ADB:Tschernembl, Georg Erasmus Freiherr von

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Artikel „Tschernembl, Georg Erasmus Freiherr von“ von Franz von Krones in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 38 (1894), S. 711–714, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Tschernembl,_Georg_Erasmus_Freiherr_von&oldid=- (Version vom 9. Oktober 2024, 19:21 Uhr UTC)
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Tschernembl: Georg Erasmus Freih. v. T., † zu Genf am 18. Nov. 1626, Vordermann der oberösterreichischen Stände akatholischen Bekenntnisses. Die Tschernembl sind ein in der windischen Mark stammsässiges Geschlecht, das schon im 14. Jahrhundert urkundlich auftaucht, dem krainischen Ritterstande angehört und im 15. Jahrhundert namhafte Stellungen bekleidet. So waren 1431–37 Martin T., 1444 ein Georg T. Krainer Vicedome, Letzterer 1450 auch Landeshauptmann von Krain, 1479 erscheint ein Georg als oberster Schenk des Landes Krain und der windischen Mark und zugleich als Landeshauptmann der Steiermark. Um 1535 übersiedelte Christoph v. T. nach Oberösterreich, woselbst er durch Heirath mit Margarethe v. Schärfenberg die Herrschaften Schwertberg und Windeck an sein Haus brachte und so in die oberösterreichische Landstandschaft eintrat, woran sich später die Rangerhöhung zu Freiherren knüpfte. Hanns v. T., sein Sohn, war der Vater des Freih. G. Erasmus, dem wir seit 1598 als Verordnetem des Herrenstandes und einer der bedeutendsten Persönlichkeiten unter dem Adel Oesterreichs begegnen. Am 13. October 1599 bestellte er seinen häuslichen Heerd durch Vermählung mit Elise Preuner, aus welcher Ehe mehrere Kinder hervorgingen, die vorzeitig oder unvermählt starben. Calviner von Bekenntniß, verkörpert T. den feudalen Autonomisten, dessen beweglicher Blick nicht bloß eine politisch-confessionelle Interessenverbindung mit den Staats- und Glaubensgenossen der andern habsburgischen Länder, sondern auch mit den Religionsverwandten in Deutschland anstrebte, die sich in der sogenannten „Union“ vereinigt hatten. In der Ständeschaft hervorragend und auch von der Wiener Regierung nicht unterschätzt, deren Seele, B. Khlesl, die principielle und persönliche Abneigung Tschernembl’s mit gleicher Empfindung erwiderte, mußte ein Mann wie T., des Wortes und der Feder mächtig, angesichts einer allgemeinen Krise, wie eine solche die Schilderhebung Bocskay’s – 1606 – herbeiführte, eine große Rolle spielen. Wir stehen an der Schwelle des Bruderzwistes im Hause Habsburg, vor dem Wiener Frieden vom 23. Juni, dessen Garantie durch die Stände der betheilisten Länder das Selbstgefühl der letzteren wesentlich erhöht, aber auch die Verständigung der ungarischen, österreichischen und mährischen Bewegungspartei zum gemeinsamen Handeln, zum Abfallen von Kaiser Rudolf II. und zum Anschlusse an Erzherzog Matthias anbahnt, der diese Hülfeleistung mit ausgiebigen Zugeständnissen entgelten sollte. Gleichzeitig arbeitete der planreiche, an Projecten unerschöpfliche Fürst Christian von Anhalt-Bernburg (s. A. D. B. IV, 145 f.) auf eigene Faust an einer engeren Verbindung mit der Bewegungspartei in den habsburgischen Ländern, um den „terminus fatalis domus austriacae“ zu beschleunigen. Er stand in Correspondenz auch mit T. So sehen wir denn am 12. August 1606 T. als einen der Vertreter der oberösterreichischen Ständeschaft in der Residenz an der Donau, um wochenlang über die Garantie des Wiener Friedens und die bezügliche Assecuranz der ungarischen Stände zu verhandeln. Andererseits suchte Anhalt 1607 (Oct.) durch einen Bevollmächtigten, Peter Weck v. Rosenberg, als Mittelperson engere