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Artikel „Vintler, Hans“ von Oswald Zingerle in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 40 (1896), S. 5–7, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Vintler,_Hans&oldid=- (Version vom 21. November 2024, 22:40 Uhr UTC)
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Vintler: Hans V., der Dichter der „Pluemen der Tugent“ (hrsg. von I. V. Zingerle. Innsbruck 1874; s. dazu desselben Abhandlung ‚Beiträge zur älteren tirol. Litteratur II‘ in den Sitzungsberichten der Wiener Akademie phil.-hist. Kl. Bd. 66, 279 ff.), gehört einer noch blühenden tirolischen Adelsfamilie an, die ihren Namen nach dem Heimathorte Vintl im Pusterthale führt. Schon Mitte des 12. Jahrhunderts begegnet ein Vintler, Dietlin, in Bozen, wo das Geschlecht ansässig blieb und zu Ansehen und Reichthum gelangte, insbesondere im 14. und 15. Jahrhundert. Seine eigentliche Glanzperiode begann mit Konrad I. († um 1356), der drei Söhne, Niclaus, Franz und Hans, hatte, [6] von welchen der erstgenannte († 1413) als oberster Amtmann in Tirol und in andern Stellungen eine hervorragende Rolle spielte. Er war es auch, der die wegen ihrer Wandgemälde berühmte Burg Runkelstein 1385 an das Geschlecht brachte, das seine beiden Brüder fortpflanzten. Der ältere, Franz († um 1424), hinterließ aus zweiter und dritter Ehe mehrere Kinder, darunter einen Sohn Hans († 1447), mit dessen einzigem überlebenden Sprößling gleichen Namens († 1458) diese Linie aber bereits erloschen ist. Die Nachkommenschaft des jüngeren, Hans († 1391?), bestand aus vier Söhnen, Joachim, Christoph, Leopold und Hans, der ohne Zweifel die 1411 vollendeten „Pluemen der Tugent“ verfaßt hat.

Vom Lebensgange des Dichters haben wir ziemlich spärliche Kunde. Im J. 1407 trat er mit den übrigen Vintlern dem tirolischen Adelsbunde der Falken bei, der einerseits die Abwehr äußerer Feinde, zumal der angriffslustigen Appenzeller, anderseits die Wahrung der alten Adelsrechte bezweckte. Im gleichen Jahre erscheint Hans als Pfleger des Gerichtes Stein auf dem Ritter, wogegen sein Oheim Niclaus, weil er sich weigerte, Herzog Friedrich in den ihm von Herzog Leopold übertragenen Aemtern zu dienen, dieser enthoben und zur Abtretung der Pfandschaften gegen Rückzahlung der Pfandsumme aufgefordert wurde. Darnach scheint sich unser Dichter damals nicht der dem Herzoge feindlichen Partei angeschlossen zu haben. Wie lange er im genannten Gerichte als Pfleger gewaltet hat, ist noch zu eruiren. Sehen wir davon ab, daß er nach dem Tode seines Bruders Leopold († 1410) als Vormund von dessen Kindern fungirte und im J. 1414 mit Franz, Christoph und Konrad V. nach Niclaus Vintler’s Ableben freigewordene Lehen empfing, so stehen uns nur noch einige wichtigere Lebensdaten zu Gebote. Am 7. Mai 1415 verlieh ihm Kaiser Sigmund auf dem Concil zu Konstanz das Recht, auf dem Helm eine goldene Krone zu führen, eine Gunstbezeugung, die um so beachtenswerther ist, als sie mit der größten Demüthigung Herzog Friedrich’s zusammenfällt (s. A. Huber, Geschichte Oesterreichs II, 510). Wir dürfen aber darum Hans nicht des politischen Wankelmuths zeihen, sondern müssen wol annehmen, K. Sigmund, der seine Hand nun nach Tirol ausstreckte, habe neben andern Adeligen auch die Vintler für sich gewinnen wollen, was indeß nicht gelungen ist, denn in einer am 16. Februar 1416 ausgestellten Urkunde erscheint unser Dichter als Herzog Friedrich’s Amtmann an der Etsch und im folgenden Jahre treffen wir ihn als herzoglichen Gesandten beim Dogen von Venedig, mit dem wegen Abschluß eines Bündnisses unterhandelt werden sollte. Zwei Jahre später (1419) beschloß er sein Leben, wie Adam Vintler in seinem Vintlerischen Stambenbuch (Ms. 1087 des Innsbrucker Museums) angibt. (S. Zeitschr. für deutsch. Alt. 10, 255 f.; Archiv f. Gesch. Tirols 1, 292 f.; Tirol. Geschichtsfreund 1866, S. 298 f.; Sitzungsber. d. Wiener Akademie 66, 291 f.; Einleitung zu den Pluemen S. XIII f.)

