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Artikel „Wala“ von Bernhard von Simson in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 55 (1910), S. 354–357, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Wala&oldid=- (Version vom 21. November 2024, 16:19 Uhr UTC)
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Wala *), Abt von Corbie, später von Bobbio, † 836, war durch seinen Vater Bernhard ein Enkel Karl Martell’s, während er von mütterlicher Seite dem sächsischen Volksstamm angehörte. Sein Geburtsjahr ist nicht bekannt und nur soviel gewiß, daß er viel jünger war als sein um 752 geborener Bruder oder vielmehr Halbbruder Adalhard (s. A. D. B. I, 74). Seine Bildung erhielt er in der Hofschule und soll sich später durch Redegewandtheit, nicht nur in deutscher, sondern auch in lateinischer Sprache ausgezeichnet haben. Unter Karl dem Großen erscheint er als Graf. Es ist zwar mindestens fraglich, ob er wirklich, wie erzählt wird, ein Heer gegen ein wendisches Volk geführt hat, und sicher unglaubwürdig, daß er über ganz Sachsen gesetzt worden sei. Aber es unterliegt keinem Zweifel, daß er bei dem Kaiser großes Ansehen und Vertrauen genoß. Im J. 811 finden wir ihn unter den Grafen, welche die Verfügung Karl’s über seinen Schatz mit unterzeichnen, und dann unter den Bevollmächtigten, die an der Eider mit den Dänen Frieden schlossen; sogar beidemal an der Spitze. Im folgenden Jahre gab der Kaiser W. seinem Enkel Bernhard mit, den er nach Italien sandte, um die Regierung dieses Landes zu übernehmen. Die Halbinsel schien damals von einer großen saracenischen Flotte bedroht, und W. sollte dem jungen Fürsten zur Seite bleiben, bis diese Gefahr beseitigt wäre.

Nach Karl’s d. Gr. Tode regte sich die Besorgniß, daß W. der Thronfolge Ludwig’s d. Fr. Widerstand entgegensetzen würde. Zwar beeilte er sich diesen Verdacht zu entkräften, indem er dem neuen Kaiser schon auf dessen Reise nach Aachen huldigte, worauf ihn Ludwig mit anderen Großen dorthin voraussandte, um Vorkehrungen für die Herstellung besserer Zustände am Hofe zu treffen. Dennoch war das Mißtrauen gegen W. sowie gegen seine Geschwister keineswegs entwaffnet. Adalhard, bisher Abt von Corbie [355] an der Somme, wurde abgesetzt und nach dem Kloster Noirmoutier an der Mündung der Loire verbannt; auch einen anderen Bruder, Bernar, und eine der Schwestern, Gundrada, welche einst eine Freundin des gelehrten Alcvin gewesen war, traf ein ähnliches Schicksal. W. selbst zog sich nach Corbie zurück und trat nunmehr in den Mönchsstand. Vielleicht litten diese Verwandten des Herrscherhauses unter dem Verdacht, sie hätten den König Bernhard von Italien, der sich später empörte, auf den Thron des Frankenreichs erheben wollen.

Nach Ablauf mehrerer Jahre erfolgte ein Umschwung. Im Februar 821 starb einer der einflußreichsten Rathgeber Ludwig’s d. Fr., der Abt Benedict von Aniane, welchen er aus Aquitanien mitgebracht und dem er ein Kloster bei Aachen erbaut hatte. Im Herbst desselben Jahres erließ der Kaiser eine Amnestie, zu der die Vermählung seines Sohnes Lothar den äußeren Anlaß bieten mochte. Sie erstreckte sich auf die meisten Theilnehmer an der Empörung Bernhard’s von Italien, und auch Adalhard und sein Bruder Bernar wurden aus dem Exil zurückberufen. Jetzt konnten er und W. endlich einen Plan durchführen, der schon längst in Angriff genommen war, aber bisher mit der Ungunst der Verhältnisse zu kämpfen hatte: die Stiftung eines Tochterklosters von Corbie in Sachsen. Beide begaben sich dorthin, und im August 822 erfolgte die Gründung der neuen Corbeja, Corvei an der Weser, auf dem Boden des Kronguts Höxter, welches Kaiser Ludwig zu diesem Zwecke schenkte. Auch das erste Nonnenkloster in Sachsen, Herford, verdankt diesen beiden Brüdern seine Entstehung; es wurde nach dem Vorbilde des Marienklosters in Soissons eingerichtet, dem ihre Schwester Theodrada vorstand.

