Pariser Bilder und Geschichten/Der Hüter des Kaisergrabes im Invalidendom zu Paris

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Autor: unbekannt
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Titel: Der Hüter des Kaisergrabes im Invalidendom zu Paris
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 51, S. 624–627
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Pariser Bilder und Geschichten.
Der Hüter des Kaisergrabes im Invalidendom zu Paris.

Der Mann, den ich Euch heute vorführen will, ist kein mit Orden überdeckter Staatsmann, kein berühmter Dichter, kein mit Blumen beworfener Sänger oder Schauspieler, es ist ein einfacher, gewöhnlicher Mensch, den nichts bekannt gemacht, als sein treues Herz und die Liebe für seinen Kaiser.

Der Mann, welcher jetzt das Grabmal des Kaisers Napoleon im Invalidendom zu Paris bewacht, ist eine der treuesten Seelen, die jemals einem Herren gedient haben, und er hat dieser Treue wegen ein so seltsam bewegtes Leben geführt, wie man es ähnlich kaum in einem Romane findet.

Santini, so heißt er, wurde von armen Aeltern 1790 in dem kleinen Dorfe Lama auf Corsika geboren und begeisterte sich schon als Knabe für seinen berühmten Landsmann so, daß er sich bereits in seinem vierzehnten Jahre bei der Rekrutirung stellte. Er wurde als Trommler angenommen und begleitete als solcher mehrere Jahre das Bataillon der corsischen Schützen, bis er selbst das Gewehr nahm, und mit demselben die Feldzüge und Schlachten in Deutschland mitmachte. In Königsberg, bei Beginn des russischen Feldzugs, kam er als Courier in das Hauptquartier. Als solcher sah er den Brand von Moskau, die Schrecken des Rückzugs, die Schlacht bei Leipzig und die Kämpfe in Frankreich. Aber alles dies war nur das Vorspiel zu dem, was er später thun und leiden und was ihm einen Namen in der Geschichte machen sollte.

Am Tage der Abdankung Napoleon’s in Fontainebleau sah ihn der General Ornano in seiner Courieruniform im Schloßhofe sitzen und sehnsüchtig nach den Fenstern des Kaisers blicken. Er hatte um die Gnade gebeten, seinen Kaiser nach Elba begleiten zu dürfen und wartete auf Antwort. Es sei kein Platz mehr zu besetzen, sagte ihm der General, der ihm indeß auf unablässiges Bitten gestattete, sich anzuschließen, wenn er selbst für seinen Unterhalt sorgen könne. Vielleicht finde sich später etwas, tröstete der General.

Auf dem Schiffe, das Napoleon nach Elba brachte, sah dieser den Corsen und sprach zum erstenmale mit ihm. Er fragte, wer er sei, was er auf dem Schiffe thue und auf Elba thun wolle. Bald gab er ihm einen Auftrag. Als das Schiff im Hafen angekommen war, sammelten sich die Bewohner der Insel an der Küste und ein Boot fuhr an das Schiff heran.

„Geh’ in diesem Boote mit an’s Land;“ sagte Napoleon zu Santini, „und erkundige Dich vorsichtig, was die Leute von mir, denken und von mir erwarten. Wenn Du wiederkommst, sagst Du mir die Wahrheit, die nackte Wahrheit, hörst Du?“

Santini richtete den Auftrag aus und Napoleon forderte ihn auf, sich am nächsten Tage bei ihm zu melden, da er einmal bei ihm bleiben wolle. Er fand sich pünktlich ein, aber man ließ ihn nicht zu dem Kaiser. Er wendete sich nach der Reihe an alle Großen, er intriguirte selbst unter den Kleinen länger als drei [625] Monate. Vergeblich. Er hatte längst gar kein Geld mehr und in einer Art Verzweiflung entschloß er sich endlich, Napoleon selbst auf dem Spaziergange anzureden, den derselbe täglich machte.

Das gelang. Napoleon ernannte ihn zum Aufseher seines Portefeuilles.