Fühlung mit T. Das war die Zeit, in welcher sich unter Führung des mährischen Autonomisten, Karl’s v. Zierotin, der Abfall von Kaiser Rudolf II. zu Gunsten Erzherzogs Matthias vorbereitete (1607). Der Versammlungstag der mährischen Oppositionspartei zu [712] Eibenschütz bezweckte deren Liga mit den österreichischen und ungarischen Gesinnungsverwandten. Dort erschien auch als ein Vertreter der Oberösterreicher T. und begab sich dann nach Znaim, zurück nach Oberösterreich und von Linz in das Lager Erzherzogs Matthias vor Czaslau in Böhmen. T. war unter denjenigen, welche im Februar 1608 das Bündniß mit den Ungarn unterzeichnet hatten, und so spielte er denn auch bei den Vorgängen, die dem Czaslauer oder Liebener Vertrage (25. Juni 1608) zwischen Kaiser Rudolf II. und Erzherzog Matthias vorangingen, keine untergeordnete Rolle. Wir finden ihn dann in Wittingau, im Schlosse des Rosenbergers, wo er mit Christian von Anhalt zusammentraf und Besprechungen pflog. T. bildete mit Richard und Gottfried v. Starhemberg die radicale Führerschaft der österreichischen Bewegungspartei und unterhielt nach allen Seiten hin rege Beziehungen. So heißt es, daß T. dem Erzherzog Matthias zur Zeit des Bruches mit dem Kaiser gerathen habe, sich mit Heinrich IV. von Frankreich zu verbinden.

Als nun Erzherzog Matthias durch die erzwungene Verzichtleistung seines kaiserlichen Bruders Herr Oesterreichs, Mährens und Ungarns geworden war, und die protestantische Bewegungspartei ihren Lohn von ihm heischte, kam es zu einem harten Gegensatze zwischen ihr – die man gemeinhin von ihrem Versammlungsorte die „Horner“ nennt – und der Wiener Regierung, da Cardinalbischof Khlesl mit den Zugeständnissen zu kargen entschlossen war. T. betrieb daher ein Aufgebot des 30., 10. und 5. Mannes zum Schutze der Horner „gegen ihre Feinde“ – „nicht gegen den König“. Jedenfalls sollte die Huldigung an Matthias von den geforderten Zugeständnissen abhängig gemacht werden. In der That leisteten nur die Katholischen die Huldigung bedingungslos, während die „Horner“ eine Deputation mit T. an der Spitze an den ungarischen Krönungslandtag abordneten, und ihr Führer die Ungarn bestimmen wollte, die Krönung Matthias’ zum König aufzuschieben oder bewaffnet für die Oesterreicher einzuschreiten, falls die Wiener Regierung nicht früher den Forderungen der Horner gerecht geworden sei. Matthias beeilte sich nun, die Wirkung der Tschernembl’schen Rede durch nachdrückliche Eröffnungen zu lähmen, und in der That gaben die ungarischen Stände den Hornern den Rath, sich mit den bisherigen Zugeständnissen zu begnügen. Die Horner veranlaßten auch die Intervention des sächsischen Kurfürsten Christian zu Gunsten der Glaubensverwandten in Oesterreich, und die Oberösterreicher entboten Ende October einen Vertrauensmann an den Pfälzerhof nach Heidelberg, hinter welchem Schritte wir vor allem T. als Urheber ansehen dürfen. Die Verhandlungen der Horner mit dem Wiener Hofe schleppten sich unter Mitwirkung der Mährer und Ungarn bis in das Jahr 1609 hinüber. T. vertrat in Horn die Oberösterreicher, welche unter Richard v. Starhemberg den Hornern auch bewaffnete Macht zuführten. Unter solchen kritischen Verhältnissen kam es erst vom 4. März an zur Hauptverhandlung, wobei die mährischen Abgeordneten die Vermittlerrolle spielten. Das große Wort führte T. mit jener rücksichtslosen Offenheit, welche ihm eigen war, und von den Winkelzügen der Andern vortheilhaft absticht. Er tadelte vor den mährischen Abgeordneten am 12. März ganz offen den Versuch des Wiener Hofes, die Reichsfürsten gegen die österreichische Oppositionspartei auszuspielen, da jene doch durch