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Artikel „Wunder, Eduard“ von Friedrich Koldewey in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 44 (1898), S. 565–567, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Wunder,_Eduard&oldid=- (Version vom 21. November 2024, 21:29 Uhr UTC)
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Wunder *): Eduard W. wurde am 4. Mai 1800 zu Wittenberg geboren, wo sein Vater, M. Karl Friedrich W., als Diakonus wirkte und zugleich auch an der Universität als Adjunct der philosophischen Facultät beschäftigt war. Die Mutter, eine durch Geist und Charakter hervorragende Frau, stand ihrem Manne bei der Erziehung der Kinder mit Liebe und Einsicht zur Seite. Nachdem der Knabe zunächst den Unterricht seiner Eltern genossen hatte, wurde er in seinem 12. Lebensjahre Schüler des Wittenberger Lyceums und war nicht lange darauf Zeuge der Schrecken und Sorgen, unter denen seine, von den Franzosen besetzte Vaterstadt im Winter 1813/14 infolge der Belagerung und Erstürmung durch den preußischen General Tauentzien (s. A. D. B. XXXVII, 447) zu leiden hatte. Im August 1816 siedelte er nach Meißen über und besuchte dort, als Extraneer im Hause seines Schwagers, des Professors M. August Weichert (ebd. XLI, 442), die Fürstenschule St. Afra, bis er im Herbst 1818 „impetrata maturioris discessus venia satis honorificis magistrorum testimoniis ornatus“ der Schule Lebewohl sagte, um sich in Leipzig unter Gottfried Hermann (A. D. B. XII, 174), Beck (ebd. II, 210) und Spohn (ebd. XXXV, 237) dem Studium der Philologie zu widmen. Zu studentischen Zerstreuungen hatte er weder Geld noch Neigung; desto größer war die Begeisterung, mit der er sich in seine Wissenschaft versenkte. Daß er dabei vor allem durch Hermann gefördert und namentlich von ihm in das tiefere Verständniß der griechischen Sprache und Litteratur eingeführt worden sei, hat er selbst noch in seinen späteren Jahren oft und gern hervorgehoben. Anderseits stellte der weltberühmte Professor eloquentiae et poeticae dem jungen Gelehrten wegen seiner Kenntnisse, seines Scharfsinns (sagacitas iudicii sine qua iners et coeca est scientia), sowie auch wegen der Rechtschaffenheit seines Charakters und der Reinheit seiner Sitten das ehrenvollste Zeugniß aus. Es datirt vom 3. September 1822. Fünf Monate später, am 7. Februar 1823, sprach er ihm in Verein mit seinen beiden philologischen Collegen die philosophische Doctorwürde zu. Inzwischen hatte Wunder’s [566] Schwager Weichert die Leitung der Fürstenschule zu Grimma übernommen, und diesem Umstande, in Verbindung mit Hermann’s günstigem Zeugnisse, wird es zuzuschreiben sein, daß das Dresdener Oberconsistorium, dem damals noch das Schulwesen unterstellt war, dem Dreiundzwanzigjährigen an dieser Anstalt um Pfingsten 1823 die erledigte sechste Lehrerstelle mit dem Titel „Adjunctus“ übertrug. In Grimma ist W. zeitlebens geblieben, obwol es ihm an vortheilhaften Berufungen nach anderen Orten nicht gefehlt hat. In Anerkennung seiner Tüchtigkeit und Pflichttreue erhielt er schon 1826 den Titel „Professor“, übernahm Anfang 1828 das Ordinariat der Secunda, rückte in der Reihe der Collegen allmählich zum 2. Professor, d. i. zum 1. Lehrer nach dem Director auf und wurde im Januar 1843 nach Weichert’s Pensionirung zu dessen Nachfolger als Rector und erster Professor der Grimmaischen Fürstenschule ernannt. In dieser Stellung verlebte W., von dem Vertrauen seiner Vorgesetzten, der Achtung seiner Mitarbeiter und der Verehrung seiner Schüler getragen, noch 23 arbeitsreiche und glückliche, wenn auch stellenweise von Krankheit getrübte Jahre, bis ihn die Abnahme seiner Kräfte nöthigte, auf seine Dienstentlassung anzutragen. Sie wurde ihm unter Verleihung des Comthurkreuzes II. Classe des königlich sächsischen Verdienstordens – das Ritterkreuz besaß er schon seit 1849 – zu Pfingsten 1866 gewährt. Seine Hoffnung, den Ruhestand noch zu fleißigen Studien verwenden zu können, ging infolge eines Augenleidens nur in sehr beschränktem Maße in Erfüllung; doch beschäftigte er sich noch, soweit es möglich war, mit seinen Lieblingsschriftstellern, Sophokles und Horaz, und las, was der classische Philologe vorher vermieden hat, das Neue Testament im Urtext. Dabei blieb ihm seine geistige Frische, bis ihn im Frühjahr 1869 eine Grippe auf sein letztes Krankenlager warf. Er starb am 24. März, kurz vor Mitternacht. Seine Gattin, Amalie geb. Bär, die Freud und Leid seit 1826 treulich mit ihm getheilt hatte, überlebte ihn. Neben ihr trauerten zwei Töchter und ein Sohn, der gleichfalls an der Grimmaischen Fürstenschule als Lehrer gewirkt und kürzlich noch dem Andenken des unvergeßlichen Vaters ein pietätvolles, und dabei unbefangenes und von ungerechtfertigter Verherrlichung freies Denkmal gesetzt hat.

