Besuch bei den Invaliden in Paris

Textdaten
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Autor: Max Ring
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Titel: Besuch bei den Invaliden in Paris
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 31, S. 428–430
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1857
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Stube im Invaliden-Hotel.

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Besuch bei den Invaliden in Paris.
Mit Abbildung.

Mit dem Donner seiner sämmtlichen Geschütze begrüßte uns das Hotel der Invaliden. Wir waren jedoch nicht eitel genug, diese Ehre, welche nur der Wiedereröffnung der Kammern galt, auf uns zu beziehen. Diese ehernen Sprachwerkzeuge lassen schon seit Jahren ihre lauten Stimmen bei jeder festlichen Gelegenheit ertönen, bald irgend ein politisches Schauspiel, bald die Geburt einer Republik, oder auch des kaiserlichen Prinzen den erstaunten Bewohnern verkündend. Die alten Kanonen sind, wie die meisten Franzosen der Gegenwart, fast verwirrt von all dem Wechsel geworden, dessen Zeugen sie waren. Sie schwatzen und rufen, was man will; heute vive la Republique und morgen vive l’Empereur. Doch was geht uns die Treue und das politische Glaubensbekenntniß der Kanonen an? Wir haben es nur mit dem Hotel der Invaliden zu thun, und dieses ist schön, prachtvoll, eines der großartigsten Gebäude von Paris und vielleicht der Welt.

Es ist gewiß nur natürlich, daß ein Volk, welches so viel auf kriegerischen Ruhm gibt, und bei dem la gloire das dritte Wort ist, sich besonders für das Schicksal seiner alten und mit Wunden bedeckten Soldaten interessirt. Schon Heinrich IV., dieser gute König, hatte daran gedacht, und den Plan zu einem derartigen Bau gefaßt, der erst unter Ludwig XIV., welcher Ströme von Menschenblut für seine ehrgeizigen Pläne vergoß, in seiner gegenwärtigen Gestalt zur Durchführung kam. Ihm verdanken die Invaliden diesen fürstlichen Palast, sowie dem ersten Napoleon die reiche Dotirung, die glänzende innere Einrichtung, endlich die heutige Apotheose und den Glanz, welche sein „kaiserliches Grab“ verbreitet.

[429] In einer Länge von zweihundert Metres erscheint vor unsern erstaunten Augen die imposante Façade, an welcher wir nicht weniger, als hundertunddreiunddreißig Fenster zählten. Man kann sich darnach ungefähr einen Begriff von ihrer riesigen Ausdehnung machen. Vor derselben befinden sich Gartenanlagen, welche von den Invaliden selbst bebaut werden. Es macht einen eigenen und angenehmen Eindruck, hier die alten Soldaten so friedlich mit ihren Blumenbeeten und mit dem Anpflanzen und Begießen ihres Kohls beschäftigt zu sehen. Sie scheinen insgesammt eine besondere Vorliebe für diese ländliche Arbeiten zu haben, und gern jetzt das Schwert mit dem Rechen, die Büchse mit der Gießkanne zu vertauschen. Vier Etagen hoch steigt das Hotel der Invaliden empor, mit kriegerischen Emblemen im einfachen Style verziert. Am Eingange stehen die Statuen des Mars und der Minerva. In der Mitte ruht auf jonischen Säulen ein massiver Bogen, von Trophäen aller Art geschmückt; darunter die Bildsäule Ludwig XIV. zu Pferde, umgeben von der „Gerechtigkeit“ und der „Vernunft,“ die ihm beide bei Lebzeiten meist fern standen. Das Piedestal trägt die Inschrift: „Ludwig der Große schuf dieses Gebäude mit königlicher Freigebigkeit, das Schicksal der Krieger für immer sicher stellend, im Jahre 1675.“ An die beiden Winkel der Façade schließen sich zwei Seitenflügel mit Figuren der besiegten Nationen und einem Uhrwerk an, das von der „Zeit“ und der „Arbeit“ gehütet wird.