Noch entschiedener verleugnete der Kaiser seine früheren Maßregeln gegen seine Verwandten, indem er sich, gleichfalls noch im August 822, auf einem Reichstage zu Attigny, der Kirchenbuße unterwarf. Wie einst unter Karl d. Gr. nahm W. nun auch unter seinem Nachfolger eine hervorragende Stellung im Rath des Kaisers ein und wurde als Mönch zu politischer Thätigkeit verwendet wie früher als Laie und Graf. Das entsprach seinen allem Anschein nach vorwiegend praktischen Anlagen. Hatte er einst den jungen Bernhard nach Italien begleitet, so stellte ihn Kaiser Ludwig jetzt seinem Sohn Lothar, den er noch von Attigny aus dorthin sandte, als Rath zur Seite. Zusammen mit einem hohen Hofbeamten, Gerung, sollte er Lothar bei der Herstellung von Ordnung und Rechtssicherheit in Italien leiten. Am Osterfest des Jahres 823 wurde der junge Kaiser von dem Papste Paschalis I. in Rom gekrönt. Bei der Consecration von Paschalis’ Nachfolger Eugen II. (824) soll W. sich bemüht haben, eine Reform der römischen Zustände herbeizuführen. Thatsache ist, daß Eugen sich durch eine schriftliche Erklärung zur Beachtung der kaiserlichen Hoheitsrechte verpflichtete und Lothar im November die bekannte römische Constitution erließ.

