Ansicht von Rom
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Die Gegend um Rom ist öde und einsam. Dem Wanderer scheint’s, als habe die Natur dort alles dem Menschen überlassen und als habe der Mensch, nach Aufrichtung der Werke seines Ruhms, das Land geflohen. Es ist ihm als müßten’s Wesen höherer Art gewesen sein, jene Menschen, sieht er den armen Bewohner der Campagna träge umherschleichen auf den baumlosen Felde, von dem sich, wie riesige Gespenster, Säulen erheben und Bautrümmer, Cyklopenwerken ähnlicher als Werken von schwachen Sterblichen. Beklommener Gefühle voll späht sein Auge am Horizont – da plötzlich ragt das Zeichen des Kreuzes über eine Wolke von Rauch und Dünsten! – Es ist das Kreuz der Peterskirche auf dem Vatikansberge, und bald wölbt sich unter ihm ihr ungeheurer Dom. Der prächtigste Bau der neuen Roma, der Christenheit herrlichster und heiligster Tempel, steht entschleiert vor seinem Auge!
[11] Dort ist das Ziel der zahllosen Pilgerschaaren, die seit anderthalb Jahrhunderten sich hier aus allen Theilen der Erde versammeln, um Ruhe und Trost zu suchen im Gebete und in frommen Uebungen. Dort unter jenem prächtigen Gewölbe ist der geheiligte Boden, der das Blut der Apostel und jener standhaften Bekenner der Lehre des Weltheilandes trank, welche die Bosheit der Götzenpriester und die Verblendung des Volks und der Fürsten als Märtyrer für die ewige Wahrheit schlachteten. – Das Kastel von Sankt Angelo (die Engelsburg), über dem prachtvollen Mausoleum des Kaisers Augustus erbaut, wird zunächst sichtbar, und ruft jene ereignißvolle Zeit in’s Gedächtniß, wo das Haupt der christlichen Kirche noch blutige Kriege führte mit fremden Völkern und Königen, und der römische Bischoff mit seinen Priestern, in Stahl gekleidet, Schlachten zu schlagen und sich hinter Wällen und Schanzen in seiner Burg gegen innere und äußere Feinde zu wehren hatte. Hoch oben über der Burg schwebt der güldene Engel – das Erinnerungszeichen an die wunderbare Errettung des belagerten Gregors des Großen durch, wie uns die Legende erzählt, die Macht der Heerschaaren des Himmels. Bald steigen nun das Colosseum, dann die übrigen großartigen Bautrümmer des alten Roms, auf derem Schutt das neue sich ausbreitet, dann die Paläste des letztern am Gesichtskreise herauf. Rom ist enthüllt, und der Wanderer steht und staunt des vor ihm nun völlig entfalteten grandiosen Gemäldes.
Und schöner und immer schöner wird die Fernsicht. Das Auge irrt nicht mehr bahnlos und müde in der weiten, endlosen, öden Campagna, die mit ihrem dürren hohen Gras einem großen Friedhof ähnelt, umher, vergebens einen Ruhepunkt suchend; es gleitet schnell über die Wüste hinüber auf die thurm- und domreiche Siebenhügelstadt, hinter der, glänzend und in malerischen Formen, die berühmten, vom Arno durchrauschten, Hügel und Wälder emporschwellen, in denen die Gebieter der Welt einst die Freuden des Landlebens und der Natur aufsuchten; jene Hügel, welche mit Marmorpalästen, Gärten und Parks bedeckt waren. Südlich erhebt sich der albanische Berg (jetzt MONTE CAVO) so grün und schattig noch wie damals, als seine Haine den prachtvollen Tempel des Jupiter Latialis verbargen. Seitwärts erhebt sich der Hügel, an dem sich die Paläste und Gärten Fraskati’s lehnen, wo einst Tusculum stand; und weiter östlich wölben sich terassenförmig die Sabinischen Hügel, und hinter ihnen die blauen Berge der Appeninen, die den Gesichtskreis sichelförmig umfassen.
