Auch ein König von Gottes Gnaden

Textdaten
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Autor: Eduard Schmidt-Weißenfels
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Titel: Auch ein König von Gottes Gnaden
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aus: Die Gartenlaube, Heft 31, S. 430–432
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1857
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Auch ein König von Gottes Gnaden.

Am Morgen des 17. Juli v. J. bedeckte eine unermeßliche Volksmenge die Straßen und Boulevards von Paris. Diese Menschenmenge war schweigsam, stumm, tief betrübt. Ein großes, trauerndes Volk scheint seinen Vater verloren zu haben. Alle Werkstätten und Magazine sind geschlossen; Frauen und Mädchen sind in Trauer, und überall sieht man Thränen in den Augen. Hunderttausend Arbeiter in Blousen haben sich mit Immortellensträußchen geschmückt und stehen da, als hätte ein namenloser Schmerz sie sprachlos gemacht. Eine dumpfe, feierliche, majestätische Stille ruht auf der zahllosen Menge, nur der profane Ruf der Commandoworte stört diesen heiligen Sabbath. Aber neben dem Schmerz, der von den Gesichtern dieser Hunderttausende leuchtet, zuckt auch ein krampfhafter Zorn; die aufmarschirenden, kolossalen Truppenmassen, welche sich gewissermaßen mit ihren Bayonnetten in den Schmerz einer ganzen Nation hineindrängen, werden mit seltsamen, flammenden Blicken gemessen; denn sie trennen ein trostloses Volk von seinem Liebling, der zu Grabe getragen wird. Plötzlich hört man dumpfen Trommelwirbel, ein geheimnißvolles, stärker und stärker anschwellendes Rauschen: kein Athemzug der eingepferchten Menge; sie lauscht und sucht mit den von Thränen verschleierten Augen über die Bayonnette und Polizeicolonnen fortzusehen nach dem vorüberrollenden Gebein seines gestorbenen Geliebten; – es sieht nichts als Bayonnette, aber es hört das dumpfe Rasseln des Leichenwagens und den Schritt der folgenden Colonnen.

Wird hier ein großer Feldherr begraben? Ein Kaiser, ein König? – Ja, ein König wird zur Gruft gebracht, der Sängerkönig Béranger, das Herz von Frankreich!

Die Nachwelt folgt seinem Sarge und sinnt und sinnt, um etwas Anderes auf den Grabstein einzugriffeln, als was die Mitwelt seit dreißig Jahren gesprochen. Sie findet nichts, und malt in flammenden Zügen hin: „Gestorben ist der größte Dichter Frankreichs und sein größter Bürger!“ Und das Volk, das weinende Volk, la sainte canaille, tröstet sich und geht stolz an seine Arbeit; denn Béranger war ihm gehörig, ihm allein, immer und ewig, bis zu dem Tag, wo die Polizeischwärme eines Kaisers den noch warmen Leichnam mit Beschlag belegten.

Pierre Jean de Béranger sang in der That nur für das Volk, ja, er war selbst das Volk, welches seine innigsten Gefühle in unsterblichen Liedern verewigte. Seine Macht, höher als die der Könige und Soldateska, war der Gesang und das Lied, ein einfacher Chanson, bei dessen Strophen noch Kind und Kindeskinder sich entzücken werden. – Am 19. August 1780, wie uns sein Chanson „vom Schneider“ und „der Fee“ belehrt, in der Rue Montorgueil zu Paris geboren, verlebte er seine erste Kindheit bei seinem „armen und alten Großvater,“ einem Schneider, als Rest seines Adels nichts Anderes besitzend, als das fromme de. Ein echter Pariser Gamin, wie er war, fehlte er nicht beim Sturm der Bastille am 14. Juli 1789, und bis zum Tode bewahrte er das Andenken jenes Tages, die Grundsätze und Gesinnungen, durch welche damals die französische Nation jene Zwingburg der Willkür in Schutt legte; nach 40 Jahren verherrlichte er, hinter den Riegeln des Gefängnisses la Force, 1829, jenes Ereigniß, welches ihn zu einem großen Bürger schuf, vor dem später eine ganze Nation in Ehrfurcht und Verehrung sich beugte, der zu rein und groß war, um nur einen einzigen Feind und Neider haben zu können; zu bürgerlich, als daß jemals die Schmeichelei der Mächtigen ihn verlockt; zu königlich, als daß nicht alle Parteien in ihm das Ideal eines echten Franzosen gesehen hätten. Diese große Bürgereigenschaft ist die eine Seite seines Ruhmes, der Grund seiner Popularität ohne Gleichen. Sein ehrenhafter und liebenswürdiger Charakter hat stets den Sinn für Freiheit und Unabhängigkeit bewahrt und nirgends mehr, denn als Dichter.

