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Artikel „Warin“ von Ernst Ludwig Dümmler in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 41 (1896), S. 170–172, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Warin&oldid=- (Version vom 21. November 2024, 12:21 Uhr UTC)
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Warin, erster erwählter Abt von Corvey (836–856), gehörte durch seine halb fränkische, halb sächsische Abkunft sowie durch seinen Lebensgang jenen Männern an, die mit ihrer Thätigkeit dazu berufen waren, das starre und spröde Sachsenvolk mit der ihnen gewaltsam auferlegten Herrschaft der Franken und der christlichen Kirche innerlich auszusöhnen. Für die Befestigung des Christenthums in dem durch Karl’s d. Gr. Schwert unterworfenen Lande hatte Ludwig d. Fr. von Anfang an die Begründung von Klöstern als Bildungsanstalten für die Söhne der Edelinge ernstlich ins Auge gefaßt. Als das erste unter diesen erhob sich, nachdem ein früherer Keim nicht recht hatte gedeihen wollen, seit dem Jahre 822 an einer zu dem Krongute Höxter an der Weser gehörenden Stätte die neue Corbeia als Tochter der alten an der Somme (Corbie). In einem anmuthigen Thale von der Weser und sanften Höhenzügen umgrenzt, jedoch nicht abgeschlossen, wurde die neue Stiftung, zu Ehren des Märtyrers [171] Stephan eingeweiht, vor allem durch die Bemühung des Abtes Adalhard von Corbie und seines Halbbruders Wala begründet, der als der Sohn einer sächsischen Mutter ganz besonders ein Herz für ihre Landsleute hatte. Da beide Vettern Karl’s d. Gr. waren, so konnte man Corvey wol mit Fug eine karolingische Familienstiftung nennen, und damit stimmt die Bevorzugung desselben durch die Herrscher ganz überein. So lange Adalhard lebte, blieben beide Klöster in einer Hand vereinigt, wie ja auch das neue seine ersten Mönche aus dem alten empfangen hatte, unter ihnen den nachmals so berühmten Missionar des Nordens, Anskar. Bei Adalhard’s Tode, der am 2. Januar 826 eintrat, fiel sein Blick auf Warin als Nachfolger.

W. konnte sich der edelsten Herkunft rühmen, ja man hat ihn sogar zu einem Verwandten des karolingischen Hauses, namentlich auch seines Vorgängers Adalhard machen wollen. In Ermangelung älterer Zeugnisse ist dies jedoch unerweislich und wir wissen nur, daß er ein Bruder des sehr reichen und mächtigen Grafen Kobbo und der späteren Aebtissin Addila von Herford war. Er selbst, begütert und hochangesehen, auch verlobt mit einer schönen und vornehmen Jungfrau hätte am Hofe und im Reiche eine glänzende Rolle spielen können, wenn der Jüngling es nicht vorgezogen, plötzlich alles im Stiche zu lassen und in den Hafen der klösterlichen Stille einzulaufen. Als Mönch von Corbie genoß er dort unter Adalhard den Unterricht des hochgelehrten Radbert. Diesen W. also, der schon hinlängliche Proben seiner Tüchtigkeit abgelegt hatte, erkoren die Mönche von Corvey am 26. April 826 auf Grund ihres Wahlrechtes und auf die maßgebende Empfehlung Adalhard’s zu ihrem Abte, während in Corbie Wala seinem Bruder folgte. So löste sich der unmittelbare Zusammenhang der Mutter und Tochter.

