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Artikel „Wurst, Raimund Jakob“ von Ferdinand Sander in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 44 (1898), S. 341–342, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Wurst,_Raimund_Jakob&oldid=- (Version vom 25. November 2024, 23:06 Uhr UTC)
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Wurst: Raimund Jakob W., einflußreicher Volksschulpädagog, geboren am 31. August 1800 in Bühlerthann, Oberamt Ellwangen, † in Ellwangen am 1. Juni 1845. Als Sproß einer alten katholischen Lehrerfamilie früh für den Beruf seiner Vorfahren (bis ins vierte Glied!) entschieden, bestand er 1819 in Ellwangen die Provisoratsprüfung und ward sofort in Oberkessach, 1821 in Ellwangen Provisor, d. i. Hülfslehrer. Hier schloß er Freundschaft mit seinem Amtsgenossen Ign. Thomas Scherr. Eifrig benutzte er jede gebotene Gelegenheit zur allgemeinen wie zur beruflichen Fortbildung. Besonders entscheidend wirkte auf ihn eine dreimonatige Studienreise im J. 1826, die ihn mit J. B. Graser in Baireuth, Harnisch in Weißenfels, Dr. K. Salzmann und Guts Muths in Schnepfenthal und anderen damals angesehenen Schulmännern in persönlichen Verkehr brachte. Vor allem schloß er sich zunächst Graser in methodischer Hinsicht an. Im J. 1828 verheirathete sich W. und kam bald darauf als Oberlehrer an das königliche Waisenhaus zu Weingarten. Hier begann er seine erfolgreiche Schriftstellerei mit glücklicher Lösung einer Preisaufgabe der Oberschulbehörde und Herausgabe des preisgekrönten „Ersten Schulbuches für die Unterklasse der Elementarschule“, dem wenig später das umfassendere methodische Werk folgte: „Die zwei ersten Schuljahre“. Inzwischen war er in den allgemeinen philosophisch-psychologischen Voraussetzungen von Graser und Schelling mehr zu Beneke übergegangen. Auf sein Ansuchen erhielt er 1834 den einträglicheren ersten Schuldienst im Marktflecken Altshausen, von dem aus er indeß bereits 1835 wiederholtem Rufe als Lehrer und Leiter des neuzuerrichtenden Lehrerseminares zu St. Georgen, Kanton St. Gallen, folgte. Während seines Schweizer Aufenthaltes 1836 erschien Wurst’s bekanntestes Werk, die „Praktische Sprachdenklehre für Volksschulen und die Elementarclassen der Gymnasial- und Realschulen, nach Dr. K. F. Beckers Ansichten etc. bearbeitet“, von der in sechs Jahren 19 Abdrücke und Auflagen mit weit über 100 000 Exemplaren abgesetzt wurden. Ihr folgte eine ausführliche „Theoretisch-praktische Anleitung [342] zum Gebrauche der Sprachdenklehre“ und eine „Kleine Sprachdenklehre“. Diese soll es in vier Jahren zu einem Absatze von etwa 50 000, das Elementarbuch zu Denk- und Stilübungen zu einem solchen von 75 000 Exemplaren, das Erste Schulbuch sogar zu 123 000 Exemplaren gebracht haben. Im J. 1837 tauschte W. mit dem verehrten Meister K. F. Becker persönliche Besuche aus und galt fortan als dessen anerkannter Interpret für Volksschule und Elementarstufe. Doch erfuhr er wegen der formalistischen Einseitigkeit und überverständigen Redseligkeit seiner Sprachbücher auch manche scharfe Kritik; so von Ph. Wackernagel, K. u. R. v. Raumer u. A. Inzwischen gestalteten sich Wurst’s Verhältnisse in St. Georgen nicht nach Wunsche wegen politischer Kämpfe, an denen er nach seiner Eigenart schwer trug, und durch die gegen seinen Wunsch beschlossene Verlegung des Seminares nach St. Gallen. Ueberdies begann er zu kränkeln; besonders seit der sonst für ihn so erfreulichen Reise nach Offenbach zu Becker. Das alles im Vereine mit dem Heimweh der Seinigen bewog ihn, 1838 den ehrenvollen Posten in der Schweiz aufzugeben und als Volksschullehrer, zugleich Organist, nach Ellwangen zurückzukehren. Trotz zunehmenden Siechthumes arbeitete er hier mehrere Jahre im Berufe wie als Schriftsteller eifrig weiter, eröffnete auch 1843 mit Beihülfe der Regierung noch ein privates Lehrerseminar im eigenen Hause. Indeß mußte er seit Beginn des Jahres 1845 die unterrichtliche Thätigkeit einstellen und erlag, eben heimgekehrt aus seinem geliebten Garten, am 1. Juni d. J. einem heftigen Blutsturze. – W. wird als gewissenhafter Lehrer und frommer Katholik geschildert, der Erziehung zu sittlichem und religiösem Ernste als höchste Aufgabe der Schule ansah, aber unduldsamen Uebereifer und sentimentale Schwärmerei verabscheute. Im Umgange, den er nicht auf weitere Kreise auszudehnen liebte, zeigte er sich offen, bieder, sanft und schlicht. Als Methodiker und Schriftsteller seiner Zeit in weiten Kreisen überschätzt, verdient er doch wegen seines noch fortdauernden Einflusses auf den deutschen Sprachunterricht wie als vorbildlicher Vertreter seines Standes und als Mann von ehrenwerthestem Streben bleibendes Andenken.

Raimund Jakob Wurst, eine biograph. Skizze. Reutlingen 1846. – Hergang, s. v. Wurst i. d. Pädagog. Realencykl. – Ueber die Familie W.: Kaißer i. d. Gesch. des württembergischen Volksschulwesens, Bd. II. – Verzeichniß der Schriften Wurst’s bei Hergang (s. o.).