Die Wohnung Napoleons war noch nicht im Stande. Die Arbeiter mußten oft durch sein Arbeitszimmer gehen, in welchem auf dem Tische Papiere aller Art lagen und ein kostbares Schreibzeug stand.

Eines Tages, als Napoleon nicht da war, mußte Santini in irgend einer Dienstangelegenheit sich auf einige Augenblicke entfernen. Er wollte es recht gut machen und verhindern, daß Einer der Arbeiter etwas auf dem Tische berühre; er nahm also alles, was auf dem Tische lag, trug es in ein Cabinet, schloß dies zu, steckte den Schlüssel ein und ging. Unglücklicherweise erschien gleich darauf Napoleon und sah, daß sein Tisch abgeräumt war. Er gerieth in den heftigsten Zorn und riß in die Klingel, um nach Santini zu fragen, der in diesem Augenblicke selbst erschien.

„Wo ist Alles?“ donnerte ihn Napoleon an. „Habe ich Dir nicht gesagt, daß kein Blatt von den Papieren verrückt werden solle?“

„Ja, Sire; ich habe Alles in das Cabinet getragen.“

„Den Schlüssel!“

Zitternd reichte Santini den Schlüssel hin.

„Geh!“ fuhr Napoleon fort.

„Aber, Sire …“

„Geh auf der Stelle. Ich mag Dich nicht mehr sehen“

„Sire, verzeihen Sie.“

„Hinaus!“

Santini ging als trage er den Tod im Herzen. Er wußte nicht, was er beginnen sollte. Am zweiten Tage endlich entschloß er sich, dem Kammerdiener Marchand sich anzuvertrauen und durch diesen die Verzeihung des Kaisers erbitten zu lassen. Marchand versprach es und Santini wurde wirklich zu Napoleon berufen, der sich die Sache erklären ließ.

„Warum sagtest Du mir das nicht gleich?“ fragte er dann.

„Sire … Ihr Zorn.“

„Schon gut. Tritt Dein Amt nur wieder an.“

Santini.

Er blieb doch nicht lange in demselben. Es sollte ein Mordversuch gegen den Kaiser Napoleon gemacht worden, und die Thäter sollten von Corsica gekommen sein. Da nahm der Chef der Polizei auf Elba Santini bei Seite und sagte: „Das Attentat geht von dem neuen Gouverneur von Corsica aus; heute Nacht noch fahren Sie auf einer Feluke ab und landen ungesehen auf Corsica. Sie werden da Freunde und Verwandte haben; bereden Sie sich vorsichtig mit ihnen; lassen Sie eine geheime Polizei durch dieselben einrichten, welche den Gouverneur genau beobachtet; leiten Sie eine geheime Correspondenz zwischen Corsica und Elba ein, damit wir Alles erfahren und sorgen Sie namentlich, daß wir jedesmal Nachricht erhalten, wenn Jemand von Corsica nach Elba reiset.“

Um Mitternacht, bei Regenwetter, stieg Santini in einer versteckten Bucht, in Hirtentracht, an seiner heimatlichen Insel an’s Land. Er durchwanderte einen großen Theil derselben und gelangte endlich zu einem Oheim Voccheciampe, der zwar Napoleon, den Kaiser, haßte, weil er ihm einen Bruder als Verschwörer hatte erschießen lassen, aber, da er verbannt war, sein Leben für den unglücklichen Landsmann gegeben hätte. Von diesem Oheim erfuhr Santini so viel, daß er schon am nächsten Tage einen Vertrauten mit Nachrichten nach Elba schicken konnte, während er selbst mit der Ausführung der weitern Pläne beschäftigt blieb.

Der Polizei des Gouverneurs blieb es indeß auch nicht verborgen, daß ein Agent Napoleon’s auf der Insel sich aufhalte und sie bot Alles auf, um seiner habhaft zu werden. Santini wurde gewarnt, wagte sich aber sogar nach Bastia, in wechselnder Verkleidung, und verließ diese Stadt erst wieder, als er seinen Auftrag vollständig ausgeführt hatte. Er schiffte sich wiederum in der Nacht ein und gelangte glücklich nach Elba.

