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Artikel „Wachsmuth, Rudolf“ von Gustav Wustmann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 55 (1910), S. 352–354, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Wachsmuth,_Rudolf&oldid=- (Version vom 5. Dezember 2024, 00:55 Uhr UTC)
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Wachsmuth *): Karl Ernst Rudolf W., der jüngste Sohn des Historikers Wilhelm W. (s. A. D. B. XL, 423) wurde am 31. December 1828 in Leipzig geboren, wohin sein Vater 1825 von Kiel berufen worden war. Durch Privatunterricht vorgebildet, besuchte er von 1840 bis 1846 die Nikolaischule. Obwohl er sich hier in allen Unterrichtsfächern auszeichnete, zeigte er doch eine besondere Vorliebe für Musik, deutsche Poesie und körperliche Uebungen, der er auch treu blieb, als er 1846 die Leipziger Universität bezog, um Jura [353] zu studiren. Während dieser Leipziger Studienzeit (bis 1850), an die sich noch ein Semester in Heidelberg anschloß, erhielt er die wichtigsten Anregungen von Moritz Haupt, W. E. Albrecht und Gustav Hartenstein und außer dem Kreise seiner Universitätslehrer von Otto Jahn und von den Männern des nationalliberal denkenden Deutschen Vereins. Bei einem von diesen, dem Advocaten Theodor Cichorius, trat er 1850 in die praktische juristische Thätigkeit ein. In dem politischen Proceß gegen die Leipziger Professoren Haupt, Jahn und Mommsen, der mit ihrer Freisprechung endigte, erntete er seinen ersten Berufserfolg. Von 1852 an war er als Actuar an den Gerichtshaltereien Rudolf Wenck’s in Zschocher bei Leipzig thätig, und im Januar 1855 ließ er sich als selbständiger Advocat und Notar in Leipzig verpflichten. Durch die Lauterkeit seines Charakters und sein großes Geschick in der Ordnung schwieriger Verhältnisse erwarb er sich bald solchen Ruf, daß er 1856 als juristischer Beirath für die unter Gustav Harkort gegründete Allgemeine Deutsche Creditanstalt berufen wurde.

In der hiermit betretenen Laufbahn setzte er nunmehr, obwohl innerlich der rein juristischen Thätigkeit zuneigend, seine ganze Kraft ein und erreichte denn auch hier das höchste Ziel menschlichen Bemühens. Zu Anfang war es sein Hauptbestreben, die Creditanstalt, die unter dem Einflusse außerpolitischer Unruhen einer gefährlichen Krisis zutrieb, von den in eigene Verwaltung genommenen industriellen und gewerblichen Unternehmungen zu befreien. Nachdem dann Karl Mathy 1860 Director geworden war, nahm W. an den Geschäften der Anstalt steigenden Antheil, namentlich durch Verhandlungen mit Unternehmern an Ort und Stelle, was ihn zu häufigen großen Reisen, besonders nach Oesterreich, nöthigte. Von einer Candidatur zum Leipziger Vicebürgermeisteramt trat er zurück, indem er seinem Freund Eduard Stephani den Vorrang ließ (ebenso wie später, 1876, bei der Oberbürgermeisterwahl zu Gunsten Otto Georgi’s). Die zweite Hälfte der sechziger Jahre brachte ihm eine Fülle von Ehrenämtern, auf die ihn theils – wie in den Verwaltungsrath mehrerer böhmischen Eisenbahngesellschaften – sein Beruf, theils das Vertrauen seiner Mitbürger stellte. In Leipzig war er an der Gründung der Leipziger Immobiliengesellschaft, die er 1872 ins Leben rief, und der Communalbank, die sich der Creditanstalt angliederte, betheiligt, ferner als Vorsitzender des Verwaltungsausschusses der Leipzig-Dresdener Eisenbahngesellschaft, als Mitglied und – seit 1875 – als Vorsitzender der Handelskammer, im Stadtverordnetencollegium, im Kirchenvorstand der Nicolai-, später der Thomaskirche und in der Direction der Gewandhausconcerte thätig. Wegen der Abfassung und Vollstreckung des Testamentes seines ehemaligen Lehrers Albrecht, das der Leipziger Universitat eine beträchtliche Stiftung zuwandte, erhielt er 1877 den Doctortitel honoris causa. Seit 1882 war er alleiniger Director der Creditanstalt, 1885 wurde er österr. Consul, und 1886 eröffnete er den unter seiner Aegide geschaffenen Neubau der Leipziger Handelsbörse. 1889 wurde er Mitglied der ersten sächsischen Kammer und bewirkte hier durch sein Eintreten die Annahme der Convertirung der sächsischen Staatsanleihen. Nachdem er noch in dem Gefühl des herannahenden Alters im Februar 1890 das Finanzportefeuille Sachsens ausgeschlagen hatte, starb er – seinen Mitbürgern völlig unerwartet – am 26. Juli 1890 infolge einer schweren Nasenoperation, von deren Nothwendigkeit er sich mitten auf einer Erholungsreise in die Alpen hatte überzeugen müssen. Er ging ihr mit der sichern Erwartung des Todes völlig gefaßt entgegen.

W. war ein Mann von reicher und vielseitiger Bildung. Trotz seiner [354] ausgedehnten öffentlichen Thätigkeit, der die Stadt Leipzig zu einem guten Theil ihre rasche industrielle Entwicklung in den letzten Jahrzehnten verdankt, fand er noch Zeit, litterarischen und künstlerischen Fragen ernste Theilnahme zuzuwenden. Auf seinen in den späteren Jahren mit Rücksicht auf die Gesundheit der Seinigen öfter unternommenen Reisen nach Italien verlebte er Wochen des empfänglichsten Studiums und Genusses von Kunst- und Naturschönheiten. Seine Liebe zur classischen Musik spricht sich u. a. in einer für das Leipziger Conservatorium gemachten Beethoven- und einer Schumann-Stiftung aus. Politisch bethätigte er sich eifrig als Angehöriger der nationalliberalen Partei. Er stand dem Kreise der „Grenzboten“ nahe, als Gustav Freytag sie leitete, und bewahrte den hervorragendsten Männern, die ihm näher traten, eine meist bis zu deren Lebensende währende Freundschaft. In seinem Privatleben wurde der edle, stets mit Andern und für Andere fühlende Mann von einer fast ununterbrochenen Reihe schwerer Schicksalsschläge getroffen. Die stete Sorge um die Gesundheit der Seinen, von denen er – außer den Eltern – alle Geschwister, die geliebte Gattin (Franziska Pöppig, eine Tochter des Naturforschers Pöppig, s. A. D. B. XXVI, 421) und drei seiner vier Kinder ins Grab sinken sah, zehrten auch an seinem Gemüthe und seiner Gesundheit. Die aus seinen Stellungen ihm reichlich zufließenden Glücksgüter konnten ihm nur insofern etwas bieten, als sie ihm ermöglichten, ein freigebiger, immer aber stiller Wohlthäter seiner Mitbürger zu sein.

Karl Whistling, Dr. Rudolf Wachsmuth. Ein Erinnerungsblatt. Leipzig 1890. – [Adolf Michaelis], Rudolf Wachsmuth. Gedenkblätter für seine Freunde. Leipzig 1891.

[352] *) Zu Bd. LIV, S. 781.