Bad Ems (Meyer’s Universum)
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In dem tiefen, romantischen Thale der Lahn, zwei Stunden von Coblenz, liegt ein kleiner, schön gebauter Flecken. Hoch über ihn thürmen sich, zum Theil bewaldete, zum Theil kahle, Berg- und Felsenwände auf, und zwischen ihnen und dem rauschenden Strome sucht der menschliche Fleiß vergebens Raum für seine Thätigkeit. Es ist eine der engsten Stellen des Thals – und billig würde der Wanderer fragen, warum man gerade diese tiefe Schlucht zum Bauplatz erwählt habe, wüßte er nicht, daß es die Nymphe einer der berühmtesten Heilquellen der Erde sei, deren Laune ihn anwieß. – Ems, der Badeort, besteht aus etwa achtzig, meistens geschmackvoll gebauten Häusern, die sich längs dem rechten Ufer der Lahn, an steilen Gebirgswänden hin lagern. Sie bilden eine einfache, fast sichelförmige Reihe, oft durch Baumgruppen getrennt und vom Flusse nur durch einen gepflasterten Weg geschieden. Die schönste Ansicht giebt der Flecken an seinem westlichen Ende, vom Nassauer Wege, wo den Blick das von Thüngensche Schloß (auf unserm Bilde das vierthürmige Gebäude links) mit seinen Gartenanlagen das Auge fesselt. Einen angenehmen und überraschenden Eindruck machen mehrere Weingärten, welche sich an den sonnigen Theilen der nächsten Berge weit hinanziehen, und einzelne Kornfelder, welche mehrere ihrer Gipfel krönen; – denn sie zeugen von der Macht des menschlichen Fleißes, auch der unwirthbarsten Natur noch reiche Gaben zu entlocken. Den Blick das Lahnthal hinauf begrenzt eine Schiffbrücke, welche in der Gegend des sogenannten Kurhauses beide Ufer mit einander verbindet. –
Der Ruf der Emser Heilquellen reicht bis in’s graueste Alterthum. Römische Münzen und Gräber, Überreste römischer Mauern, hier aufgefunden, beweisen, daß die alten Welteroberer sie schon kannten und benutzten. Der Fels, welcher das Laboratium zu verbergen scheint, in dem die Natur das Heilwasser bereitet, ist ein Thonschiefergebirge, welches eine silberhaltige Blei-Erzniederlage und Kupfererze enthält. Die Quellen, deren sechzehn gefaßt sind, von welchen aber eine große Menge mehr, selbst im Lahnbette, hervorsprudeln, sind sämmtlich warm, jedoch verschiedener Temperatur, von 19–44° nach Reaumur. Die stärksten Quellen sind die im ehemals hessendarmstädtischen Hause. Unter den Bädern, die alten und neuen, die landgräflichen, die Bubenquelle, das Rondel- und das Fürstenbad ist das letztere höchst prachtvoll eingerichtet und im edelsten Styl ganz aus inländischem Marmor aufgeführt. Dieß ist der Ort, der, während der Badezeit, oft einen großen Kreis von Monarchen und Fürstinnen der Erde friedlich unter einem Dache versammelt.
[10] Die Wasser gehören zu der Gattung der alkalisch-salinischen. Sie sind heilsam bei Lungenübeln, Krankheiten der Verdauungsorgane, gichtischen und rheumatischen Beschwerden, und den aus Entnervung entstehenden Leiden. Ihre Wirksamkeit gegen weibliche Krankheiten hat sie langst berühmt gemacht. Badezeit von Juni bis August.
Die herrliche, bald wilde, bald liebliche Natur in der Gegend giebt den das Bad Besuchenden Gelegenheit zu den mannigfaltigsten Lustpartien, zu Fuß und zu Esel; Pferde sind wegen der Steilheit der Gebirge nicht anwendbar. Die schönsten, am häufigsten besuchten, Punkte sind: Drausenau, ½ Stunde entfernt, im Lahnthale aufwärts, mit Mineralquellen; ½ Stunde im Thale weiter hinauf, Nassau, mit höchst reizender Umgebung und der alten Burg Hartenstein; – die Silberhütte (1½ Stunde fern) in wild romantischer Lage, mit der Silberschmelze und den Pochwerken; – die Sporkenburg, eine verfallene Veste mit einem mehrstimmigen Echo; – die Markusburg, ein festes Schloß, noch als Staatsgefängniß benutzt, mit den barbarischen Einrichtungen des Alterthums: der Folterkammer etc. – Unter den Spaziergängen in der unmittelbaren Nähe des Bades sind der Henriettenweg und der nach der Mooshütte die lohnendsten. Letzterer ist sehr steil – führt auf in die Felsenmassen gesprengten Treppen eine unerklimmbare Wand hinan, von der man, auf hohen Felsenabsätzen, schauerlich-schöne Blicke in’s tiefe Emsthal genießt. Jenseits der Lahn, am Spießberge, ist die sogenannte Hundsgrotte, deren Ausdünstung, ähnlich der bei Neapel, jedes sie betretende Wesen betäubt.