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Artikel „Wulff, Friedrich Wilhelm (Wilibald)“ von Ludwig Julius Fränkel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 44 (1898), S. 563–565, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Wulff,_Friedrich_Wilhelm&oldid=- (Version vom 23. Dezember 2024, 03:48 Uhr UTC)
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Wulff *): Friedrich Wilhelm (Wilibald) W., Dichter, Sohn des Lyrikers „W. Wilibald“ (d. i. Joachim Wilhelm) W. (1807–93), wurde am 6. Januar 1837 zu Hamburg geboren. Er trat nach dem Gymnasialbesuch in die Buchhandlung des Kunst- und Alterthümerfachs Heinr. Schrag in Nürnberg, ging aber unbefriedigt 1855 nach Berlin, um dort Philosophie und Geschichte zu studiren. Von 1857 an ununterbrochen schriftstellerte er in seiner Vaterstadt, arbeitete an etlichen belletristischen Zeitschriften mit und redigirte das novellistische Wochenblatt „Nordische Blätter“ (Oct. 1857 bis Nov. 1858), seit 1862 die Unterhaltungsjournale „Jahreszeiten“ (s. S. 448) und „Lesefrüchte“. 1869 übernahm er die „Hamburger Novellenzeitung“, begründete 1874 ein „Deutsches Fünfpfennigblatt“, woraus die „Roman- und Novellenzeitung“ („Hamburger und deutsche Novellenzeitung“, dabei W. auch Verleger) entstand, darauf die „Illustrierte Familienzeitung“ bis 1886. In letzterem Jahre wurde er artistischer Beirath der vereinigten Hamburger Stadttheater, 1887 Dramaturg des Thalia-Theaters. Am 25. April 1898 verbreitete der Telegraph von Hamburg aus: „Der seit Wochen vermißte Dramaturg des Hamburger Thalia-Theaters und dramatische Schriftsteller Willibald Wulff ist gestern in Ginsterfeld bei Warnsdorf in Oldenburg todt aufgefunden worden. Selbstmord liegt nicht vor. Der Tod scheint vielmehr infolge von Erschöpfung nach langem Umherirren eingetreten zu sein“.

