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Dort ist das Ziel der zahllosen Pilgerschaaren, die seit anderthalb Jahrhunderten sich hier aus allen Theilen der Erde versammeln, um Ruhe und Trost zu suchen im Gebete und in frommen Uebungen. Dort unter jenem prächtigen Gewölbe ist der geheiligte Boden, der das Blut der Apostel und jener standhaften Bekenner der Lehre des Weltheilandes trank, welche die Bosheit der Götzenpriester und die Verblendung des Volks und der Fürsten als Märtyrer für die ewige Wahrheit schlachteten. – Das Kastel von Sankt Angelo (die Engelsburg), über dem prachtvollen Mausoleum des Kaisers Augustus erbaut, wird zunächst sichtbar, und ruft jene ereignißvolle Zeit in’s Gedächtniß, wo das Haupt der christlichen Kirche noch blutige Kriege führte mit fremden Völkern und Königen, und der römische Bischoff mit seinen Priestern, in Stahl gekleidet, Schlachten zu schlagen und sich hinter Wällen und Schanzen in seiner Burg gegen innere und äußere Feinde zu wehren hatte. Hoch oben über der Burg schwebt der güldene Engel – das Erinnerungszeichen an die wunderbare Errettung des belagerten Gregors des Großen durch, wie uns die Legende erzählt, die Macht der Heerschaaren des Himmels. Bald steigen nun das Colosseum, dann die übrigen großartigen Bautrümmer des alten Roms, auf derem Schutt das neue sich ausbreitet, dann die Paläste des letztern am Gesichtskreise herauf. Rom ist enthüllt, und der Wanderer steht und staunt des vor ihm nun völlig entfalteten grandiosen Gemäldes.

Und schöner und immer schöner wird die Fernsicht. Das Auge irrt nicht mehr bahnlos und müde in der weiten, endlosen, öden Campagna, die mit ihrem dürren hohen Gras einem großen Friedhof ähnelt, umher, vergebens einen Ruhepunkt suchend; es gleitet schnell über die Wüste hinüber auf die thurm- und domreiche Siebenhügelstadt, hinter der, glänzend und in malerischen Formen, die berühmten, vom Arno durchrauschten, Hügel und Wälder emporschwellen, in denen die Gebieter der Welt einst die Freuden des Landlebens und der Natur aufsuchten; jene Hügel, welche mit Marmorpalästen, Gärten und Parks bedeckt waren. Südlich erhebt sich der albanische Berg (jetzt MONTE CAVO) so grün und schattig noch wie damals, als seine Haine den prachtvollen Tempel des Jupiter Latialis verbargen. Seitwärts erhebt sich der Hügel, an dem sich die Paläste und Gärten Fraskati’s lehnen, wo einst Tusculum stand; und weiter östlich wölben sich terassenförmig die Sabinischen Hügel, und hinter ihnen die blauen Berge der Appeninen, die den Gesichtskreis sichelförmig umfassen.

Wenn, gesättigt von der großen und lachenden Fernsicht, der Wanderer den Blick wieder in die Nähe zieht, dünkt ihm die Oede ringsum nur um so trauriger. Kein Weiler, kein Dorf, keine Flecken beleben die Campagna; keine Haine oder blühende Gärten oder lachenden Felder erfreuen das Auge. Die verwitterten hohen Denkmäler aus alter Römerzeit ragen wie Grabsteine über die Steppe hervor, und verfallene Burgen oder Warten aus der Zeit des Faustrechts wechseln, je näher an Rom um so häufiger, mit eingestürzten Wohnungen, die schwachen Werke späterer Tage. Die einzelnen Hütten, die man hie und da antrifft, sie sind in einiger Entfernung gar nicht