eine Mädchengrille, ich kenne das. Wir bilden uns Alle ein Ideal aus den Romanen und Gedichten, die unsere Phantasie beschäftigen. Das Ideal eines Mannes, das wir im Leben nicht finden, und das Ideal einer Liebe, die noch viel weniger existirt. Wohl uns, wenn wir uns endlich von diesen Träumen los machen, statt in nie zu stillender Sehnsucht unsere besten Kräfte zu verzehren; wenn wir aufhören, überspannte Ansprüche zu machen und bescheiden vorlieb nehmen mit dem Gebotenen. Ich habe auch resignirt –“

„Und bist Du denn glücklich?“ unterbrach sie Amanda rasch.

„Wenigstens glücklicher, als Du jetzt bist;“ antwortete Jene nach einer Pause mit einem nur halb unterdrückten Seufzer, „so glücklich, wie es die meisten Frauen sind, die an der Seite eines rechtschaffenen Mannes ihren Pflichten leben und alle romantischen Träumereien überwunden haben. Eine solche Frage solltest Du nicht thun – Du kennst mein Leben!“

„Diese Antwort sagt mir genug,“ antwortete Amanda, „genug, um es mir klar zu machen, daß, wenn ich nachgebe, wenn ich den Verhältnissen mich opfern ließe, ich nur ein Schattenleben führen würde! O, daß ich keine Seele finde, die mich versteht, kein Wesen, mich zu beschützen!“

„Hier an dieser geweihten Stelle ist es Ihnen nah!“ rief plötzlich eine begeistert tönende Männerstimme; „sie trägt nicht [158] umsonst den Namen Jean Paul’s. Fragen Sie ihn um Rath, lesen Sie in seinen Schriften und Sie werden fest in der Erkenntniß bleiben, daß kein Ideal aufgegeben werden darf um äußerer Rücksichten willen!“

Wie Bruno die beiden Damen so hatte sprechen hören, trat er plötzlich hervor, ohne sich zu besinnen, was er that, und stand wie eine geheimnißvolle Erscheinung mit jenen Worten vor ihnen.

Erschrocken war die ältere Dame aufgesprungen, indeß Amanda, wie verzaubert, sitzen blieb. Ihr schön geformtes, ausdrucksvolles, aber bleiches Gesicht erglühte, ihre blauen Augen sahen erschrocken und doch so seelenvoll zu dem Fremden auf, ihre schlanke, zarte Gestalt zitterte und vermochte wohl eben darum sich nicht zu erheben, noch ein Wort hervorzubringen, indeß die andere Dame sagte:

„Mein Herr, welche Indiscretion! Wer sind Sie, daß Sie sich nicht scheuen, sich in so zudringlicher Weise in die Unterhaltung fremder Damen zu mischen?“

„Ein Jünger Jean Paul’s,“ antwortete Bruno mit erzwungener Fassung. „An dieser geweihten Stelle ist es erlaubt, im Sinne dieses erhabenen Genius zu sprechen und seinen Beistand Allen zu empfehlen, die dessen bedürfen sollten. Ich konnte nichts Anderes wollen, als dies, und werde Ihnen nicht länger lästig fallen.“

Mit höflichem Gruße ging er von dannen und überließ die beiden Damen den verschiedenartigsten Empfindungen.




II.

Bruno Meinhardt war schon seit einiger Zeit auf der Reise und allein. Man weiß, was das zu sagen hat. Auf der Reise wird selbst der vertrocknetste Geschäftsmann, der eingerostete Pfahlbürger, der entschiedenste Philister ein anderer Mensch, wie viel mehr nicht der lebensfrohe Jüngling. Ein jeder Reisender geht aus sich heraus, nimmt Leben und Menschen, wie beides sich bietet, kommt über hergebrachte konventionelle Formen und über tausend Vorurtheile, die daheim ihm das Leben erschweren, leicht hinweg und denkt nicht, wie in seiner Vaterstadt, daran, was die Leute dazu sagen werden. Ja, es kitzelt ihn wohl gar, in heiterem Uebermuth der Reisefreiheit, diese mannigfach zu benutzen, und das ihm gleichgültige Urtheil fremder Menschen im flüchtigen Begegnen geradezu herauszufordern.

Als Bruno sich selbst in diesem Falle befand, handelte er zwar nicht aus Absicht rücksichtslos, aber er war es schon gewohnt geworden, der Eingebung des Augenblicks sich hinzugeben und mehr als daheim der poetischen Stimmung seines Innern zu folgen, die Flügel seiner Seele frei zu entfalten und von ihnen über das Alltägliche hinweg sich tragen zu lassen. Die Reisefreiheit benutzte er nicht, um unter Unbekannten und im Geheimen die Schranken zarter Sitte oder gar der Sittlichkeit zu überspringen, sondern nur, die poetische Idealität seiner Natur weniger zu beschränken und sie frei walten zu lassen, wo keine nüchternen Bekannten ihn darum bespöttelten.

Nun wandelte er hier auf den Spuren des großen deutschen Dichters, der immer dem Herzen und seinen Gefühlen zum heiligen Rechte verhalf. Von Jean Paul’schen Erinnerungen und Mahnungen durchdrungen, hatte er an sie sich hingegeben, und da er jene Frauenstimmen gehört, war es ihm gewesen, wie ein sanfter Anklang aus seinen Werken. Aber wie Blasphemie erschien es ihm gerade an dieser Stätte, Zeuge zu sein, wie ein empfindsames Mädchenherz um ihre Ideale betrogen werden sollte für ein ganzes Leben, wie an diesem Betrug eine Andere sich betheiligen wollte, die selbst eine Betrogene war und, statt vor dem gleichen Schicksal Jene zu schützen, es ihr selbst mit zu bereiten gedachte. Das hatte in seine Seele gegriffen. Sein ganzes Wesen war ohnehin erregt von poetischen Eindrücken und physisch angegriffen von der weiten Wanderung. Ihm war zu Muthe, als sehe er ein herrliches, singendes Vöglein in einem listig ausgestellten Netz sich fangen, um dadurch für immer der goldenen Freiheit beraubt zu werten – als müsse er das Netz zerreißen, damit nicht so Schreckliches geschehe. In diesem Erregtsein trat er hastig hervor und sprach, was der Augenblick ihm eingab. Wie konnte er anders hier, mit allen Verhältnissen unbekannt, ein Befreier werden, als wenn er ein edles, aber zagendes Herz an den verwies, der am Besten auch die zarten Mädchenherzen ergründete und darum sie zu stärken und zu schirmen verstand?

Aber als Bruno Meinhardt am folgenden Tage in einer nüchternen Morgenstunde die gestrige Scene auf dem Jean Panl’s–Platz überdachte, kam sie ihm selbst doch etwas wunderlich vor für ein Reiseabenteuer und Reisefreiheit. Das Bild der holden Amanda stand lebendig vor seiner Seele; er mußte mehr von ihr erfahren, sie wiedersehen, sich vor ihr rechtfertigen, er mußte ihr Beschützer werden. Solch liebreizendes Wesen durfte nicht in engherziger Umgebung verkümmern, nicht einem ungeliebten Manne geopfert werden.

