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Artikel „Würzburg, Zerline“ von Alexander von Weilen in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 44 (1898), S. 363–365, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:W%C3%BCrzburg,_Zerline&oldid=- (Version vom 25. November 2024, 04:08 Uhr UTC)
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Würzburg: Zerline W., später Gabillon, Schauspielerin, geboren am 19. August 1834 zu Güstrow, † am 30. April 1892 zu Meran. Sie stammte aus jüdischer Kaufmannsfamilie, ihr künstlerischer wie ihr körperlicher Typus bringt die Eigenschaften ihrer Race in vornehmster Veredelung. 15 Jahre alt kam sie zu Maurice nach Hamburg, zu ihren ersten Eindrücken gehört das Auftreten der Rachel, das sie selbst noch später aus lebendigster Erinnerung im „Decamerone des Burgtheaters geschildert hat. Wenn sie hartnäckig an großen tragischen Rollen festhielt, mag dieses große jugendliche Vorbild von bestimmendem Einflusse gewesen sein. Sie selbst erschien 1850 zum ersten Male auf der Scene, in dem vollen Zauber ihrer poesievollen Erscheinung und der verführerisch reizvollen Unschuld [364] ihres Wesens. Einem Tanagrafigürchen mit goldigem Haar und zartgetönter Elfenbeinhaut wird sie von L. Hevesi verglichen, und Speidel bewundert den schönen Kopf „dessen semitisch angelegte Züge in das nachbarliche Ideal des griechischen Profils mit eigentümlichem Reiz hinüberspielten“. Ihre Stimme war wohllautend, voll süßen Klanges, entbehrte aber der Kraft für den Ausdruck starker Leidenschaften. Im Mai 1853 erschien sie auf dem Wiener Hofburgtheater als Gast mit der Jungfrau von Orleans, der Parthenia und der Donna Diana. Dem Publicum kam sie wie ein „Luftzug von Jugend und Schönheit … In dieser frischen Jugendlichkeit, in dieser Dämmerung von Formen lag eine Romantik, die das Publicum erquickte“ (Speidel). Nur Laube war nicht zufrieden; jedenfalls hörte er sofort aus dem ganzen noch unausgesprochenen Wesen verrätherische Obertöne heraus, welche auf ein anderes Fach hinzuweisen schienen, als sie selbst und ihre Bewunderer in Anspruch nahmen. Daß er sie halb gezwungen engagiren mußte, machte ihre Stellung von vornherein schwierig, und noch vor ihrem Eintritt (17. September) begann ein Feder- und Redekrieg zwischen einem rücksichtslosen Bühnenleiter und einer temperamentvollen, wortsicheren Künstlerin, der sich durch Laube’s ganze Direction hinzieht und auch unter seinen Nachfolgern noch manches leise grollende Nachspiel findet. Noch in seiner Geschichte des Burgtheaters wird Laube ihrem Verdienste nicht ganz gerecht. Gleich in Hamburg erschien sie ihm nicht als die richtige Liebhaberin, und 1857 schreibt er den Mißerfolg von Hersch’s Sophonisbe hauptsächlich ihrer Darstellung zu: „Eine unerläßliche Eigenschaft der tragischen Liebhaberin ist ein edles Gefühl, welches von ihr ausströmt, wie der Hauch des Herzens. Wo dies fehlt, sind alle Kunststücke vergebens. Eine Schauspielerin der dies fehlt, muß alle Aufgaben vermeiden, welche die Thräne erwecken sollen“. Und nur wie abgenöthigt klingen die kargen Lobesworte, die er ihr später ertheilt: „Auch Frau Gabillon, die ich im Tragischen immer tadeln mußte, hat im modernen Stücke ein Fach scharfer Damen gefunden, welches sie fest ausfüllt“. Aber das Publicum dachte anders, und Aug und Ohr freuten sich ihrer