W. entsprach durchaus den in ihn gesetzten Erwartungen: von anfänglich 9 stieg die Zahl der Brüder unter seiner Leitung auf 57. Vor allem aber bewies der Kaiser ihm eine sich stets gleichbleibende Gunst, wie er auch selbst im Gegensatz zu Wala, aber in Uebereinstimmung mit dem sächsischen Volke, in den inneren Wirren an der kaiserlichen Sache festhielt. Ihm persönlich übertrug Ludwig das Kloster Rebais (genannt Jerusalem) im Sprengel von Meaux, dem Kloster aber machte er sehr erhebliche Schenkungen: so die auf der alten Eresburg (bei Stadtberge) unter Karl d. Gr. geweihte Capelle, die Zelle zu Meppen nebst den dazu gehörenden Missionskirchen im Osnabrücker Sprengel, die Fischerei in der Weser bei Lüssum und eine Salzquelle bei Bodenfelde an der Weser. Er gewährte ferner die Errichtung einer königlichen Münzstätte, deren Ertrag er dem Kloster überließ und dieses setzte auch ohne sicheren urkundlichen Beweis die Befreiung seiner Mannen vom Heerdienste durch. Wenn in zwei dieser Urkunden der Bischof Hukbert von Meaux als Vermittler genannt wird, so mag dies mit dem Besitze des in seinem Sprengel gelegenen Klosters Rebais zusammenhängen. Als der größte und glänzendste Gewinn aber wurde die Erwerbung der Reliquien des hl. Vitus betrachtet, die W. im J. 836 glückte. Er verdankte sie der Gunst des gelehrten Abtes Hildvin von St. Denis, der infolge seiner Auflehnung gegen den Kaiser 830 eine Zeit lang als Verbannter in Corvey gelebt hatte. Vom 19. März bis 13. Juni über Meaux, Achen, Soest fand mit üblichem Pompe die feierliche Uebertragung statt, von der man sich durch die zahlreichen Wunderheilungen, die z. Th. schon unterwegs, z. Th. später stattfanden, eine tiefe Einwirkung auf den noch wenig befestigten Glauben des sächsischen Volkes versprach. Der hl. Veit wurde nun als ganz besonderer Schutzpatron Sachsens verehrt und seine Verpflanzung aus dem Westen nach Osten erschien wie ein Sinnbild, ja wie eine unmittelbar wirksame Kraft, für das Emporsteigen des sächsischen Stammes an Stelle des fränkischen.

[172] Der Tod Ludwig’s d. Fr. im J. 840 nöthigte W. sich einem andern Herrn anzuschließen und so entsandte er im December 840 zuerst den Prior Wala an das Hoflager Ludwig’s des Deutschen nach Paderborn und erlangte von ihm mehrere Güterschenkungen, dann begrüßte er ihn selbst am 14. December in Roßbach (bei Witzenhausen?). Gleichzeitig sehen wir seinen Bruder Kobbo unter den mächtigsten Vertrauten in der Umgebung Ludwig’s. Er durfte es daher wagen dem längere Zeit verwaisten Bisthum Osnabrück einen großen Theil seiner auf die Zehnten begründeten Einkünfte zu entreißen und sie in widerrechtlicher Weise theils an Corvey, theils an Herford zu übertragen. Das Stammkloster Herford nämlich, etwa gleichzeitig mit Corvey, ebenfalls von den Brüdern Adalhard und Wala gestiftet, stand mit diesem gleichsam in enger Verwandtschaft und wurde damals von Warin’s Schwester Addila geleitet. Ludwig selbst fügte seinen früheren Vergabungen 855 noch die Celle Visbeck hinzu. Die Einweihung der dem hl. Stephan geweihten Corveyer Klosterkirche erfolgte im Jahre 844. Die alten Beziehungen zu Corbie, obgleich dies jetzt einem andern Herrscher gehorchte, hörten keineswegs auf: Radbert als Abt von Corbie widmete seinem früheren Schüler, dem er den Beinamen Placidius beilegt, seine durch ihn veranlaßten gelehrten theologischen Werke über Leib und Blut des Herrn (zwischen 831 und 833) und über Glauben, Liebe und Hoffnung (zwischen 826 und 833). W. starb nach dreißigjähriger Amtsdauer am 20. September im J. 856. Für sein großes Ansehn zeugt es, daß seine drei nächsten Nachfolger in Corvey Bovo I, II und III ihm blutsverwandt waren, während in Herford auf jene Addila seine Nichte Haduwi folgte. Der Streit über die unrechtmäßig entfremdeten Osnabrücker Zehnten schleppte sich noch über 200 Jahre bis auf Heinrich IV. fort.

Erhard, Regesta historiae Westfaliae I. Münster 1847. – Wilmans, Die Kaiserurkunden der Provinz Westfalen I. Münster 1867. – Simson, Jahrbücher des fränk. Reiches unter Ludwig dem Fr. II. Leipzig 1876. – Dümmler, Gesch. des Ostfränk. Reiches I. Leipzig 1887.