Auf unserm Wege wurden wir von allen Seiten mit Beschreibungen und Abbildungen des Kaisergrabes bestürmt. Unter den Verkäufern fiel uns ein Mann auf, der keineswegs die Zudringlichkeit seiner übrigen Collegen besaß. Er stand an einem Pfeiler gelehnt mit einem Bronzegesicht, als wäre er aus Erz gegossen. Wir näherten uns ihm und verlangten von ihm einen gedruckten Führer; er gab uns einen solchen und zwar mit englischem Text. Als wir diesen zurückwiesen und ein französisches Buch verlangten, hellten sich seine finsteren, starren Züge, mit denen er uns betrachtete, sichtbar auf.

„Verzeihen Sie,“ sagte er, „aber ich habe Sie für Engländer gehalten.“

Dies gab uns Veranlassung. uns mit ihm in ein Gespräch einzulassen. Wir erfuhren von ihm, daß er Santini[1] hieß und einer der Wenigen war, die Napoleon’s Gefangenschaft auf St. Helena getheilt hatten, wo er den Posten eines Portiers auf Longwood bekleidete. Er sprach, wie man sich denken kann, mit Enthusiasmus von dem großen Kaiser, und zeigte einen entschieden ausgesprochenen Haß gegen alle Engländer. So stand er vor uns eine lebendige Chronik der Kaiserzeit, eine Reliquie der Vergangenheit. Der ehemalige Begleiter und Diener Napoleon’s verkaufte jetzt die Geschichte und die Beschreibung des Kaisergrabes. Wir gaben ihm einige Sous mehr, als er zu fordern hatte, wofür er uns mit Würde dankte.

Vier Treppen führen in das Innere des Hotels, von denen wir auf gut Glück die eine wählten. Unterwegs trafen wir einen Officier, der uns mit Bereitwilligkeit Bescheid ertheilte, und sich von freien Stücken zum Führer anbot. Es war noch ein junger und gebildeter Mann, der im Kampfe gegen die Araber in Afrika ein Bein verloren hatte. Er gab uns interessante Schilderungen von dem dortigen Kriege, der meist in einer Reihe von Ueberfällen und Razzias besteht. Unter seiner Leitung gelangten wir in den kolossalen Speisesaal, dessen Wände mit Abbildungen der in Flandern, Holland, der Franche Comté und auch im deutschen Elsaß eroberten Städte geziert waren. Sämmtliche Gemälde hatten leider durch die Restauration gelitten, und boten keinen besonders angenehmen Anblick dar. Von hier gingen wir zunächst nach der Küche, wo in zwei wegen ihrer Größe berühmten Speisekesseln von einem kolossalen Umfange das Abendmahl eben bereitet wurde. Man versicherte uns, daß ihr umfangreicher Bauch hundert Kilogrammen Fleisch umfassen kann. Ein dicker Invalide, mit einem riesigen Kochlöffel bewaffnet, führte hier den Oberbefehl; er schien sich in seiner neuen Stellung sehr wohl zu befinden und auch hier, wenn auch nur trockene, Lorbeerblätter einzuernten. Nicht minder interessant sind die acht großartigen Schlafsäle, wo mehr als tausend Betten stehen. Wir machten auch die Bekanntschaft mit mehreren Invaliden, welche theils auf Stühlen saßen, theils herumstanden, darunter einige Elsasser und Lothringer, mit denen wir uns als halbe Landsleute in deutscher Sprache unterhielten. Die meisten dieser Leute waren schon hochbejahrt, altersschwach und stumpf. Nur wenige zeigten die französische Lebendigkeit und den heitern Sinn der Nation. Diese plauderten, lachten und scherzten untereinander und mit uns.

Mein Freund äußerte den Wunsch, einen blinden Invaliden zu zeichnen, dessen Figur ihn interessirte. So bald der alte Knabe, der beiläufig achtzig Jahre zählte, die Absicht des Malers von seinen Cameraden erfuhr, versteckte er sein Gesicht, weil er, aus irgend einem uns unbekannten Grunde, nicht gezeichnet werden wollte, hinter einem an der Wand herabhängenden Handtuch, hinter dem er von Zeit zu Zeit wieder schalkhaft, wie ein Kind von vier Jahren, hervorlauschte. Dabei sang und pfiff er den Refrain eines bekannten Volksliedes.