Bruno ließ sich die Fremdenliste bringen und las sie aufmerksam durch; ein vergebliches Bemühen. Denn war auch Alexanderbad nicht eben sehr besucht, es standen doch sehr viele Familien „mit Fräulein Tochter oder Töchtern“ da und die Vornamen waren nicht mit verzeichnet. Aber der Name Blumenbach fesselte ihn, dahinter das Wort „Rentier.“

„Das also ist er,“ sagte er für sich, „ein Rentier ist immer ein Freier, der selten abgewiesen wird. Aber wer weiß auch, was es mit seinen Renten für eine Bewandtniß hat – in den Bädern muß man mißtrauisch sein gegen Alles, was nach seinem Vermögen sich nennt – vielleicht kann ich mir Aufklärungen über diesen Blumenbach verschaffen, kann ihn sondiren.“

Indem Bruno, sich in diese Gedanken vertiefend, in den Promenaden auf und nieder ging, holte ihn ein stattlicher Herr in mittleren Jahren ein und knüpfte in freundlich gesprächiger Weise eine Unterhaltung mit ihm an, wie das harmlose Badeleben sie mit sich bringt. Bruno ging gern eben so freundlich darauf ein. Er hatte schnell beschlossen, einige Tage hier zu bleiben, und jede Bekanntschaft mit einem alten Badegast, als welcher sich der Fremde zu erkennen gab, war ihm erwünscht, weil er dadurch um so eher auf eine Gelegenheit rechnen konnte, von seiner interessanten Unbekannten etwas zu erfahren. Bei den vielen Grüßen, welche derselbe sowohl empfing, als auch an die ihm begegnende Damenwelt austheilte, konnte Bruno um so eher darauf zählen, daß auch Amanda seinem Begleiter bekannt sei, und er war darum zuweilen etwas zerstreut bei der Unterhaltung, weil er immer mit den Augen umherspähete, ob er sie nicht irgendwo erblicke.

Endlich war ihm auch hierin der Zufall günstig. Amanda kam an der Seite einer andern, als ihrer gestrigen Begleiterin. Die Dame an ihrer Seite war sehr elegant und luxuriös gekleidet und schien durch ihre stolze und herausfordernde Haltung auch ein besonderes Gewicht darauf zu legen. Eine majestätische Gestalt mit einem frischen Gesicht und feurigen Augen, konnte sie wohl für eine schöne Frau gelten – aber ein Ausdruck von Gemeinheit und kaltem Egoismus in ihren Zügen fiel sogleich Jedem auf, der nur ein wenig Sinn für physiognomische Betrachtungen hatte, und that ihrer oberflächlichen Schönheit großen Eintrag. Sie erschien wie eine prahlende Tulpe neben Amanda, die einer zarten, halbgeöffneten Lilie glich. Sie erschien heute bleicher, als gestern, und es war, als habe Nachtthau im Kelch ihrer Augen gestanden.

Bruno erblickte und erkannte sie schon von Weitem und fragte seinen Begleiter: „Wer sind diese Damen?“

Die Erwiderung ward mit freundlichem Lächeln gegeben:

„Frau Regierungsräthin Scharndorf und ihre Tochter Amanda, meine Braut. Wenn Sie wünschen, stelle ich Sie den Damen vor, auf die ich so eben gewartet.“

Bruno blieb wie angewurzelt stehen und schien bestürzt nach Fassung zu ringen.

Der Fremde beobachtete gespannt dies auffallende Betragen.

Plötzlich fragte Bruno entschlossen:

„Mein Herr – verzeihen Sie, wenn ich zweifle – seit wann nennen Sie dies Mädchen Ihre Braut? Wie ist Ihr Name?“

Erstaunt und fast frappirt von dieser Frage, nahm der Fremde einen zusammengefalteten Brief aus seiner Tasche und überreichte ihn Bruno, ohne ein Wort zu sprechen, aber ihn scharf beobachtend.

Bruno öffnete und las die in der üblichen Weise lithographirte Verlobungsanzeige:

„Die Verlobung ihrer Tochter Amanda mit Herrn Rentier Wilhelm Blumenbach beehren sich Verwandten und Freunden ergebenst anzuzeigen
Regierungsrath Scharndorf und Frau.“ 

Bruno zerriß den Brief, warf das Papier zu Boden und sagte:

[159] „Mein Herr, wenn Sie für die That Rechenschaft wünschen, so bin ich bereit, Ihnen eine jede zu geben; gleich jetzt, wenn Sie mit mir kommen wollen, oder zu jeder andern Zeit.“

Blumenbach erholte sich schwer von seinem Erstaunen über dies Betragen eines Menschen, den er eben zum ersten Male sah.

Zugleich bemerkte er das Näherkommen der Damen und sagte heftig, aber leise:

„Rechenschaft werden Sie mir geben, sobald ich von dem Badearzt erfahren, daß Sie nicht unter die Unzurechnungsfähigen gehören, was ich aus Ihrem Betragen schließen muß. Natürlich nicht eine Rechenschaft, wie Sie vielleicht auf burschikose Weise im Sinne haben –“

„Mein Herr,“ unterbrach ihn Bruno, „ich bin principiell auch ein Gegner des Duells und habe wenigstens im Augenblicke nicht daran gedacht. Ich meine damit, daß Sie mir Gehör schenken, wozu jetzt nicht der Ort ist – hier ist meine Karte, bestimmen Sie eine Stunde.“

Blumenbach überlegte – die näher gekommenen Damen waren nicht weit entfernt, sich mit andern begrüßend, stehen geblieben; es mußte ihnen aufgefallen sein, daß er noch nicht auf sie zugeeilt, und um sein Zögern einzubringen, sagte er darum schnell:

„Ich habe heute keine Zeit – kommen Sie morgen so früh Sie wünschen in meine Wohnung.“

„Noch Eins,“ sagte Bruno; „ich schließe aus der Anzahl, die Sie bei sich trugen, daß diese Anzeigen noch nicht ausgeschickt sind; wenn Ihnen Ihre Ehre lieb ist, unterlassen Sie es, bis Sie meine Mittheilungen vernommen.“

„Mein Herr!“

„Ich wiederhole: wenn Ihnen Ihre Ehre lieb ist.“

Blumenbach grüßte, ohne ein Wort zu erwiedern, ließ Bruno stehen und wandte sich zu den Damen.




III.

Bruno beobachtete, langsam umkehrend, wie Blumenbach die Damen begrüßte, wie Amanda scheu zurückwich und sich so zu wenden wußte, daß Blumenbach statt an ihrer, an der Seite ihrer Begleiterin gehen mußte, die ihn mit aufmunternder Freundlichkeit begrüßte. Bruno ging an den Damen vorüber und grüßte.

„Kannten Sie diesen Herrn?“ fragte Blumenbach, und fixirte dabei die junge Dame mit stechenden Blicken.

Diese, die den Gruß erröthend erwiedert hatte, schien jetzt zu zittern und flüsterte ein leises:

„Nein.“

„Sie unterhielten sich ja eben sehr angelegentlich mit ihm,“ sagte die Regierungsräthin; „ich meinte, es sei ein Bekannter von Ihnen, den Sie unerwartet hier trafen, daß Sie darüber alles Andere vergaßen.“

Blumenbach entgegnete: „Er redete mich an und dann interessirte er mich, weil es mir schien, als ob es in seinem Kopfe nicht ganz richtig sei, so viel faselte er durcheinander.“

„O das ist unmöglich!“ rief Amanda, sich vergessend.

„Wie, Sie kennen ihn doch?“ fragte Blumenbach.

„Ich meine nur, er sieht ganz und gar nicht danach aus,“ fügte Amanda kleinlaut hinzu.

„Haben Sie diese Physiognomie so sehr studirt?“ fragte Blumenbach peinlich weiter.