Nach Adalhard’s Tod († 2. Januar 826) folgte ihm W. als Abt von Corbie und hatte noch in demselben Jahre Gelegenheit, den Mann, welcher der Apostel des Nordens und der erste Erzbischof von Hamburg-Bremen werden sollte, zur Fortführung der christlichen Mission in Dänemark vorzuschlagen. Es war der Corbier Mönch Ansgar (s. A. D. B. I, 480 ff.), der damals die Schule in dem Tochterkloster an der Weser leitete, und später (829) vom Kaiser im Einvernehmen mit W. nach Schweden gesandt wurde. Beidemal konnte W. dem begeisterten Glaubensboten auch noch einen Genossen aus Corbie mitgeben. – Als die wachsenden Mißstände im Reiche gründliche Reformen immer dringlicher erschienen ließen, betheiligte W. sich lebhaft an den Berathungen, die im Winter 828/29 in Aachen stattfanden. [356] Er wünschte die Eingriffe der weltlichen Macht in die Angelegenheiten der Kirche beseitigt zu sehen, wie nicht minder die Verstrickung der Geistlichen in weltliche Geschäfte. Er warnte, ohne die Rechte des Staates auf das Kirchengut grundsätzlich zu bestreiten, vor willkürlicher Vergabung desselben und verlangte eine gütliche Uebereinkunft darüber mit dem Clerus. Nicht in allen Punkten war er mit seinen Genossen aus der hohen Geistlichkeit einverstanden. Jedoch nahm er im J. 830 Theil an der Empörung, die sich in erster Linie gegen die Kaiserin Judith und ihren Günstling, den Kämmerer Bernhard, richtete, obschon er diesem früher als Schwager und Freund nahe gestanden hatte. Die Großen erhoben sich, um zunächst die Wiedereinsetzung Lothar’s als Mitkaiser und die Wiederherstellung der Thronfolgeordnung vom Jahre 817 herbeizuführen und damit die Einheit des Reiches zu sichern. Da der alte Kaiser die Macht bald wiedergewann, hatte W. dies Verhalten zu büßen. Vom Reichstage in Nimwegen verwies ihn Ludwig streng in sein Kloster. Im folgenden Jahre wurde er seiner Abtswürde entsetzt und zuerst in ein Felsennest in der Gegend des Genfer Sees (worunter schwerlich, wie man früher annahm, Chillon, eher St. Maurice im Wallis verstanden werden kann), dann nach Noirmoutier, wo Adalhard so lange Jahre des Exils verlebt hatte, von dort in ein deutsches Kloster und endlich wieder nach Corbie gebracht. Das Ansinnen, ein Schuldbekenntniß abzulegen und sich dadurch Begnadigung zu sichern, hatte er, wie es heißt, abgelehnt. – Man darf es glauben, daß W. sich nach solchen Erfahrungen der abermaligen Empörung gegen Ludwig d. Fr. im J. 833 nur widerstrebend anschloß, als er durch eine Botschaft des Papstes Gregor IV. und der älteren Söhne des Kaisers dazu gedrängt wurde. Zwischen den Truppen des Kaisers, erzählt sein Biograph Radbert (s. A. D. B. XXVII, 108 ff.), hätten W. und er sich in das feindliche Lager durchgeschlichen und den Papst, der durch den energischen Widerstand der Ludwig anhängenden Bischöfe entmuthigt war, namentlich durch den Hinweis auf den kanonischen Rechtssatz aufgerichtet, daß der Nachfolger Petri über Alle richten und von Niemand gerichtet werden könne. Nachdem Ludwig d. Fr. (834) auch diesmal die Herrschaft wiedererlangt hatte und Lothar wieder auf Italien, wohin ihm die meisten und vornehmsten Anhänger folgten, beschränkt war, erhielt W. die berühmte Abtei Bobbio. Er nahm die erste Stelle in Lothar’s Rath ein und scheint auch von dessen Gemahlin Irmingard hoch verehrt worden zu sein. Indessen wirkte er jetzt im Sinne einer Verständigung zwischen Lothar und dem väterlichen Hofe. Ohne Zweifel erkannte er, daß diese im eigenen Interesse Lothar’s liege und kam deshalb den Wünschen der Kaiserin Judith entgegen, welche von Hause aus dahin gegangen waren, ihrem Sohne Karl die Unterstützung seines ältesten Stiefbruders zu gewinnen. Nach Weihnachten 835 schickte Ludwig eine Gesandtschaft an Lothar, um ihn zur Unterordnung und Versöhnung zu bestimmen; er ließ ihn auffordern, im nächsten Frühjahr Männer seines Vertrauens als Unterhändler zu senden. In der That erschien eine solche Gesandtschaft im Mai 836 auf dem Reichstage in Diedenhofen, W. an ihrer Spitze. Es wurde vereinbart und eidlich verbürgt, daß Lothar selber sich im September ungefährdet auf einer allgemeinen Reichsversammlung in Worms einfinden solle. Zugleich ließ Kaiser Ludwig dem Sohne durch W., mit dem er und Judith sich vollständig aussöhnten, und die anderen Gesandten die glänzendsten Aussichten eröffnen. Dennoch sollten diese Pläne erst einige Jahre später, nach neuen Wirren, zur Ausführung gelangen. Denn zur festgesetzten Zeit traf nicht Lothar, sondern die Botschaft ein, daß er zu kommen verhindert sei. Er war an einer Seuche erkrankt, welche unter den mit ihm nach Italien gezogenen [357] Franken wüthete. Ihr erlag auch W., der dringend gewünscht haben soll, daß Lothar das für ihn verpfändete Versprechen einlöse; nach der glaubwürdigsten Angabe, am 31. August 836. Sein Leichnam wurde in Bobbio bestattet.

Die politische Rolle, die W. in der Geschichte des Fränkischen Reiches spielt, knüpft sich vornehmlich an die Person Lothar’s und Italien. Er ist aber auch auf die Cultur Sachsens, das er als Heimath seiner Mutter liebte, und Skandinaviens von Einfluß gewesen. Daß wir von seiner Persönlichkeit und seinem Wirken, trotz einer Reihe gesicherter Thatsachen, kein klares Bild gewinnen, liegt an dem Charakter der, zwar interessanten, aber tendenziösen Schrift, die Radbert seinem Andenken gewidmet hat.

Radbert’s Epitaphium Arsenii (Vita Walae), zuletzt herausgegeben von E. Dümmler, in den Abhandlgn. der Kgl. Preuß. Akademie d. Wiss. 1900. – C. Rodenberg, Die Vita Walae als historische Quelle. Dissert. Göttingen 1877. – A. Himly, Wala et Louis le Débonnaire. Paris 1849. – Dümmler, Geschichte des Ostfränkischen Reiches, 2. Aufl. Bd. I, Leipzig 1877. – B. Simson, Jahrbücher des Fränkischen Reichs unter Ludwig d. Fr. Bd. I. II. Leipzig 1874. 1876. – L. M. Hartmann, Zur Wirtschaftsgeschichte Italiens im frühen Mittelalter. Gotha 1904.

[354] *) Zu Bd. LIV, S. 784.