Wenn, gesättigt von der großen und lachenden Fernsicht, der Wanderer den Blick wieder in die Nähe zieht, dünkt ihm die Oede ringsum nur um so trauriger. Kein Weiler, kein Dorf, keine Flecken beleben die Campagna; keine Haine oder blühende Gärten oder lachenden Felder erfreuen das Auge. Die verwitterten hohen Denkmäler aus alter Römerzeit ragen wie Grabsteine über die Steppe hervor, und verfallene Burgen oder Warten aus der Zeit des Faustrechts wechseln, je näher an Rom um so häufiger, mit eingestürzten Wohnungen, die schwachen Werke späterer Tage. Die einzelnen Hütten, die man hie und da antrifft, sie sind in einiger Entfernung gar nicht [12] sichtbar; denn, meistens den Trümmern alter Tempel und Paläste (vom Volk Casali genannt) eingebaut, und aus Bruchstücken von Säulen, Gesimsen und antikem Mauerwerk schlecht zusammengeflickt, sind sie selten durch ein Laubdach beschattet, das sie verrathen könnte, und die kleinen Maisfelder, welche sie umgeben, sieht man nicht vor dem hohen, riedigen Grase der Wüste. Bei den alten Römern war die Campagna das lachende Bild der Fülle, Macht und Fruchtbarkeit. Nach Strabo’s und Plinius Zeugnissen herrschte hier die gesundeste Luft. Saatfelder, Haine, Landhäuser, Denkmäler (von derem einstigen Dasein eben die zahllosen Ruinen zeugen) wechselten mit einander ab, Dörfer und volkreiche Städte bedeckten sie, es war ein ununterbrochener Garten. Noch ist die Fruchtbarkeit des Bodens dieselbe; aber der menschliche Fleiß und die starke Willenskraft sind geflohen, und aus dem Eden der Römervorzeit ward unter der neurömischen Trägheit eine pestausthauchende Wüste. Die Seeen der Landschaft sind versumpft, und die Niederungen sind Moorgründe geworden. Die Million glücklicher Einwohner, die diese Gegend einst faßte, sind verschwunden bis auf wenige Tausende in der Oede zerstreute unglückliche Wesen, welche im Sommer, wenn die Ausdünstungen der Sümpfe und stehenden Gewässer die Campagna, durch Erzeugung bösartiger Fieber, so gefährlich machen, nach Rom flüchten, wo sie unter den Säulenhallen der Kirchen und Paläste, oder unter den Ruinen der Baucolosse der Alten ein Nachtlager suchen, oder die Spitäler bevölkern. – Im Winter weiden Schafheerden in dieser Einöde, welche Rom umgiebt. Während des Sommers, wenn der Tod den Hirten droht, werden sie auf die fetten Weiden der Appeninen getrieben. Nur die Rinderheerden, die halb wild in der Campagna umherlaufen, verändern ihre Weiden nicht. Ihre Hirten, – meistens Leute aus dem Gebirge, welche hoher Lohn in die römische Ebene verlockt, werden gemeinlich bald ein Raub des Todes, oder sie kehren zurück zu den Ihrigen, siech für immer.
Rom enthält in etwa 38,000 Häusern gegenwärtig 143,000 Einwohner, von denen der fünfte Theil von Almosen, 3 bis 4000 in den Spitälern und Gefängnissen leben. Es hat 81 Hauptkirchen, über 120 prachtvolle Paläste, – zum Theil öde stehend – über 30 Klöster, 1500 Geistliche (unter denen 30 Bischöffe) und nahe an 4000 Nonnen und Mönche. – Rom war und ist noch immer der Lieblingsaufenthalt der Ruhe und Lebensgenuß suchenden Reichen und Großen Europas. Alles spricht dort auf eine eigene Weise an. Das Klima – nur im Sommer unerträglich, und dann geflohen – ist 9 Monate des Jahres ein fortwährender Frühling; der Anblick der erhabenen Trümmer; die feierliche Größe und Pracht der Kirchen; das Riesige und Grandiose der Paläste; der feierliche Prunk der religiösen Gebräuche; die magische, fast schwermüthige Ruhe in den prächtigen Villen; der ewige Wechsel in Genuß der herrlichen Kunstschätze, der Malerei und Skulptur aller Zeiten; der Reichthum der Erinnerung, die bei jedem Schritt neu geweckt wird: – alles dieß versetzt die Seele in eine unbeschreibliche, über das Irdische erhabene Stimmung. Klarer als sonst irgendwo erkennt sie hier, wo die Vergänglichkeit thront, das Ewige und Unsterbliche, und gewinnt aus dieser Erkenntniß, Frieden und Befestigung für das ganze Leben.
So viel für heute. Die ewige Roma werden wir noch oft besuchen und ihre Wunder der Baukunst, ihre berühmtesten Denkmäler der Skulptur und Malerei später einzeln betrachten.