Diesmal besann sich Amanda schneller auf die Antwort.

„Was bleibt uns denn auf diesen einförmigen Spaziergängen weiter zu thun übrig, als die Begegnenden zu betrachten?“

„Nehmen Sie sich in Acht!“ sagte die Regierungsräthin lächelnd; „Sie sehen, wie Amanda empfindlich ist, daß Sie sie so lange diesem einförmigen Spaziergange überlassen konnten.“

Amanda’s Lippen zuckten leise, aber sie thaten keine Gegenrede. Das war die Art der Regierungsräthin, ihrer Stiefmutter, mit wenig Worten anzudeuten, wie wenig Aufmerksamkeit und Liebe die Tochter für sie und wie viel für Blumenbach habe; durch Beides konnte sie diese am tiefsten verletzen.

Blumenbach entschuldigte sich nochmals in einigen gewählten Redensarten für sein Säumen. Dann sagte die Regierungsräthin: „Sie haben nun wohl die Verlobungsanzeigen aus der lithographischen Anstalt in Wunsiedel erhalten und wir können Sie heute aussenden?“

Auch diese Frage, an diesem Orte, war wohlberechnet, denn Amanda konnte unmöglich auf der lebhaften Promenade, von Allen beobachtet, neuen Widerspruch erheben und eine compromittirende Scene herbeiführen – dennoch schien sie nach Worten zu ringen, aber Blumenbach kam ihr zuvor, indem er nach einigem Bedenken sagte:

„Leider hat der Lithograph sein Wort nicht gehalten; vor morgen kann er uns die Anzeigen nicht senden.“

Amanda athmete auf, noch ein Tag war ihr geschenkt. Die Regierungsräthin aber schalt auf die Langsamkeit und Unzuverlässigkeit der Kleinstädter, auf Wunsiedel, ja auf den zukünftigen Schwiegersohn, der die Bestellung nicht eilig und fest genug gemacht.

Er suchte sich und Alles, so gut es ging, zu entschuldigen.

Im Cursaal, wo man das Frühstück nach dem Spaziergange nahm, lehnte Bruno, Zeitungen lesend, in einer Ecke. Er sah die Drei eintreten und bald auch Amanda’s gestrige Begleiterin sich zu ihr gesellen. Als Beide einmal entfernt von Blumenbach und der Stiefmutter und einem Knäuel anderer Damen standen, drängte sich ein kleines Mädchen, das Blumensträuße in einem Korbe feil bot, hinzu, zupfte Amanden, da diese eben ein wenig zurücktrat, an der Mantille, gab ihr einen der schönsten Sträuße und sagte:

„Schnell, nehmt, aber es soll’s Niemand sehen. Ein Zettelchen steckt darin.“

Erschrocken aber hastig griff Amanda danach und wußte nicht warum, noch hatte sie irgend einen bestimmten Gedanken dabei, aber ihr war seit einigen Tagen zu Muthe, wie einem Ertrinkenden, und angstvoll zitternd griff sie nach jedem Strohhalm, vielleicht hing er an einem Fels, der Rettung verhieß. So griff sie auch nach dem Strauße, zog ein Blättchen Papier unter einer vollerblühten brennenden Liebe hervor und barg es in ihrem Busen. Niemand sah es, als Bruno, der aus der Ferne jeder ihrer Bewegungen mit forschenden Blicken folgte.

Heimgekehrt nach einer Stunde und endlich allein, um die Toilette des Morgenspaziergangs mit der zur table d’hôte zu vertauschen, las Amanda das Zettelchen, das indeß feurig brennend auf ihrem Herzen geruht. Es lautete:

„Bleiben Sie standhaft. Verweigern Sie das schreckliche Opfer, das man von Ihnen fordert. Verhältnisse machen es Ihnen schwer, sich selbst getreu zu bleiben, aber nicht unmöglich. Vielleicht ist mir schon gelungen, B. zu bewegen, die Declaration der Verlobung noch bis morgen aufzuschieben, wo ich eine Unterredung mit ihm haben werde, die vielleicht über Ihr Geschick entscheidet. Aber um Sie befreien zu können, muß ich mit Ihnen selbst sprechen. Ich bin so kühn, Sie für diesen Abend um eine Unterredung auf der Louisenburg zu bitten, auf dem Jean-Pauls-Platz, wo wir uns vorgestern begegneten. Können Sie diese Bitte erfüllen, so erscheinen Sie mit diesem Sträußchen an der table d’hôte oder haben Sie anders zu bestimmen, so findet sich wohl dabei eine Gelegenheit zu einer Notiz für mich. Ich werde dort sein, aber nicht wagen, mich Ihnen zu nähern. – Ich bitte nicht um Verzeihung für meine Kühnheit, außer mit den Worten Jean Paul’s, die Horion an den ihm unbekannten Emanuel schreibt: Sage nicht zu mir, ich kenne Dich nicht! – Warum kann der Mensch auf dem schmalen Sonnenstäubchen Erde, auf dem er warm wird, und während der schnellen Augenblicke, die er am Pulse abzählt, zwischen dem Blitze des Lebens und dem Schlage des Todes, noch einen Unterschied machen unter Bekannten und Unbekannten? Warum fallen die kleinen Wesen, die einerlei Wunden haben, und von denen die Zeit das nämliche Maß zum Sarge nimmt, nicht einander ohne Zögern mit dem Seufzer in die Arme: ach, wohl sind wir einander ähnlich und bekannt!
Ein Jünger Jean Paul’s.“

Amanda las und ward dabei von den verschiedensten Empfindungen bestürmt. Zuerst war es Entrüstung weiblichen Stolzes, die ihre Wangen wechselnd erbleichen und erglühen machte. Wer war dieser Unbekannte, der es wagte, so vertraulich zu ihr zu sprechen, so in ihre Familien- und Herzensangelegenheiten sich zu mischen, der es wagte, über ihr Geschick entscheiden zu wollen? Sie weinte vor Unmuth über sich selbst, daß sie diese Zeilen nur angenommen und warf den Strauß, der sie geborgen, entrüstet zu Boden. Aber sie las doch weiter – und da sie zu Ende gelesen, [160] wurden andere Stimmen in ihrer Seele laut. Jean Paul war ihr Lieblingsschriftsteller, sie betrachtete ihn wie ihren Herrn und Meister. Vor ihm, der jedem Herzen und jeder Seele, die einer edlen Flugkraft fähig war, das Recht vindicirte, sich mit freien Flügeln über die Alltäglichkeit zu erheben, schämte sie sich, daß sie selbst von dieser Alltäglichkeit sich fesseln ließ. Gestern, wo sie, von ihren Eltern gedrängt, in die Verlobung mit dem ungeliebten Mann zu willigen, vergebens bei der Verwandten, die ihrem Herzen am nächsten stand, auf Verständniß, Theilnahme und Schutz gehofft, hätte sie den Himmel anflehen mögen, ihr nur eine sympathisirende Seele zu senden – da war der fremde Jüngling vor sie getreten und hatte Worte gesprochen, die unvergessen in ihrem Innern nachzitterten. War nicht er es, den der Himmel ihr sandte? Aber was fragt die Welt nach solchen nüchternen Sendungen! Amanda’s Begleiterin ward nicht müde, auf die Indiscretion des Fremden zu schelten und Amanda selbst auf den Standpunkt herabzuziehen, von dem aus kein anderes Urtheil über ihn zu fällen war. – Aber jetzt, da er sie wieder selbst an den Flug des Genius zu den höchsten Idealen erinnerte, jetzt war sie bereit, ihm zu folgen. War es denn nicht schon vielleicht das Werk des Unbekannten, daß Blumenbach heute mit der Anzeige zögerte, oder daß er deren Abdruck noch nicht hatte, daß er zurückhaltend gegen sie war und schon erklärt hatte, an dem abendlichen Concert nicht Theil nehmen zu können? War er nicht vielleicht der Einzige, der ihr beistehen konnte, und wie mußte sie es bereuen, die rettende Hand von sich zu weisen, die im Augenblick der Entscheidung sich ihr entgegenstreckte?