Santini war später mit thätig bei den Vorbereitungen zur Rückkehr Napoleon’s nach Frankreich; in den hundert Tagen übernahm er seinen Posten als Courier wieder und auf dem Northumberland, welcher Napoleon nach St. Helena führen sollte, treffen wir Santini ebenfalls. In der Nähe von Teneriffa, als es sehr heiß war, bat Cypriani seinen Landsmann Santini, ihm doch das Haar zu verschneiden. Es geschah dies auf dem Verdeck. Napoleon ging mit Gourgaud und Las Cases da auf und ab, und als er die Friseurarbeit Santini’s sah, blieb er stehen und sagte:

„Wenn Du fertig bist, schneide auch mir das Haar; aber wehe Dir, wenn Du es nicht recht machst!“

Er setzte sich in der That hin und Santini legte mit Zittern die Hand an das Haupt, das so glänzende Kronen getragen hatte. Er zitterte noch stärker, als der Kaiser nach dem ersten Scherenschnitte in sein Haar, freilich im Scherz, hinzusetzte:

„Haben Sie Acht, Gourgand; wenn der Corse einen Fehler macht, lasse ich ihn in das Meer werfen.“

Geschah es in Folge des Zitterns der Hand oder überließ sich Santini seinen Gedanken, genug, er schnitt den Kaiser leicht in das Ohr.

Er ließ vor Schreck die Scheere fallen, Napoleon aber parodirte lächelnd die bekannten Worte: „es schmerzt nicht“ und forderte den ungeschickten Friseur, der kein Friseur war, auf, fortzufahren.

Auf St. Helena war es Santini’s größter Kummer, daß es seinem Kaiser an geeigneten Speisen fehlte. Ob dies wirklich der Fall gewesen – es ist behauptet und bestritten worden – wollen [626] wir nicht untersuchen, genug, Santini stahl junge Schweine und wilde Schafe, welche der ostindischen Compagnie angehörten, oder kletterte auf den steilsten Felsen umher, um Tauben zu schießen, die da in Menge nisteten. Seine Beute brachte er stets heimlich in die Küche, und der Kaiser wußte lange nichts davon; um so trauriger war er, wenn er ganze Tage lang in den Felsen umhergeklettert war, und ohne Beute zurückkehren mußte. Seine Trauer sollte aber bald tiefer greifen, denn Sir Hudson Lowe erschien als Gouverneur der Insel.

Auf den Jagdausflügen schloß sich unserm Santini nach einiger Zeit ein englischer Offizier an. Sie wurden ziemlich befreundet mit einander und endlich machte der Offizier Santini den Antrag, er möge, für schweres Geld natürlich, dem Gouverneur täglich einen ganz genauen Bericht über Alles, was Napoleon thue, zukommen lassen.

Wie Santini den Antrag aufnahm, brauchen wir nicht zu erwähnen. Er hatte zwar geschworen, die Sache geheim zu halten, aber denselben Tag noch mußte er zum zweitenmale dem Zorn seines Kaisers gegenüberstehen und da sprach er von dem was geschehen.

Der General Gourgaud hatte einen Engländer in Dienst genommen und die Franzosen wollten mit diesem nicht essen. Santini kam an jenem Tage mit verbissenem Grimm zu einem solchen Zanke und er spielte bald die Hauptrolle dabei. Es kam zu großem Lärm; Napoleon hörte ihn und erfuhr, daß Santini der Schuldige sei. Er ließ ihn rufen und redete ihn unter Zornesblicken an: „Du stellst Dich, als seist Du mir ganz ergeben und fängst Unfug an. Ein Soldat! Solltest ein gutes Beispiel geben … Wäre ich noch auf der Insel Elba, ich würde Dich auf der Stelle erschießen lassen … Ich kenne Dich nicht mehr … Geh!“

„Sire,“ antwortete Santini, gebeugt unter diesem Unwillen und indem er auf Pistolen zeigte, die auf dem Tische lagen, „da liegen Ihre Pistolen; Sie sind für mich noch immer der Kaiser; befehlen Sie, daß man mir eine Kugel durch den Kopf jage; ich bin bereit, niederzuknien, denn tausend Mal lieber den Tod als Ihren Zorn!“

„Was hast Du gegen den Diener Gourgaud’s?“

„Ich will lieber sterben, als neben einem Spion sitzen. Alle Engländer, die sich an uns schleichen, sind Spione oder wollen uns zum Spioniren verführen.“

Und er erzählte, was ihm mit dem Offizier begegnet war.