Dem jungen Béranger klang ewig der Gesang der Marseillaise in die Ohren, als ihn seine Eltern von Paris fortschickten und, vierzehn Jahr alt, einem Buchdrucker von Perronne in die Lehre gaben. Béranger hatte bisher nicht viel gelernt, kaum richtig schreiben und lesen, wohl aber verstand er sich auf Reden halten und Adressen votiren, was man zur Zeit der Revolution die Kinder als erste Bürgerpflicht lernen ließ. Als Buchdruckerlehrling vervollständigte Béranger seine Kenntnisse von der Orthographie, und kehrte mit achtzehn Jahren nach Paris zurück, besuchte die Theater und hatte namenlose Lust, Verse und Theaterstücke zu machen. Er versuchte sich in einem Drama, aber gab es, erschreckt von der Größe Molière’s, sogleich nach Vollendung dem Feuer preis; dann, begeistert von Chateaubriand, schrieb er ein Epos „Clovis“, ohne es jedoch später vor dem Schicksal der Vernichtung zu bewahren. Tu es un homme de stile, sagte sich Béranger und besang nun, da er arm war, seine Lisette, seine Liebe, und freute sich darüber, daß, wenn er einmal in der Woche mit seiner Grisette spazieren ging, er sechs Tage lang dafür bei Kohlsuppe dies Vergnügen besingen konnte.

[431] Der drückende Mangel, dem Béranger ausgesetzt war, fing ihm jedoch an, unerträglich zu werden, denn, sagte er,

Die Freiheit, die entzückt mich.
Doch hab’ ich Appetit.

So packte er denn 1803 einen Haufen seiner besten Verse zusammen, und überschickte sie an Lucian Bonaparte, den republikanischen Bruder Napoleon’s. Lucian nahm sich Béranger’s wie eines jungen mitstrebenden Freundes an, und überließ ihm seine Pension als Mitglied des Instituts, die Béranger bis 1812 bezog.

Inzwischen hatte sich auch für ihn eine, wenn auch sehr bescheidene Stelle als Secretair im Unterrichtswesen gefunden, und während Frankreich anfing, Bérangersche Lieder zu singen, besann sich der Dichter noch, ob er wohl einige davon könne drucken lassen. 1812 sang ganz Paris „le sénateur,“ 1813, als Napoleon über die Satire auf ihn, „der König von Yvetot“, herzlich lachen mußte, kannte die ganze französische Nation bereits die Chansons Béranger’s, aber gedruckt war keins. Darin gleicht Béranger dem schottischen Robert Burns.

Béranger.

Die erste Sammlung von Chansons erschien 1815. Der Expedient Béranger bekam einen Verweis, daß er, als ein Mann beim Unterrichtswesen, Gedichte von Liebesabenteuern mache, wie la gaudriole, la bacchante, ces démoiselles u. s. w. Béranger merkte sich dies und kam, als er 1821 seine zweite Sammlung Chansons herausgab, mit demselben Tage nicht wieder in sein Bureau, wo seine Lieder erschienen waren. Die Regierung der Restauration, welche für die Glückseligkeit Frankreichs Procuratoren in Masse angestellt hatte, ließ den Dichter für seine beißenden Lieder auf das „von Kosaken zurückgeführte Königthum“ drei Monate ins Gefängniß werfen. Béranger lachte darüber, denn hinter den Gittern seines Kerkers hörte er die Chansons, um derentwillen er verurtheilt war, und welche das Volk so recht aus Herzensgrund und aus Haß gegen die Bourbonen sang.