Unter diesen Grübeleien hatte Amanda ihre Toilette vollendet und mit zitternder Hand steckte sie Bruno’s Strauß an die unruhig bewegte Brust.




IV.

Es ward Abend. Bruno’s Blicke hatten am Mittag mit stolzem Triumph das ersehnte Zeichen gefunden und jetzt ging er auf die Louisenburg, dies holde Mädchen im Geheimen zu sprechen, das er sich vorgenommen, zu retten. Es war heute noch stiller als gewöhnlich in dieser erhabenen Felsenstadt, weil ein Concert, dem später Tanz folgte, die Badegesellschaft im Cursaal vereinigte und festhielt. Der Abendwind säuselte im zarten Laub der Buchen, wie in den dunklen Nadeln der Tannen, der Thau fiel in das smaragdne Moos, das an wunderbaren Steingebilden sich fest geheftet. Die untergehende Sonne beschien noch die Fahne, die auf der höchsten Spitze des Burgsteines wehete, und die waldige Kuppe der Kössenia. Die Vöglein huschten in ihre verborgenen Nester und ließen nur noch einzelne Triller vernehmen.

Bruno stand auf einem Felsenvorsprung unterhalb des Jean Pauls-Platzes und spähete nach Amanden. Da kam sie athemlos die steinerne Stiege herauf. Er ward sie erst spät gewahr, denn sie trug ein grünes Kleid, vielleicht absichtlich sich damit im Grün der Waldung zu verlieren. Sie hatte ihn gesehen und stand zögernd still. Am ganzen Körper zitternd, schien es fast, als wolle sie umkehren – aber ehe dies geschehen, war Bruno mit einem kühnen Sprunge an ihrer Seite.

„Ich danke Ihnen für ihr Vertrauen!“ rief er, „möge ich es in jeder Beziehung rechtfertigen können. Ein Zufall ließ mich einen Blick in ihr Schicksal thun. Wir Männer sind und heißen das stärkere Geschlecht. Es ist unsre Pflicht und war immer das Amt jedes edlen Mannes aller Zeiten, das schwächere weibliche Geschlecht gegen Willkür und Brutalität zu schützen. Im Mittelalter war es immer Brauch, daß der fremde Ritter auch der fremden Dame sich annahm, die eines Beistandes bedurfte – was Gutes an der alten Zeit gewesen, wollen wir immerhin hinüberretten in die neue, die nur edlere und keine roheren Sitten haben sollte. Ich habe immer so gedacht und danach gehandelt und frage am wenigsten nach dem Vorurtheil an einer Stätte, die den Namen eines Dichters trägt, der über jedes Vorurtheil erhaben, wo es den Triumph der edleren Naturen galt über die alltäglichen und ihre niedern Schranken. Er ehrte am meisten das reiche Herz der Jungfrauen, wie jede zarte Sitte der sie unterthan – darum können Sie seinem Jünger nun an dieser Stätte vertrauen.“

„Mein Herr,“ sagte Amanda mit melodischer Stimme, die Bruno tief zum Herzen ging, „ich verstehe Sie und Ihre Worte heben mich über die Nothwendigkeit hinweg, Ihr Betragen bei mir, wie das meinige bei Ihnen zu entschuldigen. Sie kennen mein Geschick – Sie kennen Herrn Blumenbach –“

„Nicht eben genau,“ unterbrach sie Bruno, „aber doch genau genug, um zu wissen, daß er nicht verdient, Ihr Gemahl zu werden.“

Amanda erröthete und sagte mit niedergeschlagenen Augen:

„Ich sah Sie diesen Morgen mit ihm sprechen und schloß daraus, daß Sie ihn kennen – noch mehr, daß Sie Einfluß auf ihn haben. All’ meine Einwendungen, Bitten und Vorstellungen waren bei ihm selbst, wie bei meinen Eltern vergeblich gewesen; man wollte mich ihm mit Gewalt verloben. Ein willenloses Kind, ließ ich endlich wie eine Ohnmächtige Alles über mich ergehen; die bestellten Anzeigen sollten diesen Morgen verschickt werden, an diesem Abend sollte ich zum ersten Male als Blumenbach’s Braut erscheinen – alle Mittel dagegen hatte ich erschöpft, nur ein gewaltsames blieb mir übrig – ich schwankte noch, ob ich heimlich fliehen oder öffentlich erklären wollte, daß meine Eltern mich zwängen, da kommt Blumenbach ohne Anzeigen und ist von selbst bereit, die Verlobung wenigstens noch hinauszuschieben; ist diese Sinnesänderung durch Sie bewirkt?“

„Ich darf es hoffen!“ antwortete Bruno, froh bewegt. „Aber wie können Eltern die eigne Tochter so opfern wollen?“

„Eltern, ach!“ wiederholte Amanda seufzend. „Die Gattin meines Vaters ist nicht meine Mutter – die Stieftochter ist ihr verhaßt. Diese Frau vermag Alles über meinen Vater, sie hat mir durch tausend Intriguen ihr Herz entfremdet, peinigt nicht nur mich, sondern auch ihn täglich um meinetwillen und bietet Alles auf, mich aus dem Hause zu bringen. Mein Vater sieht ein, daß er auch dann nur Ruhe hat, und theilt ihren Wunsch. Aber er ist zu stolz, darein zu willigen, daß ich sein Haus als Mädchen verlasse. Wir haben kein Vermögen und der Gehalt meines Vaters, der früher bei manchem Lebensgenuß uns noch übrig ließ, reicht jetzt nicht mehr aus bei dem Luxus der Stiefmutter – der Vater ist in Sorgen und rechnet darauf, sie sich durch einen reichen Schwiegersohn zu erleichtern. Vergebens habe ich schon seit dem Tage, da die Fremde in’s Haus kommen sollte, den Vater gebeten, mir wo anders ein Unterkommen suchen zu dürfen, als Gesellschafterin oder Lehrerin. Lächeln Sie nicht, mein Herr, über dies Wort, weil ich noch jung bin – ich habe Talente, die ich üben und entfalten könnte – ich male und musicire und die ersten Künstler, die meine Lehrer waren, beschworen mich, diese Talente, die sie an mir zu finden meinten, zu pflegen. Aber durch meine Stiefmutter verkümmern sie; den Unterricht entzog sie mir, und gestattete mir noch weit weniger, selbst welchen zu ertheilen. Mein Vater selbst hält es für ehrenvoller, wenn ich in seinem Hause im Geheimen die niedrigsten Dienste verrichte, zu denen jede Magd gut ist, als wenn ich öffentlich meine Talente verwerthe. Seitdem ist jede höhere Fähigkeit in mir mit Füßen getreten worden, und ich gehe im Ringen mit den kleinlichsten und schmählichsten Verhältnissen zu Grunde. Darum allein konnte selbst meine theuerste Verwandte, die Sie hier mit mir sprechen hörten, mir auch zureden, Blumenbach meine Hand zu geben, damit ich von den häuslichen Qualen erlöst würde, und mir wenigstens die Freiheit erkaufe, einer höheren Ausbildung meiner Fähigkeiten zu leben.“