Als Schulmann übte W. vermöge seiner gründlichen Gelehrsamkeit, seiner anschaulichen und fesselnden Unterrichtsweise, seiner Begeisterung für Pflicht und Beruf, nicht zum wenigsten auch vermöge seiner, anfangs rationalistisch, später mehr und mehr positiv gefärbten, stets aber echten und unverfälschten Frömmigkeit, auf die geistige und sittliche Entwicklung der ihm anvertrauten Jugend einen in hohem Grade förderlichen und segensreichen Einfluß aus. Wie sehr seine Thätigkeit und sein Urtheil von seinen Vorgesetzten geschätzt wurde, geht u. a. daraus hervor, daß er 1847 den Auftrag erhielt, mit einem Mitgliede der obersten Schulbehörde, dem Geheimen Kirchen- und Schulrath Dr. Meißner, die sämmtlichen Gymnasien des Landes zu bereisen und über ihren Zustand eingehend zu berichten. Der gelehrte Prinz und spätere König Johann (s. A. D. B. XIV, 387) zog ihn wiederholt über Fragen des classischen Alterthums zu Rathe. Wegen seiner Schriften aber wurde sein Name weit über die Grenzen seines engeren Vaterlandes hinaus mit Ehren genannt und ist in der Gelehrtenwelt auch heute noch nicht vergessen. Am bekanntesten ist seine Ausgabe der Tragödien des Sophokles, die seit 1831 nach und nach als Theil von Jacobs’ und Rost’s Bibliotheca Graeca erschien und nach dem Tode des Verfassers von Nicolaus Wecklein zeitgemäß revidirt wurde. Zwar blieb die Textkritik, die darin hervortritt, nicht ohne Widerspruch; auch Gottfried Hermann war nicht damit einverstanden. Was aber die in dem fortlaufenden lateinischen Commentare enthaltene Erklärung anlangt, so werden [567] Wunder’s Verdienste in dieser Hinsicht von urtheilsfähigen Gelehrten auch heute noch rückhaltlos anerkannt. Seine „Uebungsstücke zum Uebersetzen aus dem Deutschen in das Lateinische und Griechische“. die 1855 erschienen, wurden, solange noch in den deutschen Gymnasien für derartige geistige γυμνάσματα Raum war, vielfach gebraucht. Von seiner Schrift: „Die schwierigsten Lehren der griechischen Syntax“ (1848) schrieb Gottfried Hermann noch wenige Wochen vor seinem Tode: „Ich wiederhole nun auch schriftlich meinen aufrichtigsten Dank für die klare und gründliche Darstellung mit der Ueberzeugung, daß Sie sich dadurch ein wahres Verdienst erworben haben“. Nicht minder werthvoll sind Wunder’s Arbeiten auf dem Gebiete der römischen Litteratur. Vor allem seine „Variae lectiones librorum aliquot M. Tullii Ciceronis ex codice Erfurtensi“ (1827), die wichtige Mittheilungen über die Lesarten einer damals in Erfurt, jetzt in Berlin befindlichen Handschrift enthalten, desgl. seine mit ausführlichem Commentar versehene Ausgabe von Cicero’s Rede für Plancius (1830).

Vgl. Programm der Königl. Fürstenschule zu Grimma von 1870, S. X–XII. – Bausteine, Jahrg. III, 114–16. – Pökel’s Philolog. Schriftstellerlexikon, S. 390. – Bursian’s Gesch. d. class. Philologie in Deutschland II, 728 f. – (J. Winter,) Unser Rector und seine Kollegen. Erinnerungen eines alten Grimmensers. Mit Eduard Wunder’s Porträt. Leipzig 1891. – Eduard Wunder. Verf. von seinem Sohne H. Wunder und abgedruckt in dem „Ecce“ der Fürstenschule zu Grimma v. 1897, S. 53–80. Gleichfalls mit Wunder’s Bildniß.

[565] *) Zu S. 310.