Napoleon wurde nachdenklich, beruhigte sich allmälig und verzieh seinem Getreuen, der nun mit um so größerm Eifer seine Jagd auf die Schweine, die Ziegen, die Schafe und die Tauben fortsetzte.

Er ging noch weiter.

Er sah, daß der Anzug Napoleon’s schlechter und schäbiger wurde. Das griff dem enthusiastischen Verehrer seines Kaisers an’s Herz und trieb ihn an, Schneider zu werden. Er zerschnitt einen alten grauen Rock Napoleon’s und machte ihm einen Frack daraus. Er wurde Schuhmacher und verfertigte dem Kaiser aus alten Stiefeln ein Paar Schuhe mit Schnallen, die er mit weißem Atlas fütterte, welchen er sich von den Damen Bertrand und Montholon geben ließ.[1]

Santini endlich war es, welcher von Napoleon den Auftrag erhielt, weil es ihm an Geld fehlte, sein Silbergeschirr zu zerschlagen und zu verkaufen. „Meine Adler aber,“ setzte er hinzu, „sollen nicht mit auf den Markt wandern. Auch meinen Namenszug vertilge. In ganz kleine Stücke zerschlage es, damit man nichts erkennen kann.“

Alles dies nagte an Santini; er wurde schweigsam, mürrisch, wanderte einsam umher, ließ sich oft Tage lang nicht sehen und als Hudson Lowe verlangte, daß Jeder, der bei Napoleon bleiben wolle, sich schriftlich erklären müsse, er unterwerfe sich allen Anordnungen des Gouverneurs, wunderten sich Alle, daß Santini erklärte, er werde dies nicht unterschreiben.

Einige Tage vorher hatte er seinen Kaiser um eine Audienz gebeten und ihm gesagt: er sei entschlossen, ihn zu verlassen, weil er ihm in Europa besser zu dienen hoffe. „So klein ich bin,“ sagte er, „werde ich doch, da ich bei Ihnen war, die Aufmerksamkeit erregen und diese dann für Sie benützen; ich werde sagen, wie es hier zugeht und in den Zeitungen bekannt machen, was man Sie leiden läßt; ich werde den Unwillen Aller erregen und das englische Cabinet wird Ihnen endlich gewähren müssen, was Ihnen gebührt.“

„Dein Plan ist gut,“ antwortete der Kaiser. „Komm morgen wieder; ich habe mit Dir darüber zu sprechen.“

Als er am nächsten Tage wieder zu Napoleon kam, stand dieser am Kamin und hielt eine Papierrolle in der Hand.

„Da,“ sagte er; „beweise mir, daß Du lesen kannst; lies.“

Santini las einige Zeilen.

„Wie lange wirst Du brauchen, um das Alles auswendig zu lernen?“

„Zwei Tage.“

„So nimm das Papier und lerne auswendig was darauf steht.“

Es war die Protestation Napoleon’s, die er Montholon dictirt, an Hudson Lowe übergeben und an Lord Bathurst übersandt hatte, der sie allen Regierungen mittheilte, die aber alle schwiegen.

Bereits nach vierundzwanzig Stunden meldete sich Santini wieder und erklärte, die Aufgabe sei gelöset, er könne Alles auswendig.