„Das ist die Geschichte unzähliger strebender weiblicher Wesen!“ rief Bruno. „Mit den herrlichsten Anlagen ausgerüstet, verkümmern sie entweder schon im Elternhause oder mit den zartesten Herzen im Sündenpfuhl einer Ehe, die Zwang oder Berechnung schloß! Sie fühlen es, daß Sie berufen sind, diesem entsetzlichen Schicksal nicht zu verfallen! Sie würden nie die Kühnheit haben, aus dem Vaterhaus zu entfliehen, weil man Ihre edlen Anlagen unterdrückt, aber Sie werden den Muth haben, das Aeußerste zu thun, um nicht ein Verbrechen an sich selbst, einem Andern, an Gott und der Menschheit zu begehen! Sie werden fliehen, wenn Ihnen dagegen kein anderes Mittel bleibt. So wird Ihnen die Erlösung vom häuslichen Drucke kommen auch ohne das geforderte Opfer!“

[169] „Aber, mein Herr,“ unterbrach Amanda den heftig Erglühenden, „Sie nennen ein schreckliches Mittel und ich kam, weil ich glaubte, Sie hätten ein anderes, um Blumenbach zur Entsagung zu bringen.“

Bruno sah nachdenkend vor sich nieder.

„Ein unehrliches Mittel, wie eine Lüge wäre, mag ich nicht anwenden,“ sagte er, „und ich weiß nicht, ob die Unterredung, die er mir zu morgen bewilligt, einen so guten Erfolg haben wird, wie meine heutige. – Fräulein, Sie sind Malerin!“ rief er nach einigem Besinnen, „eine Malerin in Baireuth, die mir befreundet, ein altes Fräulein – einst eine Freundin und Jüngerin Jean Paul’s – würde Ihnen ein schützendes Asyl gewähren; wollen Sie zu ihr?“

„Aber, wie kann ich? Alles das ist so abenteuerlich!“ sagte Amanda zögernd.

„Wenn man nicht in der Flachheit des Lebens zu Grunde gehen will, muß man auch vor keinem Abenteuer zurückbeben, das rettend auf seine Höhen führt!“

Er hatte kaum mit sehr entschiedener Stimme diese Worte ziemlich laut gesagt, als nahe her der Ruf erscholl:

„Amanda! Amanda!“

„Wollen Sie sich verbergen?“ flüsterte ihr Bruno zu, „so trete ich hervor.“

„Nein,“ antwortete Amanda hastig, „es ist meine Verwandte Bertha, von der ich Ihnen sagte.“

„Also doch Mißtrauen!“ rief Bruno schmerzlich.

„Nein!“ versetzte Amanda, „sie weiß nicht, wo ich bin, sie sucht mich nur an meinem Lieblingsplatze, sie wird mich vermißt haben!“

Bruno nahm dies für eine Weisung sich zurückzuziehen, und indeß Amanda vorwärts eilte und „Bertha, hier bin ich!“ rief, schlich er in die Grotte, die ihn verbergen konnte.

„Um’s Himmelswillen, Amanda!“ rief Bertha, auf sie zueilend, „wo bist Du und ist es wahr, bist Du nicht allein? Hat der Zudringliche von gestern es wieder gewagt, sich Dir zu nähern?“

„Ja, er hat es gewagt!“ sagte Bruno vortretend.

„Mein Herr!“ rief Bertha, „sowenig kümmert Sie der Ruf einer jungen Dame?“

„Weniger immerhin als ihr ganzes Lebensglück!“ antwortete Bruno fest; „in keiner geringern Absicht kam ich hierher.“

„Herr Meinhardt beging keine Indiscretion,“ sagte Amanda athemlos und Bruno fiel es auf, daß sie seinen Namen nannte, er hatte ihr ihn nicht gesagt, so mußte sie sich bei Andern bemüht haben, ihn zu erfahren. Sie fuhr fort: „Nachher erkläre ich Dir Alles, jetzt rede, was ist geschehen? Vermißt man mich? Warum suchst Du mich?“

„Weil man Dich hier gesehen und in dieser Gesellschaft. Herr von Subow, der Freund Deiner Mutter und Blumenbach’s, erzählte es Beiden laut im Concertsaal, da man nach Dir fragte; Du warst verschwunden, ich hatte es längst bemerkt und eilte hierher, Dich zu suchen; ich bin außer mir, denn ich kann mir nicht schrecklich genug denken, was Dich erwartet; komm, laß uns eilen. Herr Meinhardt, verschonen Sie uns mit Ihrer Begleitung.“

„Zu Ihrem Befehl,“ antwortete Bruno; „aber ich werde vor Ihnen im Concertsaal sein und ein Wort mit diesem Subow reden.“

Amanda ergriff seine Hand: „Versprechen Sie mir, daß Sie sich um meinetwillen keiner Gefahr aussetzen, sie sei welcher Art sie wolle.“

Bruno drückte diese Hand und schob eine Visitenkarte hinein, dann eilte er mit schnellen Schritten davon.




V.

Als Bertha und Amanda nach Alexanderbad zurückkamen, war zehn Uhr vorüber. Erstere wollte im Cursaal recognosciren, ob Amanda’s Eltern und Blumenbach noch da seien, und letztere ging in ihre Wohnung. Ihre Aufwärterin im Hause sagte, daß die Frau Regierungsräthin, auf ihren Gemahl gestützt, schon vor einer Stunde nach Hause gekommen sei und heftige Krämpfe gehabt habe. „Ach, sie war so wüthend und ist es gewiß noch!“ fügte das Mädchen mit mitleidigen Blicken auf Amanda hinzu, als wolle sie damit warnen, denn im Hause war es nur zu bekannt, daß die Stiefmutter ihre Tochter in ausgesuchter und gemeiner Weise zu quälen suchte.

Amanda ging mit klopfendem Herzen hinauf. Die Familienwohnung bestand aus drei Zimmern. Ein Wohnzimmer, rechts das Schlafzimmer der Eltern, links das Amanda’s. Letzteres hatte keinen besondern Eingang und konnte nur durch das Wohnzimmer betreten werden. Die Thür war verschlossen. Amanda klopfte vergeblich. Endlich klopfte sie auch an der Thür des elterlichen Schlafzimmers, das eine zweite Thür nach Außen hatte.

[170] „Amanda!“ rief endlich die Stimme ihres Vaters von drinnen.

„Ich bin schon längst hier, aber die Thür ist verschlossen!“ antwortete Amanda.

„Untersteh’ Dich nicht, sie einzulassen!“ rief die Regierungsräthin ihrem Manne zu und dann ergoß sie – die vor Kurzem im Salon als feine Weltdame geglänzt – durch die Thür eine Fluth der gemeinsten Schimpfreden über Amanda und erklärte, sie nun und nimmer hereinzulassen, sie sei unwerth, mit ihnen unter einem Dache zu weilen. Das Rendez-vous mit einem fremden Abenteurer ward ihr vorgeworfen und daß nun kein ordentlicher Mann mehr etwas von ihr werde wissen wollen.

Amanda erwiederte kein Wort darauf. Nach längerer Zeit aber rief sie: „Vater, dieser Auftritt wird nicht mich, sondern Sie compromittiren, die Leute im Hause hören diese Reden, sagen Sie mir, was ich thun soll, denn hier kann ich nicht länger stehen bleiben, wenn Sie mich nicht wenigstens einlassen.“

„Geh’ hinüber zu Bertha, damit ich endlich Ruhe habe,“ antwortete grollend der Vater.