die letztere besser informirt seien. Habe der Kaiser durch den Versuch des Glaubenszwanges seine Länder eingebüßt, so könne dies auch dem Könige (Matthias) widerfahren. „Wir suchen“, sprach er weiter, „Unionen, Correspondenzen mit der ganzen Welt, haben überall Abgesandte. Was diese indessen schließen, ist nicht mehr zu ändern. Kommt es zum Kriege, so werden die Prälaten und Geistlichen unsere ersten Leute sein und er wird mit Ausrottung des ganzen geistlichen Standes enden“. Mit gleicher Offenheit äußerte er sich gegen König Matthias selbst. Die Stände [713] würden mit der Union in Correspondenz bleiben. Er sage dies, damit, wenn sich in Zukunft etwas Widerwärtiges ereignen würde, Niemand sie beschuldigen könne, dem Regenten etwas „verhalten“ zu haben. Auch legte er es dem Könige nahe, Khlesl zu entlassen, „dann die Stände mit dem keine Gemeinschaft haben, noch in Räthen und anderswo neben ihm sitzen wollen“. Trotz der Zugeständnisse, welche Mathias am 19. März 1609 in der sog. „Capitulations-Resolution“ den Hornern eingeräumt hatte, blieb die Krise noch immer in Schwebe. So erklären wir uns, daß T. den Kurfürsten von der Pfalz um bewaffneten Zuzug ersuchte, wie dies sein Dankschreiben vom 31. December 1609 bezeugt. Nun legten sich die ungarischen, glaubensverwandten Stände durch Palatin Georg Thurzo ins Mittel; auch die Mährer und Böhmen sollten interveniren. T. unterhandelte (Dec. 1609 und Jänner 1610) zu Preßburg vornehmlich mit den Ungarn und begab sich in dieser Angelegenheit nach Olmütz in Mähren (Frühjahr 1610). Bei der ständischen Audienz in Wien (3. März 1610) verfocht T. das Recht des vierten Standes auf Glaubensfreiheit und den Anspruch der Protestanten auf die Bekleidung von Landesämtern. In den Vordergrund tritt T. wieder, als nach dem faulen Ausgleiche zwischen der Regierung und den österreichischen Ständen des protestantischen Bekenntnisses, die Vorgänge in Böhmen vom Jahre 1618 den Abfall der ständischen Mehrheit daselbst und ihre Conföderation mit den Gesinnungsverwandten in Mähren, Schlesien und Oesterreich herbeiführten. T. verfaßte das Gutachten der oberösterreichischen Stände über den böhmischen Krieg und eine Denkschrift an Kaiser Matthias, wie die böhmischen Unruhen zu bannen seien, selbstverständlich aus dem Gesichtspunkte eines Freundes der böhmischen Ständeerhebung. 1619 richtete er gleichartige Gutachten an den Thronfolger Kaiser Ferdinand (II). Nach dem Tode Kaiser Matthias’ verfocht er das Recht der Stände auf die Landesadministration kraft des „uralten österreichischen Herkommens“. Während Karl v. Zierotin, das frühere Haupt der mährischen Bewegungspartei, der Dynastie gegenüber loyal blieb, mit Anhalt und der Union nichts gemein haben wollte und die Standes- und Glaubensgenossen vor Selbstüberhebung warnte, blieb T. der eifrigste Anwalt des ständischen Selfgovernments und des Conföderationsprincips und stand in der Opposition, als es sich im April 1619 um die Huldigung an Erzherzog-König Ferdinand II. handelte. Der Bund mit Böhmen (11. Juni 1619) war ganz nach seinem Sinne, und am 15. Juni finden wir ihn als Abgeordneten Oberösterreichs in dem folgenreichen Prager Ständetage. Auch er war entschieden gegen die Anerkennung Ferdinand’s II. als Landesfürsten. Als dann Maximilian von Baiern mit dem Ligistenheere unter Tilly im Hochsommer 1620 den Marsch nach Oberösterreich vollzog und als Pfandherr sich huldigen ließ (20. Aug.), flüchtete sich T. mit den Gesinnungsgenossen Jörger, Starhemberg und Ungnad nach Eggenburg in Niederösterreich zu den böhmischen Truppen unter Anhalt’s Befehle. Die Schlacht am Weißen Berge (8. Nov. 1620) vernichtete