Hero, ihrer Lycisca, Maria Stuart und gaben sich der allzuweichen, lyrisch-sentimentalen Stimmung hin, die durch derartige Rollen bei ihr hindurchging. Wenn man nach späteren Jahren auf die Jugend zurückschließen darf, war Laube sachlich wol im Rechte. Sie ließ sich leicht verleiten, ihre Mittel zu überspannen und innerliche Kraft durch ein künstliches Pathos ersetzen. Wo aber keine physischen Anstrengungen nöthig waren, sondern die geistige Erfassung in den Vordergrund trat, konnte sie auch in der Tragödie erschütternd wirken. Das tonlose Lispeln ihrer „Sorge“ im zweiten Theile des Faust klingt noch jedem Hörer schaurig wieder, wenn er die Scene zu lesen versucht, ihre „Eboli“ und „Gräfin Terzky“, die sie nur ungern übernommen hatte, bezeichnen die Grenze, welche das Tragische vom conversationellen Fache schied und zugleich innig verband. Denn hier ward sie bereits zur Dame, und Dame zu sein, im weitesten Sinne des Wortes, in höchster rednerischer und mimischer Vollendung, wurde ihre unerreichbare Kunst. Was sie da an Individualitäten von Scribe zu Bauernfeld, Augier und Pailleron geschaffen, lebt noch in frischer Erinnerung. Ihr fielen alle die gefährlichen Aufgaben zu, jene Frauen im deutschen und französischen Conversationsstück, welche mit den Waffen der Eleganz und Dialektik um den Mann kämpfen, der von ihnen zur mädchenhaften Unschuld hinüberstrebt; gelegentlich kam wol eine Pointe schärfer als nothwendig heraus, und, so glänzend sie Benedix spielte, ließ sie doch fühlen, wie sie geistig über solchen Producten stand. Aber die Bezeichnung „scharfe Dame“, mit der man ihre Charakteristik zu erschöpfen glaubte, ist viel zu enge für die mannichfaltigen Schöpfungen, die sie von der idealen „femme de trente ans“ bis zu einer unnachahmlichen Herzogin in „Die Welt [365] in der man sich langweilt“ führten. Am ergötzlichsten wars wol, wenn sie ihrem Gatten Gabillon, der sie 1856 heimgeführt hatte, gegenüberstand im Zungengefechte und mit feinem Rappiere seine stärkeren Schwertschläge parirte; Benedict und Beatrice gaben in ihnen ein gut Theil ihres eigenen Wesens und glücklichen Treibens zum Besten. Sie schuf den Salon des Burgtheaters, in seiner feinsten wienerischen wie französischen Ausgestaltung, sie blieb durch Jahrzehnte sein herrschender Mittelpunkt. Und was sie der Bühne gab, gab sie auch dem Leben und dieses ihr wieder. Ein reines, bürgerliches Glück ruhte auf ihrem Heim; hatte der kritische Bauernfeld 1854 in seinem Tagebuch sie mit den Worten charakterisirt: „Ein liebes, einfaches Mädchen, bisher noch ohne alle Fadaisen der hiesigen Hofschauspielerinnen“ (Grillparzer-Jahrbuch 6, 116), so bewahrte sie sich diese Eigenschaften auch als mustergültige Hausfrau, die von dem lebhaften, temperamentsprühenden Theaterblut, das in ihr pulsirte, nicht im geringsten geschädigt wurde. Als sie am 10. December 1891 in „Traum ein Leben“ als Hexe, der sie so viele kleine charakteristische Züge zu leihen verstanden, zum letzten Male die Bühne betreten, verschwand eine der hinreißendsten Eigenarten, die mit vollem Rechte von sich sagen durfte, daß sie alle Imitation verachte, von der deutschen Bühne.

Ludwig Hevesi, Zerline Gabillon. Ein Künstlerleben. Stuttgart 1894. – Laube, Das Burgtheater, S. 245, 323, 374. – Ludwig Speidel in Wien 1848–1888. I, 2, 374 und die Nekrologe der Wiener Blätter.