Das Volk, welches Béranger’s Muse war und blieb, ward auch sein Studium. Was dieses fühlte, sprachen seine Chansons aus, und wenn er sprach, so wußte man, daß die französische Nation etwas zu sagen habe. Er haßte, wie ganz Frankreich, die Bourbons, die bald erkannten, welche grimmige Waffe die Chansons des geliebten Volksdichters gegen ihren Thron bildeten, und die vergebens die keusche Tugend und feste Gesinnung Béranger’s zu bestechen suchten. Kleinlich, wie die Regierung Karl’s X. war, rächte sie sich an der Ehrenhaftigkeit eines Dichters damit, daß sie ihn von Neuem 1828 neun Monate in den Kerker warf, und zu 10,000 Francs Geldbuße verurtheilte. Die französische Nation, welche in Béranger beleidigt war, bezahlte den Häschern der Restauration diese 10,000 Francs; denn für den Dichter der Chansons, die in aller Munde lebten, gab es weiter keinen Feind, als die Engherzigkeit; alle Parteien liebten den liebenswürdigen und doch so gefährlichen Dichter, der jedem Neid und Haß die Waffen nahm, als er sang:

Mon Dieu, vous m’avez bien doté,
Je n’ai ni force ni sagesse:
Mais je possède une gaité
Qui n’offense pas la tristesse.

Jede Idee, welche Frankreich begeisterte oder erregte, setzte Béranger in Musik. Die Idee des neuen Frankreichs war aber immer die Revolution, der Ruhm und der Sturz des verhaßten Liliengeschlechts. So sang auch Béranger von der Freiheit, deren Kind er war, von dem Ruhm, den die Nation unter dem Kaiserreiche errungen, von dem Haß gegen die Bourbons, die seine Lieder mehr denn alle Polemiken gestürzt haben.

Andererseits war Béranger ein ebenso echtes Kind des Volkes, [432] er wußte, wie seine Nation liebt, lebt, fühlt und denkt, bald leicht, bald ernst, mit Leichtsinn und Leidenschaft; so flossen auch die Gesänge aus seiner Brust, die von dem allgemeinen Nationalgefühl getragen wurden. Die Musik seiner Verse, die Klarheit und prägnante Einfachheit, und besonders der herrliche Refrain seiner Chansons, der oft einen großen Gedanken in einigen Worten zusammenpreßt, gruben sich fest in die Herzen der Nation.

Mit der Julirevolution brach die Begeisterung für den großen Sänger mächtig hervor. Als wollte man ihn zum Könige erwählen, so trug das Volk, arm und reich, berühmt und unberühmt, seine Büsten umher, bekränzte sie an allen Orten, in den Theatern, und fast gab es keinen Franzosen, der nicht Béranger’s Bild in seinem Zimmer hatte. Die neue Dynastie wollte den Stolz der Nation durch Ehren und Aemter gewinnen; Frankreich drängte den Chansonnier, die wohlverdienten Würden und Stellen anzunehmen, zu denen ihm mit Liebe und Verehrung alle Thore geöffnet wurden; Béranger wies den König zurück und dankte Frankreich; seine Einsamkeit barg von nun an seine Bürgergröße.

Seit der Julirevolution war Béranger in der That nur der große, ehrenvolle Charakter, jener politische Mann, der allen Huldigungen mit republikanischer Tugend widerstand und dessen Wohlthätigkeit, Einfachheit, Bescheidenheit und würdige Gesinnung jene allgemeine Verehrung der Nation erzeugte, die fast an Ehrfurcht grenzte. Er ließ die Leier, die ihm so reinen und hohen Ruhm gebracht, ruhen; seine Stimme erscholl nur selten noch zwischen den politischen Erregungen, die immer heftiger und hohler an den Thron der Julidynastie heranbrausten; arm, wie der Dichter dabei lebte, mußte das Volk allerdings in Béranger ein Ideal von Bürgertugend erkennen, die in einer Zeit, wo Alle nach Gunst, Würden und Reichthümern sich drängen, kaum noch möglich schien, ihre Existenz zu bewahren.