„Behalte jedes Wort davon,“ sagte Napoleon, „und wenn Du nach London kommst, laß es drucken. Du wirst Leute finden, die Dir behülflich sind. Dann gehst Du zu allen Mitgliedern meiner Familie und erzählst wie es hier ist etc.“

„Es ist mir noch etwas eingefallen,“ entgegnete Santini, indem er etwas von dem weißen Atlasse, den er übrig behalten hatte, aus der Tasche zog. „Wäre es nicht gut, wenn die Protestation ganz auf die Seide geschrieben würde, damit ich sie unter das Futter meines Rockes nähen und im Nothfalle Worte, die ich doch vergessen dürfte, wieder finden könnte?“

„Dein Einfall ist gut,“ antwortete Napoleon; „gieb her die Seide; ich werde die Protestation darauf schreiben lassen.“

Las Cases schrieb sie in ganz kleinen Buchstaben mit Tusche auf die Seidenstreifen, Santini nähete sie unter sein Rockfutter und am 19. Oct. 1816, ein Jahr nach der Ankunft auf Helena, segelte er nach der Capstadt. Dort wurde er in die Citadelle gesperrt und durfte mit Niemandem verkehren. Nach fünfzig Tagen brachte man ihn auf ein anderes Schiff, das am 16. December wieder an St. Helena beilegte und erst nach fünf Tagen weiter fuhr. Santini durfte nicht an das Land gehen.

Im Februar des nächsten Jahres kam er in England an und sogleich begab er sich nach London. Es würde viel zu weitläufig werden, wollten wir Alles erzählen, was er thun und vermeiden mußte, um seinen Zweck zu erreichen. Mit Hülfe Sir Robert Wilson’s und Lord Holland’s konnte er die Protestation Napoleon’s und eine Brochüre über dessen Aufenthalt auf Helena drucken lassen, welche das ungeheuerste Aufsehen machten, eine der stürmischesten Sitzungen des Unterhauses und die Absendung einer Commission nach St. Helena veranlaßten, die Vieles in der Stellung Napoleon’s verbesserte.

Nach einem dreimonatlichen Aufenthalte in London verließ Santini England, um trotz der aufmerksamen Polizei die Glieder der Napoleonischen Familie aufzusuchen. Er gelangte glücklich nach Karlsruhe, wo er von der edeln Stephanie Geld erhielt, an dem es ihm ganz fehlte. Von da ging er nach München und hatte eine Audienz bei dem Prinzen Eugen.

Am nächsten Tage sollte er mit demselben noch einmal sprechen, aber als er in den Palast trat, wurde er verhaftet, in einen Wagen gesetzt und unter Bedeckung nach Ulm gebracht. Hier gab man ihm seine Freiheit zwar, erklärte ihm aber, wenn er Baiern wieder beträte, werde man ihn an die französischen Behörden ausliefern.

Santini besann sich nicht lange. So wenig Geld er hatte, unternahm er es doch nach Rom zu wandern, am Comer-See jedoch wurde er wiederum angehalten, festgenommen und in ein Gefängniß nach Mailand, nach fünf Tagen aber in die Citadelle zu Mantua gebracht. Er galt für einen höchst gefährlichen Menschen: war er doch bei dem Gefangenen auf St. Helena gewesen, der ihm gewiß aufgetragen hatte, die – Welt aufzuwiegeln. Die Polizei gab sich alle erdenkliche Mühe ihn zum Gestehen zu bringen und benutzte endlich selbst ein hübsches Mädchen, das täglich in das Gefängniß Santini’s kam, scheinbar um da aufzuräumen, [627] eigentlich aber damit der Gefangene sich in sie verliebe und dann plaudere. Das Mädchen blieb Stunden, halbe Tage lang bei ihm und eines gelang: Santini verliebte sich in der That, aber auch der Geliebten vertraute er nichts, so daß diese endlich erkannte es sei Alles vergeblich und nicht wieder erschien.

