Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Erster Band | |
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sichtbar; denn, meistens den Trümmern alter Tempel und Paläste (vom Volk Casali genannt) eingebaut, und aus Bruchstücken von Säulen, Gesimsen und antikem Mauerwerk schlecht zusammengeflickt, sind sie selten durch ein Laubdach beschattet, das sie verrathen könnte, und die kleinen Maisfelder, welche sie umgeben, sieht man nicht vor dem hohen, riedigen Grase der Wüste. Bei den alten Römern war die Campagna das lachende Bild der Fülle, Macht und Fruchtbarkeit. Nach Strabo’s und Plinius Zeugnissen herrschte hier die gesundeste Luft. Saatfelder, Haine, Landhäuser, Denkmäler (von derem einstigen Dasein eben die zahllosen Ruinen zeugen) wechselten mit einander ab, Dörfer und volkreiche Städte bedeckten sie, es war ein ununterbrochener Garten. Noch ist die Fruchtbarkeit des Bodens dieselbe; aber der menschliche Fleiß und die starke Willenskraft sind geflohen, und aus dem Eden der Römervorzeit ward unter der neurömischen Trägheit eine pestausthauchende Wüste. Die Seeen der Landschaft sind versumpft, und die Niederungen sind Moorgründe geworden. Die Million glücklicher Einwohner, die diese Gegend einst faßte, sind verschwunden bis auf wenige Tausende in der Oede zerstreute unglückliche Wesen, welche im Sommer, wenn die Ausdünstungen der Sümpfe und stehenden Gewässer die Campagna, durch Erzeugung bösartiger Fieber, so gefährlich machen, nach Rom flüchten, wo sie unter den Säulenhallen der Kirchen und Paläste, oder unter den Ruinen der Baucolosse der Alten ein Nachtlager suchen, oder die Spitäler bevölkern. – Im Winter weiden Schafheerden in dieser Einöde, welche Rom umgiebt. Während des Sommers, wenn der Tod den Hirten droht, werden sie auf die fetten Weiden der Appeninen getrieben. Nur die Rinderheerden, die halb wild in der Campagna umherlaufen, verändern ihre Weiden nicht. Ihre Hirten, – meistens Leute aus dem Gebirge, welche hoher Lohn in die römische Ebene verlockt, werden gemeinlich bald ein Raub des Todes, oder sie kehren zurück zu den Ihrigen, siech für immer.
Rom enthält in etwa 38,000 Häusern gegenwärtig 143,000 Einwohner, von denen der fünfte Theil von Almosen, 3 bis 4000 in den Spitälern und Gefängnissen leben. Es hat 81 Hauptkirchen, über 120 prachtvolle Paläste, – zum Theil öde stehend – über 30 Klöster, 1500 Geistliche (unter denen 30 Bischöffe) und nahe an 4000 Nonnen und Mönche. – Rom war und ist noch immer der Lieblingsaufenthalt der Ruhe und Lebensgenuß suchenden Reichen und Großen Europas. Alles spricht dort auf eine eigene Weise an. Das Klima – nur im Sommer unerträglich, und dann geflohen – ist 9 Monate des Jahres ein fortwährender Frühling; der Anblick der erhabenen Trümmer; die feierliche Größe und Pracht der Kirchen; das Riesige und Grandiose der Paläste; der feierliche Prunk der religiösen Gebräuche; die magische, fast schwermüthige Ruhe in den prächtigen Villen; der ewige Wechsel in Genuß der herrlichen Kunstschätze, der Malerei und Skulptur aller Zeiten; der Reichthum der Erinnerung, die bei jedem Schritt neu geweckt wird: – alles dieß versetzt die Seele in eine unbeschreibliche, über das Irdische erhabene Stimmung. Klarer als sonst irgendwo erkennt sie hier, wo die Vergänglichkeit thront, das Ewige und Unsterbliche, und gewinnt aus dieser Erkenntniß, Frieden und Befestigung für das ganze Leben.
So viel für heute. Die ewige Roma werden wir noch oft besuchen und ihre Wunder der Baukunst, ihre berühmtesten Denkmäler der Skulptur und Malerei später einzeln betrachten.
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Erster Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen und New York 1833, Seite 18. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_1._Band_1._Auflage_1833.djvu/28&oldid=- (Version vom 2.6.2024)