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Artikel „Winithar, amalischer Ostgothenkönig“ von Felix Dahn in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 43 (1898), S. 429–431, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Winithar&oldid=- (Version vom 15. Oktober 2024, 11:45 Uhr UTC)
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Winithar, amalischer Ostgothenkönig ca. 380 n. Chr. nach dem nur zum Theil sagenhaften Stammbaum der Amaler bei Jordanis war W. der Sohn des Valaravans, des Sohnes des Vultuulf (nach Müllenhoff Vulthu-vulf), Vultuulf aber ein Bruder des in Sage und Geschichte berühmten Ostgotenkönigs Ermanarich (s. diesen). W. war also Ermanarich’s Großneffe. Nach Ermanarich’s Untergang und der Unterwerfung aller ostgotischen Gaue unter die Oberherrschaft der Hunnen, behielt gleichwol W. die Abzeichen der Königschaft über die unter diesem Zweige der Amaler stehenden gotischen Gaue, selbstverständlich in Unterordnung unter den Hunnenchan. Allein W. ertrug dieses Joch nur widerstrebend, und das Heldenthum seines Großvaters Vultuulf nachahmend (von dessen „Thaten“ wir aber nichts wissen), obwol nicht mit dem („früheren“: müssen wir einschalten) Glück des Erfolges wie Ermanarich, trachtete er, sich der Abhängigkeit allmählich zu entziehen: um die eigne Kraft glänzend zu zeigen, fiel er in das Gebiet der slavischen Anten ein, ward bei dem ersten Zusammenstoß zwar geschlagen, siegte aber in dem zweiten, nahm den slavischen König Boz (= serbisch Božo? so Müllenhoff) mit seinem Söhnen und siebzig Vornehmen gefangen und hing sie als „ein Beispiel des Schreckens“ an Galgen, „auf daß die Leichen der so Schwebenden den abhängigen Völkerschaften Furcht einflößten“: d. h. wol den früher diesen gotischen Gauen unterworfenen Nachbarn, die sich nach dem Untergang des großen Reiches Ermanarich’s unabhängig gemacht haben [430] mochten. Jedoch der Hunnenchan Balamber war nicht gewillt, solches Erstarken seines Untergebenen zu dulden. Kaum hatte W. ein Jahr in solcher Freiheit geherrscht, als der Chan den Nachfolger Ermanarich’s aufbot, ihm gegen den eigenen amalischen Gesippen Heerfolge zu leisten. Dieser Nachfolger (Gesimund oder Hunnimund, s. unten), der, „des Eides gedenk und der Treue“, mit einem mächtigen Theil der Ostgoten (es waren die viel zahlreicheren Gaue, die unmittelbar unter Ermanarich gestanden) der Herrschaft der Hunnen unterthan war, erneute den Bündnißvertrag mit Balamber und zog mit diesem gegen W. Die gotische Heldensage hat nun offenbar ausführlich und ausschmückend erzählt, was nur dürftig in des Cassiodor-Jordanis Worten wiedergegeben ist, aber immerhin sich deutlich als theilweise Heldensage verrieth. „Lange währt der Kampf: in der ersten und zweiten Schlacht siegt W. und Niemand kann schildern, welches Blutbad er in dem Heer der Hunnen anrichtete, aber in der dritten Schlacht am Fluß Erac (Erax, Phasis?), da beide (d. h. Balamber und Hunnimund) gegen W. anrückten (in den ersten beiden Schlachten fehlte also Hunnimund noch), beschlich der Chan heimlich (subreptionis auxilio) W. und tödtete ihn durch einen Pfeilschuß in den Kopf“: worauf – so muß man annehmen – jeder Widerstand erlosch: denn: „der Chan nahm des Gefallenen Nichte Wadamarka zur Ehe und besaß nun das gesammte Gotenvolk, ihm in Frieden untergeben, jedoch so, daß über die Goten stets ein eigner (Klein-, Unter-)König (regulus) herrschte, freilich unter Genehmigung der Hunnen“. Der nächste dieser Unterkönige war eben jener Hunnimund, den Jordanis hier den Sohn Ermanarich’s nennt, während er weiter oben den aufgebotenen Mitkämpfer gegen W. Gesimund, einen Sohn eben jenes großen Hunnimund nannte. Uebrigens hinterließ W. einen Sohn Wandalar (Vandlaharjis), der der Vater Theodemers (s. diesen) und Großvater Theoderichs des Großen ward.