„Du heißt mich gehen? Ich gehe! Gute Nacht, Vater!“ und Amanda wankte die Stiege hinab. Wie sie an das Geländer sich anhielt, fühlte sie Bruno’s Karte in ihrem Handschuh. Mechanisch zog sie dieselbe heraus und las auf der Kehrseite mit Silberstift geschrieben beim Scheine der Hauslampe:

„Die Post fährt täglich früh drei Uhr von Wunsiedel nach Baireuth. Daselbst empfohlen an Fräulein Marianne Spindel, Malerin, Gymnasialplatz Nr. 12.“

Es war bald ein Uhr geworden, die Nacht klar und warm, als Amanda hinaustrat. Was sollte sie bei Bertha? Was konnte daraus entstehen, als morgen eine neue Scene mit den Eltern, die sie doch dahin bringen mußte, sich von ihnen zu trennen? Sie hielt die Karte in der Hand, die ihr den Weg zur Rettung wies, und sie trat ihn an.

Nächtliche Schauer schüttelten sie, aber sie nahm ihren Muth und ihre Entschlossenheit zusammen und wollte besonnen sein und handeln. Sie griff in ihre Tasche. Zum Glück hatte sie ihr Portemonnaie mit einigen Gulden und auch ihre Brieftasche mit einigen Cassenbillets darin. So war sie doch im Augenblicke in dieser Beziehung keiner Verlegenheit ausgesetzt. Ringsum war es still geworden, der Tanz pflegte nicht bis nach Mitternacht zu dauern und andere Nachtschwärmer gab es auch nicht in dem stillen Alexanderbad. Hastig eilte sie auf der Landstraße dahin, deren eigenthümliches Weiß selbst im Dunkel leuchtete. In einiger Entfernung hob sich ein dunkler Schatten von ihr ab. Amanda zögerte. Sollte sie umkehren? War es eine fremde Person, die sich nicht um sie kümmern würde, oder eine bekannte, der sie ungesehen zu bleiben wünschen mußte? Aber da sie zögerte, kam die Gestalt auf sie zu und rief:

„In der Hoffnung, daß Sie kommen würden, erwarte ich Sie hier! Ich habe indessen an Fräulein Spindel einige erklärende Zeilen für Sie geschrieben; es steht bei Ihnen, dieselben vorher zu lesen oder nicht, es ist kein Urias-Brief.“ Und Bruno überreichte ihr mit diesen Worten einen unversiegelt couvertirten Brief.

Amanda nahm ihn und sagte: „Ich handele wie eine Träumende und verstehe mich selbst nicht mehr. Aber da mir eben jetzt meine Eltern die Thür gewiesen, so muß ich wohl als eine Verstoßene durch die Nacht wandeln und mir selbst einen Lebensweg suchen.“

„Es ist immer besser, durch eine Nacht dem Tage entgegenzuwandeln, als immer nur in der Dämmerung sich im Kreise zu drehen,“ entgegnete Bruno. „Erlauben Sie, daß ich Sie nach Wunsiedel begleite?“ Er sah, daß sie eine Einwendung machen wollte, und fügte, neben ihr weiter wandelnd, hinzu: „Nur bis dahin, nicht weiter. Ich weiß, was ich Ihrem Rufe schuldig bin. Sie werden verschwunden sein und ich werde noch einige Tage in Alexanderbad bleiben und jedes böswillige Gerücht Lügen strafen, das sich über Sie verbreiten möchte. Dann muß ich wieder zurückkehren in meine sächsische Heimath, wohin mein Beruf als Ingenieur mich führt.“

Amanda blieb stehen und sagte: „Folgen Sie mir auch jetzt nicht weiter. Sie haben mit entscheidender Hand in mein äußerlich nur alltägliches, innerlich aber namenlos qualvolles Leben eingegriffen; lassen Sie mich glauben, daß es so sein mußte, daß Sie der Himmel zu diesem Zwecke auf meinen Pfad führte. Ich weiß nicht, ob ich Ihnen danken und Sie verehren, oder Ihnen mißtrauen und Sie hassen soll. Aber das weiß ich, daß wir jetzt schnell, wie wir uns begegneten, und für immer scheiden müssen. Leben Sie wohl und wagen Sie nicht, mir noch einen Schritt zu folgen, sonst kehre ich in das Joch zurück, aus dem Sie mich gerettet.“

Bruno blieb stehen. Unbegreiflich erschien ihm diese plötzliche Veränderung in ihrem Benehmen, dieser heftige gebietende Ton ihrer Stimme.

„Ich gehorche,“ sagte er, „aber wir sehen uns wieder!“

Bald waren Beide einander aus den Augen geschwunden.




VI.

Am folgenden Morgen ging Bruno zur bestimmten Stunde zu Blumenbach. Zu seiner Verwunderung fand er Herrn von Subow bei ihm.

Herr von Subow war während der Badesaison der unzertrennliche Hausfreund der Familie des Regierungsrathes; zunächst der seiner Gemahlin. Seine Aufmerksamkeiten für sie mochten wohl, obschon sie von ihr geduldet wurden, über das Maß des Erlaubten hinausschweifen – darum war er der natürliche Feind der unbequemen Stieftochter und strebte gleich der Regierungsräthin danach, auch Amanda’s Sittenreinheit in ein zweifelhaftes Licht zu stellen. Ueber ihre einsamen Spaziergänge hatte er schon oft hämische Bemerkungen gemacht, und da sie an jenem Concertabend aus dem Saale verschwunden war, beschloß er, ihr zu folgen. Er vermuthete, wohin sie ihren Weg genommen, da die Louisenburg immer ihr Ziel war. Fragen an andere Spaziergänger, welche sie hatten gehen sehen, bestätigten ihm seine Vermuthung; wie triumphirte er, da er Amanda im Zwiegespräch mit einem jungen Manne sah, und wie eilte er wieder zurück, ihren Eltern und ihrem Bräutigam seine Entdeckung zu verkünden! Da aber Bruno ihn im Concertsaal suchte, war er feig daraus verschwunden und auch Blumenbach, wie betäubt von den Erlebnissen dieses einen Tages, hatte sich zurückgezogen, um sich in Nichts zu übereilen und lieber von dem Zufall eine Entscheidung zu erwarten, als sie selbst herbeizuführen.

Der reiche Blumenbach hatte die arme, aber einer angesehenen Familie angehörende Amanda aus Liebe gewählt, aber es war die maßvolle Liebe eines älteren behäbigen Mannes, der nur daran denkt, sich durch seine Wahl ein ruhiges und angenehmes Leben zu bereiten. Daß Amanda erklärte, ihn nicht lieben zu können, hörte er ruhig als die Erklärung einer überschwänglichen Mädchenphantasie an und war mit ihrer Achtung wie mit der freudigen Einwilligung ihrer Eltern vollkommen zufrieden. War Amanda nur erst sein, dachte er, werde sich das Uebrige Alles von selbst finden. Aber er war schon bedenklich geworden, da der ihm fremde Bruno auf der heutigen Morgenpromenade dem Gespräch mit ihm eine so sonderbare Wendung gab. Was konnte ihm der Fremde zu sagen haben? Und um sich kein Dementi zu geben, zog er vor, unter einem Vorwand die doch nur erzwungene Verlobung aufzuschieben.