An einem Tische saßen zwei Invaliden, Brüder von achtzig und zweiundachtzig Jahren, neben ihnen eine reinlich gekleidete Frau und ein junges Mädchen. Eine Flasche Rothwein stand vor ihnen; sie luden uns zum Trinken ein und wir mußten mit ihnen ein Glas auf die Gesundheit des Kaisers leeren. Die Frau war die Tochter und das Mädchen die Enkelin des alten Burschen und zum Besuche hier. Sie erzählte ganz unbefangen, daß ihre Mutter nie verheirathet gewesen, wozu der alte Invalide lachte. Nichtsdesto weniger schien er ein sehr zärtlicher Familienvater zu sein und sich im Schooße seiner Familie und an ihrem Anblicke zu freuen. Er küßte abwechselnd die Tochter und seine Enkelin, wozu er sang: „Où peut-on ètre mieux, qu’au sein de sa famille!“ Hinter uns ging ein zweiundneunzigiähriger Greis, dem man die Müdigkeit und Abspannung ansah, zu Bette. Nur mühsam stieg er hinein, man sah ihm die höchste Anstrengung an. Sorgfältig hatte er zuvor seine Kleider zusammengelegt, als wollte er sie in den Tornister packen, um sogleich zum Abmarsch bereit zu sein, wenn der Appell geblasen wird; diesmal zum Abmarsch in die Ewigkeit.

An ähnlichen interessanten Bildern und Scenen fehlre es nicht, eben so wenig an einzelnen hervorragenden Persönlichkeiten. Der Graukopf dort mit dem Orden der Ehrenlegion hat an Napoleon’s Seite bei den Pyramiden Egyptens und auf den russischen Eisfeldern gefochten. Wenn er von der Vergangenheit spricht, beginnen seine erloschenen Augen zu funkeln und seine schlaffen[WS 1] Züge beleben sich. Die Erinnerung elektrisirt ihn, und um seine Lippen schwebt ein wehmüthig stolzes Lächeln, so oft er den Namen des Kaisers nennt. Sein Camerad hat den Arm bei Leipzig verloren, und ein Dritter bei Bellealliance beide Füße eingebüßt, welche ihm von einer Kanonenkugel zerschmettert wurden. Er war mit in Fontainebleau gewesen, als der Kaiser von seinen Garden Abschied nahm. Noch jetzt strömen ihm die Thränen aus den Augen, wenn er mit zitternder Stimme die alte rührende Geschichte erzählt, noch jetzt knirscht er mit den Zähnen, wenn er von den Marschällen spricht, deren Verrath er allein den Sturz Napoleon’s zuschreibt. Das ist sein Glaube und er hängt so fest daran, wie nur ein Märtyrer an seiner Religion. So lange noch in Frankreich dieser Cultus herrscht und von Gesellschaft zu Gesellschaft forterbt, so lange dürfte auch die Dynastie der Napoleoniden sich immer von Neuem wieder festsetzen, bis entweder durch ihre eigene Schuld, oder durch eine richtige Würdigung des genialen Usurpators das Volk zur Erkenntniß kommt. Noch ist sein Bild zu frisch, seine Erscheinung zu überwältigend, um sie mit Unbefangenheit zu messen, mit Gerechtigkeit zu wägen. Es war nicht der klügste Streich des überschlauen Louis Philipp, als er, um die Parteien zu versöhnen, die Asche des Kaisers von St. Helena nach Frankreich kommen und im Dome der Invaliden zu Paris beisetzen ließ. Die Asche dieses todten Vulcans war noch immer zu gefährlich für die Julidynastie; sie barg den glimmenden Funken, der in einer Nacht das Haus der Orleans verzehrte.