Fast ängstlich ging der greise Dichter jeder Ovation aus dem Wege, die ihm das Volk bereiten wollte; er, dessen Gesänge unsterblich sein werden, fühlte sich zu gering für den Ruhm und die Huldigung, zu bescheiden für den Lorbeer, mit dem die Nation ihren einzigen Dichter krönen wollte. Aber konnte es eine rührendere Huldigung geben, als wenn man den silberhaarigen Greis in einfachem, schlichtem Bürgerrock auf den Boulevards von Paris spazieren gehen sah und jeder Vorübergehende, jeder Fürst, jedes Kind, jeder Arbeiter und jedes Mädchen den freundlichen Alten ehrfurchtsvoll grüßte? Konnte es für einen Sänger des Volks einen höheren Ruhm und größere Belohnung geben, als wie ein Vater von den Arbeitern, den Grisetten und Kindern geliebt zu werden? Alle äußeren Ehrenbezeigungen verachtete Béranger; unzählige Mal hat die Regierung ihn zu locken gesucht, jedesmal ist sie geringschätzig abgewiesen worden, denn ein Charakter, wie der Béranger’s war, läßt sich nicht kaufen und das Princip, das der Chansonnier vertrat, war das der Freiheit und Unabhängigkeit. Als der jetzige Kaiser von Frankreich 1848 als Candidat der Präsidentschaft in Paris war, suchte er zweimal Béranger zu besuchen, und als er Präsident der Republik war, wiederholte er diesen Versuch: der Sänger, dessen bescheidenes Gemach für jeden Armen geöffnet war, nahm den hohen Besuch nicht an. Die Academie, nach der jedes Talent in Frankreich ringt, würde mit Stolz dem größten Dichter Frankreichs ihre Pforten geöffnet haben; aber Béranger wollte nicht das Unglück haben, Academiker zu sein, meinte, daß er für jene Herren nicht passe, und wahrscheinlich wird von dem Ruhm der Mehrzahl der 40 Unsterblichen keiner den des Liederdichters Béranger überdauern. Der, dessen Gesänge in jeder Hütte sind, hätte jede Zeile mit Gold aufgewogen erhalten können; Béranger begnügte sich, von seinem Verleger 800 Francs (240 Thlr.) Jahresrente zu nehmen, und erschöpfte sich in Dankbezeigungen, als ihm sein Buchhändler freiwillig diese Rente erhöhte. Fortune, passe ton chemin! (Glück, geh Deiner Wege!) dieser berühmte Refrain eines seiner Chansons war sein Wahlspruch, und nie hat ein Philosqph mit mehr Liebenswürdigkeit und Zufriedenheit den Geldmammon von sich gewiesen, als er. Seit 1833, wo er seine letzten Chansons herausgab, hat Béranger nichts oder doch nur sehr wenig veröffentlicht, wenn auch ein reicher Nachlaß, wir glauben unter dem Titel: „Dictionnaire des grands hommes“ vorhanden sein wird. Es war der echte Stolz eines großen Dichters, der, auf dem Gipfel des Ruhmes, seine edle Kunst nicht erniedrigen will, um Reichthümer zusammen zu scharren. Und wenn man bedenkt, wie wohlthätig Béranger trotz seines wenigen Einkommens war, wie viel er unterstützte, ohne zu fragen, wem er seine Spende gebe, wie schamhaft und naiv er es that, mit welcher durch zahllose Anekdoten bekannten Innigkeit und Schüchternheit, so erklärt sich, daß ein solcher antiker Charakter zu allen Zeiten einer der geehrtesten und geliebtesten gewesen wäre.[1] Die Nation wollte einen solchen Mann mit Gewalt in die Geschicke ihres Landes verflechten, und wählte ihn nach der Februarrevolution zum Mitgliede der Nationalversammlung. Béranger ging, um das Vertrauen zu ehren, ein einziges Mal in die Versammlung, dann nahm er, 8. Mai 1848, seine Entlassung, die ihm jedoch erst am 14. auf sein dringendstes Ansuchen gewährt wurde. Der Brief, den er damals an den Präsidenten schrieb, charakterisirt den Sänger vollständig. Er heißt:

„Wenn irgend etwas mich mein Alter, meine Gesundheit und meine legislative Unfähigkeit vergessen machen könnte, so wäre es das Schreiben, welches Sie an mich zu richten so gefällig waren, und worin Sie mir mittheilen, daß die Nationalversammlung mein Entlassungsgesuch mit einem abschläglichen Bescheide beehrte. Meine Erwählung und diese Handlung der Volksrepräsentanten werden Gegenstand meiner ewigen Dankbarkeit sein, denn sie sind ein allzu hoher Lohn für die geringen Dienste, welche ich der Freiheit erweisen konnte; sie sind ein Zeichen, wie beneidenswerth in Zukunft die Belohnungen derer sein werden, die, mit größerem Talent begabt, unserm theuern Vaterlande wirkliche Dienste leisten werden. Glücklich, den Anlaß zu diesem ermuthigenden Beispiele gegeben zu haben, und überzeugt, Bürger Präsident, daß dies bisher meine einzige Leistung ist, bitte ich die Nationalversammlung neuerdings, mich nicht aus der Verborgenheit des Privatlebens zu ziehen. Es ist dies nicht der Wunsch eines Philosophen, noch weniger eines Gelehrten, es ist der Wunsch eines Reimers, der sich zu überleben glauben würde, wenn er inmitten der öffentlichen Geschäfte die Unabhängigkeit der Seele, das einzige Gut, das er je anstrebte, verlöre. Es ist das erste Mal, daß ich etwas von meinem Lande verlange. Die würdigen Repräsentanten werden deshalb meine nochmalige Bitte um Entlassung nicht verwerfen, und der Schwäche eines Greises vergeben, der es nicht verkennt, welcher Ehre er sich selbst beraubt.
Passy, den 14. Mai 1848
Béranger.

Seit jener Zeit verließ der Dichter seine Einsamkeit nicht wieder.

Das wiederhergestellte Kaiserreich machte, ebenso wie die Restauration, dir Juliregierung und die Republik, Anstrengungen, mit Béranger’s Namen seine Existenz zu vergolden. Der Kaiser, der vermeinte, daß Béranger wegen seiner Gesänge, die vielfach den Ruhm Frankreichs und die Schlachten unter Napoleon I. besangen, auch ein Sänger der Napoleoniden überhaupt sein werde, ließ ihm den Orden der Ehrenlegion anbieten; aber Béranger wies eine solche Auszeichnung von der Hand.

Am 16. Juli, Nachmittags 4 Uhr 35 Minuten, starb nach langem Krankenlager Béranger in seiner Wohnung zu Paris, Vendomestraße Nr. 5., fast 77 Jahre alt. 21 Stunden später trug ihn die Polizei bereits zur Gruft. Die kaiserliche Regierung, welche den lebenden Béranger nicht gewinnen konnte, machte von ihrem Rechte Gebrauch, belegte den Todten mit Beschlag und erklärte ihn für kaiserliches Eigenthum, da das Kaiserthum der wahre Ausdruck der Nation sei. Sie machte seine Apologie, nachdem das Volk sie schon seit dreißig Jahren gemacht, und nahm sein Begräbniß in die Hand, um den unerreichten Dichterkönig für gute Prise zu erklären. Und sonderbar: so ward der Nationalpoet Frankreichs, der Dichter des Volkes und der Freiheit, von Soldaten und Polizeiagenten fast allein zur Gruft gefahren, und zwar als kaum sein Herz erkaltet war, das so hochherzig für das französische Volk geschlagen! Das Volk, Béranger’s Volk, für das er gedichtet, das stand von ferne, eingekeilt zwischen Bayonnetten und Spionen, die seinen Schmerz belauerten und durfte nicht eine Quaste seines Leichentuches küssen, nicht dem geliebten Sänger und dem besten Menschen die letzte Ehre erweisen. Als könnte die Leiche des demokratischsten Poeten, des ehrenhaftesten Bürgers, den Händen wieder entfliehen, die sich seiner bemächtigt hatten, um sie in die Erde zu scharren, so eilte die ungeheuere Truppenmasse mit dem Sarge dahin, angstvoll durch enge und abgesperrte Gassen, hinter dem Schmerz der Nation herum, bis hinauf zum Père Lachaise, auf dessen Todtenhügeln Geschütze aufgepflanzt standen, die drohend ihren Schlund auf die Menge unter sich richteten.

Eduard Schmidt-Weißenfels.
  1. Siehe Gartenlaube 1855. Nr. 2. und 1856. Nr. 31.