Als jetzt Bruno bei ihm eintrat, sagte Blumenbach: „Mein Herr, ich erwarte Ihre Erklärung, und zwar vor diesem Zeugen.“

„Ich hätte einen Würdigeren gewünscht, denn einen Spion und Verleumder –“

„Mein Herr,“ unterbrach ihn Subow hitzig, „wir werden uns schlagen nach solcher Herausforderung! Kommen Sie auf die Stelle, wo Sie die Braut dieses Ehrenmannes ihm abwendig machten.“

„Wo ich erfuhr, daß Sie es niemals sein wollte!“ rief Bruno, „und Jean Paul auf dem Platze, der seinen Namen trägt, eine würdigere Huldigung darbringen wollte – ein weibliches Herz vom Untergange erretten! Der Platz, der den Namen dessen trägt, der die „Kriegserklärung wider den Krieg“ geschrieben, wäre auch schlecht gewählt zu einem Duell, ich schlage mich nicht, aber bin zu jeder andern Erklärung bereit. Lassen Sie mich von mir beginnen. Meine Mutter, deren einziger Sohn ich bin, war mir das Ideal eines Weibes. Aber in ihrer himmlischen Milde erschien sie mir, so lange mein Vater lebte, wie eine duldende Heilige. [171] Sie erfüllte jede ihrer Pflichten und las dem Vater jeden seiner Wünsche an den Augen ab; aber sie that es nie mit dem Lächeln des Glückes. Ich sah sie oft verstohlene Thränen weinen und wenn ich sie dann zuweilen fragte, was ihr fehle, so erschrak sie heftig und sagte: „Nichts, gar nichts! warum fragst Du denn so? laß es ja den Vater nicht merken, daß ich geweint.“

„Da ich fünfzehn Jahr alt war, ward mein Vater krank und sein Leben verzehrte sich unter täglich wachsenden Schmerzen. Mit engelhafter Milde pflegte ihn die Mutter und es gab kein Opfer, das sie ihm nicht freudig gebracht hätte. Eines Tages, da sie auch am Krankenbette weilte und ich mich im Nebenzimmer befand, hörte ich den Vater zu ihr sagen: „O, ich wußte es wohl, Amalie, welchen Schatz ich an Dir hatte, darum nahm ich einst Deine Hand an; trotz Deiner Versicherung, daß Deine Liebe einem Andern gehöre, daß nur der Eltern Wille Dich vermöchte, zu mir nicht „Nein!“ zu sagen, aber ich ehrte Dein aufrichtiges Geständniß doch nur halb und hätte es höher geehrt, wenn ich Dir entsagt. Aber ich, der gereifte Mann, glaubte, aus dem Herzen eines achtzehnjährigen Mädchens die Liebe zu einem Jüngling gleichen Alters durch meine Liebe bannen zu können. Es ist mir nicht gelungen; wir sind Beide unglücklich gewesen, Beide, weil Du mich nicht lieben konntest, und es war kein Ersatz dafür, daß wir Beide jede Pflicht für einander gewissenhaft erfüllten und die Welt, die uns nie unzufrieden miteinander sah, glauben ließen, wir wären ein glückliches Paar. Es gibt nichts auf der Welt, das fehlende Liebe ersetzen kann! Ich habe Dich sonst oft eine Schwärmerin genannt, jetzt sehe ich ein, daß es Unrecht war, aus dem Leben dieses höhere Aufschwingen bannen zu wollen, das mir Schwärmerei hieß. Es ist allein das wahrhaft Reelle der gemeinen Wirklichkeit des Scheines gegenüber. Auf einem Sterbebette klären sich die Begriffe. Versprich es mir, Deinen Sohn in Deinen Grundsätzen zu bestärken und ihm dazu die Festigkeit zu geben, die er bedarf, um sie zu befolgen, und die Dir mangelte, da Du Dich überreden ließest, mir Deine Hand zu geben.“

„Eine lange Rede,“ unterbrach ihn Blumenbach; „was soll sie mir? Der Fall paßt nicht, denn Amanda hat mir nie gesagt, daß sie einen Andern liebe.“

„Mein Herr,“ sagte Bruno, „ich wollte Ihnen nur an diesem Beispiel zeigen, wie elend eine Ehe ohne Liebe ist, auch wenn beide Theile ihren Pflichten genügen. Ich möchte nicht, daß Sie das Loos meines guten Vaters hätten, noch Amanda das meiner herrlichen Mutter. Noch mehr aber wollte ich Ihnen durch diese Erzählung meine eigne Handlungsweise erklären. Meine Mutter, deren Lieblingsschriftsteller und persönlicher Bekannter Jean Paul war, fand in seinen Schriften den besten Trost und nährte auch meinen Geist damit, und später, da ich zum Jünglinge und Mann gereift, machte sie es mir zur heiligsten Pflicht, nie ein Weib ohne Liebe an mich fesseln zu wollen. Ich selbst ging noch weiter! Um meiner unglücklichen Mutter willen machte ich es mir selbst zur Pflicht, wo es in meinen Kräften stand, der Beschützer der unglücklichen, verkannten und hülfsbedürftigen Mädchen zu werden, die einem gleichen Loose geopfert werden sollten. Darum ward ich’s für diese junge Fremde, deren Herz und Geschick mir ein Zufall enthüllte. Vielleicht, daß auch der Jüngling, der meine Mutter geliebt, sie nicht vergessen konnte.“

„Wissen Sie nicht seinen Namen?“ fragte Blumenbach in äußerster Spannung, die Augen niederschlagend.

„Seinen Geschlechtsnamen habe ich nie erfahren,“ sagte Bruno, „meine Mutter nannte ihn Moritz – und sagte noch vor wenig Jahren, daß er unvermählt geblieben.“

„Und Ihre Mutter war eine geborne Marbach!“ rief Blumenbach athemlos.

„Ja!“ antwortete Bruno und sah verwundert auf den Erschütterten.

Aber dieser schloß ihn in seine Arme, und rief: „Sohn meiner Jugendgeliebten – führen Sie mich zu der verwittweten Mutter – ich bin es, dem sie treu geblieben! Wir liebten uns in früher Jugend, schworen, uns ewig zu gehören. Ich hatte ihren Wohnort verlassen, um zu studiren. Da erfuhr ich, daß ein Anderer, ein Mann in Amt und Würden, um sie warb. Der Student durfte nicht mit ihm bei den Eltern in die Schranken treten – er konnte nur still auf die Treue seines Mädchens bauen. Aber Amalie gab dem Drängen ihrer Eltern nach – Sie ward Meinhardt’s Gattin, und ich fühlte, daß ich die für immer fliehen mußte, die mir auf ewig verloren. Ich entsagte dem Studium und ward Landwirth, reiste und widmete mich meinem Berufe. Aber nie suchte ich einen Ersatz für Amalien. So lebte ich fünfundzwanzig Jahre einsam, weder glücklich noch unglücklich. Jetzt, den Funfzigen nahe, sehnte ich mich danach, dies einsame Leben aufzugeben – ich lernte Amanda kennen, sie zog mich an, erschien mir eine passende Lebensgefährtin, und da sie arm war, meinte ich, das Glück des Reichthums an meiner Seite könne ihr ersetzen, was sie an jugendlichem Liebesglück vermissen würde. Jetzt erkenne ich meinen Irrthum – jetzt, da ich hoffen kann, die einzig wahre Geliebte wieder zu finden, gebe ich Amanda frei, um zu Amalien zu eilen!“

Indeß Bruno erschüttert zuhörte, fand Herr von Subow für gut, sich leise zu entfernen, um die überraschende Neuigkeit der Regierungsräthin zu hinterbringen.