nicht bloß die Hoffnungen der böhmisch-mährischen Aufstandspartei, sondern auch die ihrer österreichischen Verbündeten. T., der auch zu Prag im böhmischen Kriegsrathe thätig gewesen, entwich dann in die Oberpfalz und, da er bald der „bairischen Luft nicht trauen wollen“, nach Württemberg, wo er unter dem Namen eines „Freiherrn v. Windeck“ in Vaihingen stille saß, und nach überstandener Krankheit, welche die Mutter des Pfälzer Kurfürsten zu einem Trostschreiben an T. bestimmte, nach Heidelberg (1622). Hierher hatte ihn der aus Holland wieder heimkehrende Pfalzgraf und Exkönig berufen, da er Tschernembl’s benöthige. Doch die weiteren Ereignisse drängten den geächteten „Redlinsführer und Obersten aller Rebellion und Verwirrung“, wie ihn der gegnerische Verfasser der „Newen Perspective und Brüllen“ in seinem gegen Camerarius (1626) gerichteten Büchlein nennt, aus [714] der von Tilly und Spinola bedrohten Pfalz, und so suchte er in der Freistätte politischer Flüchtlinge, im calvinischen Genf, eine sichere Zuflucht. In Heidelberg ließ er ein Manuscript zurück, „Die Consultationes oder unterschidliche Rathschläg“, in denen sein politisches Glaubensbekenntniß niedergelegt erscheint. Es gipfelt in folgenden Sätzen: „Das Homagium gebürt dem, der das Vaterland innhat und possedirt mit Willen gemeiner Landschaft“. – „Wer nit in der Huldigung ist, der ist vogelfrei … Das Volk wält sich seinen Fürsten und kann ihn also auch verwerfen … Ein Land macht sich selbst zum Erbland um seines eigenen Respects willen, und obwohl Gott Länder austheilt, so thut er doch solches nur durch das Volk des Landes. Wer nun den Erbherrn macht, der kann auch den Erbherrn rejiciren …“ T. war ein kenntnißreicher, gewandter Mann. Sein Glaubensverwandter, J. V. Andreä, dem er sich in Schwaben zu erkennen gab, nennt ihn „den durch seine Gelehrsamkeit und Scharfsinn berühmten Baron T.“; aber auch Khevenhüller, der Regierungsmann und Hofhistoriograph bezeichnet ihn als „gelehrten, in Historien- und Landsachen erfahrenen, auch arbeitsamen Herrn“. Es fehlte ihm auch nicht an Umsicht und Klugheit in schwierigen Zeitläufen. Als das Passauer Kriegsvolk 1611 den Weg durch Oberösterreich nach Böhmen nahm und das Bauernvolk gegen die Söldner aufgeboten wurde, soll T., wie der Söldneroberst Ramée in seiner „Entschuldigungsschrift“ bemerkt, bei ihm gewesen sein und sich erboten haben, diesen „Zusammenlauf des Bauers einzustellen“. Hätten alle Herrn und Landleute so gedacht, so würden die Lande nicht den geringsten Schaden erlitten haben.

T. vertritt in hervorragender Weise das unbotmäßige österreichische Ständethum in den Tagen seiner letzten Blüthezeit.

Anhaltische Kanzlei 1621. – Neuwe Perspectiv und Brüllen D. Ludovico Camerario 1626. – Khevenhüller, Annales Ferd. Lpz. Ges. A. VI. – Raupach, Evangelisches Oesterreich IV. Abthlg. – Hammer, Cardinal Khlesl II. III. IV. Bd. – J. Stülz, Z. Charakteristik des Freih. Georg Erasmus v. Tschernembl u. z. Gesch. Oesterr. i. d. J. 1608–1610 (Anh. f. K. österr. G.-O. 9. Bd.). – Chlumeczky, Karl v. Zierotin u. s. Zeit. – Gindely, K. Rudolf II. – Freih. v. Hoheneck, Die Stände Ober-Oesterreichs. – Hurter, K. Ferdinand II. u. s. Eltern. – Ritter, „Gesch. d. deutschen Union“ und „Briefe und Acten der d. Union“, dsgl. Politik und Gesch. d. Union z. Zeit des Ausgangs Rudolf’s II. u. der Anfänge K. Mathias (Abh. d. k. Akad. München XV. Bd. 1880). – Krebs, Christian von Anhalt und die kurpfälzische Politik. – Gindely, Gesch. d. 30jähr. Krieges. – Bernd, Z. Gesch. der österr. Unruhen v. 1608–1609 i. i. Zusammenhange mit der kurpfälzischen Politik (Progr. der Realschule in Krems 1876).