Der Stammbaum der Amaler in dem XIV. Capitel des Jordanis steht nun aber in schwer lösbarem Widerspruch mit seinem XLVIII. Capitel und dieses letztere selbst bietet bezüglich der Nachfolger Ermanarich’s Schwierigkeiten. Schon im J. 1862 habe ich im II. Band der Könige jenen Stammbaum dadurch berichtigt, daß ich nach der Münchener Handschrift zwischen W. und Theodemer Wandalar eingeschoben habe, was nun auch in der Ausgabe der Monumenta wiederholt ist. Nur ist in meinem Stammbaum dort (Anhang I) der Name Sigismund jetzt durch die richtige Lesart Gesimund und S. 61 der Name Ataulf durch Vultuulf zu ersetzen. Müllenhoff in den Anmerkungen zu der Ausgabe der Monumenta (c. p. 144) will nun als Sohn Ermanarich’s jenen Gesimund einschieben und als Gesimund’s Sohn Hunnimund. Allein es ist wenig wahrscheinlich, daß der „große Sohn“ des „großen Ermanarich“ Cassiodor-Jordanis nicht bekannt gewesen: zwei Mal (XIV und XLVIII) übereinstimmend nennen sie ihn Hunnimund. Die Schwierigkeit in C. XLIII löst sich aber leicht, da man den Relativsatz (qui subjacebat) auf den Vater Hunnimund, nicht auf den Sohn Gesimund beziehen muß. Balamber ruft Gesimund zu Hülfe, den Sohn seines getreuen Unterkönigs Hunnimund: dieser Hunnimund, Ermanarich’s Sohn und Nachfolger, beherrscht die meisten Goten und führt später Balamber und Gesimund sein Heer zu Hülfe: damit stimmt, daß in den beiden ersten Schlachten von Hunnimund’s Goten keine Rede ist: erst in der dritten kämpft auch Hunnimund. Richtig ist nun allerdings, daß in dem Stammbaum C. XIV Hunnimund nur ein Sohn, Thorismund, gegeben, Gesimund nicht genannt wird. Allein der Stammbaum wollte gar nicht alle amalischen Prinzen anführen und konnte Gesimund um so eher übergehen, als er nie König ward. Und wenn Müllenhoff darauf Gewicht legt, daß Jord. c. XLVIII Wandalar und Thorismund Vettern nennt, was sie nicht sind, wenn Gesimund nicht zwischen Ermanarich und Hunnimund [431] steht, so ist zu erwidern daß an derselben Stelle ebenso unrichtig Wandalar der Neffe Ermanarich’s genannt wird, während doch Walaravans Ermanarich’s Neffe, Wandalar aber erst sein Urgroßneffe war: Jordanis hat offenbar diese Verwandtschaftsbezeichnungen höchst ungenau gebraucht.

Erwünschtes Licht wirft nun aber auf diese Verhältnisse eine bisher (auch von Müllenhoff) übersehene Stelle desselben Cassiodor, aus dem Jordanis beide Capitel geschöpft hat. Cassiodor berichtet Variarum VIII 9. ed. Mommsen 1894 p. 184, eine in der gotischen Heldensage gefeierte That edler Treue von – Gesimund. (Die Schreibung Gensimund statt Gesimund [gotisch Gaisamunths] wird durch E. Schröder, Cassiodor p. 494 überzeugend erklärt.) Obwol kein Amaler von Abstammung, nur durch Waffenleihe, also als Waffensohn, in die Sippe der Amaler aufgenommen, hat er doch den Amalern solche Treu bewahrt, daß er, da ihm selbst dies erledigte Königthum angetragen ward, es ausschlug und es für die Knaben (parvulis) der Amaler wahrte. Diese Knaben sind offenbar Walamer, Theodemer und Widemer (s. diese), die Söhne Wandalar’s, die Enkel Winithar’s: nur auf diese Zeit und diese drei parvuli passt nach allem, was wir von gotischer Geschichte wissen, diese „auf dem ganzen Erdkreis zu singende, in dem Ruhm der gotischen treue gefeierte That, die da verherrlicht werden wird, so lang der Goten Name lebt“. Dieser Gesimund, der ca. 420 die Waisen Wandalar’s schützt, kann recht wol derselbe Gesimund gewesen sein der ca. 400 gegen Winithar focht. Und nun erklärt sich auch vollkommen, weshalb er in dem Stammbaum der Amaler – C. XIV – fehlt: weil er eben nicht von Geburt ein Amaler war – dagegen C. XLVIII doch ein Sohn Hunnimund’s genannt werden mag: er war eben von Hunnimund durch Waffenleihe zum (Waffen-)Sohn angenommen.

Quellen und Litteratur s. bei Dahn, Die Könige der Germanen II. 1862. S. 60 f. Dazu aber nunmehr die Ausgaben von Jordanis und von Cassiodor in den Monumenta 1882 und 1894 und dazu die Anmerkungen von Müllenhoff und Eduard Schröder. – Martens, Jordanis’ Gotengeschichte (Geschichtsschreiber der deutschen Vorzeit, Lieferung 72, 1884) S. 80 übersetzt thatsächlich richtig, aber gegen den Wortlaut „fratruelis“ mit „Urgroßneffe“.