Der Dom der Invaliden, welcher jetzt die Ueberreste Napoleon’s umschließt, ist ein prachtvolles Gebäude, von demselben Baumeister errichtet, der für Ludwig XIV. Versailles mit seinen Schlössern schuf. Vierzig korinthische Säulen tragen die stattliche Attika, welche von der mächtigen mit Blei gedeckten Kuppel überragt wird, gekrönt von der zierlichen Spitze, die 105 Metres emporsteigt. Das Innere entspricht in würdiger Weise der äußeren Pracht. Die zwei übereinander gethürmten Kuppeln, welche sich auf acht Arcaden stützen, erregten unsere Bewunderung. Doch vorzüglich nahm die Krypte, worin das Kaisergrab sich erhebt, unsere Aufmerksamkeit in Anspruch. Mit einem Gefühl von schauernder Ehrfurcht stiegen wir die Treppe herab, welche zu derselben führt. [430] Eine Thür von Bronze schließt das Gewölbe, über derselben stehen die Worte aus dem Testamente von St. Helena: „Ich wünsche, daß meine Asche an den Ufern der Seine ruhe, im Schooße des französischen Volkes, das ich so sehr geliebt habe.“ Zu beiden Seiten der Pforte erheben sich die Statuen der kriegerischen und bürgerlichen Gewalt. Hierauf betritt man eine Art Vestibule, wo zur Rechten der getreue Bertrand, zur Linken Duroc ruhen, die Waffengefährten an der Seite ihres Herrn und Kriegsfürsten. Endlich gelangten wir in die Krypte selbst; sie bildet einen sechs Metres weiten Kreis. Ein Theil derselben befindet sich unter der offenen Kuppel, durch welche die goldenen Strahlen der Abendsonne drangen und mit rosiger Gluth die Riesengruft erfüllten. Rings herum zieht sich eine Gallerie, die von zwölf kolossalen Figuren gestützt wird; sie scheinen auf das Grab zu blicken. Der Sarg selbst besteht aus einem rothen, finnländischen Granitblock, der „den Mann von Granit“ umschließen soll. Noch ist derselbe nicht zur Aufnahme bereit und der riesige Deckel ruht auf einem Holzgerüst hinter dem leeren Sarkophag. Vorläufig wird die Asche des Kaisers in einer Nische aufbewahrt, bis das Werk fertig geworden ist.

In einer zweiten Nische, von einer Lampe beleuchtet und durch ein eisernes Gitter verschlossen, liegt der Degen von Austerlitz, die Krone, welche die Stadt Cherbourg dem Kaiser überreichte und die Decorationen, welche er bei seinem Leben getragen. Die Langsamkeit, mit der die Arbeit hier gefördert wird, erregte unser Erstaunen. Louis Napoleon baut, wie wir uns überzeugen konnten, mit bewunderungswürdiger Schnelligkeit. Warum zögert er, die Leiche des großen Kaisers und Stifters seiner Dynastie zur Ruhe zu bringen? Auf unser Befragen erzählte uns der begleitende Officier mit geheimnißvoller Miene:

„Ich stand zufällig,“ berichtete er, „hinter einer Säule der Krypte verborgen, als der jetzige Kaiser mit seinem Onkel Jérome eintrat, um den Bau zu besichtigen. Jérome schien unwillig über das langsame Vorrücken desselben und sprach unumwunden seine Unzufriedenheit darüber aus. Der Kaiser behielt sein ruhiges, kaltes Gesicht, das Sie kennen, während der Alte sich immer mehr ereiferte. – Gesteh’ es nur, sagte dieser, daß Dir nichts daran liegt. Du willst nicht, daß Er hier bei den Invaliden liegt. Dir steckt St. Denis im Sinne; dort willst Du Dir Dein Grab bauen und Er soll auch gegen seinen Willen bei den alten Königen zu liegen kommen. – Der Kaiser schwieg, wie gewöhnlich, aber ein eigenthümliches Lächeln spielte um seine Lippen. Ich glaube wirklich, daß der Alte Recht hatte. Louis Napoleon will sich in St. Denis einmal beisetzen lassen und dahin gedenkt er auch die Asche des Kaisers zu bringen. O! er ist sehr stolz und kühn genug, um Alles umzustoßen, wenn er sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hat. Deshalb wird hier so langsam gearbeitet und es wird noch mancher Tag vergehen, ehe der Sarg des Kaisers fertig wird.“

So erzählte der Officier, und auch er, ein Kind der neueren Zeit, schien sich zu ärgern, daß der jetzige Kaiser die alten Traditionen wieder auffrischen will, mit denen das revolutionäre Frankreich längst gebrochen hat. Bis jetzt ruht die Asche Napoleon’s nur provisorisch im Dome der Invaliden; sie kann noch immer keine Ruhe finden, wie der Ehrgeiz der bewunderungswürdigen Familie, die von seinem Andenken lebt.
Max Ring.




  1. Siehe Gartenlaube 1854. Nr. 51.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: schaffen