[564] W. war von Haus aus ein Lyriker im reinsten Sinne, Stimmungsbildner, wie sein Vater, mit dem er infolgedessen auch öfters verwechselt worden ist. So ist gewiß auch der Wilibald Wulff, der 1851 neben dem übertreibenden Puristen (Organ „Teut“) A. P. Joh. Krüger (1855–62 Redacteur des Sonntagsblatts „Amicitia und Fidelitas“, Vorgängerin der Wulff’schen „Hamburger Novellenzeitung“) an der Spitze des von Hamburg aus sich ausbreitenden antipolitischen (und antiindividualistischen) Vereins jüngerer Poeten „Junggermanische Schule“ stand, der Aeltere; übrigens hat der für damals doch noch nicht in Betracht kommende Sohn das Programm „Die Junggermanische Schule. Ziel und Grundsätze derselben dargelegt von ihr selbst“ (2. Aufl., Altona 1859) gar mannichfach verleugnet. Allerdings bewegen sich seine älteren Veröffentlichungen, die Gedichtsammlungen „Im Frühling“ (1856; 2. Aufl. 1857), „seinem geliebten Vater“ gewidmet, und „Im Sonnenschein“ (1865) innerhalb vollster Solidität im Sinne der Geibel’schen Richtung. Die Liebe ohne realistische oder hyperromantische Farbe bildet das Hauptthema. Heinr. Kurz urtheilt von jenen lyrischen Bändchen, zu denen man noch „Venezia“, einen Kranz Sonette (diese Form schon „Im Frühling“ S. 85–116), fügen kann, daß „sie allerdings nichts besonders Ausgezeichnetes darbieten, aber wegen der Einfachheit der Gedanken und der Sprache Lob verdienen. Sie würden noch größeres Wohlgefallen erregen, wenn sie in ihrer Anlage und Ausführung mehr Mannichfaltigkeit darböten, nicht so häufig als Paraphrasen von Bildern erschienen“; eine Sucht zu Antithesen, die das unverfälschte Gefühl leicht tödtet, fällt beim Hintereinanderlesen einer längeren Anzahl der Gedichte auf, die meist in wenigen vierzeiligen prunklosen Strophen abgefaßt sind. Im übrigen begann W. bald, entsprechend seiner ständigen Redacteurthätigkeit bei Unterhaltungszeitschriften sich novellistisch zu versuchen. Der historischen Novelle „Vitali Michieli“, die 1857 in „Nord-Oestlicher Erzähler und Allgemeine Theater-Zeitung“ Nr. 27 bis 43 erschien, dem Bändchen glatter „Novellen“ (1864) folgten das Heft „Am Fichtelgebirge. Bilder und Skizzen in drei Erzählungen“ (1865), welches neben zwei, an Sagen Oberfrankens angelehnten erzählenden Skizzen eine dieselbe Landschaft betreffende hübsche volkskundliche Studie „Im Hummellande“ enthält; ferner die Novellen „Belladonna“ (1874) und die zwei Nummern „Am Strande“ (1877), außerdem die wol nicht im Buchhandel vertriebenen „Aus schweren Tagen“, „Novellenbuch“, „Marmorbilder“ und „Roman- und Novellenmappe“. Später aber hat W., wiederum unter dem Einflusse seiner äußeren Stellung, sein Fach verschoben und ist mit zahlreichen Lustspielen, Schauspielen und Libretti unter die Dramatiker gegangen. Stets von praktischen Gesichtspunkten aus für das Theater unmittelbar, wie dieser Wechsel, die Herstellung der öfters übersetzten Textbücher und seine „Declamatorischen Blätter. Schwunghafte, leicht faßliche Gedichte ernsten und heitern Genres“ – 1. Nr. v. 30. Januar 1877 – zeigen. Nicht ohne Bühnengeschick, bisweilen auch nicht ohne wahrhaft poetische Ansätze, bergen diese Productionen kaum Bleibendes, außer daß mehreren der glücklich componirten Operettentexte, z. B. „Farinelli“ (von Herm. Zumpe), „Der Pfeifer von Dusenbach“, „Theuerdank“, sowie dem Tanzpoem „Goldschmid’s Töchterlein“ ein längerer Ruf beschieden sein dürfte. W. galt übrigens in vielen Kreisen, zunächst Hamburgs, zumal da er sich neueren Regungen nicht einseitig verschloß, als ein geeigneter litterarischer Patron und Berather, hat so mehrfach als Preisrichter gewaltet und wol auch bei dem gemäßigt-realistischen Organ „Der Zuschauer“ (1893 gegründet) von L. Berg und C. Brunner Pathe gestanden. Uebrigens hat W. auch einmal mit viel Erfolg den Dialekt der Vaterstadt dramatisch verwerthet. 1873 verherrlichte er mit localpatriotischem Nachhall – 1867 hatte sich die Hamburger Bürgerwehr aufgelöst – „Uns’ Borgergard letzte Parad“ (gedruckt [565] Hamburg 1874) in einem militärischen Scherz, der, zuerst den 25. December am Karl-Schultze-Theater dargestellt, sich eng an „Wallenstein’s Lager“ von Schiller anschließt und aus David’s „Nacht auf Wache“ die Haupthelden Snaakenkopp, Swebel, Sladropp entlehnt: diese erzählen der jüngeren Generation Thaten für die theure Vaterstadt anheimelnd und mit warmem Colorit.

Die äußeren Daten bei Fr. Brümmer, Lexik. dtsch. Dicht. u. Pros. d. 19. Jhrhs.4 IV, 391 (danach W. erst seit 1859 ausschließlich Litterat und an den ‚Nord. Bl.‘ thätig, die aber 1857 erschienen), wodurch der Artikel seines Dtsch. Dichter-Lex. II, 525 hinfällig wird. Der falsche 6. Februar als Geburtstag an letzterem Orte auch in Heinr. Kurz’ Skizze Gesch. d. dtsch. Lit. IV3, S. 19 f.: daselbst S. 9 u. 982 Wulff statt seines Vaters als Mitglied der „Junggerm. Schule“. – Lebensabriß und Schriftenverzeichniß bis 1883 in H. Schröder’s Lex. d. Hamb. Schriftst. VIII, 184 f. von Kellinghusen. In Kürschner’s Dtsch. Litteraturkalender (bis Jahrg. 1898) s. v. sind, nach Wulff’s eigenen Mittheilungen, seine sämmtlichen Veröffentlichungen, auch die oben namentlich nicht genannten dramatischen (bei Brümmer a. a. O. fehlen diese alle, ebenso mehrere erzählende), aufgezählt. Unsere Fassung der Todesnotiz S. 563 nach der Depesche „Münchner Neueste Nachrichten“ 26. April 1898 Morgenbl. (Nr. 191) S. 3. Die Notiz über Wulff’s plattdeutsche Localhumoreske nach K. Th. Gaedertz, „Das niederdeutsche Schauspiel. Zum Kulturleben Hamburgs“2 II (1894), S. 158, woselbst S. 159–161 eine hübsche Charakterscene ausgehoben ist.

[563] *) Zu S. 270.