VII.

Ein Jahr war vergangen. Der blaue Sommerhimmel ruhte auf den höchsten Gipfeln des Fichtelgebirges und schmückte sie mit rothgoldenem Sonnenglanz, indeß durchsichtige Federwölkchen um die Häupter der schwarzen Tannen spielten, die wie eine zweite Krone von den Kronen der Berge ihre Spitzen zum Hinmel emporstreckten. Auf der Louisenburg, dieser romantischen Felsenpartie, in der wunderbare Steingebilde, rieselnde Quellen, Wald und Gebüsch in malerischen Gruppirungen von der Hand der Natur durcheinander geworfen und von der künstlerischen Menschenhand nur nachhelfend geordnet, waren alle Wunder dieses großartigen Naturwerkes vom Glanz der Sommersonne mit neuen Zaubern umwoben und von den Gesängen unzähliger Vögel melodisch belebt. In dieses Heiligthum der Natur traten zwei Herren von verschiedenem Alter, in deren Mitte eine Dame ging; die Gattin des Einen und die Mutter des Anderen. Bruno’s Mutter, seit ein paar Monaten mit Blumenbach verheirathet.

Die Langgetrennten hatten sich wiedergesehen, sich wiedergefunden. Amalie Meinhardt, die längst auf jedes Glück verzichtet hatte, außer dem, das ihr der Sohn bereitete, zögerte erst lange, ihre Hand im Alter in die des Jugendgeliebten zu legen, um den Gram und Resignation sie gealtert. Aber er ließ nicht nach mit Bitten, bis sie die Untreue ihrer Jugendjahre durch Treue im Alter zu sühnen versprach, und ihm auf seine Güter folgte als sein Weib. Jetzt hatten sie eine Reise in’s Fichtelgebirge gemacht, um die Stelle aufzusuchen, die auf so wunderbare Art zum Voraltar geworden, den Langgetrennten doch noch zur Vereinigung zu helfen. Bruno, der dabei der Vermittler gewesen, durfte auch bei dieser Reise nicht fehlen. Aber ihm war trübe zu Sinnen, denn alle seine Bemühungen, sowie die Blumenbach’s, etwas von Amanda zu erfahren, waren erfolglos gewesen. Wohl hatte er damals auf der Post erforscht, daß sie wirklich mit dieser nach Bayreuth gereist sei, aber dort war ihre Spur verloren, denn auch zu der Malerin, an die sie Bruno empfohlen, war sie nicht gekommen. Wenn er sie, um sie zu befreien, vielleicht in den Tod gejagt? Wenn vielleicht irgend ein Fluß ihr ein geheimes Grab gegönnt?

Bruno ging still und düster neben dem vereinten Paar, und da es sich in Erinnerungen vergangener Zeiten verlor, stahl er sich von ihnen hinweg, um den Jean Pauls-Platz aufzusuchen, an dem er Amanda zuerst erblickt hatte. Still und einsam war es auf seinem Weg, nur ein munterer Finke folgte ihm mit seinem Sängerschlag, von Zweig zu Zweig hüpfend, und die schelmische Weise, die er angestimmt, war für Bruno eher ärgerlich als erfreuend. Da sah er etwas Weißes durch das Grün der Zweige schimmern – er trat näher – eine bekannte Gestalt tauchte vor ihm auf – er täuschte sich nicht – zwei Schritte noch und er lag athemlos zu Amanda’s Füßen; er hielt ihr Gewand in seinen Händen und stammelte das glühende Gestandniß einer Liebe, die bei dem ersten Begegnen erwacht, in einem Jahr gänzlicher Trennung und Ungewißheit zur heftigsten Leidenschaft sich herangebildet.

Amanda verhüllte weinend ihr glühendes Gesicht, und rang vergebens nach einer Antwort. Widerstandslos glitt sie in seine Arme, und ruhte wie eine Ohnmächtige an seinem Herzen.

[172] „Der Himmel hat uns zusammengeführt!“ rief Bruno. „Widerstreben wir ihm nicht länger! Amanda, ich will Ihre Liebe nicht gewaltsam erobern; ich will demüthig darum werben – aber mein Herz sagt mir, daß ich es darf! Damals, als ich Sie meiner alten Freundin senden wollte, berechnete ich, daß ich da Gelegenheit fände, mich Ihnen zu nähern –“

„Und darum,“ unterbrach ihn Amanda, „mußte ich meine Schritte wo anders hin lenken, zu viel schon hatte ich den fremden Jüngling in mein Schicksal eingreifen lassen; es durfte nicht mehr geschehen, wenn nicht er selbst und mit Recht den Glauben an weibliche Würde und Selbstständigkeit verlieren, ich an mir selbst verzweifeln sollte. Ich reiste nach Bayreuth, aber darüber hinaus. Ich hatte im „Nürnberger Correspondent“ gelesen, daß eine Dame auf einem Gut bei Bamberg für eine eben der Schule entwachsene Tochter eine jugendliche Gesellschafterin suchte, die Unterricht im Malen, Musik und Sprachen geben könne. Ich reiste dahin und stellte mich ihr vor. Die Dame gefiel mir – ich schenkte ihr mein ganzes Vertrauen, sie nahm mich sogleich und unter einem andern Namen bei sich auf. Erst habe ich lange gar Niemanden, dann Bertha mein glücklich gewendetes Schicksal mitgetheilt, aber Schweigen ihr zur Pflicht gemacht. Jetzt schrieb sie mir, daß sie diesen Sommer wieder hier sein werde, allein, und meine Dame gab mir ein paar Wochen Urlaub, sie aufzusuchen. Seit gestern bin ich bei ihr – und heute eilte ich allein an diese Stelle.“

„Und werden Sie wieder nach Bamberg zurückkehren?“ fragte Bruno.

„Bertha sagt mir, daß mein armer Vater mir vergeben hat und meiner bedarf,“ antwortete Amanda, „so bald als möglich kehre ich zu ihm; Herr von Subow hat meine Stiefmutter entführt – mein Vater ist in der Scheidung begriffen und kränkelt – Blumenbach ist, wie ich höre, glücklich verheirathet.“

„Er ist mein Vater geworden!“ rief Bruno und erzählte was geschehen.

Und was nun weiter geschah, ist schnell errathen und erzählt.

Derselbe Abend schon vereinte einen Kreis von glücklichen versöhnten Menschen in Alexanderbad, die nach wenig erklärenden Worten in die Verhältnisse zu einander sich zu finden wußten: Blumenbach mit seiner Frau, Bruno, Amanda und Bertha.

Mehr als ein heiterer Tag folgte diesem Abend des wunderbaren Findens. Da kam plötzlich auch der Regierungsrath an – Amanda hatte ihm geschrieben und er eilte, der schmerzlich entbehrten Tochter seine Verzeihung zu bringen und – wenn er das auch nicht eingestand – noch mehr die ihrige zu suchen, denn nach dem ehrlosen Betragen seiner Gemahlin waren ihm endlich die Augen über diese aufgegangen und er hatte schmerzlich bereut, wie viel er durch seine Verblendung seine Tochter hatte leiden lassen. Auch mit Blumenbach und Bruno versöhnte er sich und gestattete, daß noch Amanda’s Verlobung mit letzterem vor seiner Abreise auf der Louisenburg gefeiert ward! –

L. Otto.