Nur über den letzten Theil von H. Vintler’s Leben geben Urkunden einigen Aufschluß, im übrigen haben wir uns an seine Umgebung und an ihn selbst zu wenden. Sein Oheim Niclaus hatte nach einer noch im 17. Jahrhundert an der Capelle zu Runkelstein vorhandenen Inschrift diese in desolatem Zustand befindliche Burg bald nach der Uebernahme in guten Stand setzen und erweitern lassen. Wol gleichzeitig werden die Gemächer mit den Bildern aus Tristan, Garel, Wigalois, Neidhart u. s. w. (s. Freskencyclus des Schlosses Runkelstein bei Bozen, gezeichnet und lithographirt von J. Seelos, erklärt von I. V. Zingerle. Innsbruck 1857; Germania 23, 28 f.; Beilage z. Münchner Allg. Z. vom 26. Juli 1885) geschmückt worden sein. Sie beweisen, daß N. nicht nur ein kunstsinniger Herr war, sondern auch Interesse für Litteratur hatte, was die von Heinz Sendlinger aus München „auf dem Runkelstein“ für ihn geschriebene [7] Reimchronik (vollendet 1394) bestätigt. Aber auch die andern Vintler sind Freunde der Kunst und Poesie gewesen. Für Leopold, den Bruder des Dichters, fertigte Sendlinger gleichfalls ein Exemplar jener Chronik (voll. 1399) und gewiß befand sich noch manch’ andere Handschrift, vielleicht auch das Heldenbuch an der Etsch, in Vintler’schem Besitze. Der Adel Südtirols war nach mannichfachen Zeugnissen überhaupt interessanter und nützlicher Lectüre nicht abhold und V. fehlte es keineswegs daran. Ob er lediglich dadurch zum Dichten angeregt wurde, ob etwa Sendlinger, der durch Jahre in Vintler’schen Diensten stand, einst Anleitung zum Versmachen gegeben hatte, wer kann das sagen! V. bezeichnet sich als einen Laien, der „teutsch ain chlain lesen“ könne, und gesteht, ihm fehle die einem Dichter nöthige Kunst und Erfindung, auch sei er mit Grammatik und Rhetorik nicht vertraut. Das ist gutentheils richtig. Hans war kein Dichter von Gottes Gnaden, aber sein Wissen und Können überstieg doch das von ihm angegebene Maß. Er war der italienischen Sprache kundig, verstand auch etwas Latein und die in seiner Dichtung auftauchenden Reminiscenzen verrathen Belesenheit. Er entnahm dafür eine Reihe von Erzählungen H. v. Mügeln’s Uebersetzung des Valerius Maximus, hauptsächlich liegen den „Pluemen“ aber italienische Quellen, die um 1320 geschriebenen Fiori di virtù des Thomaso Leoni und die in einigen Handschriften daran gereihten Ammaestramenti de’ Filosofi, zu Grunde. Außerdem dürften einzelne Details aus andern Schriften geschöpft sein. Daß V. gerade auf ein italienisches Werk verfiel, ist nicht befremdlich. Bozen liegt dem italienischen Gebiet nahe, es liegt an der über den Brenner nach Italien führenden Straße und stand während des Mittelalters in lebhaftem Handelsverkehr mit den oberitalienischen Städten. Italienische Kaufleute besuchten die Bozner Messen und umgekehrt zogen Bozner südwärts. Auch Niclaus V. treffen wir einmal (1407) Geschäfte halber in Venedig und wenn er 1411, unser Dichter 1417 als Gesandte dahin geschickt wurden, geschah es sicher auch ihrer Verbindungen wegen, weil sie mit einflußreichen Persönlichkeiten der Lagunenstadt bereits bekannt waren. Erinnern wir ferner an die Beziehungen des deutschen Adels Südtirols zu den wälschen Nachbarn, so wird sich Niemand wundern, wie italienische Litteratur im deutschen Etschland Eingang fand und Hans V. zu seiner Vorlage kam. Zu eigenem Zeitvertreib, zu Nutz und Frommen Anderer hat er sein Gedicht gemacht, meist an das „wälsche puech“ sich anschließend, doch auch seinen eigenen Gedanken, Lebensanschauungen und Erfahrungen Raum gebend. In seinen Zuthaten erweist sich der Dichter als der wackere, charakterfeste Edelmann, als den wir ihn auch sonst kennen gelernt haben.