Ein Paar Stunden nach ihrem letzten Weggange erschien ein Beamter, der dem Gefangenen meldete, er sei in so weit frei, daß er aus der Citadelle entlassen werden solle, er müsse sich aber irgendwo in Oesterreich oder England aufhalten; entscheide er sich für Oesterreich, so werde man ihm Brünn zum Aufenthaltsorte anweisen. Santini wählte Oesterreich, wurde nach Wien gebracht, dort drei Wochen gefangen gehalten trotz seiner fortwährenden Erklärungen, man möge ihn erschießen, wenn er schuldig sei oder ihn frei lassen, wenn er nichts verbrochen habe. Endlich begleitete ihn ein Beamter nach Brünn. Hier sollte er in der Stadt frei herumgehen können, er durfte aber selbst die Vorstadt nicht betreten und mußte einen Mann bei sich dulden, der für seinen Dollmetscher galt, aber ein Spion war, der ihn zu beobachten hatte. Er fand in Brünn überall die freundlichste Theilnahme und nur einmal tiefen Schmerz. In dem Kaffeehause, das er täglich besuchte, mieden ihn einst alle, die sonst freundlich gegen ihn gewesen waren, und sahen ihn mit Blicken der tiefsten Verachtung an. Ein Offizier warf ihm endlich ein Zeitungsblatt hin, in dem aus London berichtet war, ein gewisser Santini, der für Napoleon in Europa agitire, sei ein Betrüger, seines schlechten Wandels wegen von St. Helena verwiesen worden und speculire durch seine lügenhaften Schriften auf den Beutel des Publikums.

Santini war auf’s Tiefste verletzt und protestirte laut, aber was konnte er thun? Er verließ das Kaffeehaus und schloß sich in seiner Wohnung ein. Vierzehn Tage hatte er den Schmerz zu tragen; da kamen eines Morgens wohl zwanzig Offiziere und andere Personen zu ihm, baten ihn um Entschuldigung und zeigten ihm ein Zeitungsblatt, in welchem Graf Flahaut erklärte: was eine Zeitung über Santini gesagt, sei eine schändliche Verläumdung; Santini sei Einer der treuesten Diener, der seine Existenz und seine Zukunft geopfert habe um der Welt die traurigen Geheimnisse von St. Helena zu entschleiern etc.

Von da an wurde er unverändert mit der größten Achtung behandelt und verlebte drei Jahre in Brünn, die er drei glückliche nennt. Ja selbst der Kaiser Franz sandte ihm einmal fünfhundert Gulden.

Im Jahre 1821 endlich meldete man ihm, daß sein Kaiser todt, er aber frei sei. Was lag ihm nun an der Freiheit? Es dauerte lange, ehe er seine Energie wieder fand; als es geschehen war, trat er seine Wanderungen von neuem an. Er suchte alle Verwandten seines Kaisers auf und begab sich endlich nach Corsica, um da sein Leben zu beschließen; aber die Polizei ließ ihm keine Ruhe und er ging nach Paris, wo er von Unterstützungen der wohlhabenden Bonapartisten lebte, aber auch stets von der Polizei verfolgt wurde.

Erst die Julirevolution machte seinen Leiden ein Ende. Er kam als Diener in das Cabinet Ludwig Philipp’s und blieb da zwei Jahre, dann aber übernahm er sein früheres Amt wieder – er wurde Courier.

Als solchen traf ihn die Februarrevolution von 1848 und Santini wurde sofort Einer der thätigsten und unermüdlichsten Werber, die das Land zu Gunsten Ludwig Napoleon’s bearbeiteten.

Unterdeß nahete sich das prachtvolle Grabmal des Kaisers Napoleon im Invaliden-Dome der Vollendung und es mußte ein Aufseher und Hüter desselben ernannt werden. Der damalige Präsident Ludwig Napoleon konnte dazu gewiß keinen Geeigneteren finden als Santini, dem er denn auch das Kreuz der Ehrenlegion gab und die Obhut des Grabes jenes Kaisers anvertraute, für den er ausschließlich gelebt hat.

Wer nach Paris kommt und das Kaisergrab besucht, reiche dem treuen Santini die Hand!


  1. Santini lebt heute noch und das Obige, das Vielen vielleicht unglaublich erscheint, erklärt er laut und öffentlich.